Reichspräsident in der Weimarer Republik (Notverordnungen)

P

Phantimon

Gast
Hallo

Gestern im Geschichtsunterricht ist eine Frage aufgekommen die niemand wirklich beantworten könnte. Und zwar ging es darum, dass der Reichspräsident ja auf der einen Seite das Recht hatte den Reichstag aufzulösen und auf der anderen Seite Notverordnungen zu erlassen.
War es dem Reichspräsidenten möglich, Notverordnungen zu erlassen selbst wenn diese dem Reichstag "nicht gepasst" hätten in dem er den Reichstag einfach kurzfristig aufgelöst hätte? Oder wurde das durch eine dritten Instanz geregelt bzw. waren die Notverordnungen einfach automatisch durch Auflösung des Reichstages außer Kraft gesetzt?
 
Aus einem anderen Thread, weil Suchen offensichtlich zu schwer ist. Noch ein paar Informationen zur "Weimarer Verfassung" als Einstieg, um den Kontext der Entwicklung nach 1929 bis 1933 zu verstehen.

Die Formulierung der Verfassung wurde durch Hugo Preuß geprägt, der die Grundzüge bereits im Jahr 1917 formuliert hatte.

Weimarer Verfassung: Eine Republik für Deutschland |*ZEIT ONLINE
https://de.wikipedia.org/wiki/Weimarer_Verfassung

Die Kritik an der Verfassung geht allerdings ins Leere, da es keine demokratische Verfassung gibt, die ausreichend immun ist gegenüber Veränderungen, die mit Mitteln außerhalb der normalen Spielregeln des demokratischen Rechtsstaates sind. Und genau diese Regelverletzung durch Hindenburg, die Einsetzung von Präsidialkabinetten und schließlich die Machtübernahme durch Hitler liegt zunehmend ab 1929 vor. Woebi sich Hindenburg und die konservativen Kriese dahingehend einig waren, dass eine quasi - traditionelle - Diktatur etabliert werden sollte.

Möglich wurde diese Entwicklung allerdings erst durch den historischen Kontext der Weltwirtschaftskrise und der Erfahrung der Hyperinflation in den zwanziger Jahren. Und die Intention von Hindenburg - das wird man ihm konzidieren müssen - ging in die Richtung, einen "starken Mann" einzusetzen, der die wirtschaftlichen Probleme in den Griff bekommt. Dennoch bleibt die Rolle von Hindenburg in dieser Phase, auch wohlwollend, insgesamt ambivalent.

Dass Einsetzen der "Präsidial-Kabinette" und das Regieren mit Notverordnungen war von der Verfassung zwar vorgesehen, allerdings als "Ausnahme" vom normalen parlamentarischen Mechanismus verstanden. Dass es zu dieser Situation kam lag u.a in dem weiter bestehenden Konflikt der Interessen zwischen dem Kapital / Industrie und der Arbeiterschaft. Die Weimarer Republik war eine Gesellschaft mit sehr harten politischen Fronten, die ökonomisch und weltanschaulich begründet waren und politische Kompromisse stark erschwerte. Auch durch die emotionale Verarbeitung des WW1 bedingt.

Der zweite Punkt betrifft die außergewöhnlich politische Situation, die nach Verabschiedung des "Young-Plans" und der herausziehenden Weltwirtschaftskrise entstanden ist.

Der dritte Punkt betrifft das grundsätzlich Verständnis der Parteien in der Weimarer Republik. Im Gegensatz zum Bundestag begriffen sie sich nicht als sichere Basis, von der aus Koalitionen in Regierungsverantwortung Gesetze verabschieden konnten. Eine "Fraktionsdisziplin" wie später bei Abstimmungen im Bundestag gab es nicht.

