Leningradblockade 1941-44

Andreas

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Hallo,

War die Blockade von Leningrad wirklich geplant wie man das von den Medien gerade aktuell hört? Oder war es eine Ausrede Hitlers da man nicht in der Lage war die Stadt zu erobern?
Danke für die Beantwortung.
Andreas
 
Hätte man es wirklich drauf angelegt, wäre man sicherlich in der Lage gewesen Leningrad zu erobern, hätte dafür aber gegebenenfalls weitere Kräfte heranziehen müssen, die dann an anderen Punkten der Front gefehlt hätten.
Gemäß der Konzeption die Sowjetunion in einem schnellen Krieg über den Haufen werfen zu wollen, mit dem für 1941 agepeilten Ziel die Linie Archangelsk-Astrachan zu erreichen, war Leningrad schlicht und ergreifend eine zu vernachlässigende Größe.
Wären die Konzeptionen des "Blitzkrieges", wie man sich das im Idealfall vorstellte so realisierbar gewesen, wäre Leningrad Ende 1941 eine vollständig vom sojwteschen Restgebiet abgeschnittene (real bestand ja über den Ladogasee Verbindung in Richtung Tichwin) Insel gewesen, die sie aus eigener Kraft nicht hätte versorgen, also langfristig auch nicht halten können. Wozu für deren Einnahme also Truppen verschwenden, die an anderer Stelle dringender gebraucht wurden?
Hätte man von Beginn an gewusst, dass das mit dem "Blitzkrieg" so nicht funktionieren und man im Herbst 1941 im Schlamm stecken bleiben würde, unfähig vor 1942 einen weiteren Versuch zu unternehmen, wäre ein dezidiertes Abzielen auf die Einnahme Leningrads sinnvoll gewesen um sich eine strategische Basis in den Westgebieten der Sowjetunion zu sichern und darüber hinaus den Weg nach Murmansk endgültig zu blockieren.
So lange Moskau aber in Reichweite schien, war dieses (alleine schon wegen seiner Zentralen Lage und seiner logistischen Beeutung als Eisenbahnknotenpunkt, auch als mögliches Winterquartier) das deutlich wichtigere Ziel. Auch 1942 und folgend ergaben sich keine militärischen Entwicklungen, die eine größere Konzentration auf Leningrad militärisch gerechtfertigt hätten.

Edit:

Hättest du übrigens auch ganz billig bei Wiki bekommen:

Anfang Oktober verzichteten die Deutschen zugunsten des Angriffes auf Moskau auf den weiteren Angriff auf die Stadt. In der Weisung Nr. 37 vom 10. Oktober 1941 heißt es: „Nachdem die Masse der sowjetrussischen Wehrmacht auf dem Hauptkriegsschauplatz zerschlagen oder vernichtet ist, liegt kein zwingender Grund mehr vor, russische Kräfte in Finnland durch Angriff zu fesseln. Um vor Eintritt des Winters Murmansk … zu nehmen oder … die Murmanbahn abzuschneiden, reichen die Stärke und die Angriffskraft der verfügbaren Verbände und die fortgeschrittene Jahreszeit nicht mehr aus.“

Leningrader Blockade – Wikipedia
 
Zuletzt bearbeitet:
Nein, so war es nicht. In Weisung Nr. 21 (vgl. Hubatsch, S. 84) werden 3 Ziele priorisiert. Leningrad, Moskau und Kiew.

Dabei wird HG Nord Leningrad zugewiesen und nachdem die sowjetischen Kräfte in Richtung Moskau durch HG Mitte "zerschlagen" worden sind, ein einschwenken nach Norden projektiert.

"Erst nach Sicherstellung dieser vordringlichsten Aufgabe, welcher die Besetzung von Leningrad und Kronstadt folgen muss, sind die Angriffsoperationen zur Besitznahme des wichtigen Verkehrs- und Rüstungszentrums Moskau fortzuführen." (ebd. S. 86) Entsprechende Sicht bei Glantz.

Nach dem 15. September wurden zunehmend - mechanisierte und Panzer - Verbände von HG Nord abgezogen, um an "Operation Typhoon" teilzunehmen.

Und damit wurde aus der intendierten Eroberung von Leningrad durch starke Verbände der WM die 900 Tage andauernde Belagerung von Leningrad.

Glantz, David M. (2001): The siege of Leningrad, 1941-1944. 900 days of terror. London: Cassell.
Hubatsch, Walther (1983): Hitlers Weisungen für die Kriegführung, 1939- 1945. Dokumente des Oberkommandos der Wehrmacht. Koblenz: Bernard & Graefe.
 
