Irrtümer der Geschichtswissenschaften

Aber ist das nicht so, dass es eine Quellenstelle gibt, die angibt, dass irgendwelche Zeichen mit den Daumen gemacht wurden? Und daraus hat man dann die Sache mit 'nach oben', 'nach unten' gemacht.

Mir ist so, als hätte ich so etwas mal gehört.


Ich habe meine Bibliothek nicht zur Hand, doch glaube ich mit ziemlicher Sicherheit, dass es bei Juvenal eine Stelle gibt, in der er schreibt, dass das Volk mit gewendetem Daumen (pollice verso) die Macht über Leben und Tod genießt.

Pollice verso heißt auch ein Gemälde des Historienmalers Jean Leon Jerome, das mit seiner schwülen sado- masochistischen Ausstrahlung Ridley Scott bei seinem Sandalenepos Gladiator inspirierte.

Hier eine Kostprobe:
 

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Vielen Dank für Ihre Antworten, aber würden Sie mir bitte nur Links angeben, die ich als Gast auch öffnen darf!

Auch dafür ein Dankeschön.
 
Es entspricht der populären Darstellung, dass Sokrates ein relativ armer Schlucker war, der aus Liebe zur Philosophie seinen Brotberuf als Bildhauer vernachlässigte und stattdessen lieber mit seinen Freunden herumphilosophierte, wofür ihm seine Frau Xanthippe die Hölle heiß machte, während die Sophisten allesamt geldgierig waren und ihre Kenntnisse in Form von Rhetorikkursen etc. zu Geld zu machen suchten, wofür sie sich natürlich entsprechend Werbung für sich machten.
Dieses Bild wurde mir in der Schule im Griechischunterricht auch vermittelt, aber dann habe ich zweierlei über Sokrates erfahren, was mich an dieser Darstellung massiv zweifeln lässt:
- Sokrates scheint als Bildhauer durchaus erfolgreich gewesen zu sein. Eine von ihm verfertigte Hermesdarstellung und sogar eine Charitengruppe sollen sogar auf der Akropolis gestanden sein.
- Sokrates diente im Peloponnesischen Krieg und kämpfte in mehreren Schlachten als Hoplit. Dazu muss man wissen, dass nur vermögende Bürger als Hopliten dienten und sie sich ihre teure Rüstung selbst bezahlen mussten.
Beides führt mich zum Schluss, dass Sokrates entgegen der üblichen Darstellung eh relativ wohlhabend gewesen sein muss und es sich daher leisten konnte, nicht ständig zu arbeiten, sondern viel Zeit der Philosophie zu widmen. Dieses Glück hatten die Sophisten, die obendrein großteils aus dem Ausland kamen, nicht alle, sondern sie waren darauf angewiesen, von dem zu leben, was sie konnten. Insofern finde ich es ein bisschen unfair, wenn man ihnen einen Vorwurf daraus macht, dass sie gegen Geld Unterricht erteilten und sich entsprechend großsprecherisch vermarkteten.
(Nur so nebenbei: Meine ziemlich geschichtsunkundige Geschichtslehrerin erklärte uns einmal, dass die Philosophen im 5. Jhdt. v. Chr. Sophisten geheißen hätten und Sokrates der bekannteste von ihnen gewesen sei ...)
 
Zweiteres ist ganz klar ein Irrtum, aber ist eine Fälschung ein Irrtum?
Jein.
Das heißt, wenn der Fälscher so dumm ist zu gestehen, daß er gefälscht hat. Denn dann irrt er sich gewaltig, falls er denkt, daß das nicht Konsequenzen hat.

Es ist passiert: Mozarts Adelaide Violinkonzert wurde um 1930 durch Marius Casadesus «entdeckt». Yehudi Menuhin spielte das Werk um 1932 ein. Die Aufnahme ist noch auf CD zu bekommen.
Viele Jahre später, als es um die Rechte ging, kam beim Gericht die Wahrheit heraus: Casadesus hatte das Werk selbst komponiert.

Dagegen ist ein Juwel von einem wissenschaftlichen Bock ein mißlungenes Projekt der Amerikaner.
Ein Satellit sollte irgendwohin gehen (Mars??). Als man untersuchte, was der Grund war, warum das Ziel verfehlt wurde, entdeckte man was schreckliches. Für Teile des Programms hatte man Internationale Einheiten benützt; für die anderen Teile die Amerikanischen Einheiten. So rechnete z.B. eine Subroutine mit Kilometer; eine andere mit Meilen.
 
"Die Wolken" habe ich auch gelesen, allerdings ist das eine Komödie, da wollte der Autor das Publikum unterhalten, indem er sämtliche Klischees in Zusammenhang mit Philosophen breittritt.
 
Man vergisst so leicht, dass Gäste keine Bilder sehen.
Das Bild "von mir":
http://www.axelneumann.com/Schauspieler/images/kristallkugel_gross.jpg
Das Bild "von scorpio":
http://www.sacred-destinations.com/...hotos/pollice-verso-1872-jean-leon-gerome.jpg

Edit: der Esel nennt sich immer zuerst.