Ein Teil der Parteien verstanden sich - Ende der zwanziger mehr denn je - als Vertreter von partikularen Interessen in der Politik. Diese Sichtweise war vor allem bei den wirtschaftsfreundlichen Parteien auf der politischen "Rechten" zu erkennen und verhinderte, dass übergeordnete Gesichtspunkte eine angemessene Berücksichtigung erfahren haben. (vgl. Pyta, S. 557)

Der vierte Punkt betrifft die Aversion von Hindenburg gegenüber der SPD und der Zielsetzung, teilweise in Kooperation mit Brüning (Zentrum), diese gezielt von der Regierungsverantwortung fernzuhalten. Zum einen, weil er den Sozialdemokraten nicht zutraute, die Modernisierung des Landwirtschaft im Osten des Landes voranzutreiben (Großagrierer) und zum anderen ergaben sich massive Konflikte zwischen der Großindustrie und den Interessenvertretungen der Arbeiterschaft (vgl. Pyta: Hindenburg S. 555ff)

Eine interessante Ähnlichkeit zur Argumentation von Fischer im "Bündnis der Eliten", das sicherlich kein "Bündnis" war, aber ähnlich gelagerte politische Gegnerschaften hatte.

Aus dieser Partikularisierung der Politik und der Zielsetzung der "Wirtschaftsparteien" eine "Entparlamentarisierung des Regierungssystems" einzuleiten, ergab sich - auch - die Wahrnehmung, dass die Regierungen angesichts der Probleme nicht ausreichend handlungsfähig sind. Kompromisse, die den partikularen Interessen entgegenstanden verhinderten Kompromisse und führten nicht selten dazu, dass Parteinen aus Regierungen ausschieden. Aus dieser Selbstblockade des parlamentarischen Systems resultierte dann der Ansatzpunkt für die "Präsidial-Regierungen".

Die Partikularisierung der Interessenvertretung im Reichstag wurde dann auch als Erklärung von Historikern / Politologen herangezogen, um den Zustrom gerade der Mittelschicht in Richtung NSDAP zu erklären. Ideologisch stand sie für die behauptete - "mythologische" -Einheit des Volkes über den partikularen Interessen einzelner Gruppen.

Vor diesem Hintergrund wurde von Akteuren wie Groener und vor allem durch Kurt von Schleicher der Ausbau der "Präsidial-Regierungen" betrieben. Die juristischen Anleitungen holte sich Schleicher von dem Berliner Staatsrechtler Carl Schmitt (vgl. Pyta, S. 566/567). Schmitt lieferte dann im wesentlichen die juristische Absicherung der "Präsidial-Regierungen" und "demontierte" damit die eigentliche Intention der Verfassung, eine demokratische Interessenvertretung des deutschen Volkes zu sein.

An diesem Punkt wird der "Verfassungs-Patriotismus" der SPD im Gegensatz zum nationalistischen Patriotismus der monarchischen bzw. autokratischen Kreise sehr deutlich.

Die Entmachtung der Legislative durch den Kreis um Hindenburg diente dabei dem Ziel einer parlamentarisch nicht kontrollierten Militarisierung bzw. Aufrüstung der Weimarer Republik und einer autokratischen Umgestaltung der Demokratie.

Insofern ist die Vermutung, dass die Regierungen mit Notverordnungen regieren mußten, nicht korrekt. Es gab "mächtige" Interessengruppen von "Rechts" bzw. aus der "Wirtschaft bzw. auch der Großagrierer", die ein starkes Interesse an der Umgestaltung des parlamentarischen Systems der Weimarer Republik hatten.

Fazit: Der Reichspräsident hat nach Verabschiedung des Young Planes sein Amt nicht genutzt, um die demokratisch legitimierten Regierungen handlungsfähig zu halten, sondern hat es mißbraucht, um "Präsidial-Regierungen" handlungsfähig zu machen.
 
Fazit: Der Reichspräsident hat nach Verabschiedung des Young Planes sein Amt nicht genutzt, um die demokratisch legitimierten Regierungen handlungsfähig zu halten, sondern hat es mißbraucht, um "Präsidial-Regierungen" handlungsfähig zu machen.

