Interessant wäre, inwiefern auch die negativen Aspekte an Napoleons staatsmännischen Versuchen auf die Satellitenstaaten übergingen. Er hatte ja mit Fouché den richtigen Mann für ein tiefgreifendes Spionagewesen, welches sowohl nach außen aber vor allem nach innen Abweichler und Umstürzler aufspüren sollte. Reichardts (Geheime Briefe aus Paris von 1802/03) Einschätzung der Umwälzung des Bildungswesens aber auch der Wissenschaften klingen durchweg vernichtend.
Ich kann jetzt nur für das Königreich Westphalen mit Informationen dienen. Die bedeutendste Neuerung war die Einführung einer Gendarmerie nach französischem Vorbild, die Abschaffung der alten adeligen Patrimonialgerichte und die Besetzung von Beamtenstellen durch Juristen, die eine akademische Ausbildung abgeschlossen hatten. Das Territorium der alten Landgrafschaft Hessen-Kassel wurde in zwei Departements, das Fulda- und das Werra-Departement aufgeteilt. Unterhalb der Departements gab es Kantone, und Distrikte. In jedem Kanton wurde ein Friedensgericht, in jedem Distrikt ein Zivilgericht erster Instanz, und in jedem Departement ein peinliches Kriminalgericht und für das ganze Königreich ein Apellationsgerichtshof eingerichtet. Die peinlichen Kriminalgerichte waren für Kriminalfälle die höchsten Instanzen und gleichzeitig Apellationsinstanzen für die niederen Gerichte. Die Gerichtshöfe wurden aus einem Präsidenten, zwei Richtern einem Generalprokurator und einem Sekretär zusammengesetzt. Sitz des Kriminalgerichtshof des Werra-Departements war Marburg, der des Fulda-Departements Kassel. Ein weiterer Kriminalgerichtshof war im thüringischen Heiligenstadt angesiedelt.
Zur Aburteilung von schwerer Kriminalität und politischen Vergehen wurde in den rechtsrheinischen von Frankreich annektierten Territorien Spezialgerichte eingerichtet. Diese wurden konzipiert aus einem Vorsitzenden, zwei Richtern, zwei Privatpersonen als Beisitzern und 3 Offizieren zusammengesetzt. Es gab allerdings nur in Köln ein solches Gericht, und da es an deutschen Beamten mangelte, die über die nötige Qualifikation verfügten und denen die Verwaltung genug Vertrauen zubilligte, wurde es mehrheitlich mit Franzosen besetzt. Es gab keine Möglichkeit, Berufung oder Revision gegen die Urteile dieses Spezialgerichts einzulegen. Verurteilung war auch auf Indizienbasis möglich, und die Urteile wurden innerhalb kürzester zeit vollstreckt. Die Banditen Carl Heckmann und Mathias Weber, genannt Fetzer wurden dort guilliotiniert. Der berüchtigte Bandit der Großen Niederländischen bande Abraham Picard fürchtete, nach seiner Festnahme in Fechenheim bei Frankfurt an die Franzosen ausgeliefert zu werden. er behauptete, an einem Raubüberfall in nieder Seelheim bei Kassel beteiligt gewesen zu sein, um in
Kurhessen bleiben zu können, war aber zwei Jahre zu keinem Geständnis zu bewegen. 1807 starb er im weißen Turm des Marburger Schlosses. seinen Leichnam kaufte die jüdische Gemeinde frei, und er wurde auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt.
Das Justizpersonal rekrutierten die Franzosen im Königreich Westphalen aus dem Beamtenstamm der alten kurhessischen, hannoverschen und preußischen Verwaltung. Jedenfalls war das im Werradepartement der Fall, und es würde mich sehr wundern, wenn das in den anderen Departements anders war. Die meisten dieser Beamten konnten ihre Karriere fortsetzen, als 1813 der Kurfürst Wilhem I. (IX.)
von Hessen aus dem Exil zurückkehrte. Die neu eingesetzte Gendarmerie wurde vor allem aus altgedienten Unteroffizieren der landgräflich hessischen, hannoverschen und preußischen Armee zusammengesetzt. In der Kriminalitätsbekämpfung hatte es schon vor napoleonischer Zeit Informanten und Polizeispitzel, sogenannte "Fleischmänner" gegeben. Diese waren Informanten aus der Szene, die zwar gut bescheid wussten, häufig aber neben wertvollen Informationen ihren Job nutzten um Konkurrenten zu verpfeifen um sich für die eigenen Straftaten Rabatt zu verschaffen. Es ist anzunehmen, dass die westphälischen Justizbehörden weiterhin solche Informanten einsetzten und das Spitzelwesen ausbauten.