Gut, formulieren wir es anders und weniger agressiv:

Sicherlich war eine Einnahme Leningrads, sofern man der Meinung war, dass die eigenen Kräfte dafür hinreichend seien ohne die anderen Strategischen Zeile zu gefährden, theoretisch einmal angedacht.
Durch die Erkenntnis, dass dies aber realiter nicht den Tatsachen entsprach wurde bereits im Herbst 1941 der Angriff auf Leningrad abgeblasen, dafür Moskau und Kiew priorisiert.

Letztlich hat @thanepower sicherlich recht damit, dass die Einnahme Leningrads theoretisch einmal vorgesehen war, ein realer Versuch die Stadt im Sturm zu nehmen blieb dann aber in Ermangelung adäquarter Kräfte ein Papiertieger.
 
Die Einschließung/Abschnürung der Stadt ist der Heeresgruppe Nord bereits Anfang Juli 1941 so angewiesen worden, vor der eigentlichen Realisierung.
Die Übergabe war abzulehnen.

Quelle: OKH/KTB Heeresgruppe Nord/KTB Ritter von Leeb (OB). ME erhalten die Befehle auch den Hinweis, Flucht aus der Stadt mit Waffengewalt abzuweisen. Die Stadt war dem Erdboden gleichzumachen.

Kann man bei Bedarf nachschlagen.
 
Vielleicht wäre es sinnvoll hier einmal näher zu erörtern, was "geplant" bedeutet und auch wer geplant hat, vielleicht lassen sich die Positionen dann einigermaßen übereinbringen.

Wenn im Juli 1941 Weisung von Seiten Hitlers erging, widerspricht das ja durchaus nicht dem Faktum, dass im Januar 1941, die Heeresgruppe Nord durchaus noch Anweisung erhalten hatte Leningrad im Kriegfall zu nehmen.

Gehen wir also primär von den Vorstellungen Hitlers oder den Überlegungen der Militärs aus?
Theoretisch hatte Hitler als nomineller militärischer Oberbefehlshaber sicherlich das letzte Wort. Wenn dem aber von vorn herein Priorität eingeräumt gewesen wäre, wäre die Sache wohl damit erledigt und es nicht notwendig gewesen diese Anordnung im Spetember 1941 noch einmal zu bestätigen und final Haltebefehl zu erteilen.


Geht man von der Weisung Hitlers und seinem Haltebefehl aus, war die Einnahme der Stadt demnach nicht beabsichtigt, jedenfalls nicht in konventioneller Weise.
Geht man von den genuin militärischen Aufmarschplanungen aus, war sie sehr wohl theoretisch beabsichtigt, sicherlicher aber nicht um jeden Preis und vor allem nicht um denjenigen sich dort mit starken Kräften festzurennen und so die Gelegenheit zu verpassen weitere auf dem Rückzug befindliche Teile der "roten Armee" abzufangen, auf dass diese sich besser reorganisieren konnte und sicherlich auch nicht um den Preis Vorstöße Richtung Moskau und Kiew vollständig absagen zu müssen, denn strategisch für die gesammte Kriegsführung als solche mussten diese zentralen Plätze für die weitere Operationsführung größere Bedeutung haben als das an der Peripherie liegende Leningrad, dass sich in (wenn auch unvollständig) eingeschlossenem Zustand schon auf Grund der mangelhaften Ausgangssituation vorläufig nicht mehr als Ausgangsbasis für eine sowjetische Gegenoffensive eignete, womit man im Norden zwar nicht weiter kam, in der eigenen Stellung aber auch nicht besonders gefährdet darstand.


Konnte man Leningrad also einnehmen?

Sicherlich konnte man das, was genau hätte denn realiter eine Einnahme Leningrads nach dessen Einschließung verhindern können? Früher oder später wäre den noch dort stehenden sowjetischen Verbänden schlicht und ergreifend die Munition ausgegangen.
Es hätte nur eben mitunter Wochen oder Monate gebracht das zu bewerkstelligen und der Wehrmacht wiederrum zum einen schwere Verluste zugefügt, zum Anderen hätten wahrscheinlich Truppen hinzugezogen werden müssen, was bdeutet hätte auf den Vorstoß Richtung Moskau und/oder Kiew verzichten und Teile der geworfenen Sowjetarmee entkommen lassen zu müssen, weil mit begrenzteren Kräften der Vorstoß nicht in dieser Form zu leisten gewesen wäre. Mit anderen Worten man hätte bei einem versuchten Angriff auf Leningrad die strategischen Ziele des gesamten Krieges gefährden müssen.


