Rechtsgeschichte: Was ist ein "Staatsschiff"?

Oder hatte die Deklarierung einen wirtschaftlichen Grund, um z.B. den Bau von Einheitshandelsschiffen zu planen. Soweit ich weiß, war ja die USA wirtschaftlich und vor allem im Bezug auf die Handelsmarine 1914/16 nicht auf einen Krieg vorbereitet.

Irgendwer mußte die gigantischen Bauprogramme bezahlen. Ich vermute, darin liegt der Hintergrund für das staatliche Engagement. Bei den privaten Reedereien konnte man die Neubauten wohl kaum unterbringen.
 
Dazu eine Ergänzung: die Qualifizierung von Staatsschiffen als rechtliches Problem bezieht sich auch auf "Kriegsschiffe", und tritt bereits in den absolutistischen Staaten auf. Der Begriff der Staatsflotte betrifft hier die Unterscheidung zwischen dem "Privateigentum" (des Königs etc.) und dem Staatseigentum.

Hintergrund: Privateigentum wurde als pfändbar angesehen, das Staatseigentum nicht. Die ältere Auffassung sah Kriegsschiffe als "Privateigentum" des Monarchen an.

Die Grundsatzentscheidung, auf die dann später verwiesen wurde, betraf das Jahr 1668: es wurden 3 spanische Kriegsschiffe wegen Privatschulden des spanischen Königs gepfändet. Die Generalstaaten (Niederlande) erklärten die Pfändung für unzulässig, bezogen sich auf die Eigenschaft als Staatsschiffe und verfügten die Freigabe der Schiffe. Bynkershoek vertrat 1721 die Gegenmeinung und erläuterte den Fall, worauf sich die angelsächsische Praxis in der Folge bei Beschlagnahmungen bezog.

Die angelsächsische Rechtssprechung hatte dann den "Exchange"-Fall 1810 als leading case, eine von Napoleon verfügte frühere Beschlagnahme. Als das Schiff unter "Balaou" nach Philadelphia einfuhr, wurde gerichtliche die Herausgabe des Schiffes gegen den frz. Staat eingeklagt. Der supreme court wies die Klage schließlich unter dem Hinweis auf Staatsschiffseigenschaft ab. Nicht entscheidend war das Eigentum (das blieb offen), sondern die "Eigenschaft" des Schiffes, hier das Fahren als "Kriegsschiff".
Zunächst einmal möchte ich mich bei Dir für diesen Beitrag bedanken mit dem Du meinen Beitrag #8 ergänzt hast.

Ich hatte ja geschrieben, dass der ursprünglichen Begriff des Staatsschiffes an die Eigentumsverhältnisse anknüpfte. Das hing mit den zivilrechtlichen Fragestellungen zusammen, die beim Staatsschiff Probleme bereiteten: Schiffseigentümer hatten Schulden, Schiffe hatten Verkehrsunfälle und versursachten Schäden, etc. Konnte auf die Schiffe als Haftungsmasse zurückgegriffen werden?

Du hast in Deinem Beitrag auf die Entscheidung des USSC im
Exchange-Fall
aus dem Jahr 1812 hingewiesen. Ich würde diesen Fall nicht in eine anders geartete angelsächsische Rechtsvorstellung einordnen. Es war vielmehr so, dass sich zeigte, dass der Rückgriff auf den traditionellen Staatsschiffbegriff bei diesem Fall nicht weiter half. Man muss sich das mal aus der Sicht der amerikanischen Kläger klar machen: das ihnen gehörende Schiff wurde von Napoleon I. offensichtlich völkerrechtswidrig eingezogen und tauchte später in einem US-Hafen wieder auf. Die Eigentumsverhältnisse sprachen für den geltend gemachten Herausgabeanspruch. Und dann entschied der USSC, dass der Anspruch auf Herausgabe wegen der Zweckbestimmung dieses Schiffes als französisches Staatsschiff in den USA nicht einklagbar sei: "But in all respects different is the situation of a public armed ship. She constitutes a part of the military force of her nation; acts under the immediate and direct command of the sovereign; is employed by him in national objects. He has many and powerful motives for preventing those objects from being defeated by the interference of a foreign state. Such interference cannot take place without affecting his power and his dignity." Hier baute sich eine zweite Argumentationslinie auf: Staatsschiffe sind (auch) Schiffe, die dem Staat dienen.

