Nürnberger Prozesse- Siegerjustiz oder Sieg der Gerechtigkeit?

"positives Recht das einzig anwendbare Recht ist und überpositives "Recht" nicht Grundlage eines Verfahrens sein kann."

Ist es, balkanese, nicht richtig und auch besser verständlich, wenn wir als Rechtsanwendungsgrundlagen 1. das kodifizierte Recht, 2. unkodifizierte allgemeine Rechtsgrundsätze, 3. durch Rechtsprechung fortentwickeltes Recht und 4. durch längere Übung gewachsenes Gewohnheitsrecht benennen?

Darf ich um Verständnis dafür bitten, daß ich angesichts der hier herrschenden Stimmung keine expliziten positiven Aussagen mehr mache, sondern nur noch Fragen stelle?
 
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Zunächst einmal solltest du Quellen und Literatur unterscheiden. Quellen sind z.B. Anklageschriften, Verhör- und Gerichtsprotokolle sowie sonstige Mitschriften, zeitgenöss. Filmaufnahmen, Zeitungsartikel, ja und auch zeitgenöss. juristische Darstellungen Viktor v. d. Lippe ist also eher Quelle als Literatur. Literatur sind Darstellungen von Historikern und Juristen auf Basis der Quellenauswertung. Also die Seminararbeit die du dir da ergoogelt hast, wäre bestenfalls Literatur. Da ich sie nicht gelesen habe, kann ich sie nicht beurteilen. Die meisten Seminararbeiten (Ausnahmen gibt es freilich immer) haben aber (notenunabhängig) i.d.R. nicht die notwendige Tiefe, um als Literatur Verwendung zu finden. Das gilt im Übrigen auch für Forenbeiträge.

Ist Viktor von der Lippes Werk nicht doch eher Literatur, da er neben seinen Erlebnissen zu Kriegsende und kurz danach als Hilfsverteidiger mit eher beobachtender Funktion ganz überwiegend den Prozeßverlauf chronologisch schildert und juristische Anmerkungen und Bewertungen nur hin und wieder, nur kurz und nicht gutachtlich macht? Können diese Umstände nicht eben doch für Miame das Werk zum besten Werk machen, da sie am schnellsten einen Einstieg bekommt, der plastisch und zugleich sachgesättigt ist?
 
Einen Beleg nenne ich nicht, weil er mit hoher Wahrscheinlichkeit abgewertet wird.
Nehmen wir doch der Authentizität halber das englischsprachige Original:
They terrorized and silenced democratic opposition and were able at length to combine with political opportunists, militarists, industrialists, monarchists, and political reactionaries.
[...]
The German people were in the hands of the police, the police were in the hands of the Nazi Party, and the Party was in the hands of a ring of evil men, of whom the defendants here before you are surviving and representative leaders.
Die Vokabel "terrorize" würde ich nicht mit "niederknüppeln" übersetzen, obwohl in der Realität häufig genug Terror mit Knüppeln ausgeübt wurde.
 
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Ist Viktor von der Lippes Werk nicht doch eher Literatur, da er neben seinen Erlebnissen zu Kriegsende und kurz danach als Hilfsverteidiger mit eher beobachtender Funktion ganz überwiegend den Prozeßverlauf chronologisch schildert und juristische Anmerkungen und Bewertungen nur hin und wieder, nur kurz und nicht gutachtlich macht? Können diese Umstände nicht eben doch für Miame das Werk zum besten Werk machen, da sie am schnellsten einen Einstieg bekommt, der plastisch und zugleich sachgesättigt ist?

Gerade weil v.d. Lippe als Hilfsverteidiger und v.a. Involvierter die historische Distanz fehlt, ist er in erste Linie als Quelle zu betrachten. Als eine Stimme im zeitgenöss. Meinungschor. Zumal er als Verteidiger per definitionem partei ist!
 
