Sklaverei in der Neuzeit in Europa

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Gerade Pfeifferhans' Äußerung " Diese Leibeigenen (...) erhöhten den Wert des Gutes." Hat mich ja zu meiner Frage geführt, ob sie mehr an das Gut oder an direkt an den Besitzer gebungen waren.
 
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Gerade Pfeifferhans' Äußerung " Diese Leibeigenen (...) erhöhten den Wert des Gutes." Hat mich ja zu meiner Frage geführt, ob sie mehr an das Gut oder an direkt an den Besitzer gebungen waren.

Was ändert das an ihrem Status?
Wenn sie zum Gut gehören, gehören sie damit auch jedem neuen Besitzer.
Maxim sagte:

Er konnte sie sich kaufen, er konnte sie am Spieltisch gewinnen, er konnte sie "erheiraten" ... wie das Pferd im Stall oder die Kuh auf der Weide.

Er konnte sie also auch, wenn er sie auf einem anderen Gut brauchte dorthin bringen, wo sie je nach Qualifikation den Wert des Gutes durch ihre Arbeit steigerten. Deswegen gehörten sie aber immer noch dem Besitzer dieses Gutes und konnten mit dem Gut veräußert werden.
 
Hätten sie fest zum Gut gehört, wäre das mit dem Spieltisch nicht so einfach gewesen (oder zumindest nicht offiziell erlaubt, sondern nur geduldet). Man hätte immer das Gut mit dazulegen müssen.
 
Er konnte sie also auch, wenn er sie auf einem anderen Gut brauchte dorthin bringen, wo sie je nach Qualifikation den Wert des Gutes durch ihre Arbeit steigerten. Deswegen gehörten sie aber immer noch dem Besitzer dieses Gutes und konnten mit dem Gut veräußert werden.

Sascha,

er konnte mit ihnen verfahren wie er wollte. Sie waren sein Besitz, wie eben das Pferd, welches er ritt, oder die Kuh, welche ihm die Milch für sein Frühstück lieferte.

Wenn er sie auf einem seiner anderen Güter haben wollte, dann hat er einfach seinen Verwalter beauftragt dies so zu veranlassen. Hat er am Spieltisch verloren, hat er die Schuld dadurch beglichen, dass er Teile seines Besitzes an den Gewinner übereignete.

Wenn der Gewinner z.B. den Wert seines Pferdebestandes erhöhen wollte, dann hat er anstelle eines Geldwertes z.B. die Übereignung eines wertvollen Zuchtpferdes verlangt. Trug sich der Gewinner mit der Absicht z.B. einen sumpfigen Teil seiner Ländereien trocken legen zu lassen, dann ließ er sich den Gewinn eben in menschlicher Arbeitskraft übertragen.

Alles was es bedurfte war eine gleichlautende Willenserklärung der beiden Grundbesitzer .... der eine war gewillt Leibeigene als Ausgleich der "Ehrenschuld" zu akzeptieren, der andere war gewillt diese zu übereignen.

Es war beiden herzlichst egal, ob es sich bei den materiellen Werten, die aufgrund der Spielschuld zu übertragen waren, um Tiere oder um menschliches Leben handelte.
 
Wenn man als russischer Gutsbesitzer (um diese geht es doch hier, oder?) ein Landgut gehabt hat, konnte man mit dem Gut so verfahren wie man es wollte. Ebenso mit dem lebenden "Inventar". Wenn der Gutsbesitzer das ganze Gut verkaufte, verschenkte oder verspielte dann natürlich mit Inhalt (abzüglich der Leute, die er vorher schon einzeln verkauft, verspielt oder totgeschlagen hat). Was soll der neue Besitzer auch mit einen Landgut ohne die Leute die die Arbeiten verrichten.
Also ist es doch für den einzelnen Leibeigenen völlig unerheblich ob er nun mehr zum Landgut vom Gutsbesitzer gehört oder mehr zum Gutsbesitzer selber. Das ändert doch nichts daran was man mit ihm machen kann.