Vieles im neuen Musterstaat Westphalen war also nicht gar so neu, und personell arbeiteten die westphälischen Behörden mit den alten hessischen, preußischen und hannoverschen Eliten weiter.
Auch die westphälische Armee übernahm im Großen und Ganzen das Stammpersonal ihrer Vorgänger, vor allem die jüngeren Offiziere, die nicht von Adel oder begütert waren. Von den höheren und älteren Offizieren gingen viele in den Ruhestand. Von dem letzten Kommandeur der hessischen Festung Ziegenhain, die 1806 an die Franzosen übergeben wurde, schrieb ein Metropolitan der gleichen Gemeinde, der sich mit der geschichte der Region beschäftigte über diesen Kommandeur Johann Justus Schenk von Schweinsberg: "Er starb 1807 mit einem althessischen Fluch auf die "Lausefranzosen".
Als die Festung übergeben wurde, der Kurfürst war schon geflüchtet, waren vor allem die alten Unteroffiziere verbittert und warfen Kanonen und Musketen in den Festungsgraben. Ein Unteroffizier namens Triebfürst wurde 1806 von italienischen Soldaten der Grande Armee erschossen. Die Träger der Aufstände 1806 und 1809 waren vor allem Veteranen und altze Unteroffiziere aus dem Unabhängigkeitskrieg und einige Offiziere aus der althessischen Ritterschaft wie die von Dornbergs und von Gilsa. Sie wendeten Taktiken und Guerillamethoden an, die sie in Amerika gelernt hatten und den Patriots abgeschaut hatten, die Loyalisten bekämpften. Aufstände wie der des Freiherrn von Dörnberg 1809 und der des preußischen Majors von Schill scheiterten.
In Mitteleuropa konnte das kaum gelingen, dafür bekam Napoleons Grande Armee in Spanien große Probleme, und die Antwort war Terror. Die Zeichnungen "Los Desatros de la Guerra" von Francisco Goya ähneln denen von Jaques Callot aus dem Dreißigjährigen Krieg. Von den meisten Zeitgenossen wurden wie schon gesagt die Franzosen als Unterdrücker und Satellitenstaaten wie das Royaume Westphalie als Fremdherrschaft wahrgenommen. Napoleons Grande Armee at auch herzlich wenig, sich die Sympathie der Bevölkerung zu sichern. Im Gegenteil! Überall wurden Klagen über Plünderungen, Erpressungen und Übergriffe laut, die nur allzu berechtigt waren.
Schon im Siebenjährigen Krieg hatten französische Soldaten die Bevölkerung drangsaliert, was sich im Geschichtsbewusstsein der Zeitgenossen eingeprägt hatte und das Verhältnis der Besatzungsmacht zur einheimischen Bevölkerung zusätzlich belastete. Fairerweise muss allerdings gesagt werden, dass auch die alliierte Armee aus Hannoveranern, Braunschweigern, Hessen und Briten sich wenig besser aufführte. Besonders die Legion britannique ging skrupellos vor und plünderte die Gegend um die Festung Ziegenhain aus, so dass das deutsche Regiment Nassau, das 1759 die Festung kampflos eingenommen hatte, seine Forderungen reduzieren musste. 1760 war fast die ganze Stadt abgebrannt, da der hessische General Schlüter die Festung durch Brandgeschosse beschießen ließ, um die Franzosen zur Aufgabe zu nötigen. Der militärische Erfolg war gering und erst 1762 zogen die Franzosen ab.