Ich wusste schon, dass El Quijote wie Joseph Meinrad aussieht, aber dieser Scorpio, ein "echter Wonneproppen", hat sicher auch von dem allseits ungeliebten Spinat abgekriegt.
Meine Kristallkugel jedochist effektiver als die Ihre, in meiner sehe ich doch wesentlich mehr!
 
Oh, den Pfad hatte ich ganz aus den Augen verloren. Ich antworte mal kurz.

Jein.
Das heißt, wenn der Fälscher so dumm ist zu gestehen, daß er gefälscht hat. Denn dann irrt er sich gewaltig, falls er denkt, daß das nicht Konsequenzen hat.

Der Terminus Jein ist mir so fremd, weil er in keine logische Struktur zu pressen ist, dass ich hier immer das Bedürfnis verspüre, Konkretisierung zu verlangen. Auch der nachfolgende Satz hat für mich nichts mit der Frage zu tun, ob denn eine Fälschung ein Irrtum ist. Es ist die Aneinanderreihung von Folgerungen, aber es sagt nichts über deren Gleichstellung aus.


Es ist passiert: Mozarts Adelaide Violinkonzert wurde um 1930 durch Marius Casadesus «entdeckt». Yehudi Menuhin spielte das Werk um 1932 ein. Die Aufnahme ist noch auf CD zu bekommen.
Viele Jahre später, als es um die Rechte ging, kam beim Gericht die Wahrheit heraus: Casadesus hatte das Werk selbst komponiert.

Der Irrtum besteht insofern, dass man Jahrhunderte geglaubt hat, die Konstantinsche Schenkungsurkunde sei echt. Vielleicht gibt es heute noch Leute, die das glauben.

Beides sind Beispiele dafür, dass aus einer Fälschung ein Irrtum folgen kann. Aber setzt das die beiden Begriffe gleich? - nach meinem Dafürhalten nicht. Fragen wir weiter:
Ist eine Fälschung Voraussetzung für einen Irrtum? - Muss nicht sein.
Braucht es für einen Irrtum eine Fälschung? - Muss nicht sein.

Insofern sehe ich auch a posteriori keine Notwendigkeit, die beiden Begriffe gleichzusetzen oder in eine Kausalität zu quetschen.


Dagegen ist ein Juwel von einem wissenschaftlichen Bock ein mißlungenes Projekt der Amerikaner.
Ein Satellit sollte irgendwohin gehen (Mars??). Als man untersuchte, was der Grund war, warum das Ziel verfehlt wurde, entdeckte man was schreckliches. Für Teile des Programms hatte man Internationale Einheiten benützt; für die anderen Teile die Amerikanischen Einheiten. So rechnete z.B. eine Subroutine mit Kilometer; eine andere mit Meilen.

War das direkt zum Thema Fälschung = Irrtum? Wenn ja, dann hätte ich da gerne noch eine Erklärung, in welchen Kontext ich das da einordnen kann. Bisher erschließt sich mir das nicht. :)


Nun, wenn es von Historikern für ein Faktum gehalten wird: ja

Nachdem es aufgedeckt wurde ist es natürlich nur noch eine Fälschung.

Warum beschränkt man das auf Historiker? Oje, jetzt juckt es mich, aber ich beiße mir auf die Zunge. Nur so viel: Dein zweiter Satz ist dahingehend wahr, dass der Irrtum beseitigt ist und es dann für den Moment nur noch Fälschung ist. Aber Fälschung war es auch zuvor - das hast Du aber auch nicht bestritten, insofern Zustimmung.
 
Der Sturm auf die Bastille
Hat nicht stattgefunden. In der Quelle, in dem der Soldat seinem Ranghöheren die Übergabe der Bastille mitteilt, will er sich heroisch darstellen. Es befanden sich im Übrigen nur wenige Gefangene in ihr, kein einziger war ein politischer Häftling.

Die Anwesenheit Bismarcks im Spiegelsaal bei der Proklamation des Kaiserreiches (und einige andere Ungenauigkeiten aus dem Bild von Anton von Werner)

Das August-Erlebnis von 1914
Eine Erfindung der Medien der Kaiserzeit- fand z.B. auf dem Lande nicht statt.

Die NSDAP ist 1933 aus Wahlen als Mehrheitspartei hervorgegangen, oder Hitlers Kanzlerschaft wäre Ausdruck der Interessen einer stetig stärker werdenden Tendenz (nationale Revolution oder was auch immer)
In den letzten beiden freien Wahlen verringerten sich die Stimmen für die NSDAP um 2 Millionen.

Ich freue mich auf die weitere Diskussion
 
Was sind diesbezüglich die Irrtümer der Geschichtswissenschaft?

Da sprichst du einen grossen Satz gelassen aus: Ich frage mich, ob bzw. welche populæren Meinungen ueberhaupt geschichtswissenschaftlich begruendet wurden...

z.B. der Sturm auf die Bastille gemæss dem bekannten Bild
z.B. Napoleons Soldaten im Russlandfeldzug fielen hauptsæchlich dem russischen Winter zum Opfer
usw. usw.

