Reichenau zu zitieren dürfte ein verzerrtes Bild der damligen Situation ergeben: Westphals schreibt dazu (Heer in Fesseln, 1952, S. 57) "Ein Außenseiter in der hohen Generalität war der spätere FM v. Reichenau. Er war ein Freund der Partei." Insofern war er der nationalsozialistische Rechtsaußen der Wehrmacht und von ihm hätte man nichts anderes wie "vorauseilenden Gehorsam" erwarten können.
Was Du über Reichenau schreibst, ist sicher richtig. Jedoch: Wenn er so ein Außenseiter war, dann hätten sich die ihm untergebenen Offiziere unter Berufung auf ihre soldatische Ehre (klingt jetzt doof, aber ich glaube, dass es sowas gibt) den zitierten Anweisungen widersetzen beziehungsweise sie ignorieren können. Teilweise ist genau das geschehen, ohne dass es für die "Widersetzlichen" Konsequenzen hatte. Schon das belegt, dass die Soldaten durchaus eine Wahl hatten. Bezüglich der Teilnahme am "Vernichtungskrieg" meine ich.
Außerdem: Reichenau war ein Parteigänger, aber er war auch Soldat. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass er der Ideologie zuliebe militärisch widersinnig gehandelt hätte. Auch ihm wird es ja nicht ausschließlich um Methoden sondern in erster Linie um das zu erreichende "Ziel" gegangen sein.
An der bisherigen Diskussion stört mich, dass die "Nationalsozialisierung" der Wehrmacht nicht als Prozess begriffen wird, der 33 einsetzte und 45 aufhörte, sondern vor allem, und besonders von Maelon so getan wird, als sei dieser Prozess bereits 41 weit vorangeschritten gewesen und es bereits eine Identität zwischen der NS-Führung und der WM Elite gegeben hätte.
Vielleicht habe ich mich ja unklar ausgedrückt, aber genau das wollte ich NICHT sagen. Ich wollte sagen, dass die Generäle (das Oberkommando) aus MILITÄRISCHEN GRÜNDEN so gehandelt hat, GLEICHGÜLTIG ob sie den Nazis geistig nahe standen oder nicht. Anmerkung: Die meisten standen den Nazis schon deshalb NICHT nahe, weil sie sich auf die Traditionen adeliger Kreise beriefen (Ritterlichkeit und so) und auf die "bürgerlichen Emporkömmlinge" naserümpfend herabsahen.
Der WM Führung war sich nach den deutlichen Äußerungen von Hitler bewußt, dass es sich bei der Operation Barbarossa um einen Vernichtungskrieg handeln würde und sie die militärischen Voraussetzungen dafür zu schaffen hatten.
GENAU DAS wollte ich sagen! Die Wehrmacht hat Vorgaben bekommen: Sie wurde beauftragt, diesen Krieg zu führen. Und ihr wurde gesagt, was der Zweck dieses Krieges sein sollte. Dafür hat sie die militärischen Voraussetzungen geschaffen. Aus kalt-rationalen Erwägungen heraus und unabhängig von jeder Ideologie.
Sofern man etwas verbrecherisches an der Handlung der WM identifizieren möchte in dieser Phase, dann ist es die Planung eines Angriffskrieges, allerdings haben Militärs genau dieses bereits seit mindestens drei tausend Jahren geplant.
Dieses Verbrechen haben nicht die Militärs begangen.
Dafür ist die Politik verantwortlich. Abgesehen von wenigen Ausnahmen (z.B. 1918) war es im deutschen Militär immer üblich, Vorgaben der Politik zu erfüllen und nicht selbst in die Politik einzugreifen. Das ist im Grundsatz gut, denn ein Militärputsch hat in aller Regel mehr Nachteile als Vorteile. In der von uns diskutierten Situation war dieses "Paradigma des Gehorchens" natürlich mehr als verhängnisvoll.
Was Du über die Milestones schreibst, ist grundsätzlich richtig, für die diskutierte Frage aber meines Erachtens irrelevant, weil der Vernichtungskrieg von vornherein geplant war.
An der Stelle möchte ich nochmal den Punkt aufgreifen, dass dem Militär der Auftrag zur Kriegführung erteilt und der Kriegszweck vorgegeben worden ist. Davon ausgehend, will ich auf die mehrfach gestellte Frage eingehen, warum das Oberkommando der Wehrmacht diese Art der Kriegführung für "sinnvoll" gehalten hat. Stellvertretend für alle, die sich so geäußert haben:
Darauf zielt aber m.E. der User Maelonn gar nicht ab, vielmehr habe ich das so verstanden, dass er meint, die wirkliche, physische Vernichtung des Gegners, einschl. Kriegsgefangener und Zivilisten war von Anfang an von der WM geplant. Und zwar eben nicht aus ideologischen Gruenden, sondern weil es militærisch vorteilhafter sein soll. Aber genau das verneine ich.
Stimmt. Genauso habe ich es gemeint - mit der Einschränkung, dass nicht ICH definiere, dass so eine Kriegführung grundsätzlich militärisch vorteilhafter ist, sondern dass die Wehrmachtsführung definiert hat, dass es unter den
gegebenen Umständen militärisch vorteilhaft sei.
