Rechtsgeschichte: Rechtswissenschaft brach "wohlerworbene Rechte"?!?

El Quijote

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In Dtld. wird erst 1848 der Anschluss an die [...] Entwicklung der Grundrechte in der westlichen Welt errreicht. [...] Die Forderungen politischer Freiheit von 1848 ist erst in der Revolution von 1918 voll zum Durchbruch gekommen; [...]
Die sonstigen Grundrechtsgewährleistungen im Dtld. des 19. Jhdts. sind von anderer Qualität. Verfassungen süddeutscher Staaten enthielten während des ersten Drittels des 19. Jhdts. Garantien staatsbürgerlicher Rechte - von Grundrechten war nirgends die Rede. [...]
Damit waren keine dem Staat vorausliegenden Grundrechte, sondern lediglich Rechte der Untertanen verbürgt. [...] Die genannten Rechte waren eingebettet in die konstitutionelle Monarchie. Die Verfassungen waren von den Monarchen oktroyiert oder mit den (ständischen) Vertretungsorganen vereinbart. Die Staatsgewalt war nicht durch das Volk legitimiert, sondern durch den Monarchen von Gottes Gnaden. [...]
Dabei passte sich die Monarchie an die wirtschaftlichen Bedürfnisse des Bürgertums an. Auch in Dtld. ging es zu dieser Zeit um die Auflösung der ständischen Lebensordnungen zu Gunsten rechtlicher Gleichstellung und Emanzipation, um die Ablösung des ständisch gebundenen Rechts durch ein allgemeines; Rechtsgleichheit und Erwerbsfreiheit verwirklichendes bürgerliches Recht. Dieser Prozess war aber in Dtld. nicht das Werk einer Revolution, sondern das Ergebnis monarchischer Reformen. Die Rechtswissenschaft hatte daran einen gewissen Anteil, indem sie z.B. die "wohlerworbenen Rechte" durch Überführung in das bürgerliche Eigentum brach.
So weit Bodo Pieroth und Bernhard Schlink in Grundrechte. Staatsrecht II. Hamburg 2011, S. 8 f.
Über einzelne Dinge kann man sicherlich streiten, ob man die so sehen muss, aber darum geht es mir hier nicht. Ich habe Probleme, den letzten Satz in seiner Bedeutung zu erfassen. Wer kann helfen? Was soll das heißen, dass die Rechtswissenschaft die "wohlerworbenen Rechte" durch Überführung in das bürgerliche Eigentum brach?
Ist damit die Aufhebung des Standesrechts (mit Gilde- bzw. und Zunftrecht etc. gemeint)?
 
Schau mal hier, Rechtschutz gegen die Obrigkeit:
Machtsprüche: das herrscherliche Gestaltungsrecht "ex plenitudine potestatis ... - Holger Erwin - Google Books

Ich versuche mal den Erklärungsansatz mit dieser Hilfe:
"Als Vorläufer der subjektiven öffentlichen Rechte mag man die sog. wohlerworbenen Rechte (iura quaesita) bezeichnen, deren (allerdings wenig effektiver) Schutz gegenüber den jeweiligen Landesherrn schon lange vor der Entstehung der Verwaltungsgerichtsbarkeit anerkannt war. Seit dem 15. Jahrhundert war hierfür vor allem das Reichskammergericht zuständig, das – wenn auch in vergleichsweise engen Grenzen – über Maßnahmen von Landesherrn urteilen konnte, mit denen in wohlerworbene Rechte eingegriffen worden war. Der Begriff der wohlerworbenen Rechte lässt sich – mit einigen Abstrichen – mit dem später geläufigen Begriffspaar „Freiheit und Eigentum“ vergleichen."
Ramsauer: Die Dogmatik der subjektiven öffentlichen Rechte, JuS 2012, S. 769.

Damit geht es im Kern um Bestandsschutz durch "wohlerworbene Rechte", um deren Einschränkung und Begrenzung, bzw. dessen Durchbrechung in Bezug auf Veränderungen, die sich aus einem (neuen, bürgerlichen) Eigentumsbegriff ergeben, also neu entstehende Abwehrrechte, Teilhaberechte, sowie die neue Totalität des (bürgerlichen) Eigentumsbegriffs. Das ist also umfassend für viele Rechtsgebiete zu verstehen, die Durchbrechung durch einen neuen bürgerlichen Eigentumsbegriff ist für iura quaesita nur ein Beispiel.
 
@ElQ

silesia hat m.E. den richtigen Erklärungsansatz angeführt. Es geht um "wohlerworbene Rechte" <=> "Gleichheitsgrundsatz" im bürgerlichem Recht.

Du hast "brach" besonders in dem Zitat hervorgehoben.

"...Dieser Prozess war aber in Dtld. nicht das Werk einer Revolution, sondern das Ergebnis monarchischer Reformen. Die Rechtswissenschaft hatte daran einen gewissen Anteil, indem sie z.B. die "wohlerworbenen Rechte"..."

Dieses Zitat ist m.E. interpretationsbedürftig.

Selbstverständlich gab es im 19. Jh. monarchische Reformen, aber auch revolutionäre, die "wohlerworbene Rechte" durch bürgerliche Rechte ersetzte.

Die letzten dieser "wohlerworbenen Rechte" fielen in der Verfassung der WR.

Z.B.:
standesherrschaftliche Rechte (als Ergebnis von Mediatisierungen vor 1815)
Fideikommiß

Gilde- und Zunftrechte wären Subsumierbar, wie Du schriebst.

M.
 
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