Konnte also die Wehrmacht die Millionenstatt Leningrad einnehmen? - Sicherlich konnte sie das.
Konnte sie es auch unter Beibehaltung ihrer sonstigen militärischen Ziele? - offensichtlich nicht.

War die Einnahme Leningrads geplant? Hängt wohl davon ab, ob man sich an OKH und OKW oder an Hitler persönlich hält.
Bleibt einerseits Hitlers militärischer Oberbefehl, andererseits die Tatsache, dass sich einzele Befehlshaber auch immer wieder darüber hinweg setzten, womit sich die hypothetische Frage stellt, ob Hitlers Weisung bei Angebot einer Übergabe diese auszuschlagen tatsächlich daran gehalten oder diese Weisung aus strategischem Interesse heraus übergangen worden wäre.
Bleibt ebenso die Tatsache, dass die Weisung Hitlers im September 1941 explizit wiederholt wurde, was darauf schließen lässt, dass die Militärs der HG-Nord diese im Vorhinein möglicherweise zu unterlaufen gedachten oder diese für überhohlt hielten.
Stellt sich denn auch die Frage, ob die Weisung vom September 1941 weiteres Vorgehen auf Leningrad zu unterlassen, tatsächlich das sture Repetieren der Weisung vom Juli 1941 war oder ob es sich dabei um die Konsequenz einer spontanen Lagebeurteilung handelte, die die Kräfte für einen direkten weiteren Ausgriff nach Norden für zu schwach hielten, respektive von der Notwendigkeit schnell Kräfte in den Osten umzudirigieren ausgingen?
Dann allerdings müsste man erst recht in Frage stellen, in wie weit die Weisung vom Juli 1941 tatsächlich als bindend betrachtet wurde.
Von dem her müsste man eigentlich je nach Standpunkt, was die Planung betrifft beide Varianten für möglich halten, bei gleichzeitiger technischer Unmöglichkeit eines direkten Angriffs auf die Stadt Stand September/Oktober 1941 unter gleichzeitiger Beibehaltung der Ziele der nach dem Osten zu entwickelnden Operationen.

Kann man sich in etwa dahingehend einigen?
 
Zuletzt bearbeitet:
Geht man von der Weisung Hitlers und seinem Haltebefehl aus, war die Einnahme der Stadt demnach nicht beabsichtigt, jedenfalls nicht in konventioneller Weise.
Was wäre dann eine Einnahme einer Stadt in unkonventionelker Weise? Meinst du damit isolieren, blockieren, aushungern und nur peu a peu mittels Artillerie zernieren? Also eine totale Circumvallation scheidet dort eher aus; und Truppen bindet die Blockade/Aushungerung ebenfalls. Insofern ist mir nicht klar, was eine unkonventionelle Einnahme sein könnte.
 
Was wäre dann eine Einnahme einer Stadt in unkonventionelker Weise? Meinst du damit isolieren, blockieren, aushungern und nur peu a peu mittels Artillerie zernieren? Also eine totale Circumvallation scheidet dort eher aus; und Truppen bindet die Blockade/Aushungerung ebenfalls. Insofern ist mir nicht klar, was eine unkonventionelle Einnahme sein könnte.
Damit meine ich, dass eine Weisung eine Stadt dem Erdboden gleich zu machen und ein Massaker an der Bevölkerung anzurichten ja nicht automatisch intendiert das von außerhalb der Stadt aus zu tun.
Mit "auf unkonevntionelle Weise einnehmen" meine ich eine Einnahme nicht mit der Absicht der Behandlung der Bevölkerung nach Kriegsrecht und die Absicht der weiteren strategischen Nutzung, sondern das Einrücken einzig zu dem Zweck, um es klar auszudrücken, um bei der Vernichtung effektiver vorgehen zu können, was ja nun den Konventionen eines modernen Krieges so nicht mehr entspricht, womit wir beim Zivilisationsbruch des NS-Regimes wären.
 
Leningrad konnte zwar eingeschlossen werden, aber der ursprüngliche Plan, die Front weiter nach Osten zu schieben, konnte nicht umgesetzt werden. Die sowjetischen Truppen konnten Leningrad nicht entsetzen, erzwangen aber durch die Abwehr des Angriffs auf Tichwin die Offenhaltung des Wegs über den Lagodasee. 1942 wurden weiterhin große Anstrengungen unternommen, dabei wurde die 2. Stoßarmee fast völlig vernichtet.

