Russische Aufrüstung bis 1917

Ich glaube, Du hast eine falsche Vorstellung der im August 1914 verfügbaren deutschen Truppen. Neben den für die Westfront vorgesehenen 7 Armeen und der 8. Armee in Ostpreußen (jeweils schon um etliche Reservekorps verstärkt) kamen ein Korps in Schleswig-Holstein (gegen britische Aktionen gerichtet) und mehrere Reservekorps und Reservedivisionen, die zwar teilweise im Westen aufgestellt wurden, aber nicht Bestandteil der kritischen Operationen im Westen waren. Diese Truppen hätten im Laufe des August auch in Schlesien ihre Truppen sammeln können und dabei einige russische Divisionen neutralisieren können.
.... womit sie aber gebunden gewesen wären, was sowohl Norddeutschland exponiert, als auch einen Einsatz als Reserven in anderen Abschnitten unterbunden hätte.
Natürlich hätte man an einem beliebigen Punkt X Truppen zusammen ziehen können.

Mir geht es schlicht und einfach darum, dass Moltke und Komplizen bei ihrer konzentrierten Westoperation keine Verzettelung der eigenen Turppen brauchen konnten.
Gleichwohl konnten sie auch ein völlig ungedecktes Norddeutschland nicht wollen.
Das zu erreichen war ja schon an der Westfront, wenn man sich die späteren Diskussionen über die "Verwässerung" des Schlieffenplans durch Moltke und den Zank um das richtige Verhältnis von rechtem und linkem Flügel zu Gemüte führt nicht einfach.

Die Möglichkeit der Russen Truppen an anderer Stelle der Front aufzufahren, so sie denn gegeben gewesen wäre (wie gesagt, im Hinblick auf die Truppenstandorte mea culpa) und neuralgische Pukte der Ostfront zu bedrohen, worunter ich sowohl Oberschlesien als auch mit Blick auf die Situation der 8. Armee Westpreußen verstehe, hätte man einen anderen Schauplatz, das sei Norddeutschland oder die Westfront schwächen oder im Osten völlig anders ausmarschieren müssen.
Bei der Verschiebung der zur Verfügung stehenden Reserven wird man ja auch nicht umhinkommen zu berücksichtigen, dass man die möglicherweise noch braucht, wenn es an einem Schauplatz nicht läuft, wie es soll.

Mit jedem weiteren einkalkulierten Ausschöpfen der Reserven, bereits zu beginn hätte sich Moltke, wie ich das sehe Gedanken darüber machen müssen, ob sein vollständig auf Frankreich gerichteter Aufmarsch noch Sinn ergibt, weil mit jedem Ausschöpfen der Reserven und jedem neuen potentiellen Frontabschnitt selbstredend auch die Zahl der kritischen Punkte zunimmt.
Der Aufmarsch von 1914 und die angedachten Operationen hatte bekanntlich mit dem Zeitplan, mit Lüttich und der ohnehin schon präkeren Situation der 8. Armee mindestens drei kritische (sich teilweise überlappende) Punkte an denen die ganze Angelegenheit von Aktionen gegen Frankreich vollkommen unabhängig scheitern konnte.
 
...aber wo hätten die sich aufhalten sollen? Die am weitesten westlich vorgeschobene Position des russ. Militärs vor und im Ersten Weltkrieg war das unvollendete Festungsdreieck*) Warschau-Modlin-Zegrze an der Weichsel und Narewmündung in die Weichsel. Die Gegend von Warschau/Modlin über Lodz zur poln.-dt. Grenze war quasi Glacis, Vorfeld (und eher wenig verkehrstechnisch vorbereitet)