Richtig ist, dass die einrückenden Wehrmachtseinheiten in vielen Gebieten der westlichen Sowjetunion als "Befreier" begrüßt wurden. Ob das aus dem Herzen kam oder nur aus Angst geschah, mag dahingestellt bleiben. Richtig ist auch, dass es bei einer "traditionellen" Kriegführung möglich gewesen wäre, dies auszunutzen, indem man die westlichen Teile (insbesondere Weißrussland, Ukraine, das Baltikum, vielleicht sogar Teile von Russland selbst) aus der Sowjetunion "herausbricht". Aber wozu hätte das geführt? Aller Wahrscheinlichkeit nach wäre "Kern-Russland" im wesentlichen zunächst mal bestehen geblieben. Und dort lagen die Machtzentren der Sowjetunion. Diese "Rest-Sowjetunion" hätte weiterhin über riesige Gebiete verfügt, wäre weiterhin sehr bevölkerungsreich gewesen und wäre weiterhin mit den Alliierten, insbesondere den wirtschaftlich starken USA, verbündet gewesen.
Ein solches, hier als "sinnvoll" geschildertes Vorgehen der Wehrmacht hätte recht lange gedauert und nur dazu geführt, dass sich die Grenze nach Osten verschiebt und dramatisch länger wird. Es hätte außerdem dazu geführt, dass das Deutsche Reich fortan auf die Mitarbeit der besetzten Sowjetrepubliken angewiesen gewesen wäre. Diese Gebiete hätten - im weitesten Sinne - als "Verbündete" behandelt werden müssen. Zwischen dem Reich selbst und der Sowjetunion wäre eine Kette von Verbündeten entstanden. Und es wären unsichere Verbündete gewesen, da es mit Sicherheit enge Beziehungen von nennenswerten Teilen der Bevölkerung zur Sowjetunion gab.
Zudem hätte dieses Vorgehen den Intentionen der Nazis widersprochen - wäre nicht vereinbar gewesen mit dem Kriegszweck: ZERSCHLAGUNG der Sowjetunion und "Gewinnung von Lebensraum im Osten". Dieser Zweck konnte nur durch schnelles Vorgehen erreicht werden. Die Generalität war sich im Klaren darüber, dass sie in möglichst kurzer Zeit bis zu den Machtzentren der Sowjetunion vorstoßen und sie besetzen oder zerstören musste, wenn sie Erfolg haben wollte.
Ein solches schnelles Vorrücken hatte aus geografischen Gründen (Verteidigungstiefe) den Nachteil, dass es sehr schnell riesige eroberte Gebiete geben würde, die irgendwie beherrscht werden mussten. Hätte es in diesen besetzten Gebieten noch weitgehend intakte Sozialstrukturen (Zivilbevölkerung) gegeben, wäre es für den Feind ein Leichtes gewesen, mit relativ geringem Aufwand zu "stören" und auf diese Weise starke Kräfte der Invasionsstreitkräfte für Sicherungsaufgaben zu binden (Partisanen-Tätigkeit).
Ich bin mir der Zahl nicht sicher, aber meines Wissens gab es insgesamt rund 30.000 Kommissare, die für die Verwaltung der besetzten Gebiete zuständig waren. 30.000 Leute für ein Gebiet, das mehrmals so groß war wie das ganze Reichsgebiet! So eine Situation ist unbeherrschbar!
Diesem Problem wollte die Wehrmacht durch möglichst gewalttätiges Vorgehen begegnen. Durch Terror (in vorangegangenen Posts habe ich von "verbrannter Erde" gesprochen, aber das war missverständlich. Terror passt besser). Wenn man Partisanentätigkeit mit Maos Gleichnis vom Fisch im Wasser bezeichnet, dann gibt es augenfällig zwei Methoden, mit Partisanen fertig zu werden: Man kann die Fische fangen oder man kann das Wasser abpumpen oder vergiften. Die Wehrmacht hat auf die zweite Methode gesetzt. Durch ihr gewalttätiges Vorgehen hat sie Flüchtlingsströme Richtung Osten in Bewegung gebracht (die für die Sowjetunion zu einer zusätzlichen Belastung wurden) und sie hat die verbleibende Bevölkerung durch reinen Terror in Angst und Schrecken versetzt. Wer sich gegenüber deutschen Soldaten "falsch" verhielt oder auch nur kurz geschorene Haare hatte (laut Wehrmachts-Anweisungen ein Indiz für "Soldaten in Zivil") musste damit rechnen, dass jene Soldaten sofort ausrasteten. Ungestraft.
So zynisch es klingen mag: Je schrecklicher die Zustände in den besetzen Gebieten waren, desto "entlastender" war das für die weiter vorrückenden Truppen. Und bevor das jetzt wieder jemand in den falschen Hals kriegt: Ich schildere hier nicht meine Meinung sondern ein Motiv für ein Massenverbrechen! Ein Massenverbrechen, das die Wehrmachtsführung begangen hat. Wenn das alles nur irgendwelche Sonderkommandos getan hätten, warum hätten sich dann hohe Wehrmachtsoffiziere über die Unbarmherzigkeit der Kriegführung beklagen sollen (WENN sie es getan haben!)?
Und noch eine Klarstellung: Ich sage mit all dem auch nicht, dass es an anderen Fronten - zum Beispiel in Frankreich - keine Kriegsverbrechen gegeben hätte. Man denke nur an Oradour-sur-Glane oder an die Ermordung farbiger französischer Soldaten, auf die ein Mitdiskutant mich mittels eines roten Sterns hingewiesen hat. Ich sage lediglich, dass Kriegsverbrechen an den meisten anderen Fronten dem "normale Wahnsinn" des Krieges entsprangen, während sie an der Ostfront systematisch als "Mittel zum Zweck" eingesetzt wurden.
MfG