Konstruktionslinien, Centuriation/Limitation, etc.

Decumani sind Hauptverkehrsachsen innerhalb von Städten. Meist verläuft der Decumanus in Nord-Südrichtung.
Amphitheater liegen von einigen Ausnahmen abgesehen fast immer extramuros.
 
Ich weiß, es fruchtet nichts, aber ich versuche es trotzdem noch mal:

Die Anzahl der Linien, die man zwischen zwei oder mehr Örtlichkeiten (Siedlungen, Flussschlaufen, Bergen) ziehen kann, beträgt: ∞

Die Anzahl solcher Linien, die zu anderen Linien parallel oder in einem rechten Winkel verlaufen, beträgt: ∞

Die Anzahl der Örtlichkeiten, die auf solchen Linien liegen und die irgendeine Gemeinsamkeit besitzen, seien es Höhenmeter, Gebäudespuren, Namensähnlichkeiten oder was auch immer, lässt sich nicht beziffern, ist aber in jedem Fall astronomisch.

Die Relevanz solcher Linien, von denen sich sicherlich Millionen Beispiele beibringen ließen, beträgt ziemlich exakt: Null.
 
Nehmen wir mal eine römische Planstadt: Tarragona, antik Tarraco
Gegründet von den Scipionen im zweiten Punischen Krieg, von Augustus zur Provinzhauptstadt erwählt, mit riesigem Kaiserkultkomplex (die mittelalterliche Stadt befand sich letztlich nur noch dort, wo der Kaiserkultkomplex, Provinzforum und Circus Maximus waren).

Ich habe in den Plan der Stadt (flavische Ausbauphase) mal den Decumanus eingezeichnet, den Cardo, den Decumanus wenn Stadt und Kaiserkultkomplex ideal zueinander lägen und das Amphitheater:
Tarraco.jpg


Oder nehmen wir Córdoba (Colonia Patricia Corduba), eine andere Provinzhauptstadt. Der Name ist älter, nur liegt die prärömische Siedlung außerhalb der ummauerten Stadt, südwestlich von der caesarianischen Erweiterung (nova urbs) der Gründung (vetus urbs, Mitte 2. Jhdt. v. Chr).

Die Straßen der von Caesar errichteten Neustadt richten sich nicht am Gitternetz der Altstadt aus dem 2. Jhdt. aus, Amphitheate rund Circus liegen beide vor der Stadt und richten sich ebenfalls NICHT nach Cardus und Decumanus aus.
Wir befinden uns hier nach Latium in der römischsten Region des ganzen römischen Reiches.

26801888590_9560d957aa_k.jpg
 
Die Frage, die sich mir angesichts dieser ermüdenden und im Kreis drehenden Diskussion aufdrängt, ist: Wozu? Warum hätten Römer oder Kelten über Dutzende oder gar hunderte Kilometer hinweg außerhalb ihrer Städte und Siedlungen schnurgerade, parallel verlaufende und/oder rechtwinklig zueinander liegende Straßen quer durch teils unwegsames Gelände anlegen sollen?

Selbst in der heutigen Zeit, in der wir dank moderner schwerer Technik problemlos dazu in der Lage wären, nutzen wir beim Bau von Straßen, Autobahnen und Schienenwegen die natürlichen Gegebenheiten soweit es sinnvoll ist aus, um Kosten, Zeit und Material zu sparen. Nur dort, wo es nicht anders geht oder die Alternativen noch teurer oder logistisch sinnfrei wären, bauen wir Brücken oder Tunnel. Moderne Autobahnen und auch die ICE-Hochgeschwindigkeitstrassen schlängeln sich jedenfalls in weiten, sanften Kurven durch die Landschaft.

Warum sollten sich also die Römer vor 2.000 Jahren unnötig derartige Mühen auferlegt haben, zudem noch mit erheblich primitiveren Mitteln? Die waren doch nicht doof und sowohl Zeit als auch Geld waren schon damals knappe Güter.

Meiner Meinung nach offenbart diese Diskussion nur eines: die typisch menschliche Eigenschaft, in allem und überall irgendwelche Muster erkennen zu wollen.
 