Vielleicht liegt es an mir aber ich fühle mich in meiner Frage nicht beantwortet.
Mir ging es nur um eine gesetzliche Regelung in folgendem (theoretischen) Fall: der Reichspräsident erlässt Notverordnungen -> der Reichstag erhebt "Einspruch" bzw. hat vor diese Notverordnungen zurückzuziehen -> der Reichspräsident löst aber den Reichstag auf. Wer hat jetzt das letzte Wort? Regiert jetzt einfach der Reichspräsident bis ein neuer Reichstag zustande kommt und die Notverordnungen bleiben bestehen oder darf er in dieser Zeit keine Notverordnungen ausführen oder gab es dafür überhaupt eine Regelung?

Ich habe schon danach gesucht so ist es nicht. Aber vielleicht ist meine Fragestellung einfach zu unpräzise denn ich habe absolut nichts gefunden. Aber wie gesagt: wenn deine Antwort diese Frage beantwortet tut es mir leid aber ich konnte die Antwort irgendwie nicht rauslesen.
 
Dann halt ganz deutlich. Das Regieren mit Notverordnungen war ein Bruch der Verfassung, so Rosenberg oder Winkler, als Beispiele.

1. Bereits 1923 kam es zu diesem Verfassungsbruch, indem der Artikel 48 von Ebert benutzt wurde, allerdings um die Demokratie von Weimar zu stabilisieren
2. Mit Beginn der Präsidialregierungen - ab 1930 - in der Person von Brüning (Monarchist/ Zentrum) wurde die Nutzung des Artikels 48 regelmäßig durchgeführt, um "normales" Regierungshandeln zu ermöglichen. Und mit diesem Prozedere eine quasi "präsidiale Diktatur" - so Staatssekretär Meissner (Chef des Büros des Reichspräsidenten und zentrale Figur der "Kamarilla")- einzuführen. In diesem Verhalten ist der Bruch der Verfassung zu sehen, zumal es vor dem Hintergrund der Zielsetzung getan wurde, die Demokratie von Weimar zu beseitigen.

Im Einzelnen:
- Entsprechend der Verfassung ernennt der Reichspräsident den Reichskanzler.
- Der Reichskanzler regiert auf der Basis einer Mehrheit des Reichstags.
- Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Reichspräsident und Reichstag war ein "Plebiszit" vorgesehen oder !!!!
- Durch Auflösung des Reichstags durch den Reichspräsidenten

Der Art. 48 war kein Artikel, der die Legitimierung von Regierungshandeln ersetzen sollte, sondern eine Maßgabe, die dem Reichspräsidenten Handlungsvollmachten gab, sofern eine außergewöhnliche Krise auftreten sollte. Also bei plötzlich auftretenden gewaltsamen Störungen des parlamentarischen Alltags, Ruhe und Ordnung wieder herstellen sollte.

Um die Balance zwischen den einzelnen Gewalten zu erhalten, war vorgesehen, dass der Reichspräsident auf Verlangen einer Mehrheit des Reichstags diese Notverordnungen wieder aufhebt. Somit das Parlament die zentrale Instanz war, um das Handeln der Regierungen zu legitimieren und definitiv keine Legitimierung durch den Reichspräsidenten in der Verfassung vorgesehen war.

Diesem Verlangen des Reichstags ist der Reichspräsident Hindenburg durch eine zweimalige Auflösung des Reichstags zuvorgekommen (vgl. Barth und Friederichs). Und in diesem Verhalten, sieht man von anderen Intentionen mal ab, liegt der Bruch gegen Verfassungsnormen vor.

So beispielsweise im Juli 1930 als der Reichstag Brüning aufforderte die Notverordnungen zurück zu nehmen. In der folgenden Abstimmung unterlag Brüning und daraufhin wurde der Reichstag aufgelöst, da Brüning bereits eine vorbereitete Verfügung von Hindenburg zur Auflösung des Parlaments für den Fall des Scheiterns in der Tasche hatte.

