Gibt es in Wien ein Archiv mit Unterlagen zu jedem Dorf unter österreichischer Herrschaft?
"Österreichische Herrschaft" ist so nicht richtig. Es wurde ab 1714 in Personalunion mit den Habsburgischen Erblanden regiert, allerdings eben in Personalunion und nicht in Realunion.
Das bedeutet, es gab keine Verschmelzung der Verwaltung der Besteuerung des Rechtssystems oder dergleichen.
Alle Kompetenzen, die damit zusammenhingen wurden weiterhin in Neapel selbst ausgeübt und waren für Wien nicht wirklich interessant, weil es keine Wiener Zentralbehörde oder Regierung gab, die auf Grundlage irgendeines Rechts aus Neapel Steuern oder Kontributionen hätte fordern können.
Das waren Angelegenheiten zwischen dem Karl VI. bzw. dessen lokalen Vertretern und den neapolitanischen Ständen und somit innerneapolitanische Angelegenheiten.
Entsprechend werden Steuereinnahmen, Apanagen etc. die ihm in seiner Eigenschaft als König von Neapel zustanden zwar Gegenstand der Korrespondenz Karl VI. sein, aber da werden sich keine näheren Aufstellungen finden was die Bevölkerungsgröße einzelner Dörfer, Gerichtsbezirke, Kirchspiele etc. angeht, sondern das wird allenfalls das steuerliche Gesamtaufkommen Neapels und die Ansprüche des Königs daran betreffen.
Sicherlich sind lokale Kirchen gut. Ich danke für den Rat.
@El Quijote und
@Ugh Valencia ist zuzustimmen, dass Kirchenbücher und Gebuten und Sterberegister der Pfarrbezirke hier wahrscheinlich die beste Auskunftsquelle sein dürften.
In diesem Fall wäre allerdings darauf hinzuweisen dass auf Grund der Eigenheiten der Neapolitanischen Geschichte das Netz an Bistümern und Erz-Bistümern in der Süditalienischen Region relativ engmaschig war und ist, will heißen, die zu Bistümern zusammengefassten Bezirke sind dort relativ klein, was es sehr wahrscheinlich macht detaillierte Informationen auch über kleinere Orte nicht nur in den Aufzeichnungen der lokalen Pfarreien, sondern auch über die jeweiligen Bistümer und deren Korrespondenz mit den Pfarreien zu finden.
Dadurch dass das durch die kleinteilige Ordnung der Kirchenprovinzen in der Region ziemlich dezentral sein dürfte, ist es auch gut möglich, dass ´die Bestände, auch den 2. Weltkrieg einigermaßen gut überstanden haben, je nachdem für welche Gemeinde im Kgr. Neapel du dich interessierst, war der Metropolitansitz des jeweiligen Bistums nämlich einfach zu klein und unbedeutend um ein strategisch interessantes Zeil darzustellen:
Römisch-katholische Kirche in Italien – Wikipedia
Die Deutschen spielten eine Rolle bei Friedrich II. von Schwaben, im 13. Jahrhundert oder bei den Langobarden Jahrhunderte zuvor, aber ich glaube nicht, dass sie damals jemals die Einwohner gezählt haben.
Was haben Langobarden und Deutsche mit einander zu schaffen? Eigentlich nichts. und zu Friedrich II. ist zu sagen, dass Er der Sohn Heinrich VII. und Konstanze von Siziliens war, insofern etwas fragwürdig ihn in diesem Sinne als "Deutschen" zu ettikettieren.
Eingriffe der deutschen Könige und Kaiser des HRR. hat es indess was Italien und auch Süditalien betrifft immer gegeben.
Allerdings, dass waren vormodene Herrschaftsstrukturen, die mit moderner Staatlichkeit oder modernen Behördenapparaten etc. herzlich wenig zu tun hatten und Zentralarchive, wo sämmtliche Informationen gelagert wurden, existierten da auch noch nicht.