Der Sohn eines Vorfahren von mir soll ein extremer Spieler gewesen sein. Er verspielte sein Erbe zu dem unter anderem ein Pferdezucht gehörte. Als er das begriffen hatte, ritt er zum Gestüt, zündete es an und erhängte sich. Nebenbei verbrannte die Hälfte des dazugehörigen Dorfes. Wieviel Leibeigene dabei umkamen ist unbekannt.
Bedauert wurde nur der Verlust von 20 Zuchtpferden.
 
Zumindest die Leibeigenschaft in Russland kann man durchaus der Sklaverei gleichstellen. Diese Leibeigenen gehörten auch zur "lebenden Habe" des Gutsbesitzers und erhöhten den Wert des Gutes.
Auch die Schuldknechtschaft in Indien und Teilen Afrikas kommt der Sklaverei sehr nahe.
Trotzdem sollte man nicht einfach alles in einen Topf werfen, sondern durchaus auch die unterschiedlichen Ausprägungen im Auge behalten und die jeweiligen Benennungen beibehalten.


In Europa gab es dieses System auch. Im norddeutschen Raum und auch in Ostpreußen war die Leibeigenschaft oft mit den großen Gütern der Junker verbunden, wenn sie auch mit den Napoleonischen Freiheitskämpfen offiziell abgeschafft wurde.
 
Wenn es gestattet ist, würde ich aus den Weiten Rußlands, dem Nahkampf ausweichend, kurz wieder nach Mitteleuropa zurückreiten.

Ich denke, es kommt darauf an, in welchem historischen und sozialen Kontext man Sklaverei oder Formen von Unfreiheit betrachtet. So viele Gemeinsamkeiten man auch zwischen wirtschaftlicher Abhängigkeit, Leibeigenschaft ausmachen kann, so ginbt es doch auch Unterschiede, die eine Differenzierung sinnvoll machen.

Dem schließe ich mich an; auch der These, dass vollständige Freiheit zwar denkmöglich, aber kaum realisierbar ist - mir fällt lediglich die Robinsonade ein; desgleichen der These, dass Sklaverei als Oberbegriff untauglich ist.

Im Gegensatz zu
"Halbsklave" ... "Viertelsklave" ... "Nichtsklave" ... "A bisserl schwanger" gibt es nicht ... "a bisserl unfrei" auch nicht.
meine ich, dass "a bisserl unfrei" genau den Punkt trifft.

Leibeigenschaft gehört etymologisch ins Mittelalter. Einige wichtige Hinweise dazu findet man in einem (aus einem anderen Strang geläufigen) Buch von Wettlaufer (--> googlebooks), der im Abschnitt "Herrschaft, Unfreiheit und Leibeigenschaft - Begriffe und Konzepte" (S. 75 ff.) den Forschungsstand dahingehend zusammenfasst, dass "abstrakte Begriffe wie 'Freiheit' und 'Unfreiheit' nicht in der Lage sind, das Kontinuum der sozialen und rechtlichen Realitäten mittelalterlichen Lebens adäquat zu beschreiben. Man hat auf der Suche nach einem Ausweg aus diesem Dilemma versucht, behelfsweise neue Begriffe wie den den 'Halbfreien' [sic] einzuführen". Er versucht dann selbst (S. 76 f.) eine Kategorisierung des "Unfreien"-Begriffs, worin einiges enthalten ist, was auch hier schon gesagt wurde.

Ein zentraler Punkt - und vielleicht auch ein entscheidender Unterschied zwischen mitteleuropäischen und russischen/sklavischen Verhältnissen - ist wohl dieser:
Unterschiede liegen m.E. eher in den Menschenrechten, kein Recht auf Selbstbestimmung. Der Sklave ist Besitz seines Eigentümers.
Hierzulande wurde - nach allem, was ich weiß - das Person-Sein eines Leibeigenen nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Wohl aber wurden seine Rechte abgeschichtet, z. B. nach dem Muster der Mündigkeits- und Geschäftsfähigkeitsbestimmungen unseres heutigen BGB (Achtung:schiefer Vergleich!). Das Gegenstück dazu ist der Mensch als Sache, mit dem der Eigentümer nach Belieben verfahren kann.