Im Vorfeld protestierte beispielsweise der Fraktionsvorsitzende der SPD R. Breitscheid am 16. Juli 1930 gegen die Drohung von Reichspräsident Hindenburg, der Durchsetzung von Gesetzen der Regierung Brüning durch Notverordnungen nach Art 48 Geltung zu verschaffen, indem er ausführte, der Artikel 48 sei dazu da, "um unter Umständen dem Staat zu helfen und den Staat zu schützen, nicht aber um einer einzelnen Regierung aus ihrer Verlegenheit zu helfen, die die Mehrheit nicht findet..."(Winkler, Pos. 8208)

Und am 18. Juli, dem Tag der letzten Sitzung des gewählten Reichstags, warf namens der SPD der Abgeordnete Otto Landsberg der Regierung Brüning vor, durch den Erlaß der beiden Notverordnungen die Verfassung verletzt zu haben.

Diesen Kontext der Abschaffung der Demokratie von Weimar durch eine Koalition aus Deutschnationalen, Wirtschaft und Reichswehr im Zusammenspiel mit dem Reichspräsidenten versteht man aber nur, wenn man sich mit den politischen Zielsetzungen der einzelnen Akteure beschäftigt.

Barth, Rüdiger; Friederichs, Hauke (2018): Die Totengräber. Der letzte Winter der Weimarer Republik. Frankfurt am Main: S. Fischer.
Rosenberg, Arthur (1977): Entstehung der Weimarer Republik. Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt.
Winkler, Heinrich August (2018): Weimar 1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. München: C.H. Beck
 
Zuletzt bearbeitet:
Da denkt man an das konstruktive Misstrauensvotum.

Wäre bei einem Konsens im Reichstag das „Regieren“ mit NotVO und Reichspräsident möglich gewesen?
 
Wäre bei einem Konsens im Reichstag das „Regieren“ mit NotVO und Reichspräsident möglich gewesen?

Im Prinzip wurde ja nach 1933 mit einer permanenten "Notverordnung" - zunächst durch die "Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat" (Fber. 1933) und dann im Rahmen und als Folge des "Ermächtigungsgesetzes" (März 1933) in Permanenz.

Die Verfassung von Weimar galt ja im Prinzip auch während des 3. Reichs, war nur faktisch durch Hitler außer Kraft gesetzt worden und damit die Gewaltenteilung. Der Reichstag und der Reichskanzler - Herr Hitler - war ja weiterhin vorhanden, allerdings kein Reichspräsident (!!!).

In diesem Zusammenhang ist es m.E. noch wichtig darauf hin zu weisen, dass die SPD - im Prinzip - die Möglichkeit gehabt hätte, den Reichspräsidenten nach 1930 vor dem Reichsgericht anzuklagen. Wiki schreibt: "
Der Reichstag hatte das Recht, den Reichspräsidenten vor dem Staatsgerichtshof anzuklagen wegen schuldhafter Verletzung der Verfassung oder eines Reichsgesetzes. Den Antrag mussten mindestens 100 Abgeordnete unterzeichnen. Ein entsprechendes Urteil hätte zur Absetzung geführt (Art. 43 Abs. 3 WRV).[14]"

Die faktischen politischen Verhältnisse, die Stimmung in der Öffentlichkeit und die realen politischen - konservativen - Verhältnisse hätten ein derartiges Unterfangen faktisch bei einer derartigen "politischen Justiz" in der Weimarer Republik von Beginn an zum Scheitern verurteilt.

Auf eine absolut absurde Aussage auf Wiki sei noch hingewiesen. Wie in #4 mit Winkler ausgeführt war 1930 das Gegenteil der Fall. Wiki :"Das System der Präsidialkabinette bzw. das System Brüning funktionierte 1930–1932 nur, weil die SPD im Reichstag die Notverordnungen tolerierte"
 
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