Sind das nicht nur vereinfachte/aufgebauschte Darstellungen aus "Volkes Mund", was dann einfach immer weitererzæhlt und niedergeschrieben wurde? Wer hat es denn wissenschaftlich untersucht und ist zu einem urspruenglich FALSCHEN Ergebnis gekommen, das dann verbreitet wurde?

Also, haben wir hier die ganze Zeit hauptsæchlich Irrtuemer der Volksmeinung statt Irrtuemer der Geschichtswissenschaftler?
(Was ja auch interessant ist)

Einen Irrtum habe ich:
"Napoleon wurde ermordet."
Das Buch war spannend, die Erklærungen - mit wissenschaftlichen Untersuchungen usw. plausibel... und doch: Es war nicht so.

Gruss, muheijo
 
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Da sprichst du einen grossen Satz gelassen aus: Ich frage mich, ob bzw. welche populæren Meinungen ueberhaupt geschichtswissenschaftlich begruendet wurden...

z.B. der Sturm auf die Bastille gemæss dem bekannten Bild
z.B. Napoleons Soldaten im Russlandfeldzug fielen hauptsæchlich dem russischen Winter zum Opfer
usw. usw.

Sind das nicht nur vereinfachte/aufgebauschte Darstellungen aus "Volkes Mund", was dann einfach immer weitererzæhlt und niedergeschrieben wurde? Wer hat es denn wissenschaftlich untersucht und ist zu einem urspruenglich FALSCHEN Ergebnis gekommen, das dann verbreitet wurde?

Also, haben wir hier die ganze Zeit hauptsæchlich Irrtuemer der Volksmeinung statt Irrtuemer der Geschichtswissenschaftler?
(Was ja auch interessant ist)

Einen Irrtum habe ich:
"Napoleon wurde ermordet."
Das Buch war spannend, die Erklærungen - mit wissenschaftlichen Untersuchungen usw. plausibel... und doch: Es war nicht so.

Gruss, muheijo


Du sprichst einen wichtigen Punkt an, nämlich den Unterschied zwischen "Urban Legends" und Faktoiden.

"Urban Legends" entstehen meist durch Massenmedien, Comics, Filme etc., sie prägen das allgemeine Bild, eine Vorstellung, die von vielen Menschen angenommen wird, und es bleiben solche Vorstellungen unkorregiert, wenn sie einen hohen Wiedererkennungswert haben.
 
Irrtümer in der Geschichtswissenschaft entstehen häufig dadurch, daß einer vom anderen abschreibt, ohne den Fakt nochmal zu überprüfen. Ich habe da zwei Beispiele aus meinem Arbeitsfeld, auch wenn sie es leider an Bekanntheit nicht mit dem Sturm auf die Bastille oder Napoleon aufnehmen können:

In den zwanziger Jahren marschierte ein berühmter Archäologe zum römischen Jupitertempel von Baalbek und berichtete später, er hätte hellenistische Mauern entdeckt. Prompt schrieben alle in den nachfolgenden Jahrzehnten, es hätte einen hellenistischen Vorgängerbau gegeben, bis in den achtziger Jahren sogar eine Rekonstruktion erstellt wurde, ohne daß es auch nur ein nachweisbares Fragment gegeben hätte.

Daneben soll es eine verlorene Inschrift gegeben haben, in der ein Name auftaucht, der auch bei den Fürsten der Ituräer bekannt war. Schon galt Baalbek als Heilige Stadt der Ituräer, obwohl es dafür nicht einen Beleg gibt.
 
Ein weiterer verbreiteter Geschichtsmythos ist, dass Heinrich Schliemann den Hügel Hissarlik als antikes Troja identifizierte, indem er die geographischen Angaben in der Ilias entsprechend auswertete. In Wahrheit stellte bereits Jahrzehnte früher ein Brite diese Theorie auf - und Schliemann erfuhr von ihr, was er auch selbst zugab.
 
Ein weiterer verbreiteter Geschichtsmythos ist, dass Heinrich Schliemann den Hügel Hissarlik als antikes Troja identifizierte, indem er die geographischen Angaben in der Ilias entsprechend auswertete. In Wahrheit stellte bereits Jahrzehnte früher ein Brite diese Theorie auf - und Schliemann erfuhr von ihr, was er auch selbst zugab.

Vorsicht, du machst dir gerade sämtliche Underdogs, die mit Schliemann argumentieren, zu Feinden.
 
Ein weiterer verbreiteter Geschichtsmythos ist, dass Heinrich Schliemann den Hügel Hissarlik als antikes Troja identifizierte, indem er die geographischen Angaben in der Ilias entsprechend auswertete. In Wahrheit stellte bereits Jahrzehnte früher ein Brite diese Theorie auf - und Schliemann erfuhr von ihr, was er auch selbst zugab.

Ebenso verkehrt ist, daß er meinte, in Mykene das Grab des Agamemnon und die dazugehörige Goldmaske gefunden zu haben.
 
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