Dieser Unterschied mag in der Lebenswirklichkeit sehr undeutlich werden. Es ist möglich und etwa im Zeitalter der Industrialisierung millionenfach geschehen, die soziale Situation von Menschen so zu gestalten (bzw. die Tatsache hinzunehmen), dass dessen Freiheitsgrade gegen Null tendieren. Man kann sogar mit Zille davon reden, man könne "Menschen mit einer Wohnung erschlagen wie mit einer Axt"! (Dass solches nicht mehr möglich sein soll, ist das Hauptanliegen unseres Grundgesetzes - Würde des Menschen, Art. 1, Sozialstaatsgebot, Art. 20).

Ich gestehe gern zu: Lohnsklaverei ist auch eine Form der Sklaverei, aber "nur" als Inbegriff einer extremen ökonomischen Abhängigkeit, nicht als personen- oder sachenrechtliche Beziehung wie in früheren Zeitaltern.
 
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Also ist es doch für den einzelnen Leibeigenen völlig unerheblich ob er nun mehr zum Landgut vom Gutsbesitzer gehört oder mehr zum Gutsbesitzer selber. Das ändert doch nichts daran was man mit ihm machen kann.
Wenn er festes Inventar des Gutes wäre, könnte er eben nicht so einfach umgesiedelt werden, sondern könnte sicher sein, dass er auf seinem Hof bleibt.
Ich wollte doch nur wissen, wie frei beweglich die Leibeigenen waren. Ob sie selbst verkauft und getauscht werden konnten oder eben durch Besitzerwechsel der Landgüter. Diese Frage ist inzwischen beantwortet und ich sehe nun die Ähnlichkeit in diesem Punkt mit den Sklaven der Antike
 
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(...) Wenn man alle Formen von Unfreiheit oder persönlicher Abhängigkeit betrachtet, Zwangsprostitution und Lohnsklaverei zum Beispiel, wird man zum Schluss kommen, dass es keiner Gesellschaft jemals gelingen wird, die Sklaverei zu beseitigen, und dass man nur neue Namen dafür finden wird. Es gibt gute Gründe dafür, bestimmte Ausprägungen der Leibeigenschaft in Russland, aber auch in Ostelbien sehr nahe mit der Sklaverei zu identifizieren, wie es ja auch prominente Zeitzeugen dafür gibt, die eine solche Schlussfolgerung nahelegen wie Friedrich II. der offen zugab, dass die Lage der Bauern in Oberschlesien, außer auf seinen Domänen kaum besser als die von Sklaven sei. Wie das Los eines Sklaven, so gab es auch enorme Unterschiede was den Status von Leibeigenen betraf, und das Spektrum konnte von einem System von Geben und Nehmen bei relativ großer Autarkie is zu fast völliger Unfreiheit reichen.


Das hat soweit ich es sehe, auch keiner bestritten. Ich denke aber, dass es dennoch Sinn macht, zwischen Leibeigenschaft und Sklaverei zu differenzieren, zumal ja beide Formen von Abhängigkeit, bzw eingeschränkter Freiheit im 17. und 18. Jahrhundert nebeneinander existierten. Insgesamt lassen sich bisher 3 verschiedene Formen voneinander unterscheiden: 1. Das System der Plantagensklaverei in Nordanmerika und der Karibik
2. Die Einrichtung der Indentured Servicy in Großbritannien, Nordamerika und der Karibik
3. verschiedene Formen der Leibeigenschaft

Eine weitere Kategorie fiele mir noch ein in Form der Insassen von 4. Menschenzoos und Völkerschauen" wie sie viele europäische Fürsten hielten, dazu die "Kammermohren". So unterhielt Friedrich II. von Hessen- Kassel in seiner Residenz eine Art Menschenzoo mit Chinesen und anderen exotischen Bewohnern.


