Indogermanen, Konstrukt oder Wirklichkeit?

Würdest Du bitte die im Aufsatz zitierte Korrelation der "genetic and Linguistik distances" noch einmal inhaltlich interpretieren und erläutern?
Mir ist nicht ganz klar, wo Deine Verständnisprobleme liegen, falls ich also an Deinen Fragen vorbeiargumentiere, bitte ich um Entschuldigung.

Genetik: Zunächst wurde die genetische Varianz aller getesteten Individuen ermittelt. Sie betrug 68% bei den Männern, und 84% bei den Frauen. Innerhalb jeder geographischen Gruppe (W,N,S,O, Zentr.-Afrika) lag sie bei yDNA im Schnitt bei 26%, bei der mtDNA bei 12% - Männer waren also historisch sehr viel stärker interregional mobil als Frauen. Innerhalb jeder linguistischen Gruppe betrug die Diversität nur noch 16,6% für yDNA, d.h. die männliche genetische Homogenität innerhalb linguistischer Gruppen ist sehr viel höher als innerhalb geographischer Regionen. Bei mtDNA steigt dagegen die Diversität innerhalb linguistischer Gruppen leicht im Vergleich zu geographischen Gruppen an.

Konkret heisst das für yDNA (Hervorhebungen durch mich):
The vast majority of these lineages (98.1%) belong to five major haplogroups: A (7.1%), B (10.2%), E (70.2%), J (5.4%), and R (5.2%). Haplogroup A is closest to the root of the tree and is found most frequently in the Khoisan, particularly the A2 and A3b1 lineages (47.7%). Haplogroup B chromosomes are most frequently observed in Pygmies (48.9%), with B2a* and B2b* being nearly exclusive to this group. Haplogroup E is overwhelmingly the most common in this study. Over half of the individuals in our study (51%) are members of the subclade E3a, which is defined by the P1 mutation. Niger-Congo speakers have the highest frequency of E-P1* chromosomes (40.7%) and the largest proportion of E-M191 chromosomes (27.5%), particularly in Bantu speakers (31.5%). The E3b1 (E-M78) lineage is most frequent in Afroasiatics (22.5%). In this study, haplogroup J is concentrated in Afroasiatics (19.5%). While African haplogroup R chromosomes are generally quite rare, R-P25* chromosomes are found at remarkably high frequencies in northern Cameroon (60.7–94.7%). The remaining haplogroups (K, F*, I, and G) account for only 1.9% of the individuals in our data set.
Kurzfassung und Erläuterung: Die archaischen ("Ur-homo sapiens") Haplogruppen A und B dominieren bei Khoisan-Sprechern (A) und Pygmäen (B). E1b1a (E-V38, in der Studie noch bezeichnet als "E-P1*") korrespondiert stark mit der Verbreitung der Niger-Kongo-Sprachen (Verbreitungskarte von E-V38 mit neueren Daten angehängt), die Unterklade E-M191 ist insbesondere bei Bantu-Sprechern typisch. Über E1b1b (E-M215) als afroasiatischer, insbesondere Berber/ Kuschiten Marker hatte ich ja schon weiter oben ausführlich geschrieben, ergänzend dazu die vermutete Wanderungskarte im Anhang. Haplogruppe J hat zwar die höchste Konzentration im Ostkaukasus (92% bei Inguschen), gilt aber generell als semitischer Marker (einschl. Ashkenazi), und wird aufgrund des vermuteten ostanatolischen Ursprungs teilweise auch mit der neolithischen Expansion in Verbindung gebracht. Das afrikanische "Epizentrum" liegt im Sudan, mit Fortsetzung ins amharische Sprachgebiet sowie angrenzenden omotischen Sprachen.
Ethio Helix ???:????: Analyzing YDNA J lineages in Ethiopian linguistic groups

Korrelationsanalysen: Für die untersuchten 40 (y-DNA) bzw. 39 (mtDNA) Populationen wurden Matzitzen der jeweiligen paarweisen Differenz gebildet (also: Wolof zu Mandinka, Wolof zu Amhara, Mandinka zu Amhara, etc.)


