Die key words in Deinem w.o. Beitrag sind m.E. "... ein Auswertungskonsens bestand tatsächlich nicht. ..."
Genau so ist. In diesem Kontext ist es zB auch irrelevant, ob einem Mitarbeiter Leslie Grogan ein rudimentäres "Radio-Tracking" der Kidō Butai (der Angriffsgruppe)[*] gelungen ist. Wesentlich ist hier, dass solche
Spekulationen auf dem Dienstweg nach oben sozusagen hängengeblieben und mit weiteren Spekulationen über anderweitige Standorte kollidiert sind.
Mit Deinem Posting bestätigst Du empirisch die Hypothese von thane, die er w.o. geäußert hat, und zwar die mangelnde Kooperation/Koordination der Nachrichtendienste. Nur erlaube mir bitte nachstehende Fragen:
Das kann man so sehen, ist aber nicht zwingend, auch wenn die Organisation/Koordination von OP-20-G ("Hypo") nach dem Angriff umgestaltet wurde (was für die These spricht). Hypo war Ende 1941 in der Lage, rd. 1/3 der JN25B-kodierten Meldungen der Kaiserlichen Marine zu entschlüsseln. Das lag an der Frühphase, nicht unbedingt an Koordinationsfragen. Und es ließ genug Raum für widerstreitende Spekulationen.
Mindestens ein Nachrichtenienst hatte unmittelbare "Vortragsrechte" bei der Flottenführung, das ONI, also wären m.E. die Lageberichte des ONI von besonderem Interesse. Diese wären auch isoliert von den Auswertungsprozeduren mit anderen "Diensten" zu bewerten.
ONI (sozusagen der Auslands-Nachrichtendienst der Marine) unterstanden wie zB die Navy War Plans Division (OP-12) und das hier zitierte Office of Naval Communications (OP-20) dem CNO (Chief of Naval Operations). In der Konsequenz wurde eine Warnung vor aggressiven japanischen Handlungen (24.11.1941) und ein "war warning" (27.11.1941) herausgegeben, letzteres interessanterweise nicht aufgrund erhellendem, dekodiertem japanischen Material, sondern aufgrund einer eigenen Einschätzung der ablehnenden US-Antwort auf die japanische "Modus-Vivendi-Note" vom September 1941 (die als "Kuhhandel" darauf hinauslief, die japanische Hegemonialzone in Südostasien und China zu akzeptieren - die japanische Aggression in Indochina war bereits von den USA nicht akzeptiert worden, und weitere (richtige!) Meldungen deuteten nun auf Thailand, Niederländisch-Indien und Malaya hin).
ONI wurde also tätig, und warnte in allgemeiner Form und parallel zu der politischen Krise. Das ist wohl unbestritten.
Gab es "Rahmen-Richtlinien" für die einzelnen CiC's, die aus übergeordneten politischen Gründen, eine Versetzung einer Teilstreitkraft oder Einheiten einer Teilstreitkraft in eine höhere Stufe der Gefechtsbereitschaften untersagten - oder von politischen Genehmigungen abhängig machten?
Meines Wissens nein.
Das Gegenteil ist der Fall, wie sich leicht zeigen läßt: Kimmel ließ nach Stabsbesprechungen und mit den eingehenden Meldungen des Navy Departments (basierend auf ONI-Auswertungen) die Garnisonen von Midway und Wake verstärken. Hier ist entscheidend, dass diese Handlung
völlig konform ging mit den "Orange-" und "Rainbow-"Planungen für einen Konflikt mit Japan. Der gegenteilige Schluss, diese Verstärkung habe etwas mit Angriffsbefürchtungen gegen Hawaii zu zun, ist reine Spekulation. So lief Halsey dann mit der Enterprise aus, Lexington folgte. Die Maßnahme zeigte aber, dass Kimmel selbstständig agieren konnte (das überhaupt Träger "benutzt" wurden, lag an dem Ergebnis der Diskussion im Kimmel-Stab zwischen 24./27.11., keine P-40 der Army zu verwenden, die nach Halsey Meinung nicht über offenem Meer sicher navigieren konnten - er verlangte Navy-Piloten).
Wurde die Luftaufklärung in dieser Krisensituation (Nah- und Fernaufklärung) erhöht und verdichtet?
Ausgangspunkt ist die einheitliche Meinung von Kimmel, Halsey und Co., dass die Luftbedrohung gering bis null eingeschätzt wurde. Tatsächlich gab es eine mögliche Position japanischer Schiffe 250sm vor Dutch Harbor/Aleuten - die angeordnete Luftaufklärung fand allerdings nichts, obwohl die Kidō Butai dieses Gebiet sicher querte, wie man nach dem Krieg festgestellt hatte (Prados, Combined Fleet Decoded). Zufall.
Auch die oben zitierte Verstärkung von Wake und Midway wurde mit zusätzlicher Aufklärung im Rundkreis der dort hinlaufenden Träger verbunden, kann also als Verstärkung angesprochen werden. Das sind allerdings riesige Seegebiete, eine lückenlose Aufklärung war nicht möglich, Nachts ohnehin nicht mangels Radar. Es ist nun wieder kein Zufall, sondern japanisches "timing", dass die Träger frühmorgens (nach letzter Annäherung in der Nacht) in Absprungposition vor Oahu waren.
Und ergänzend:
Robert J. Hanyok: Catching the Fox unaware - Japanese Radio Denial and Deception and
the Attack on Pearl Harbor, Naval War College Review, Autumn 2008, S. 99.
[*]oder ob - konträr - die Angabe des japanischen "After Action Reports" korrekt ist, dass der Angriffsverband tatsächlich erst nach dem 7.12.1941 die erste Funkmeldung abgegeben hat.