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Ist Niederknüppeln nicht auch eine Form des Terrorisierens?
Da kam mein Edit zu spät. Trotzdem würde ich "niederknüppeln" als unpassende Übersetzung ansehen.
Es gab damals ja eine offizielle Übersetzung ins Deutsche. Wie ist's denn da formuliert?*
Und entspricht nicht "zum Schweigen bringen" "silenced"?
Ja, wiederum zu spät editiert. Ich sollte wirklich sorgfältiger drüberlesen, ehe ich auf "Antworten" klicke (hat aber auch mit der arg kurzen Session-Gültigkeit des Forums zu tun, die mich allzu früh wieder rauswirft beim Verfassen eines Postings, und deshalb zur Eile antreibt).

* Edit: Auf zeno.org gibt es die amtliche Textausgabe in deutscher Sprache. Da ist die Passage ähnlich übersetzt wie in Deiner Quelle, insofern ziehe ich meinen Einwand zurück:
Sie knüttelten jeden demokratischen Widerstand nieder und brachten ihre Gegner zum Schweigen. Am Ende glückte ihnen dann das Bündnis mit Opportunisten, Militaristen, Industriellen, Monarchisten und politischen Reaktionären.
 
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Was wäre denn dann eine geeignete Quelle? El Quijote, haben sie vielleicht ein besseres Beispiel für mich ?:)

Das beste Buch ist m.E. zum IMT das Buch von Heller (vgl. Literaturliste). Schabas ist sehr gut in der Beschreibung der grundsätzlichen Idee einer internationalen Gerichtsbarkeit, der historischen Entwicklung und den auch aktuellen politischen und juristischen Implikationen. Mit Taylor kommt einer der wichtigsten Akteure zu Wort und ist relevant als Zeitzeuge.
Heydecker u.a. ist als deutsche Einführung gut leserlich, aber eher auf die deutsche Sicht beschränkt und populärwissenschaftlich. Solide ist sicherlich die Arbeit von Weinke, obwohl auf einen wissenschaftlichen Apparat verzichtet wird in der Reihe. Gut leserlich ist die Arbeit von Macdonald, der die angloamerikanische Sicht verdeutlicht.
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In #28 und in #10 hat Scorpio wichtige Aspekte beleuchtet, die ich nicht wiederholen möchte.

Allerdings sollen noch ein paar zusätzlich Punkte hinzugefügt werden. Mit der Tätigkeit des IMT sollte u.a. - neben der Entnazifizierung - auch ein deutliches Zeichen gesetzt werden für die Beendigung des rechtlosen bzw. rechtsfreien Zustand einer totalitären Diktatur.

Diese Befreiung Deutschlands von einem menschenverachtenden Regime der Nationalsozialisten war die Voraussetzung dafür, dass überhaupt wieder an ein rechtsstaatliches Verfahren in Deutschland zu denken war.

Der rechtsextreme Kampfbegriff der "Siegerjustiz" zielte mit dem Beginn der Prozesse in Nürnberg demgegenüber auf die ideologisch motivierte Verweigerung eines Schuldeingeständnisses ab.

Wobei erstaunlich ist, dass trotz der angeblichen "Siegerjustiz" ein relativ hoher Prozentsatz der Angeklagten durchaus einsahen, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden sind, aber sie – angeblich - weder davon gewußt hätten noch daran beteiligt waren. Es waren immer die anderen die die Ideologie der Vernichtung formuliert haben, Pläne ausgearbeitet haben und sie in praktische Handlungen umgesetzt haben.

Und somit befindet sich der Begriff der „Siegerjustiz“ in enger Nachbarschaft zu anderen Formen der Leugnung einer politischen Verantwortung für die Entfesselung eines Angriffskrieges und den damit zusammenhängenden Vernichtungskrieg und dem Genozid wie der „Holocaustleugnung“.

Es geht bei dem Begriff der „Siegerjustiz“ nach wie vor über die Deutungshoheit und in der Konsequenz um die Leugnung der Verantwortung von Hitler und seinen Handlangern für einen millionenfachen Mord an Deutschen und europäischen Nachbarvölkern.