  • genetisch (Anzahl der trennenden Mutationen, wenn ich richtig verstehe),
  • geographisch (Luftlinie, ohne weitere Berücksichtigung topographischer Barrieren - da aber die großen Seen und der kong. Regenwald in der Populationsauswahl weitgehend umgegangen wurden, ist dies wohl unkritisch)
  • Linguistisch, nach vier verschiedenen Methoden, u.a. selbst erstellter Sprachstammbaum mit Berücksichtigung vermuteter Zeiten der Sprachabspaltung, daneben ein der Fachliteratur entnommener Sprachstammbaum, und simplifizierte Versionen ohne Zeitberücksichtigung, die die ling.Distanz lediglich auf Basis der Position in den Sprachstammbäumen messen. Lt. Text ergeben sich für alle vier Versionen weitgehend die gleichen Resultate.
    Das eigenerstellte linguistische Modell stammte von Christopher Ehret - dem "Papst" für Nilo-saharische und Khoisan-Sprachen. Der Studienanhang mit Kurzdarstellung ist inzwischen offline, aber allzuweit dürfte das Modell nicht von Ehrets sonstigen (absolut lesenswerten) Publikationen abgewichen haben:
    https://books.google.de/books?id=0K...v=onepage&q=Christopher Ehret Khoisan&f=false
Auf diese Matrizen wurden Korrelationsanalysen angewandt, die für yDNA eine statistisch signifikante Korrelation zwischen linguistischer und genetischer Distanz zeigten, d.h. je näher sich zwei Populationen linguistisch stehen, desto näher sind sie auch genetisch. Für die geographische Distanz konnte kein entsprechender Zusammenhang nachgewiesen werden. Bei der mtDNA wird die genetische Distanz in jeweils gleichem Maß durch linguistische und geographische Distanz bestimmt.
Ohne die Bantu-Populationen verschwindet die genetisch-linguistische Korrelation bei der yDNA. Wenn zusätzlich auch noch vier Populationen aus Nordkamerun, die stark durch die eurasische yDNA Haplogruppe R1b geprägt sind, aus der Betrachtung genommen wird, erscheint eine statistisch signifikante Korrelation zwischen genetischer und geographischer Distanz. Bei der mtDNA führt die Elimination der Bantu-Populationen zu einem leichten Anstieg der linguistischen, und zu einem starken Anstieg der geographischen Korrelation. Schliesslich wurde innerhalb jeder Region die genetische Diversität einschliesslich, und ohne Bantu-Völker gemessen:
Unlike the case for any other language family, the removal of Bantu populations results in a higher Y chromosome CT (0.28) than when they are included (0.06). This supports the hypothesis that Bantu Y chromosomes (eg E-P1*, E-M191) are acting to homogenize geographically differentiated populations. A similar analysis of mtDNA results in slightly higher CT value when the Bantu populations are excluded (0.07 versus 0.04).
Schlussfolgerungen:

  1. Ohne Bantu und nordkamerunische, genetisch stark eurasisch gefärbte Völker lassen sich 27% der yDNA-Unterschiede zwischen jeweils zwei afrikanischen Völkern auf ihre geographische Distanz zurückführen. Bei der mtDNA sind es über 35%.
    Linguistische Distanz spielt für die yDNA keine signifikante Rolle, erklärt aber 25% der mtDNA genetischen Distanz.
    Das dominierende Muster ist also Matrilokalität, mit starker "Einheiratung" über linguistische Grenzen hinweg, aber Weitergabe der mütterlichen Sprache.
  2. Unter Einschluss von Bantu und nordkamerunischen Völkern verkehrt sich das Bild. Jetzt erklärt linguistische Distanz 33% der y-DNA Variation, geographische Distanz wird insignifikant. Gleichzeitig sinkt die innerregionale genetische Varianz stark - Bantu-Männer haben also vomals geographisch differenzierte Populationen homogenisiert, was wohl auch die deutlich geringere afrikaweite Varianz der y-DNA im Vergleich zur mtDNA erklärt.
    Der Effekt zeigt sich, allerdings in deutlich gemindertem Ausmass, auch bei der mtDNA, die nun nur noch zu jeweils etwa 17% durch geographische und linguistische Distanz erklärbar ist.
    D.h., auch die Bantu haben vielfach von aussen eingeheiratet, jedoch diese Frauen häufig auf ihre Wanderung mitgenommen, und generell die väterliche Sprache gemeinsam mit den väterlichen Genen weitergegeben.
Vermutlich wiesen die Bantu schon zu Beginn ihrer Wanderung nicht nur eine yDNA-Haplogruppe auf. Bei ihnen fand sich aber überdurchschnittlich viel E1b1a, insbesondere die Unter-Klade E-M191, und dieser "Bantu-Marker" erlaubt es, ihre Wanderungen geographisch nachzuvollziehen.
 