Die Wehrmacht war am Rande der Leistungsfähigkeit, Leningrad konnte mit den zur Verfügung stehenden Kräften nicht erobert werden. Der Verzicht auf den Angriff bedeutete die Freistellung von schnellen Truppen (was sich aber kaum auswirkte, waren diese doch schon sehr abgekämpft und konnten im Winter 41/42 nur sehr eingeschränkt zur Wirkung kommen), den Verzicht auf größere Stadtkämpfe und den Verbrauch von größeren Mengen Artillerie. Vor allem der Munitionsbedarf belastete die Nachschublinien sehr.

Durch die Blockade konnte die Leningrader Industrie zwar praktisch ausgeschaltet werden, die angestrebte Eroberung gelang jedoch auch nicht.
 
Es geht im wesentlichen um die Planung für die "Operation Barbarossa" und die bestimmte zunächst den Aufmarsch und die erste Phase des Krieges. Und somit auch den Angriff auf Leningrad.

1. Die Weisungen von Hitler waren im Prinzip bindend, aber in der Anfangsphase gab es Entscheidungen von einzelnen Kommandeuren, die nicht im Einklang mit Hitlers Befehlen standen und folgenlos für die Kommandeure blieben, wie die Frontbegradigung von Leeb im Spätherbst 41 vor Leningrad. Dennoch, mit der Dauer des Krieges lief man zunehmend Gefahr, sofort des Kommandos enthoben zu werden, sofern man diesen Weisungen nicht folgte.
2. Hitler gab den einzelnen HG teilweise direkte Befehle, die nicht mit dem OKH / Halder abgesprochen waren. Und nahm bei einzelnen Entscheidungen bereits vor dem Abgang von Halder die informelle Rolle des OB des Heeres ein (vgl. z.B. Megargee, S. 142 ff)
3. Die Planungen für Barbarossa waren unvollständig und fehlerhaft(vgl. ebd. S. 102ff). Je klarer man sich wurde, dass die Realität komplexer war, desto unrealistischer wurden die Planungen für den Feldzug.
4. Das betraf auch die Auswahl der Ziele, die auf einer Studie des OKH basierten, die u.a. die militärökonomische Bedeutung der Ziele untersucht hatte. Diese Sicht wird auch von Philippi & Heim (vgl. S. 42) referiert. Sie vermuten, dass Göring im Hintergund einen Einfluss auf Hitler genommen hat und die militärökonomische Seite deswegen einen hohen Stellenwert bekam.
5. Es gab bei Abfassung der Weisung Nr. 21 gravierende Meinungsverschiedenheiten zwischen Hitler und Halder. Halder wollte die Zielplanung "unterlaufen", weil er Moskau für das alleinige und zentrale Ziel hielt. Er - und das OKH - akzeptierte die Zielplanung von Hitler, weil er glaubte, über die operative Zielplanung und den Erfolg in der Mitte, ein Momentum zu schaffen, das automatisch die verfügbaren Kräfte im wesentlichen auf Moskau konzentriert.
6. Im Juni 1941 wurde erste "Machbarkeitsstudien" zur Erschließung des europäischen Teils der Sowjetunion angefertgt. Im "Generalplan Ost" wurden diese Vorstellungen durch Himmler / SS zum verbindlichen Planungsinstrument. In diesem Sinne wurde die Vernichtung von Leningrad als Zielsetzung formuliert. Aly und Heim formulieren: "Lapidar heist es dort:"Im Ingermanland (Region Leningrad) wurde die künftige Stadtbevölkerung mit 200.000 angenommen." (ebd. S. 377). Das bedeutete eine Reduzierung der Bevölkerung von 3.200.000 (1939) auf 200.000.
7. In einer fortgeschriebenen Version vom November 1942 gingen die Verfasser des "Raumordnungsplanes für das Ostland" davon aus, dass die Region Leningrad nach Abschluss der Kämpfe weitgehend entvölkert wäre.

Ansonsten müssen mit dem ersten Schuss die Planungen der Realität angepasst werden, wie Moltke (d.Ä.) schon anmerkte.

Aly, Götz; Heim, Susanne (2013): Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch
Philippi, Alfred; Heim, Ferdinand (1962): Der Feldzug gegen Sowjetrussland, 1941 bis 1945. Ein operativer Überblick. Stuttgart: W. Kohlhammer.
Megargee, Geoffrey P. (2002): Inside Hitler's high command. Lawrence, Kan., London: University Press of Kansas;
 
Zuletzt bearbeitet:
Die laufenden Operationsanweisungen nach Feldzugbeginn bieten im Juli/August unterschiedliche Bilder, zT widersprüchlich, korrigierend, und nur durch aktuelle Lageentwicklungen klärbar.