Meiner Meinung nach offenbart diese Diskussion nur eines: die typisch menschliche Eigenschaft, in allem und überall irgendwelche Muster erkennen zu wollen.
Richtig. Unserem anderen Musterknaben habe ich vor Jahren mal folgendes ans Herz gelegt:

was Mustererkennung angeht (du sprachst von geometrischen Figuren) - [...] - so ist unser menschliches Gehirn darauf trainiert Muster zu erkennen. Symmetrien nehmen wir beispielsweise als schön, Asymmetrien als hässlich wahr. Das ist unsere Natur. Und ich glaube, dass dein Gehirn dir hierbei einen Streich spielt. [...] Wahrscheinlich wäre es ganz interessant für einen Neurologen, dir bei der Arbeit mal mit seinen Gerätschaften zuzusehen, welche Areale dabei besonders intensiv arbeiten. Vermutlich die Areale, die für die Augen und das Erkennen besonders wichtig sind.

Ich sehe aber durchaus auch etwas Gutes an diesen Diskussionen: Hin und wieder bekommt man doch auch mal das eine oder andere Kulturdenkmal aus Regionen, die man selbst nicht so auf dem Schirm hat, präsentiert.
 
Die Frage, die sich mir angesichts dieser ermüdenden und im Kreis drehenden Diskussion aufdrängt, ist: Wozu? Warum hätten Römer oder Kelten über Dutzende oder gar hunderte Kilometer hinweg außerhalb ihrer Städte und Siedlungen schnurgerade, parallel verlaufende und/oder rechtwinklig zueinander liegende Straßen quer durch teils unwegsames Gelände anlegen sollen?
Halt, Stopp! Diese Linien stellen keine Straßen dar. Nur im Idealfall verläuft die Straße parallel oder sogar direkt auf der Ideallinie.

Decumani sind Hauptverkehrsachsen innerhalb von Städten. Meist verläuft der Decumanus in Nord-Südrichtung.
Schau Dir einmal das an, und erkläre mir dann bitte, ob die Linien zwischen den Städten geplant wurden oder so wunderbar rechtwinklig auf organischem Wege gewachsen sind (und warum wir sie nicht decumani und cardi nennen sollen):

fc-faventia.jpg

Amphitheater liegen von einigen Ausnahmen abgesehen fast immer extramuros.
Das ist auch in Windisch der Fall. Gleichwohl scheint das Amphitheater perfekt auf die Linie nach Petinesca abgestimmt zu sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass das auf ±1° genau passt, liegt bei 1:90.
 
Es steht völlig außer Frage, dass die Römer gerade Straßen gebaut haben und dass sie vorhandene Straßen nutzten, um neue Siedlungen anzulegen. Es steht ebenso außer Frage, dass es sinnvoll ist, Land zu parzellieren und zwar von der Straße ausgehend.
Das hat auch so weit niemand in Abrede gestellt. Wenn du allerdings die Po-Ebene zugrundelegst, die ist landschaftmorphologisch etwas ganz anderes, als der Jura-Fuß oder Aaretal.

Und jetzt stelle ich mir die Frage, warum du ernsthaft zu glauben scheinst, dass ein Amphiteather in Vindonassa absichtlich auf derselben Linie errichtet worden sein soll, wie der Decumanus von Petinesca, 80 km entfernt, 100 km Wegstrecke. Zu welchem Zweck hätten die Römer so etwas Sinnloses machen sollen?
 
Rechte Winkel kommen in der Natur im kubischen Kristallsystem vor, ansonsten sind sie eher selten, zumal bei organisch gewachsenen Strukturen.

Wenn man irgendwelche Punkte auf der Landkarte verbindet, kommen rechte Winkel auch bei natürlichen Formationen in riesiger Anzahl vor. Ich habe mal auf einem zufälligen Kartenausschnitt irgendwelche Alpengipfel miteinander verbunden und bin sofort fündig geworden:
 

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Halt, Stopp! Diese Linien stellen keine Straßen dar. Nur im Idealfall verläuft die Straße parallel oder sogar direkt auf der Ideallinie.

Dann wird es aber noch sinnfreier (obwohl man das Wort eigentlich nicht steigern kann). Eine Straße hätte ja wenigstens noch einen Zweck erfüllt. Ortschaften auf gedachten Linien anzulegen und aneinander auszurichten, ... ich wiederhole: Wozu?
 