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Vorsicht ist geboten, wenn man aus der heutigen Verteilung von Haplogruppen auf demografische Ereignisse in der Vergangenheit schließen möchte.
Grundsätzlich richtig. Im von Dir angesprochenen Fall - Ausbreitungsgeschichte von R1a - basiert die Karte (Inset unten links) jedoch nicht auf der heutigen Verbreitung, sondern auf der regionalen genetischen Diversität bzw. dem Vorkommen basaler Formen, also ohne späterere Mutationen und Aufspaltung in Untergruppen. Diese Methode ist für die Identifikation von genetischen "Urheimaten" allgemein gebräuchlich.

Auf dem gleichen Weg kommen die Autoren der von mir verlinkten Studie auch zur Feststellung, die in den weiteren Karten gezeigte Aufspaltung von R1a in einen westlichen und einen östlichen Zweig sei etwa um 4.000 v. Chr. in Ostanatolien " in the vicinity of present-day Iran" erfolgt.
Die Studie führt dann u.a. aus:
"To put our frequency distribution maps, PCA analyses, and autocorrelation results in archaeological context, we note that the earliest R1a lineages (genotyped at just SRY10381.2) found thus far in European ancient DNA date to 4600 years before present (YBP), a time corresponding to the Corded Ware Culture (..) This raises the possibility of a wide and rapid spread of R1a-Z282-related lineages being associated with prevalent Copper and Early Bronze Age societies that ranged from the Rhine River in the west to the Volga River in the east including the Bronze Age Proto-Slavic culture that arose in Central Europe near the Vistula River (..) The corresponding diversification in the Middle East and South Asia is more obscure. However, early urbanization within the Indus Valley also occurred at this time and the geographic distribution of R1a-M780 (Figure 3d) may reflect this."
Die "proto-slawische Kultur an der Weichsel" (um 2.600 v. Chr) ist so offensichtlicher Schwachsinn, dass es bei einem so renommieren Forscher wie Underhill eigentlich nur einen Grund für das Wörtchen "Slavic" geben kann..
Für die östliche Verteilung, insbesondere in Zentralasien, fällt die hohe Korrelation mit bekannten Zentren des frühbronzezeitlichen Kupfer-und Zinnbergbaus auf. Das Bergbaumuseum Bochum hat da intensiv geforscht, bei Interesse könnte ich entsprechende Links raussuchen. Das "Indogermanen und Bronze"-Thema ist ja nicht ganz neu, und überzeugt mich auch mehr als die "Pferd und Wagen"-Geschichte (insbesondere vor dem Hintergrund, dass die ersten Wagenspuren in Flintbek bei Kiel gefunden wurden und der Trichterbecherkultur zuzuordnen sind, die ansonsten nicht gerade zu den heissen Anwärtern früher Indoeuropäisierung zählt).
Es müssen auf jeden Fall Untersuchungen an aDNA erfolgen und in die Betrachtung einbezogen werden
Klar, hat die verlinkte Studie ja auch gemacht, wie das obige Zitat zeigt. Eine umfassende, und laufend aktualisierte Darstellung aller Bestimmungen von aDNA findet sich hier: Ancient Eurasian DNA of the Copper and Bronze Ages [Schau Dir mal auf der "Silk-Road"-Seite die aDNA aus Xinjang, China an - 100% R1a. Was, bitte, sollen die ursprünglich aus dem Iran kommenden Jungs dort denn wohl gesprochen haben, wenn nicht Tocharisch?].
aDNA aus dem von dir genannten Bereich (Indus) ist derzeit noch nicht verfügbar und untersucht. Rückschlüsse aus der heutigen Verteilung von DNA in der Bevölkerung auf vergangene Bevölkerungsbewegungen können - wie gesagt - trügerisch sein. Die derzeit ältesten Funde von R1a und R1b stammen von osteuropäischen Jägern und Sammlern.

