Die männliche Haplogruppe R geht auf sibirische Sammler-Jäger-Kulturen vor ca. 25000 Jahren zurück und ist die Basis der heute häufigsten Haplogruppen in Europa (R1b in Westeuropa und R1a in Osteuropa). R1b hat in Westeuropa einen durchschnittlichen Anteil von 70 % und Höchstwerte von über 80 % u.a. in Irland, Schottland, Wales und Nordfrankreich. Die aktuell dominierende Auffassung ist, dass R1b nicht in Europa entstanden ist, sondern von außerhalb eingeführt wurde. Beispiele für durch die R1-Gruppen weitgehend ersetzte ur-europäische männliche Haplogruppen sind I1 sowie I2a und I2b. Die Frage ist also, durch wen und auf welche Weise die Ersetzung der indigenen Y-DNA-Linien stattgefunden hat.
Eine Studie von 2015 durch Haak et al. hat ergeben, dass R1b sowie R1a ab 3000 BCE aus dem Gebiet der pontisch-kaspischen Steppen nach Westeuropa verbreitet wurden. Vor dieser Zeit weist nur 1 von 70 westeuropäischen Individuen eine R1-Gruppe auf. Von den männlichen Proben aus der indoeuropäischen, in den kaukasischen Steppen heimischen Yamna-Kultur dagegen verfügen alle über R1b. Der Schluss auf eine Verteilung von R1b in Westeuropa durch Angehörige der kriegerischen Yamna-Kultur liegt also mehr als nahe.
Zur Ausbildung von R1 scheint es ursprünglich in Zentralasien gekommen zu sein, von wo aus sich die Untergruppe R1b nach Mesopotamien (wo möglicherweise R1b-Leute um ca. 8000 BCE die Viehzucht einführten) und dann nach Anatolien und von dort aus in die Kaukasus-Region verbreitete. Dort verteilen sich die R1-Gruppen auf die südliche Steppenkultur (vorwiegend R1b) und die nördliche Wald-Steppen-Kultur (vorwiegend R1a), beides Zweige der Yamna-Kultur.
R1b und R1a schwappten in unterschiedlichen Yamna-Wellen nach Westeuropa über.
Die erste Yamna-Welle brachte R1b um 4200 BCE in die Donau-Region und von dort aus in die Balkangebiete und nach Ungarn. Wahrscheinlich wurden die R1b-Krieger von einer Minderheit von R1a-Kriegern begleitet. Sie setzten der Glockenbecher-Kultur um 2200 BCE ein Ende und installierten die Unitece-Kultur (ab 2300 BCE), die Quelle der späteren germanischen, keltischen und italischen Kulturen.
R1a (die Haplogruppe der nördlichen Yamnas) erschien in Westeuropa erstmals ab ca. 3000 BCE und brachte durch die Ausbreitung der Schnurkeramik-Kultur (auf die nördliche Yamna-Kultur zurückgehend) R1a-Untergruppen nach Deutschland, in die Niederlande und nach Skandinavien.
Da somit klar ist, dass die häufigsten männlichen Haplogruppen in Europa (R1b und R1a) auf die kriegerische Steppenkultur des prähistorischen Südrussland zurückgeht und dass gemäß dem im Thread aktuell diskutierten neuen Befund über die Geschlechter-Verteilung der maskulin-kriegerische Aspekt dieser Migration noch stärker betont werden sollte, als dies den Kritikern der ´Kurgan-Theorie´ lieb ist, will ich im folgenden hypothetisch darlegen, wie sich das vermutliche Hauptmotiv der Migration, der Wunsch nach uneingeschränkter Polygamie (bzw. Polygynie), in der Praxis ausgewirkt haben könnte:
Nach dem typisch indoeuropäischen Polygamie- bzw. Polygynie-Prinzip zeugten IE-Männer jeweils mit mehreren indigenen Frauen Kinder. Dass bronzezeitliche (wie später auch eisenzeitliche, antike usw.) Kriegerkulturen die Frauen eroberter Stämme oder Städte gewohnheitsmäßig als sexuelles Freiwild behandelten, das auch versklavt und verkauft werden durfte, sollte jedem User eines geschichtlichen Forums eigentlich klar sein. Man kann also mit Fug und Recht annehmen, dass IE-Männer unterworfene Frauen mit dem doppelten Zweck sexueller Befriedigung und der Erzeugung von Nachkommen systematisch in Besitz nahmen. Um ihre R1-Gene effektiv zu multiplizieren, bedurfte nur einer relativ geringen Zahl von IE-Männern. Eine hypothetische Rechnung zeigt, wie die Nachkommenschaft dieser Männer die Nachkommenschaft von indigenen Männern schnell um den Faktor 4 und mehr übertrifft:
100 IE-Männer erobern einen 1200-köpfigen indigenen Stamm. Unter den Überlebenden des Stammes sind 600 Frauen und 400 Männer, da die restlichen 200 Männer im Kampf gegen die übermächtigen Aggressoren ums Leben kamen. Das ist ein realistisches bronzezeitliches Szenario. In der Folge haben die Söhne der sozial deutlich höherstehenden IE-Männer eine schätzungsweise doppelte so hohe Aussicht, das Erwachsenenalter zu erreichen, wie die Söhne indigener Männer (mehr Wohlstand, deshalb bessere Ernährung). Legt man also zugrunde, dass IE-Männer (mindestens) doppelt so viele Söhne zeugten wie indigene Männer und dass diese Söhne die doppelte Überlebenswahrscheinlichkeit hatten, ergibt das pro Generation einen 4-fachen Zuwachs an erwachsenen IE-Nachkommen gegenüber erwachsenen indigenen Nachkommen. Im beschriebenen Szenario wären die indigenen Männer damit bereits nach zwei Generation genetisch übertrumpft und ihre Y-Gene nach weiteren Generationen statistisch an den Rand gedrängt. Auch wenn man die genannten Faktoren moderater ansetzt, ergibt sich nach einigen hundert Jahren ein klares statistisches Übergewicht der indoeuropäischen R1-Gene. Die weiblichen Gene (mtDNA) bleiben davon unberührt, weshalb europäische Frauen heute weit mehr westeuropäisch indigene mtDNA enthalten als indoeuropäische mtDNA.