Insofern ist die Verwendung des Begriffs "Siegerjustiz" nicht identisch mit neutralen Aussage der Rechtsprechung durch den Sieger. Mit der Diskussion des Begriffs der "Siegerjustiz" folgt man einem rechtsextremen Diskurs und sollte dementsprechend sehr vorsichtig in der Beurteilung des Begriffs sein.

Könntest du das bitte verständlicher und etwas ausführlicher nochmal erklären, thanepower ?:)

Die Beantwortung soll aus mehreren Sichten erfolgen.

Ausgangspunkt ist ein Krieg, der in seiner Durchführung so nicht gekannt war, obwohl es teilweise Ähnlichkeiten bereits zum WW1 gab.

Je länger der Krieg dauerte, desto höher wurden die „Kosten“ des Krieges und somit wuchs die emotionale Bewertung des Gegners und somit die Bereitschaft auch über radikale Maßnahmen nachzudenken.

Im Prinzip können zwei realistische und ein unrealistisches Modell vorgestellt werden, nach dem Gewinn der Allierten.

1. Modell: Radikale Justiz: Eine summarische Verurteilung und standrechtliche Exekution von Personen, die als Funktionsträger in dem totalitären Staat tätig gewesen sind.
Vorteil: Rachegelüste werden befriedigt, vor allem in den östlichen Gebieten in der UdSSR oder in Polen
Nachteil: Es kommt kein Frieden zu stande und der Sieger unterscheidet sich in der Wahl seiner Mittel nicht vom besiegten 3. Reich.

2. Modell: Rechtsstaatliche Justiz durch die Sieger: Durchführung von Prozessen auf der Basis westlicher Vorstellungen über die Rolle des Gerichts, der Ankläger und der Verteidiger. Inklusive der Frage der aufwendigen Beweisführung.
Vorteil: Es schafft Rechtssicherheit in dem besiegten Land. Es ist ein rechtsstaatliches Ventil, um den Erwartungen nach Sühne und Gerechtigkeit durch die Opfer zu entsprechen. Und es schafft die Möglichkeit, einen Ausgleich mit dem Teil der Bevölkerung zu erreichen, die keine überzeugten Nazis waren.
Nachteil: Es ist aufwendig, es erforderte einen extrem hohen Koordinationsaufwand innerhalb der Alliierten und führte im Zweifel eher dazu, dass vergleichsweise milde Strafen ausgesprochen worden sind.

3. Modell: Rechtsprechung durch den Besiegten: In Analogie zu den Leipziger Prozessen hätten deutsche Richter – mit ungeklärter Nazivergangenheit – die Straftaten der NS-Angeklagten zu beurteilen gehabt.
Vorteil: Ähnlich wie bei den Leipziger Prozessen hätten Bauernopfer ausgereicht, um Verbrechen zu verurteilen. In Leipzig war der höchste verurteilte Rang ein Hauptmann! Und vermutlich hätten sich die Nazi-Apologeten auch über dieses Verfahren aufgeregt, da sie die grundsätzliche Schuld nicht anerkannt hätten.
Nachteil: Millionenfache Morde wären ungesühnt geblieben und die politische Justiz des NS-Staates hätte sehr deutlich die Rechtsprechung auch nach dem Zusammenbruch dominiert, ähnlich wie in der Weimarer Republik.

Auch wenn die Modelle vereinfacht sind, zeigen sie deutlich, dass es zu dem IMT und seiner Durchführung eigentlich keine praktische politische und juristische Alternative gab.

Durch die Sieger wurde im Sinne einer „Siegerjustiz“ erst wieder rechtsstaatliche Rechtsprechung in Deutschland (West-Zonen) möglich.

Kontinuitäten und Brüche werden am besten bei Neff beschrieben und ich hatte das Beispiel der Entwicklung des Völkerrechts im Rahmen des Völkerbund und im Kontext des Briand-Kellog-Pakts angeführt.

In diesen beiden Entwicklungen manifestierte sich das angloamerikanische Verständnis des Völkerrechts und der kollektiven Ächtung von Angriffskriegen (vgl. beispielsweise Neff für die Darstellung)

Angesichts des Krieges, wie oben ausgeführt, stellte sich dann Churchill im July 1942 die Frage, was passiere würde, wenn Hitler in britische Hände fallen würde und formulierte: „We shall certainly put him to death“ (vgl. Macdonnald, Pos. 98).