Mit dieser "neuen Sicht" war allerdings die alte Definition des Staatsschiffes als Schiff das im Eigentum des Staates steht noch längst nicht tot. Dieser Begriff war im 19. Jh. immer noch vorherrschend, vor allem in der Rechtsprechung. Noch in seinem Urteil vom 12.10.1921 entschied das Reichsgericht im ICE-KING-Fall (RGZ 103, 274), dass Staatsschiffe Schiffe seien, die im Eigentum des Staates stehen und deshalb sei auch der amerikanische Handelsdampfer ICE-KING ein Staatsschiff sei, weshalb die Klage auf Arrestierung dieses Schiffes abzuweisen sei.

Die völkerrechtliche Debatte über den Staatsschiffsbegriff im 19. Jh. ist also zwischen dem Exchange-Fall 1812 (Aufkommen einer neuen Vorstellung vom Staatsschiff: Staatsschiff aufgrund Widmung, Zweckbestimmung) und dem ICE-KING-Fall 1921 zu sehen (wonach Staatshandelsschiffe Staatsschiffe sind und Immunität genießen). Häufig liefen beide begrifflichen Vorstellungen problemlos nebeneinander. In den allermeisten Fällen standen ja auch die Schiffe, mit denen staatliche Aufgaben verfolgt wurden, im Eigentum des Staates.


In der Völkerrechtsliteratur setzte sich die Auffassung durch, dass sich aus der Bestimmung eines Schiffes für staatliche Zwecke seine Eigenschaft als Staatsschiff ergeben würde. Allerdings war man sich nicht einig über die erforderliche Bestimmung.
  • Für Ferguson schien jede Verwendung in einem beliebigen Dienst des Staates ausreichen (also auch Handelsschiffahrt für Staat).
  • Fauchille stellte auf die Verwendung für einen "öffentlichen Dienst", einen "Akt öffentlicher Gewalt" ab durch die staatliche Hoheitsgewalt repräsentiert wurde (Postschiffe wären dann keine Staatsschiffe gewesen).
  • Andere stellten auf Schiffe ab, die unter Führung von Staatsorganen mit staatlichen Aufgaben betraut sind mit Ausnahme von Kriegsschiffen (!), obgleich auf diese diese Definition am sichersten zutrifft.
Die angerissene Diskussion muss man sich vor dem Hintergrund vorstellen, dass gleichzeitig Völkerrechtler in der Zweiteilung von Staatsschiffen und Privatschiffen die Möglichkeit sahen, das Seekriegsvölkerrecht neu zu ordnen: kein Schutz für die Staatsschiffe (was immer das auch sei), nur Schutz für die Privatschiffe. Die Idee klang einfach, doch das Problem war, dass man nicht klären konnte, was das (angreifbare) Staatsschiff eigentlich sein sollte:
  • Stellte man auf den Eigentumsbegriff ab, würde das unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Kriegsschiff mit Nichtzahlung einer Rate zum geschützten Privatschiff werden und das umgekehrte Schicksal drohte dem bei einer Staatswerft gekauften Privatschiff zu ereilen.
  • Stellte man jedoch auf die Bestimmung des Staatsschiffes ab, um das schutzlose Zielobjekt militärischer Angriffe zu definieren, benötigte man den Begriff des Staatsschiffes nicht. Hier war es am einfachsten das Kriegsschiff funktional zu bestimmen, was dann auch mit dem Haager Umwandlungsabkommen 1907 geschah: Eingliederung in die Kriegsflotte, Tragen der äusseren Abzeichen der Kriegsschiffe, Eingliederung des Befehslhabers in die Seestreitkräfte, militärische Disziplin der Mannschaft.
Nachdem im Haager Umwandlungsabkommen 1907 die Kriterien für das Kriegsschiff gefunden waren, war die Luft aus der kriegsrechtlichen Staatsschiffsdebatte raus. Das Staatsschiff genoss grundsätzlich Schutz wie das Handelsschiff. Warum sollte auch ein staatliches Handelsschiff weniger schützenswert sein als ein privates Handelsschiff?