Dann wird es aber noch sinnfreier (obwohl man das Wort eigentlich nicht steigern kann). Eine Straße hätte ja wenigstens noch einen Zweck erfüllt. Ortschaften auf gedachten Linien anzulegen und aneinander auszurichten, ... ich wiederhole: Wozu?

Ortschaften auf gedachten Linien anzulegen, ist natürlich ein großer Aufwand, der sich nicht lohnt.

Ortschaften auf gedachten Linien zu "entdecken", benötigt wenig Aufwand, aber: Es macht Spaß!

Denn es funktioniert immer!

Egal ob man Ortschaften, Gutshöfe, Kirchen, Tankstellen, Burgen, Supermärkte, Alpengipfel oder Flusschleifen miteinander verbindet, man wird immer schnell fündig und "entdeckt" Geraden, Dreiecke, Rechtecke, Kreuze, Kreise oder auch ähnliche Distanzen zwischen manchen Objekten...

Man kann daraus einen netten Zeitvertreib machen, siehe: http://www.geschichtsforum.de/thema/geografisch-geometrische-auffaelligkeiten.53935/

Oder man kann sogar eine Lebensaufgabe draus machen, siehe: http://www.geschichtsforum.de/thema...grenzwissenschaftlichen-landvermessung.38381/
 
Wenn du allerdings die Po-Ebene zugrundelegst, die ist landschaftmorphologisch etwas ganz anderes, als der Jura-Fuß oder Aaretal.
Unbenommen. Das Prinzip ist jedoch das selbe: Erst eine Hauptlinie legen, der, wenn es das Gelände zulässt, die Hauptstraße folgt, und dann folgen per Groma die Querlinien im 90°-Winkel.

Natürlich können die Straßen in hügeligem oder gar bergigen Terrain nur selten der Ideallinie folgen. Deswegen hat man aber nicht "kurvig" gemessen — das konnten oder mochten die Römer nämlich tatsächlich nicht.
Und jetzt stelle ich mir die Frage, warum du ernsthaft zu glauben scheinst, dass ein Amphiteather in Vindonassa absichtlich auf derselben Linie errichtet worden sein soll, wie der Decumanus von Petinesca, 80 km entfernt, 100 km Wegstrecke. Zu welchem Zweck hätten die Römer so etwas Sinnloses machen sollen?
Wir reden nicht vom Decumanus von Petinesca, sondern von der schnurgeraden Linie, auf der Petinesca, Salodurum, Olten und Vindonissa liegen, also sozusagen der Aare-Decumanus. Ein Ingenieur in Vindonissa hätte wohl gewusst, in welcher Richtung Olten, Salodurum und Petinesca gelegen hätten — was ist daran also abwegig? Man hat es gemacht, weil man es konnte.

Wenn man irgendwelche Punkte auf der Landkarte verbindet, kommen rechte Winkel auch bei natürlichen Formationen in riesiger Anzahl vor.
Wer glaubt, die folgenden Orte seien
irgendwelche Punkte auf der Landkarte
der hat offenbar von der römischen Zeit in Helvetien keinen blassen Schimmer:

LOUSANNA, MINNODUNUM, AVENTICUM, PETINESCA, SALODURUM, Olten, VINDONISSA, VITUDURUM, CONSTANTIA, AUGUSTA RAURICA.
 
Wer glaubt, die folgenden Orte seien...

Römische Orte sind genauso "irgendwelche Orte" wie Siedlungen mit alemannischen Ortsnamen, wie Einkaufszentren des 20. Jahrhunderts oder wie Alpengipfel.

Sobald ich ein paar Dutzend Örtlichkeiten habe, die irgendeinem der genannten Kriterien genügen, kann ich 1000 Linien ziehen, unter denen sich garantiert haufenweise rechte Winkel, Parallelen, Kreuze und was auch immer finden lassen.
Da können weder die Römer noch die Alemannen noch der Schöpfer der Alpengipfel etwas dafür.
 
Vielleicht beantwortest du die Frage von Sid.Callidus: wozu?