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*) die defensive Aufstellung des russ. Militärs Ende des 19./Anfang des 20.Jhs. war die zurückgezogene Festungskette der ehemaligen poln.-russ. Grenze (u.a. die große Festung Brest-Litowsk), sodann die Eisenbahnlinie und Festungskette entlang de Narew (Osowiecz bis Zegrze) und das besagte Festungsdreieck Warschau-Modlin-Zegrze. Zu erwähnen ist, dass Unstimmigkeiten in der russ. Heeresführung wie so oft großartig dimensionierte Ausbaupläne hemmten (man erinnere sich, dass Port Arthur nur eine Baustelle war, weil der Zar "keine Millionen Rubel mehr im Boden verbuddeln wollte"...) So war nur der Brückenkopf Zegrze stark befestigt, Modlin wurde 1908 zur Festung erster Klasse (moderne Fortgruppen, Befestigungsgruppen, Stahlbeton, Panzerkuppeln etc), Warschau wurde aufgelassen (Sprengungen in den Forts) und dann 1914 hektisch neu, aber zu wenig fortifiziert) - - der stark befestigten Weichsel/Narewposition in gebührendem Abstand gegenüber befanden sich die Festungen des Kaiserreichs (Graudenz, Thorn, Posen etc) und die KuK Festungen (Krakau, Przemysl) ; übrigens auch beim deutschen und österreichischen Ausbau musste gespart werden (Thorn erhielt statt eines projektierten Fortgürtels nur ein einziges modernes Panzerfort)

Ich habe doch jetzt wirklich schon mehrfach geschrieben, dass ich fälschlicher Weise von weiter vorgelagerten Standorten der russischen Truppen ausgegangen bin, als ich dieses Fass aufgemacht habe.
Insofern wie gesagt, kann das Szenario als Spinnerei meinerseits in den Schredder.

Auch bei schwachem verkehrstechnischen Ausbau wäre es sicherlich binnen 1-2 Wochen gelungen einige bereits im Raum Warschau stehende Truppen in Richtung Westen zu dislozieren. Darauf beruhte die Annahme.
Mir war die Rückverlegung der russischen Truppenstandorte im Vorfeld schlicht nicht bekannt, ebenso wenig, wie dass es dazu hier schon einmal einen anderen Threat gab, in dem das durchgekaut wurde, so lange lese ich hier leider noch nicht mit.

Wäre mir das von Anfang an klar gewesen, wäre ich nicht auf die Idee gekommen das Fass in diese Richtung hin aufzumachen, denn unter der Prämisse der rückverlegten Standorte und der dezentralen Mobilisierung und der damit verbundenen Verzögerung, ist das Phantasterei, da gebe ich dir und @Solwac vollkommen recht, deswegen besteht da von meiner Seite eigentlich auch gar kein Bedürfniss diese, damit obsolete Einlassung weiter auszuführen.

Ich danke trotzdem für die Mühen:)
 
.... womit sie aber gebunden gewesen wären, was sowohl Norddeutschland exponiert, als auch einen Einsatz als Reserven in anderen Abschnitten unterbunden hätte..
Ne, eben nicht. Die Truppen aus Schleswig-Holstein wären von mir ja nicht anders aufgestellt worden und die sonstigen Truppen sind ja teilweise Ende August in den Osten verlegt worden, hätten also auch gleich im Osten aufgestellt werden können.

Diese Reservetruppen wären in der Defensive (also z.B. zum Schutz Schlesiens) sicher ausreichend gewesen, für die Verwendung in der 8. Armee wohl eher (noch) nicht. Denn teilweise fehlten den Reservetruppe Führer (vor allem auf Brigadeebene), Gerät für die Artillerie und Spezialtruppen.
 
Was für mich aber nach wie vor von Interesse Bleibt ist die Frage nach der Fernaufklärung und den Kommunikationsmöglichkeiten der russischen Truppen.

Das ist eine interessante Frage: Wie war es damit in Russland am Vorabend des Weltkriegs im Vergleich zu den anderen Großmächten bestellt?

Eine technologische Rückständigkeit Russlands, betreffend wohl alle Bereiche, und insbesondere die der Innovation, kann als gegeben genommen werden. Die Industrialisierung Russlands liegt zeitlich weit hinter den anderer Großmächten zurück und entsprechend hoch ist der Bedarf an „High-Tec“-Import.
Die Größe der Räume, die der russische Staat unvermeidlich, auch in der Kommunikation, überwinden musste, kommt nachteilig hinzu.

Einen Ausschnitt davon, nämlich die Fähigkeit an der Kommunikation in feindlicher Absicht teilzuhaben, behandelt eine Publikation der CIA:
https://www.cia.gov/library/center-...ence/kent-csi/vol3no1/html/v03i1a09p_0001.htm

Dieser zufolge war Russland den anderen Mächten unterlegen beim Gebrauch des Funkverkehrs.
 
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