Sofern also eine Disruption zu erkennen ist, die Krieg als „normalen Akt“ der außenpolitischen Beziehungen von 2 Ländern traditionell und außerhalb der Vorstellungen der Völkerbunds akzeptiert, liegt bei Churchill der politische !!!! Wille vor, die menschenverachtende Politik eines anderen Politikers zu sanktionieren.

Diese Sicht konkretisierte sich, indem er im July des folgenden Jahres weitere ca. 50 Nazi-Spitzenpolitiker auf eine Liste schreibt, die ebenfalls standrechtlich hätten erschossen werden sollen, anstatt sie einem Gerichtshof zuzuführen. Allerdings verbot die US-Verfassung dieses Vorgehen und somit wurde diese dubiose Form von "politischer Rache" ad acta gelegt.

Gleichzeitig widersprach Churchill einem Plan von Stalin in Teheran im November 1943, willkürlich ca. 50.000 bis 100.000 deutsche Offiziere zu erschießen.

Und auch in den USA wurde die Diskussion geführt wie der millionenfache Mord durch Organisationen des 3. Reichs juristisch in den Griff zu bekommen sei.

Morgenthau war eher pro „summary executions“, während sich Stimson durchsetze, da er deutlich machte, dass ein internationaler Gerichtshof der erste wichtige Schritt sei, das deutsche Volk zu rehabilitieren.

Und vor diesem Hintergrund beauftragte Stimson LtCol Murray Bernay damit, Anklagepunkte zu formulieren, die in Übereinstimmng mit der US Constitution formuliert waren, die eine „ex post facto-Gesetzgebung“ verbot.

Und an diesem Punkt erfolgte eine Umkehrung des kurzfristig wirksamen Rachegedankens in den Gedanken einer rechtsstaatlichen Rechtsprechung, also ca. Ende 1944, die über den Sieg hinauswies und den Weg zur Versöhnung eröffnete.

Heller, Kevin Jon (2011): The Nuremberg Military Tribunals and the origins of international criminal law. Oxford, New York: Oxford University Press.
Heydecker, Joe J.; Leeb, Johannes (Hg.) (2015): Der Nürnberger Prozeß. Köln: Kiepenheuer & Witsch
Macdonald, Alexander (2015): The Nuremberg Trials. The Nazis brought to justice. London: Arcturus Publishing.
Neff, Stephen C. (2014): Justice among nations. A history of international law. Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press.
Schabas, William (2012): Unimaginable atrocities. Justice, politics, and rights at the war crimes tribunals. 1st ed. Oxford: Oxford University Press.
Schabas, William A. (2013): Kein Frieden ohne Gerechtigkeit? Die Rolle der internationalen Strafjustiz. Hamburg: Hamburger Ed.
Taylor, Telford (2001): Die Nürnberger Prozesse. Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht. München: Heyne (Heyne-Sachbuch, 19/390).
Weinke, Annette (2006): Die Nürnberger Prozesse. München: Beck Beck'sche Reihe,

Dokumente zur den Nürnberger Prozessen
Nuremberg - Explore the Nuremberg Trials!
 
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Gerade weil v.d. Lippe als Hilfsverteidiger und v.a. Involvierter die historische Distanz fehlt, ist er in erste Linie als Quelle zu betrachten. Als eine Stimme im zeitgenöss. Meinungschor. Zumal er als Verteidiger per definitionam partei ist!

Lassen wir ihn selber sprechen: "Die vorliegenden Tagebuchnotizen ...wurden nicht als Streitschrift geschrieben. Sie sind niemandem zu Liebe und niemandem zu Leide zu Papier gebracht worden. Es war vielmehr die feste Absicht des Schreibers, die Ereignisse von Nürnberg leidenschaftslos und möglichst objektiv darzustellen....Da der Bericht von einem Mitglied der Verteidigung stammt....ist der Standpunkt für seine Beobachtungen und Gefühle trotz seines schon erwähnten Strebens nach Objektivität der eines Mitgliedes der Verteidigung. Einer Verteidigung jedoch, die nicht beabsichtigt, aus schwarz weiß zu machen, sondern der historischen Wahrheit entsprechend die Grenzen zwischen Schuldigen und Unschuldigen abzustecken.."