Letzteres steht hier, S. 5: http://biorxiv.org/content/biorxiv/early/2015/02/10/013433.full.pdf
Zu der Studie wollte ich sowieso noch kommen. Haak ist grundsätzlich super - seine vorangegangene Studie (mit P. Brotherton) zu neolithischer mtDNA H war bahnbrechend, zeigte sie doch für Mitteleuropa (primär Elbe-Saale-Raum) massive Bevölkerungsumbrüche von Bandkeramik zu Rössen/ Lengyel, dann erneut mit dem genetischen Wiedererstarken der nordeuropäischen Jäger und Sammler in der Trichterbecherkultur, und im Endeffekt das fast völlige Aussterben der ersten mitteleuropäischen Neolithiker auf..Allgemein irritiert hat jedoch die Aussage dort im Abstract, um 4.000 v. Chr. sei die heutige mitteleuropäische genetische Struktur schon weitgehend geschaffen worden.
Neolithic mitochondrial haplogroup H genomes and the genetic origins of Europeans
In der von Dir verlinkten Studie behauptet er nun, nur ein Jahr später, vehement das Gegenteil, und zieht - auf sehr begrenzter Datenbasis - aus meiner Sicht teils voreilige, teils unfundierte Schlussfolgerungen.
Zu den Befunden im einzelnen (vgl. Table 2 bei Haak m Anhang, sowie meinen Link weiter oben):

R1a:

  • ca. 5.200 BC, Karelien, Russland, mesolith. [R1a1, basal, entstanden vor iran. O-W-Aufspaltung, heute nur dokumentiert in Iran/ Türkei/ Kaukasus]
  • ca. 2.600 BC, Eulau, Deutschland, Schnurkeramik [3 Funde, Vater und Söhne, R1a1, basal oder zu degen. für weitere Analyse]
  • ca. 2.400 BC, Espenstedt, Deutschland, Schnurkeramik [R1a1a1, basal, vor iran. O-W-Aufspaltung]
  • ca. 1.600 BC, Solenoozernaïa, Krasnoyarsk, Russland, Andronovo-Kultur [nur bestimmt auf basal R1a1a]
  • ca. 1.600 BC, Oust-Abakansty, Khakassia, Russland Andronovo-Kultur [nur bestimmt auf basal R1a1a]
  • ca. 1.100 BC, Halberstadt, Deutschland, Urnenfelder-Kultur ["balto-slaw."-Zweig, Z-280]
Hier gibt es im Grunde nichts Neues (Eulau, Espenstedt und die Andronovo-Kultur-Funde waren schon länger bekannt), ausser dem mesolithischen Fund aus Karelien. Der zeigt frühe Präsenz von R1 in NO-Europa an, allerdings in einer (erwartungsgemäß) basalen Form, und hat wohl wenig mit späteren Migrationen aus Ostanatolien/ Iran in die pontische Steppe und weiter zu tun.

R1b:


  • ca. 5.300 BC, Derenburg, Deutschland, Bandkeramik [degeneriert, nur als P* ("Vatergruppe" von R) identifizierbar]
  • ca. 5.250 BC, Samara, Russland, mesolith. Jäger/ Sammler
  • ca. 5.100 BC, Els Trocs, Katalonien, Spanien (neol.) [2 Funde, lt. Haak Verwandte, zweiter Fund nur als yDNA P* markiert]
  • ca. 5.000 BC, Derenburg, Deutschland, Bandkeramik [degeneriert, nur als P* identifizierbar]
  • ca. 3.800 BC, Espenstedt, Deutschland, Baalberge-Kultur [degeneriert, nur als P* identifizierbar]
  • ca. 3.500 BC, Quedlinburg, Deutschland, Baalberge-Kultur [degeneriert, nur als R* identifizierbar]
  • ca. 3.200 BC, Samara, Russland, Yamnaya-Kultur
  • ca. 3.100 BC, Samara, Russland, Yamnaya-Kultur
  • ca. 3.100 BC, Samara, Russland, Yamnaya-Kultur
  • ca. 3.100 BC, Samara, Russland, Yamnaya-Kultur
  • ca. 3.000 BC, Ishkinova/ Orenburg, Russland, Yamnaya-Kultur
  • ca. 2.900 BC, Samara, Russland, Yamnaya-Kultur
  • ca. 2.800 BC, Samara, Russland, Yamnaya-Kultur
  • ca. 2.550 BC, Kromsdorf, Deutschland, Glockenbecher-Kultur [2 Funde, mögl.verwandt]
  • ca. 2.250 BC, Quedlinburg, Deutschland, Glockenbecher-Kultur
Das ist schon spannender - nicht so sehr der Jäger und Sammler aus Samara, sondern vor allem der spanische Neolithiker (der übrigens, bei der weiten Datierungsspanne der Samara aDNA, durchaus älter als diese sein mag). Bis jetzt hatten sich alle gefragt, wie es die vermuteten R1b-Indogermanen von der pontischen Steppe aus geschafft haben, die genetisch dominierende Haplogruppe am Atlantik zu werden (u.a. i90% in Wales, 88% bei Basken). Nun wissen wir, dass sie gar nicht aus der Steppe, sondern per Schiff aus Kleinasien kamen, und wohlmöglich auch gar keine Indogermanen waren (die Basken sind es ja heute noch nicht). Unterwegs sammelten die Els Trocs-Leute auch noch die Haplogruppe I2a1b1 an der dalmatischen Küste auf, was Haaks Anhang ebenfalls zeigt, er aber nicht weiter erwähnenswert findet.
Es wäre schön gewesen, wenn er versucht hätte, der stark degenerierten Bandkeramiker yDNA aus dem Elbe-Saale-Raum noch ein paar mehr Informationen zu entlocken, ob sie nun R1a oder R1b enthält - so bleiben nur Mutmaßungen (meine ist der tabellarischen Zuordnung entnehmbar).
Neu ist die Erkenntnis, dass die Yamnaia-Kultur offenbar stark durch R1b geprägt war, jedoch dort bislang die erwarte R1a yDNA-nicht augeftaucht. Das macht es aus meiner Sicht doch relativ unwahrscheinlich, dass die Schnurkeramiker von der Yamnaya-Kultur aus mit R1a beglückt, und in Folge indogermanisiert wurden.

Nimmt man alles zusammen:

  1. R1b-Ausbreitung nach Westeuropa durch die mediterrane, maritime neolithische Expansion, nicht durch die Steppe,
  2. Verwurzelung von R1a in Ostanatolien,
  3. Bislang kein Nachweis für R1a-Präsenz in der Yamnaya-Kultur, womit diese auch als Erklärung für das erstmalige Auftauchen dieser Haplogruppe bei den Schnurkeramiken fragwürdig wird,und
  4. Klare Ost-West-Trennung der jüngeren R1a-Untergruppen, ohne Überlappung nördlich des kaspischen Meers
halte ich die Kurgan-Theorie für genanalytisch widerlegt. Dass es um Renfrews anatolische Theorie kaum besser steht, weil die Bandkeramiker spätestens um 4.000 v. Chr. ausstarben, macht die Sache nicht einfacher. "Gehen Sie zurück auf Los, ziehen sie keine 4.000 Euro ein".
Was du mit "rückwandernden Ariern" meinst, bleibt unverständlich.
War tendenziell ein lautes Selbstgespräch angesichts des obigen Befunds. Noch sehr ins unreine gesprochen, erwäge ich folgendes Szenario:
- Proto-proto-indogermanisch existiert/ bildet sich im Indusraum, ist auch Ausgangspunkt der drawidischen Sprachen
- postglaziale Expansion nach Iran / Ostanatolien (grundsätzlich für Haplogruppe R1a genetisch belegt)
- dort Herausbildung des proto-Indogermanischen im Sprachkontakt mit afroasiatischen (akkadisch) und kaukasischen Sprachen
- ggfs, aber dann in begrenztem Umfang, Teilname an der neolithischen Expansion,
- Spezialisierung auf die Ausbeutung ostanatolischer Zinnvorkommen, ggfs. auch Teil/ Träger der Kura-Araxes-Kultur (Bronzeverarbeitung in Kleinasien nach neuen archäol. Befunden aus Israel bereits im 7.Jtsd. v.Chr.)
- Nach Erschöpfung ostanatolischer Zinnvorkommen Migration zu neuen Quellen, insbesondere Altai, Zentralasien, und den Ganges entlang Richtung Yünnan (Ostzweig), nach (Nord-)Westen hin zunächst Donauraum und Ural, dann weiter Richtung Alpen und Erzgebirge (Badener Kultur)
- "Rückkehr" nach Indien dadurch erleichtert, dass dortige dravid. Sprachen auf der selben Proto-Sprache basieren.
Out-of-India-Theorie ? Wikipedia
Kura?Araxes culture - Wikipedia, the free encyclopedia
Vin?a-Kultur ? Wikipedia
Badener Kultur ? Wikipedia

Dir sei zur Einordnung die Lektüre folgender Veröffentlichung ans Herz gelegt: http://genetics.med.harvard.edu/reich/Reich_Lab/Welcome_files/PIIS0168952514001206.pdf
Danke für den schönen Link. Habe ihn überflogen, muss ihn aber noch mal in Ruhe lesen, gerade auch im Hinblick auf die vorskizzierten "Arbeitshypothesen".
 
Hier irrst Du, zumindest was Afrika angeht:

Sprache und Genetik sind zwei völlig verschiedene Dinge. Obama müsste demnach einen afrikanischen Stammesdialekt sprechen.

Zwar können genetische Verwandtschaft und Sprache zusammenfallen, doch gibt es da keine Zwangsläufigkeit. Biologie ist nicht an Sprache gebunden.
 
Die neusten genetischen Ergebnisse alter DNA

Eight thousand years of natural selection in Europe - Eight thousand years of natural selection in Europe | bioRxiv - mit PDF

Interessant, dass laut dieser Arbeit bei der Yamnaya Kultur in der Zeit von 3.300 - 2.700 v.Chr. der Polymorphismus C/T-13910 des LCT Gens (Gen: MCM6, Chromosom: 2, SNP: rs4988235), also das Allel 13910*T für Laktosetoleranz (Laktasepersistenz), nicht vorkommt, während es, dessen Ausbreitung so gut mit der Ausbreitung der Indoeuropäer zusammen passt, zu dieser Zeit schon in Schweden (Malmström) und Spanien (Plantinga) vorkommt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Interessant, dass laut dieser Arbeit bei der Yamnaya Kultur in der Zeit von 3.300 - 2.700 v.Chr. der Polymorphismus C/T-13910 des LCT Gens (Gen: MCM6, Chromosom: 2, SNP: rs4988235), also das Allel 13910*T für Laktosetoleranz (Laktasepersistenz), nicht vorkommt, während es, dessen Ausbreitung so gut mit der Ausbreitung der Indoeuropäer zusammen passt, zu dieser Zeit schon in Schweden (Malmström) und Spanien (Plantinga) vorkommt.

Und was soll uns das nun sagen? :grübel:
 
Deshalb.
www.biomedcentral.com - Figure
http://www.google.de/url?sa=t&rct=j...WTtSf9DP7X2lOyQkqUaj6JA&bvm=bv.92885102,d.bGQ

Ich will damit nicht sagen, dass die ersten Menschen mit dieser Mutation Indogermanen waren, allerdings scheint sich diese Mutation mit der Ausbreitung der indogermanischen Sprachen ausgebreitet zu haben.
Statt einen Ausgangspunkt in Europa anzunehmen läge es doch näher, diese halbnomadischen Immigranten etwa nöördlich des Kaspischen und Schwarzen Meers zu verorten.
Aber es lässt sich nunmal nicht abstreiten, dass alle, die die LCT-13.910 C/T-Mutation, tragen einen gemeinsamen Vorfahren haben, und nach heutigem Kenntnissstand kommt dieser aus Zentraleuropa.