Die international-privat-rechtliche Debatte über die Immunität von Staatsschiffen ging freilich weiter. Warum sollte ein Staatshandelsdampfer bei Unfällen nicht genauso haftbar gemacht werden können wie ein privater Handelsdampfer?
Eine Reihe von Staaten hat die Gerichtsbarkeit über die nichthoheitliche Tätigkeit anderer Staaten (acta jure gestionis) schon ab Ende des 19. Jh. bejaht (Italien), die Schweiz z.B. ab 1918. In dieser Debatte wurden freilich die Staatsschiffe mit eindeutiger hoheitlicher Tätigkeit (Kriegsschiffe und Staatsschiffe im ausschließlich öffentlichen Dienst) ausgespart, vgl. Art. 11 des [FONT=TimesNewRoman,Bold]Internationalen Übereinkommens zur einheitlichen Feststellung einzelner Regeln über den Zusammenstoss von Schiffen[/FONT] 1910 und sollte in dem
Brüsseler Abkommen zur einheitlichen Feststellung einzelner Regeln über die Immunität der staatlichen Schiffe
vom 10.04.1926 seinen Abschluss finden (das Abkommen trat nicht in Kraft).
walter schrieb:
Schiffe werden in der Regel nach Verwendungszweck klassifiziert oder bezeichnet.

So gibt es Kriegsschiffe oder Handelschiffe als große Oberklassifzierung.

Doch eine Klassifizierung nach den Besitzverhältnis des Schiffes erscheint wenig sinnvoll, sagt sie doch nichts über das Schiff aus.
Das schreibt sich so einfach. Aber die Geschichte zeigt, dass sich die Vorstellungen über das was "zweckmäßig" ist, aber auch das, was "gerecht" ist, im Laufe der Zeit wandeln können. Ich hoffe, dass ich die Entwicklung verdeutlichen konnte und wünsche allseits guten Rutsch ins neue Jahr!
 
Zuletzt bearbeitet:
Gast schrieb:
neulich habe ich einem Aufsatz (weiß nicht mehr wo) über die päpstliche Flotte gelesen. Marschall Pétain scheint Papst Pius XII. während des 2. WK gebeten zu haben, eine vatikanische Flotte einzurichten, mit der Lebensmittel und Medikamente aus Amerika nach Europa gebracht werden sollten.
Interessant wäre es, das "Staatsschiff" nun mit der eigentlichen Fragestellung des Gastes in Verbindung zu bringen. Die Achsenmächte hatten die Herrschaft auf dem Land, zur See war ihre Macht eng begrenzt.

Um welche Zeit dürfte es sich handeln?
Da wir hier von Pétain schreiben, kommt für die Betrachtung nur die Zeit vom Sommer 1940 bis November 1942 in Betracht. Dieser Zeitabschnitt gliedert sich in die Phase vor und in die Phase nach dem Kriegseintritt der USA. Ab Dezember 1941 unterstelle ich, dass die USA zu Lebensmittel-Lieferungen für Kontinentaleuropa nicht mehr bereit war.

Lebensmittel wurden im 2. Weltkrieg als Konterbande betrachtet. Welche Macht und/oder Koalition hatte jedoch die Möglichkeit europäische Lebensmitteleinfuhren zu blockieren?
Das Vereinigte Königreich (unter Mitwirkung seiner verbliebenen Verbündeten) hatte die Seeherrschaft auf dem Atlantik und Teile des Mittelmeeres.

Es dürfte also eine Idee von Pétain in in der Zeit zwischen dem Herbst 1940 und dem Herbst 1941 gegeben haben, Lebensmittel nach Europa aus dem USA zu importieren. Weshalb wurde hierzu der Vatikan gebraucht?

Nach dem Seerecht darf ein neutrales Handelsschiff nicht in internationalen Gewässern durch das Kriegsschiff einer kriegsführenden Macht auf Konterbande kontrolliert werden, wenn das neutrale Handelsschiff im Geleit eines Kriegsschiffes seines Flaggenstaates fährt.
Wie verhält es sich jedoch bei einem Staatsschiff? Der Vatikan hat die Schweizer Garde. Eine päpstliche Kriegsflotte dürfte es im 20. Jahrhundert nciht gegeben haben. Konnte ein Staatsschiff (jedoch kein Kriegsschiff) des Vatikanstaates dann Lebensmittel von Amerika nach Europa transportieren ohne von der Royal Navy wegen der Konterbande aufgebracht zu werden?