Ist es da wirklich ein Manko, daß er Partei ist? Ist nicht jeder Rechtsanwalt Organ der Rechtspflege, durch seinen Eid auf die Verfassung dazu verpflichtet, die Wahrheit zu suchen und notfalls ein Mandat abzulehnen oder aus der Verteidigung auszusteigen, wenn das Wahrheitsgebot verletzt zu werden droht?

Darf ich dennoch aus Respekt vor Ihrer Fachmannschaft, El Quichote, Ihre Ansicht voranstehen lassen?
 
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Lassen wir ihn selber sprechen:
Ja, wenn jemand sagt, dass er ganz objektiv sein will, dann muss das natürlich stimmen... Schreibt natürlich jeder, der ein persuasives Ziel hat: "So, hier meine Streitschrift mit der ich Sie, lieber Leser von meiner eigenwilligen Sichtweise überzeugen will." [/ironie off]

Letztendlich ist diese Einleitung nichts anderes als das, was schon Tacitus vor 1900 Jahren so gemacht hat, als er seinen berühmten Satz sine ira et studio schrieb: ohne Zorn und Eifer wolle er seine Geschichte schreiben, ganz wertneutral (neque amore quisquam et sine odio - von der Lippe zitiert Tacitus geradezu!!!). Sie war, trotz dieser Ankündigung natürlich alles andere als das. Also insofern ist ein solches Selbstzeugnis wenig aussagekräftig und sollte im Ggt. eher zu besonderer Vorsicht gegenüber dem Textzeugnis verleiten.
 
Tacitus: sine ira et studio
Von der Lippe: leidenschaftslos und möglichst objektiv
Tacitus:neque amore quisquam et sine odio
Von der Lippe: niemandem zu Liebe und niemandem zu Leide
 
Kein Bezug auf innere deutsche Staatlichkeit?

Wer wurde denn von den Hauptangeklagten für die Verbrechen gegen die demokratische Opposition, die in den KZ`s getötet wurde, im Rahmen des IMT verantwortlich gemacht und bestraft?

Ich nehme mir mal die Freiheit, anstatt meistens Antworten zu liefern, auch mal zu fragen.Kommt ja irgendwie in Mode. ;)
 
"Und vor diesem Hintergrund beauftragte Stimson LtCol Murray Bernay damit, Anklagepunkte zu formulieren, die in Übereinstimmng mit der US Constitution formuliert waren, die eine „ex post facto-Gesetzgebung“ verbot.

Und an diesem Punkt erfolgte eine Umkehrung des kurzfristig wirksamen Rachegedankens in den Gedanken einer rechtsstaatlichen Rechtsprechung"

Und warum wurde dann, thanepower, der schon in der US - Verfassung von 1776 kodifizierte "nulla poena sine lege" Grundsatz nicht beachtet, den schon die Magna Charta von 1215 enthielt? Eine "ex post facto" - Gesetzgebung gabe es ja ohnehin für das IMT nicht oder etwa doch? Soll ich Ihnen einmal aufzählen, welche grundlegenden strafprozessualen Anforderungen für ein faires Verfahren durch das IMT nicht erfüllt wurden? Vom Abschneiden der Verteidiger von der Außenwelt bis zum Nichtübersetzen fremdsprachigfer Dokumente, der überraschenden Vorlage von Dokumenten, der Nichtvervielfältigung von Unterlagen, dem Verbot von Beweisanträgen in mündlicher Form usw, usw.?
 
Dennoch ist es eine Quelle, keine Literatur. So ist das in der Geschichte nunmal definiert.

Churchills Erinnerungen sind ja auch keine Sekundärliteratur.