Einwohner zu zählen macht allerdings nur dann Sinn, wenn man sie Besteuern zum Wehrdienst heranziehen oder sich mit der öffentlichen Daseinsvorsorge befassen möchte.
Wirklich einheitliche Besteuerungssysteme und Apparate kommen allerdings frühestens im 18. Jahrhundert in einigermaßen effektiver Weise auf, vorher sind Steuern eigentlich mehr oder weniger Kompromisse zwischen dem Landesherren und den Landständen und somit an die lokale Ebene gebunden.
Allgemeine Wehrpflicht kommt eigentlich erst im 19. Jahrhundert wirklich auf, was das nachantike Europa angeht, es sei denn im Sinne von Bürgermilizen einzelner freier Städte, aber sicherlich nicht im Rahmen von Dorfgemeinden auf dem platten Land.
Und der moderne Wohlfahrtsstaat in dem Sinne, in dem wir ihn heute kennen hat seine Wurzeln auch frühestens im 19. Jahrhundert.
Es gab für die Landesherren in diesem Sinne also keinen zwingenden Grund die Einwohnerzahlen zentral zu erfassen, zumal das natürlich auch großen Aufwand und Kosten verursachen musste.
Gerade im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, als es Papier als Massenware noch nicht gab und noch mit Pergament (was als Material so teuer war, dass es teilweise mehrfach beschrieben wurde) und auch die Alphabetiserungsrate noch sehr zu wünschen übrig ließ.
Lange Rede, kurzer Sinn:
Nähere Aufstellungen was die Bevölkerung itlienischer Provinzen betrifft, wirst du vielleicht für die Lombardei und das Triveneto finden.
Bei Territorien die mal zum Habsburgischen Herrschaftskomplex gehörten, aus diesem aber vor der Zeit Joseph II. wieder ausschieden, brauchst du das nicht zu versuchen, weil es kein zentralisiertes Regierungssystem gab, dass mit solchen Unterlagen/Erkenntnissen etwas hätte anfangen können.
Sicherlich können Österreicher mit der Anzahl der Bürger im Jahr 1707 helfen
Werden sie bedauerlicher Weise nicht können, da wie gesagt die Annahme dass es sich um eine österreichische Herrschaft gehandelt habe, in dieser Form nicht richtig ist.
und spanische Dokumente (nach 1734, mit Karl III.) können stattdessen sogar Nachnamen zeigen, wenn es möglich ist.
Ich weiß nicht, was für Dokumente du dir da vorstellst.
Modernes Passwesen, Genehmigungen für alles Mögliche etc. gab es ja noch nicht.
Was vor dem 19. Jahrhundert aufgezeichnet wurde, sind in der Regel Geburten, Taufen, Todesfälle und Steuerlisten, was die einfache Bevölkerung betraf und das war es mehr oder weniger.
Und was Karl III. betraf, Neapel wurde nicht Teil des spanischen Staates, sondern als eigenständiges Land von einer Nebenlinie der Bourbonen regiert.
Spanien selbst hatte damit am Ende genau so wenig, bzw. noch weniger zu tun, als die Habsburgischen Erblande nach dem Spanischen Erbfolgekrieg.
Auch da wird sich nichts finden.
Wenn du dich dafür tatsächlich interessierst, wirst du nicht darum herum kommen dich an die regionalen Archive in den süditalienischen Provinzhauptstädten oder an das Archiv des lokalen Bistums zu wenden, oder gegebenenfalls an entsprechende Stellen in Rom, sofern es da mal überregionale Zählungen gab, die für den die gesamt-italienische Geschichte von Interesse sind.
Jedenfalls vor 1860 wird es die gegeben haben, sonst wäre das Plebiscit zwecks Anschluss an Sardinien bzw. den entstehenden italienischen Nationalstaat nicht möglich gewesen.
Aber über Österreich und auch über Spanien wird zu diesen Informationen kein Weg führen.