Hallo Grafvogel, ich habe damals auf die Frage - zugegeben oberflächlich - geantwortet, keine leichte Frage, die im übrigen zu einer Zeit gestellt wurde, als das Forum anderen, heißeren Themen seine Aufmerksamkeit widmete (nicht mal mein Freund, Habsburgs Schwert und Schild Rovere, hatte die Muße, etwas dazu zu sagen) ...
Gut: Schnitzler, Hoffmansthal und viele, viele mehr! - wie Egon Friedell, Eugen Roth, Anton Wildgans, F. K. Ginzkey ... oder Karl Kraus und die ganze Kaffeehausliteratenriege mit Peter Altenberg, Anton Kuh, Roda Roda etcetera etcetera - ich hätte sie nicht vergessen im Reigen der Österreich-Sänger Ende der Monarchie und Anfang unserer ersten Republik. Nur, darum ging es nicht.
Adalbert Stifter, den du anführst, aus dessen Heimat ich stamme, bezeichnete sich selbst als einen "deutschen Dichter" nur pro forma, vornehmlich sah er sich, wie auch ein Rosegger (Steiermark), Nestroy (sic) und Raimund (Wien) oder, um die auf deutsch schreibenden Prager nicht zu vergessen - Franz Kafka, Max Brod als Bekannteste - als regionaler Dichter, als Erzähler in einer, wie ich meine, typ. österr. Trichtersicht- und weise. Ihrem Werk ging es dann auch so: bekannt war es nur in nächster Nähe zum Mundstück, im weiten Kreisrund der Monarchie verlor es sich nur dort- und dahin. Ihr weiträumiger Ruhm begann erst mit Schulunterricht und dem Export der "sich ihrer selbst nun sicher gewordenen 2. Republik".
Ganz anders war es da schon mit der Riege der Literaten, als die Monarchie zerbrochen war und sich ein Überhang an regen Geistern im Wasserkopf Wien (1919 über 2 Mio Einwohner) wiederfand. Die mussten in die weite deutschsprachige Welt hinaustönen, um gehört und berühmt zu werden. Der geistig-literarische Austausch Wien-Berlin begann in der 1. Republik zu blühen (Logik des Marktes, aber auch des Selbstverständnisses, Teil des deutschen Kulturraumes zu sein). Die Österreicher beteiligten sich, wie ich meine, vornehmlich mit rückwertsgewandten Reminiszenzen und -zweifellos recht schönen - Abgesängen auf die vergangene Glorie der Monarchie... (nur Wildgans und Zweig sehe ich als herausragendste Verfechter der zwar kleineren, aber neuen österreichischen Chance)
Nur hat dies alles nichts mit der Frage zu tun. Welche Literatur trug zum Auseinanderbrechen des Vielvölkerstaates von Innen bei?
Ich versuchs nochmal: Auf Grund der nicht unstrengen Zensur des Habsburgerstaates sehe ich die zündenen Funken zum einen von außen hereingetragen: unmittelbar für die irredentistischen Nationalisten fallen mir spontan Gabriele d'Annuncio für die Italiener, Erminescu für die Rumänen ein. Die dem südslawischen Nationalismus Zuströmenden lasen von Puschkin an allerlei Russen, wie ich mir vorstellen könnte, ich weiß darüber zu wenig bescheid.
Wenn auch ironisch verbrämt, so doch eindeutig, entwickelten - von Innen - vor allem die Tschechen ihre Literatur der künftigen! Eigenständigkeit, bei Jaroslav Hasek wunderbar nachzulesen, nach außen hin ironisch, "sich dumm stellend", und im eigentlichen Sinne aufbegehrend, verweigernd und (wie Hasek selbst sich auch sah) revolutionär. Er und viele andere Tschechen (in der Musik Smetana) haben vorbreitet, was dann kurz vor Kriegsende schnell organisiert war: ganze Züge wurden von tschech. Truppenteilen requiriert und waffenstarrend fuhren die widerwilligen, einstigen Soldaten Österreich-Ungarns vom Isonzo zurück in ihre neue Republik.
Stichwort Ungarn: die hatten immer ihre nationalistische Literatur, was der ungarischen Reichshälfte beim Zerfall auch entsprechend radikal durch die nicht-magyarischen Ethnien entgegenschlug.
Und das österreichische Polen las Adam Mickiewicz, für die Ruthenen schrieb Sevcenko.
Und Stifter, Grillparzer, Rosegger waren nicht zuletzt auch eine Absicherung der deutschsprachigen Österreicher, wohin sie sich zugehörig fühlen konnten, falls denn die Donau-Monarchie einmal in Pressburg enden würde.
Also zogen auch diese die Grenzen zu den anderen Völkern im Reich.
Ich hab das mal wo (auch immer) gelesen: für einen Österreicher (einen österreichisch sprechenden) war jeder ein Ausländer, der nicht seine Sprache sprach, wurscht, ob über diesem der Doppeladler wehte oder nicht.
Sevcenko:
http://viadrina.euv-frankfurt-o.de/~wsgn1/sevcenko.html
Mickievicz:
http://de.wikipedia.org/wiki/Adam_Mickiewicz