The allele associated with lactase persistence was found in 50% of the farmer samples and in 10% of the hunter-gatherer samples.
Our data suggests that the frequency of the allele linked to lactase persistence in the investigated farmer population was, already 5 500 years ago, closer to modern Swedish frequencies than to those seen in the contemporary hunter-gatherers.
Helena Malmström - Ancient DNA as a Means to Investigate the European Neolithic - Dissertation 2007
http://www.google.de/url?sa=t&rct=j...6GADtoYptTvarOYidTW2BwA&bvm=bv.92765956,d.bGQ
 
Woran man wieder mal sieht, dass sich an den Genen nicht die Sprache ihrer Träger ablesen lässt.
Hier irrst Du, zumindest was Afrika angeht:
Das ist doch auch in Afrika nicht anders.

Um mal eine besonders starke Korrelation herauszugreifen:
40% der Sprecher einer Niger-Kongo-Sprache tragen den Marker E-P1*, 60% tragen ihn nicht.
Was besagt das über einen Träger des Markers E-P1*? Spricht er nun eine Niger-Kongo-Sprache oder nicht?
 
Das ist doch auch in Afrika nicht anders.

Um mal eine besonders starke Korrelation herauszugreifen:
40% der Sprecher einer Niger-Kongo-Sprache tragen den Marker E-P1*, 60% tragen ihn nicht.
Was besagt das über einen Träger des Markers E-P1*? Spricht er nun eine Niger-Kongo-Sprache oder nicht?
Ein individueller Träger des Markers E-P1* mag diverse Sprachen sprechen, einschließlich in der Schule oder an der Universität erlernter Fremdsprachen.
Du hast aber vorher nicht von einer Einzelperson gesprochen, sondern von "den Genen"und "ihren Trägern". Die durch diese Formulierung implizierte statistische Betrachtung zeigt eben durchaus starke Korrelation zwischen Sprache und genetischer Struktur, übrigens nicht nur für Bantu, sondern auch für afroasiatische und KhoiSan-Sprachen.
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass "die Gene" neben der väterlichen yDNA u.a. auch die mütterliche mtDNA beinhalten, welche in Afrika v.a. geographisch differenziert ist. In der Kombination wird das ziemlich spezifisch.
[Ich gebe zu, dass Deine "auf die Schnelle" formulierte Aussage auch ein willkommener Aufhänger war für einen Post, den ich sowieso früher oder später als Beitrag zur "Vater- vs. Muttersprache"-Diskussion hier im Faden machen wollte.]
 
Neue Studie zu den Veränderungen in der Bronzezeit:

Bronze Age DNA Gives Clues to How Modern Eurasia Was Formed | Anthropology | Sci-News.com

"The Bronze Age of Eurasia (around 3000–1000 BC) was a period of major cultural changes. However, there is debate about whether these changes resulted from the circulation of ideas or from human migrations, potentially also facilitating the spread of languages and certain phenotypic traits. We investigated this by using new, improved methods to sequence low-coverage genomes from 101 ancient humans from across Eurasia. We show that the Bronze Age was a highly dynamic period involving large-scale population migrations and replacements, responsible for shaping major parts of present-day demographic structure in both Europe and Asia. Our findings are consistent with the hypothesized spread of Indo-European languages during the Early Bronze Age. We also demonstrate that light skin pigmentation in Europeans was already present at high frequency in the Bronze Age, but not lactose tolerance, indicating a more recent onset of positive selection on lactose tolerance than previously thought."
 