Die Aufmarschanweisungen ließen die Frage offen, bis auf die diffuse Formulierung "Wegnahme Leningrads". In diversen operationsgeschichtlichen Abhandlungen wird immer wieder deutlich, dass es dabei um die Ausschaltung der Baltischen Flotte ging, die als Bedrohung der Transportwege über See erfasst wurde (während für die Operationen 1941 die Landverbindungen eigentlich nur bis Pskow/Opotschka von Anfang an als ausreichend angesehen wurden).

Wie genau die "Wegnahme" als Ausschaltung gedacht war, wird das erste Mal im KTB Halder vom 8.7.1941 für das OKH deutlich:

"Feststehender Entschluss des Führers ist es, Moskau und Leningrad dem Erdboden gleich zu machen, um zu verhindern, dass Menschen darin bleiben, die wir dann im Winter ernähren müssten. Die Städte sollen durch die Luftwaffe vernichtet werden. Panzer dürfen dafür nicht eingesetzt werden. Volkskatastrophe, die nicht nur dem Bolschewismus, sondern auch das Moskowitertum der Zentren beraubt."

Unabhängig davon wurde die Heeresgruppe - außer der Einschließung an sich - bzgl. der genauen "Modalitäten" im Unklaren gehalten, was auch dort wochenlang bemängelt ubd festgehalten wurde.
 
Bei Ritter von Leeb (OB der HG Nord) kamen im Juli nur die Einschließungsanweisungen an. Diese wurden im September mit den Vernichtungsbefehlen ergänzt, was nach der Einschließung in der Frage mündete, wie mit der Aufgabe der Stadt eventuell umzugehen sei.

KTB Leeb, 12.10.1941

Es ist heute die Entscheidung des OKW bezüglich der Stadt Leningrad gekommen; danach darf eine Kapitulation nicht angenommen werden. In einem Schreiben der Heeresgruppe an das OKH wurde daraufhin gefragt, ob denn nicht in diesem Fall die russischen Truppen in die Kriegsgefangenschaft Bgeführt werden können. Soll das nicht geschehen, so führt der Russe einen Verzweifelungskampf weiter, der unsererseits Opfer und wahrscheinlich schwere fordern wird."

Dies ist zu ergänzen: die Stabsoffiziere der HG haben bei ihren Besuchen der Divisionen und Korps "vor Ort" schwere Bedenken gegen die HG-Befehle gehört. So war die Anweisung, auf ausbrechende und aus der Stadt fliehende Zivilisten zu schießen, um das Überschreiten der Linien in das Hinterland auf alle Fälle zu verhindern. Es sei dem deutschen Soldaten "klar", dass die Massen an Zivilisten nicht ernährt werden könnten und sich bei der Ernährung des deutschen Volkes "nachteilig auswirken" würden.

Deshalb wurden Vorschläge gemacht, Minenfelder vor der Truppe auszulegen: nicht wegen Abwehr von Ausbruchsversuchen, sondern um der Truppe "zu ersparen", Massen an Zivilisten niederzuschießen, was der Moral der eigenen Truppe abträglich sei und gefährlich die Disziplin auflösen würde. (inhaltlich so im KTB Leeb als erläuterndes Zitat angebracht)
 
Hier der erste Eintrag aus dem Kriegstagebuch der HG Nord, mit den Lageberichten vom 24.10. aus den Inspektionsreisen an die Front. Hieraus wird deutlich, wie die Truppe den Vernichtungsbefehl aufgefasst hat und worüber man dort "besorgt" war.
 

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Im Übrigen, abgesehen von den unterschiedlichen Erkenntniszeitpunkten unterschiedlicher Stellen, bestätigen die Quellen die oben von thanepower zusammenfassten Abläufe,
 
Bei Ritter von Leeb (OB der HG Nord) kamen im Juli nur die Einschließungsanweisungen an. Diese wurden im September mit den Vernichtungsbefehlen ergänzt, was nach der Einschließung in der Frage mündete, wie mit der Aufgabe der Stadt eventuell umzugehen sei.