Für wen waren diese Lebensmittel dann wohl bestimmt? Dass sich Pétain Gedanken um die Bewohner Griechenlands oder Finnlands machte, kann ich mir nicht vorstellen. Bleiben für mich eigentlich nur Lebensmittelimporte für das Pétain-Frankreich oder die besetzten Gebiete Nordfrankreichs.
:grübel:
 
Bei dem Begriff Staatsschiff fällt mir spontan die Altmark-Affäre ein. Die Altmark war nämlich ein Staatsschiff. Dieser Begriff bedingt im 2. Weltkrieg nämlich zwei Voraussetzungen:

1. Eigentümer des Fahrzeuges ist der jeweilige Flaggenstaat (im Gegensatz zum Handelsschiff im Privateigentum)

2. Besatzung des Fahrzeuges ist Zivilpersonal (im Gegensatz zum Kriegsschiff, dessen Kommandant in der jeweiligen Marineoffiziers-Liste aufgeführt sein muss, anderenfalls handelt es sich nach der Haager Seekriegsordnung unter Umständen um ein Piratenschiff)

In der Altmark-Affäre kam es aus dieser Konstellation zu der unterschiedlichen Interpretation von Norwegern und Briten. Soweit mir bekannt ist, kennt die Haager Seekriegsordnung das Staatsschiff nicht. Die Skandinavier betrachteten das Staatsschiff daher identisch einem Handelsschiff, mit entsprechenden Rechten. Die Briten wiederum betrachteten das Staatsschiff im Sinne der Haager Seekriegsordnung als Kriegsschiff. Deshalb hätte nach britischer Sicht die Altmark entweder in Norwegen interniert oder aus den norwegischen Gewässern verwiesen werden müssen.

Altmark (Schiff) – Wikipedia
Hierzu folgendes:

Die Briten bewerteten die Altmark als Kriegsschiff. Sie meinten, die Altmark habe sich in einem norwegischen Hafen länger als 24 Stunden aufgehalten, die Norweger hätten das Schiff dort gründlich durchsuchen und die britischen Kriegsgefangenen befreien müssen. Dies war nicht geschehen. Deshalb, meinten die Briten, Norwegen habe ihnen gegenüber seine Neutralitätspflichten verletzt. Infolgedessen sahen sich die Briten berechtigt, die Altmark durch eigene Kriegsschiffe in norwegischem Küstengewässer aufbringen zu dürfen. Über das angebliche neutralitätswidrige Verhalten der Norweger beschwerten sie sich dann auch noch in Oslo.

Die Auffassung der Briten beruhte jedoch auf dem Irrtum, die Altmark habe sich in einem norwegischen Hafen (länger als 24 Stunden) aufgehalten. Tatächlich durchfuhr die Altmark lediglich das norwegische Küstengewässer. Das wiederum durfte Norwegen einem Kriegsschiff nach Art. 10 des Haager Abkommens über das Seeneutralitätsrecht (1907) erlauben, ohne sich hierdurch gegenüber GB neutralitätswidrig verhalten zu haben. Die Briten waren also schon im Rahmen des von ihnen gewählten Argumentationsmusters nicht berechtigt gewesen, die Altmark im norwegischen Gewässern zu entern.

Beurteit man die Rechtslage bei Bewertung der Altmark als Staatsschiff hängt die Rechtmäßigkeit der Durchfahrt der Altmark davon ab, ob Norwegen die Durchfahrt von Kriegsgefangenentransporten gestattet hatte. Hierzu müsste man die Verlautbarungen der Norweger zum Schiffsverkehr durch Kriegsbeteiligte kennen (ich kenne diese nicht). Aber auch in diesem Fall wäre wohl nur Norwegen berechtigt gewesen, die Altmark anzuhalten und die Kriegsgefangenen zu befreien.
 
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