Das ist ja auch kein Werturteil, nur eine Einordnung, der die Art des Umgangs mit dem Werk bestimmt. Eine Quelle wird der Quellenkritik unterzogen, während die Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur anhand der Quellen erfolgt.

Wer sich mit Karl dem Großen beschäftigt tut gut daran Einhard als wichtigste Quelle zu lesen. Doch als Einführung taugt das nicht. Johannes Fried sollte der ernsthaft Interessierte als ausführliche Beschreibung und Sekundärliteratur auch zur Kenntnis nehmen. Doch als Einführung ist es zu parteiisch und schon zu tiefgehen. Will man etwas kurzes, bietet sich Becher an. Sonst eher Frieds Weg in die Geschichte.

So wird als Einführung v.d.Lippe nicht so sehr geeignet sein, da es Quelle ist und auch sein Standpunkt der Einordnung bedarf.

Das heißt aber nicht, dass er nicht zur Kenntnis zu nehmen ist.

Edit: Da war ich beim Schreiben eingeschlafen. Jetzt ist der Post nicht mehr ganz so aktuell.
 
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Ja, wenn jemand sagt, dass er ganz objektiv sein will, dann muss das natürlich stimmen... Schreibt natürlich jeder, der ein persuasives Ziel hat: "So, hier meine Streitschrift mit der ich Sie, lieber Leser von meiner eigenwilligen Sichtweise überzeugen will." [/ironie off]

Letztendlich ist diese Einleitung nichts anderes als das, was schon Tacitus vor 1900 Jahren so gemacht hat, als er seinen berühmten Satz sine ira et studio schrieb: ohne Zorn und Eifer wolle er seine Geschichte schreiben, ganz wertneutral (neque amore quisquam et sine odio - von der Lippe zitiert Tacitus geradezu!!!). Sie war, trotz dieser Ankündigung natürlich alles andere als das. Also insofern ist ein solches Selbstzeugnis wenig aussagekräftig und sollte im Ggt. eher zu besonderer Vorsicht gegenüber dem Textzeugnis verleiten.

Darf ich dann, El Quichote, um einen Nachweis bitten, an welcher Stelle und mit welcher Aussage von der Lippe gegen seine voluntas verstößt und sich auf Tacitus Ebene begibt?
 
Das weiß ich nicht. Ich habe v.d. Lippe weder gelesen noch behauptet ihn gelesen zu haben. Dir wird vielleicht auch aufgefallen sein, dass ich mich zu den Kriegsverbrecherprozessen inhaltlich gar nicht geäußert habe sondern lediglich zur Einschätzung dessen, was Quellen sind und was Literatur ist.

Als Verteidiger und Involvierter hatte von der Lippe ein Interesse an der Deutungshoheit. Ihn naiv als Einführung in die Thematik zu empfehlen ist daher schon recht erstaunlich, zumal man als Jurist/in doch einen gewissen Einblick in (narrative) Strategien haben sollte. Dass v.d. Lippe seine Einleitung dann auch noch offenbar an Tacitus orientiert (er zuguttenbergte ja beinahe schon dessen Vorwort) - und jeder weiß, dass Tacitus keinen Augenblick daran dachte, sich an sein sine ira et studio zu halten - ist doch recht frappierend.
 
Wer wurde denn von den Hauptangeklagten für die Verbrechen gegen die demokratische Opposition, die in den KZ`s getötet wurde, im Rahmen des IMT verantwortlich gemacht und bestraft?

Ich nehme mir mal die Freiheit, anstatt meistens Antworten zu liefern, auch mal zu fragen.Kommt ja irgendwie in Mode. ;)

Gegenfrage, thanepower: Wissen Sie nicht, daß zeitlich nach der Befragung der Angeklagten, darunter Görings,ob sie sich "schuldig" oder "nichtschuldig" bekennen, die Anklageeinführungsrede des US - Hauptanklägers Jackson erfolgte, aus der ich zitierte? Wurde nicht Göring auch beschuldigt und verurteilt, weil er in seiner Funktion niedergeknüppelt und zum Schweigen gebracht hatte? Müssen Sie nicht das Gesamtverfahren mit dem Gesamtvortrag beachten? Das ist aber jetzt ein rein juristischer Gesichtspunkt, nicht wahr?
 