KTB Leeb, 12.10.1941

Es ist heute die Entscheidung des OKW bezüglich der Stadt Leningrad gekommen; danach darf eine Kapitulation nicht angenommen werden. In einem Schreiben der Heeresgruppe an das OKH wurde daraufhin gefragt, ob denn nicht in diesem Fall die russischen Truppen in die Kriegsgefangenschaft Bgeführt werden können. Soll das nicht geschehen, so führt der Russe einen Verzweifelungskampf weiter, der unsererseits Opfer und wahrscheinlich schwere fordern wird."
Entweder habe ich ein Brett vor dem Kopf, aber was hat die potenzielle Kriegsgefangenschaft damit zu tun, ob Leningrad kapituliert oder nicht?
 
Für den Generalfeldmarschall v.Leeb bedeutet Kapitulation im militärischen Denken die Übernahme der gegnerischen Truppenverbände (geschlossen) in die Kriegsgefangenschaft. Gleiches gilt wie zitiert für die vorherigen Überläufer.

Die Verweigerung der Kapitulation wird hier, was aus dem Kontext der beabsichtigten "Behandlung" der Kombattanten und der Zivilisten deutlich wird, glasklar als Vernichtung verstanden. Und das sah man richtig, wie aus der Halder Notiz hervorgeht.

Dies wiederum macht den führenden deutschen Offizieren (von der Heeresgruppe bis runter zu den Divisionen) erhebliche Sorgen, aus zwei Gründen:

1. Auflösung der Disziplin der eigenen Truppe, wenn diese Zivilisten und Kapitulierende massakrieren soll.
2. Verzweifelungskämpfe des Gegners, mglw. noch mit Unterstützung der Zivilisten, mit hohen (offenbar als militärisch unnötig angesehenen) Verlusten der eigenen Truppe. Hier wird geradezu an das OKW (mit Hitler) appelliert, die Entscheidung zu überdenken.

Eben militärische Logik.


EDIT: siehe auch hier, zB #99
Leningrader Belagerung 1941/44
 
Vielen Dank für die fundierten Informationen. Ich lese das Forum schon lange und halte es für die Beste deutschsprachige Geschichtsquelle. Ich würde wenn ich Informationen dieser Art benötige nie Wikipedia verwenden, das ist mir dann doch zu oberflächig und zeitgeistig, daher nochmals vielen Dank.
 
Abschließend noch zum Thema:
Offensichtlich gab es keine Detailplanung für Leningrad außerdem generellen Ziel Russland bis zur AA-linie zu erobern. Als man dann erkannte dass die Mittel nicht ausreichten blockierte man die Stadt und eine Blockade bedeutet immer hungern und verhungern.
Somit ergeben sich für mich die Ereignisse aus der einfachen und brutalen Logik des Krieges. Hitlers Blockadebegründung klingt für mich wie der Versuch eine Niederlage in einen Erfolg umzudeuten.
 
Die Kausalkette, die sich aus den Quellen und den Operationsstudien ergibt, ist eine andere.

Die Vernichtung Leningrads bzw. seiner Bevölkerung wurde in einem Zeitpunkt als Hitlers Vorstellung/Planung offenbart (die räumlichen OKH-Planungen für den Ostfeldzug waren, wie alle relevanten Beispiele zeigen, für ihn ohnehin nur unverbindlich),

- als die Wehrmacht siegte und man von wenigen Wochen "Restfeldzug" ausging (Anfang Juli)
- konkretisiert (September/Oktober), als man die restlichen russischen Kräfte vor der HG Nord dezidiert (siehe Halder) nun als schwächer und ausgeblutet ansah.

Die Blockade wurde dann der Wehrmacht vorgegeben, als probates Mittel zur Vernichtung.
Das entspricht eben nicht einfacher und brutaler Logik des Krieges, sondern der speziellen Logik des Ostfeldzuges, angelegt als Vernichtungskrieg im Osten. Die Eskalation findet man im Oktober, als regelrecht darum "gerungen" wird, wie man mit einer kapitulierenden Stadt umgeht.

Dass eine Einschließung zu Zwecken einer von vornherein geplanten Liquidation der Bevölkerung erfolgen sollte, ist singulär. Für Moskau bestanden dokumentiert gleiche Absichten in der Einschließung, die bekanntlich nicht realisiert werden konnten.
 
Ok - Deine Einwände sind einleuchtend. Danke für die Korrektur. Ich war bis jetzt der Annahme das die brutale deutsche Kriegsführung der sich abzeichnenden Niederlage geschuldet war, aber offensichtlich war der Feldzug wirklich von den relevanten Stellen von Beginn an als Vernichtungskrieg angelegt.
 
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