Über diese Frage sinniere ich immer noch; es ist mir nicht ganz klar, was er mit dem "wozu" meint.
  • Wozu sollte es nutzen, ein neu erobertes Land zu vermessen, möglichst rechtwinklig zu gliedern und zu parzellieren, wie man es auch zuhause macht?
  • Wozu die Ideallinie zu einem Ziel kennen, wenn da womöglich ein Berg im Weg ist?
  • Wozu überhaupt vorher planen beim Straßenbau, wenn man doch auch einfach loslegen kann? Echte Profis brauchen keine Pläne, am Ende passt das schon irgendwie.
Römische Orte sind genauso "irgendwelche Orte" wie Siedlungen mit alemannischen Ortsnamen

Handelte es sich um Villae, gäbe ich Dir Recht. Es sind aber im fraglichen Gebiet die prominentesten der wichtigen (gallo-)römischen Orte, resp. Stützpunkte — was man schon daran erkennt, dass mit Ausnahme von Olten von allen genannten Orten der antike Name aus Schriftquellen überliefert ist.
 
Ortschaften auf gedachten Linien anzulegen und aneinander auszurichten, ... ich wiederhole: Wozu?
Nun ja, die These ist: Wenn die Römer ein Gebiet großflächig strikt rechtwinklig parzelliert haben sollten, sollte diese Aufteilung bei später angelegten Straßen oder Ansiedlungen ihren Niederschlag finden. In Nordafrika z.B. gibt es eine limitatio, die sich anhand von gut zwei Dutzend Markierungssteinen mit einer Art Koordinatenangabe an den Kreuzungspunkten der Vermessungslinien gut nachvollziehen läßt auf einer Fläche von rund 50x50km. Auffallend ist nun, daß hier Kastelle auf Grenzlinien errichtet wurden, nicht mittendrin.
Nun könnte man umgekehrt hergehen, nach auffallenden Linien, Parallelen etc. suchen, und auf dieser Basis eine zugrundeliegende limitatio postulieren. In Großbritannien macht das seit 20 Jahren oder so ein gewisser John Peterson mit Inbrunst - der Name tauchte weiter oben schon ein paar mal auf - allerdings (meist) mit deutlich validerem Datenmaterial als in Divicos Fall.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nun könnte man umgekehrt hergehen, nach auffallenden Linien, Parallelen etc. suchen, und auf dieser Basis eine zugrundeliegende limitatio postulieren.

Das ist auch für die Schweiz längst geschehen, darauf baue ich ja zum Teil auf.

Speziell für Dich habe ich natürlich wieder eine KML-Datei angehängt. ;)
 

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Ich weiß, es fruchtet nichts, aber ich versuche es trotzdem noch mal: Dir ist schon noch klar, dass die Siedlungen alle an besonders siedlungs- bzw. verkehrsgeographisch günstigen Standorten angelegt wurden? Und als Geologe, dass diese siedlungs- und verkehrgeographisch günstigen Standorte durch Jahrmilliarden Jhre Erdgeschichte geschaffen wurden? Ich frag nur mal ganz vorsichtig nach...
...ich hätte auch eine pianissimo gehauchte vorsichtige Frage: was machten die Diviconischen Römer, wenn ihre Ideallinien samt Idealabständen auf eine Sandbank oder überschwemmungsgefährdetes Gebiet den bestmöglichen Besiedlungspunkt setzten? ...haderten die womöglich mit der tumben Natur, welche sich nicht an geografische Linearkonstrukte halten will?...
 
was machten die Diviconischen Römer, wenn ihre Ideallinien samt Idealabständen auf eine Sandbank oder überschwemmungsgefährdetes Gebiet den bestmöglichen Besiedlungspunkt setzten?
Die Orte über die wir hier reden haben allesamt die Jahrtausende sehr gut überstanden.
...haderten die womöglich mit der tumben Natur, welche sich nicht an geografische Linearkonstrukte halten will?...
Es soll einmal einen Kaiser gegeben haben, der erklärte dem Meer den Krieg. ;)
 
Die Orte über die wir hier reden haben allesamt die Jahrtausende sehr gut überstanden.
...und sicher sind einige davon älter, also gar nicht von den Römern erbaut - - und auch die passen sich den späteren römischen Ideallinien an, integrieren sich gehorsam - hier scheinen wir den Bereich des Wunders zu betreten!
Es soll einmal einen Kaiser gegeben haben, der erklärte dem Meer den Krieg. ;)
...weil die Küstenlinien nicht gerade sind? ;)
 
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