Das weiß ich nicht. Ich habe v.d. Lippe weder gelesen noch behauptet ihn gelesen zu haben. Dir wird vielleicht auch aufgefallen sein, dass ich mich zu den Kriegsverbrecherprozessen inhaltlich gar nicht geäußert habe sondern lediglich zur Einschätzung dessen, was Quellen sind und was Literatur ist.

Als Verteidiger und Involvierter hatte von der Lippe ein Interesse an der Deutungshoheit. Ihn naiv als Einführung in die Thematik zu empfehlen ist daher schon recht erstaunlich, zumal man als Jurist/in doch einen gewissen Einblick in (narrative) Strategien haben sollte. Dass v.d. Lippe seine Einleitung dann auch noch offenbar an Tacitus orientiert (er zuguttenbergte ja beinahe schon dessen Vorwort) - und jeder weiß, dass Tacitus keinen Augenblick daran dachte, sich an sein sine ira et studio zu halten - ist doch recht frappierend.

War meine Einlassung zum besten Einstieg in die Materie nicht letztlich an Miame gerichtet, El Quichote, und zugleich eben eine Empfehlung aus meiner Sicht als Nichthistoriker? Warum soll der Diskurs nicht zum Ergebnis haben, daß meine Empfehlung für Miame untauglich ist? Sollte das Ergebnis von vorneherein feststehen müssen, könnten wir uns dann nicht jeden Diskurs ersparen? Darf ich nicht davon ausgehen, daß Sie und Ihre Kollegen sowie die altgedienten Nutzer hier jeden Unsinn qualifiziert abweisen?
 
Historiker und Juristen sind sich eigentlich recht ähnlich. Sie versuchen, den Wahrheitsgehalt ihrer "Zeugenaussagen" zu ermitteln. Insofern ist ein gewisses Naiv-Tun bzgl. des Quellenwerts einer (ja eigentlich, wenn man die Nebendiskussiom zum ersten Weltkrieg miteinbezieht mehrerer) Quelle(n) auch für einen historisch völlig unbeleckten Juristen (generisches Maskulin) erstaunlich. Klar, nicht jeder Jurist ist im Strafrecht tätig, aber ein gewisse Vertrautheit mit allen Formen Wahrheitsbeugung sollte man doch bei Juristen unterstellen können, oder? Insofern könnte man sogar unterstellen (nicht, dass ich das tue), dass die Empfehlung parteischer Quellen als Einführungsliteratur ganz andere Ziele als die der Schülerhilfe verfolgt.
 
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Wurde nicht Göring auch beschuldigt und verurteilt, weil er in seiner Funktion niedergeknüppelt und zum Schweigen gebracht hatte?

Der Aspekt wurde von dir in das Gespräch gebracht. Ich stelle also fest, meine Frage wurde nicht beantwortet.

Soll ich Ihnen einmal aufzählen, welche grundlegenden strafprozessualen Anforderungen für ein faires Verfahren durch das IMT nicht erfüllt wurden?

Ja bitte gerne, wenn es geht für die Verfahren gegen die Hauptverantwortlichen und natürlich auch im Rahmen der NMT Verfahren, die ähnlich wichtig waren. Und möglichst mit einer kritischen Einschätzung der Quelle.

Unabhängig davon ist es für die Diskussion schon erstaunlich wie unhistorisch argumentiert wird. Und verweise auf die Handlungsoptionen der historischen Akteure schlichtweg ignoriert werden.

Und es wird so getan, als wenn die historische Situation im Rahmen der Nürnberger Prozesse auch beliebig im Jahr 1995 hätte stattfinden können. Wenn so ein Hinweis kommt, ob man aufzählen will, welche grundlegenden strafprozessualen Anforderungen für ein faires Verfahren verletzt wurden.