@silesia: Danke für die Info! Werde mir den Link gelegentlich in Ruhe ansehen - derzeit habe ich ein anderes individuelles Projekt am Start...
Grundsätzlich gehört die Badener Kultur zu den heissen Kandidaten für die Indo-Europäisierung, ihr nordwestlichster Ausläufer war die Salzmünder Gruppe, die für die frühesten derzeit bekannten Pferdebestattungen in Mitteleuropa verantwortlich zeigt. Eine sehr schöne Arbeit zur Ausbreitung der Badener Kultur in Mitteleuropa ist:
Quantifying Spatial Similarity Patterns in Material Culture: The Baden Complex in a Polythetic culture model :: Aegean and Balkan Prehistory (beachte die enthaltenen Karten!).
Zur, wohl mit dem Vordringen der Badener Kultur in Verbindung stehenden Ausbreitung der Kupfermetallurgie vom unteren Donauraum aus nach Mitteleuropa hatte ich im Ötzi-Thread einiges geschrieben und verlinkt.
Wie weit die These von der Badener Kultur als Träger der Indoeuropäisierung zur von Dir verlinkten Studie passt, muss ich mir noch genauer ansehen.

Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, nach einem Vortrag länger mit Dr. Markus Merkel, dem Sammlungsleiter des Archäologischen Museums Hamburg, zu sprechen. Er verwies darauf, daß ab etwa 2.500 v. Chr. eine deutliche Änderung der anthropologischen Eigenschaften (Schädelgeometrie etc.) in norddeutschen Gräbern fassbar wird, die auf starke Zuwanderung aus (Süd-)Ost-Europa hindeutet.
Archäologisches Museum Hamburg | Home
 
Mit Blick auf den T-Allel-Mangel in Menschen, die an zwei großen Routen der europäischen Neolithisierung, der Donau- und der Mittelmeerroute, leben und auf der Grundlage seiner hohen Frequenz im nördlichem Iberien, die Präsenz in Skandinavien und dem geschätzten Vorkommen in Zentralpolen, schlagen Witas et al. eine alternative Nordroute der Verbreitung der Laktasepersistenzmutation LCT-13910*T als sehr wahrscheinlich vor.
http://journals.plos.org/plosone/ar...id=info:doi/10.1371/journal.pone.0122384.g005
PLOS ONE: Hunting for the LCT-13910*T Allele between the Middle Neolithic and the Middle Ages Suggests Its Absence in Dairying LBK People Entering the Kuyavia Region in the 8th Millennium BP
Um nochmal die heutige Verbreitung ins Bewusstsein zu rufen www.biomedcentral.com - Figure
 
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Na das ist doch mal was.

Die Herkunft der Kalasha, einer rätselhaften isolierten indoeuropäisch sprechenden Population, die seit Jahrhunderten in den Hindukush-Bergketten des heutigen Pakistan lebt, aus einer alten Nordeurasischen Bevölkerung, verwandt mit altsteinzeitlichen sibirischen Jägern und Sammlern?
The Kalash Genetic Isolate: Ancient Divergence, Drift, and Selection

Schönen Dank für diese interessante Information über ein Volk, von dem ich bisher nie gehört habe. :winke:

Dass es sich bei den Kalasha um einen Rest der gräco-indischen Bevölkerung handelt, wie es in ihrer Herkunftssage heißt, hat sich anscheinend nicht bewahrheitet.

Möglicherweise sind die Kalasha ein versprengter Rest der indoarischen Einwanderer, die im 2. Jahrtausend v. Chr. Nordindien besetzten. Darauf deutet die indoarische Sprache hin, die sie im Gegensatz zur iranisch sprechenden angrenzenden Bevölkerung sprechen. Aber solche Vermutungen stehen auf wackligen Füßen, denn es gibt viele Wege, auf denen indoeuropäische Bevölkerungsgruppen in eine solche Isolation kommen konnten.
 
Haarmann ist hier schon häufiger erwähnt, aber auch wegen seiner Schlüsse und Behauptungen kritisiert worden. Nimmt man zusammenfassend und ebenfalls aktuell zB Pereltsvaig/Lewis, The Indo-European Controversy - Facts and Fallacies in Historical Linguistics, findet er in den sprachwissenschaftlichen Kontroversen international eher wenig Beachtung.

Bringt das wirklich Neues?
 
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