Es mag ja Defizite gegeben haben, das ist jedoch absolut geringfügig im Vergleich zu dem als viel höher einzuschätzenden Gut, dass überhaupt der Versuch einer rechtsstaatlichen Rechtsprechung gemacht wurde, wie dargestellt.

Und da wirkt der Vorschlag, man hätte doch nach deutschem - also nach nationalsozialitisch definierten Rechtsnormen - Recht sprechen sollen, leicht befremdlich.

Gerade deswegen ist sie die einzig denkbare Kategorie. Es war das "Internationale Militärtribunal" ./. Göring und andere und somit ein Spruchorgan der Alliierten, das nach Sonderrecht, nicht nach dem damals geltenden deutschen Recht entschied, was möglicherweise alle späteren Diskussionen um die Unrechtmäßigkeit der Urteile entbehrlich gemacht hätte.

Wobei man festhalten sollte, dass dieser Gerichtshof und sein Prozedere eine Novität war und für lange Zeit auch eine Ausnahmestellung behalten sollte.
 
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Wir haben uns damals in der Schule durchaus mit v.d.Lippe beschäftigt. Allerdings ging es bei dem Auszug im Deutschunterricht darum, herauszuarbeiten, dass er nicht unparteiisch ist.

Dennoch denke ich, dass er deshalb wichtig für did Threaderstellerin ist, da sie durch ihn eine verständliche Quelle für eine andere Auffassung hat.

Habt Ihr ihr schon eine Einführung genannt, die für Schüler brauchbar ist? Definitionen und Ansichten, die Juristen und Historiker nach dem Studium verinnerlicht haben, sind als Voraussetzung nicht hilfreich, da sie in der Schule kein Thema sind.

Daher redete ich auch unreflektiert von der Schuldzuweisung im Versailler Vertrag. Oder besser ausgedrückt: Da habe ich die Alltagssprache genutzt, weil die Fragestellerin als Schülerin nicht wissenschaftlich geschult ist. Daher bleibt der Hinweis darauf, dass es damals die Meinung gab, dass einige bestraft werden müssen, dies aber nicht durchgesetzt werden könnte, durchaus wichtig für die Ausgangsfrage. Nach dem 2. Weltkrieg schien es größeres Unrecht zu sein, untätig zu bleiben, als einige Rechtsgrundsätze zu brechen. Und wie bei allem Neuen gab es Fehler.

Das ist nicht aus der juristischen Warte formuliert. Die Rechtswissenschaft war überfordert, bot keine praktikable Lösung. Auch aus philosophischer Sicht war es ein kleiner Skandal. Da erklärten einige ihre Sicht zum Dreh- und Angelpunkt des Handelns. Bisher hatten alle damit leben können, dass die jeweilige Seite verhinderte, dass ihre Leute vor Gericht kamen. Hier sah man einseitig eine neue Qualität. Was bis heute die vorherrschende Meinung ist. Genauso ist es falsch, dass Alliierte Verbrechen bis heute nicht geahndet werden. Da haben wir dann den Fortschritt zum Internationalen Gerichtshof.

Ich habe es immer als eine Lösung betrachtet, wie sie für das HRR typisch war: Etwas, was das Problem nicht wirklich löste, aber praktikabel und für die Mächtigen zustimmungsfähig war. Von der Warte reiner Lehre war es aber auch etwas, dass falsch und unpassend erscheint und was der Zukunft oft noch ganz eigene Probleme bereitete. Besonders von Amerikanischer Seite ist letzteres im Nachhinein mehr als einmal geäußert worden.

Miame, lass Dich hier nicht abschrecken. Wenn die Diskussion zu sehr abweicht, stell einfach eine Frage. Auch, wenn es zu kompliziert werden sollte.

Und wenn es hier ruppig zugeht, denk einfach an einige zivilisierte Gelehrte, die doch über die Diskussion ihrer Theorien in eine Schlägerei geraten. Altehrwürdige Tradition in Europa, die die Gelehrten mitunter wie in einer Karikatur erscheinen lässt. Passiert hier im Forum den meißten ab und an.
 
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