Ibrahim Petrovic Hannibal machte als Diplomat und anerkanntes Mitgölied der Gesellschaft Karriere, einen Kollegen in Wien ließ sein Herr ausstopfen und als Kuriosum besichtigen
 
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(...)Wenn man alle Formen von Unfreiheit oder persönlicher Abhängigkeit betrachtet, Zwangsprostitution und Lohnsklaverei zum Beispiel, wird man zum Schluss kommen, dass es keiner Gesellschaft jemals gelingen wird, die Sklaverei zu beseitigen, und dass man nur neue Namen dafür finden wird. Es gibt gute Gründe dafür, bestimmte Ausprägungen der Leibeigenschaft in Russland, aber auch in Ostelbien sehr nahe mit der Sklaverei zu identifizieren, wie es ja auch prominente Zeitzeugen dafür gibt, die eine solche Schlussfolgerung nahelegen wie Friedrich II. der offen zugab, dass die Lage der Bauern in Oberschlesien, außer auf seinen Domänen kaum besser als die von Sklaven sei. Wie das Los eines Sklaven, so gab es auch enorme Unterschiede was den Status von Leibeigenen betraf, und das Spektrum konnte von einem System von Geben und Nehmen bei relativ großer Autarkie is zu fast völliger Unfreiheit reichen.


Das hat soweit ich es sehe, auch keiner bestritten. Ich denke aber, dass es dennoch Sinn macht, zwischen Leibeigenschaft und Sklaverei zu differenzieren, zumal ja beide Formen von Abhängigkeit, bzw eingeschränkter Freiheit im 17. und 18. Jahrhundert nebeneinander existierten. Insgesamt lassen sich bisher 3 verschiedene Formen voneinander unterscheiden: 1. Das System der Plantagensklaverei in Nordanmerika und der Karibik
2. Die Einrichtung der Indentured Servicy in Großbritannien, Nordamerika und der Karibik
3. verschiedene Formen der Leibeigenschaft

Eine weitere Kategorie fiele mir noch ein in Form der Insassen von 4. Menschenzoos und Völkerschauen" wie sie viele europäische Fürsten hielten, dazu die "Kammermohren". So unterhielt Friedrich II. von Hessen- Kassel in seiner Residenz eine Art Menschenzoo mit Chinesen und anderen exotischen Bewohnern.


Ibrahim Petrovic Hannibal machte als Diplomat und anerkanntes Mitgölied der Gesellschaft Karriere, einen Kollegen in Wien ließ sein Herr ausstopfen und als Kuriosum besichtigen

Ich kann dem nur zustimmen. Möchte aber dazu noch die Frage aufwerfen:
Welchen "Status" hatten denn die verkauften Landeskinder z.B. aus Hessen. Das waren doch nicht nur Leibeigene. Aber eine Wahl hatten sie doch auch nicht.
Oder die gepressten Matrosen auf den Segelschiffen. Wer einmal auf so einem Schiff war, kam doch im Guten nicht so schnell wieder runter und war auf Gedeih und Verderb der Stimmung des Kapitäns ausgesetzt.
Okay Sklaven waren sie nicht, sie bekamen sogar Sold oder Heuer wenn sie es überlebten. Aber das ist fast auch schon alles.
 
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Ich kann dem nur zustimmen. Möchte aber dazu noch die Frage aufwerfen:
Welchen "Status" hatten denn die verkauften Landeskinder z.B. aus Hessen. Das waren doch nicht nur Leibeigene. Aber eine Wahl hatten sie doch auch nicht.
Oder die gepressten Matrosen auf den Segelschiffen. Wer einmal auf so einem Schiff war, kam doch im Guten nicht so schnell wieder runter und war auf Gedeih und Verderb der Stimmung des Kapitäns ausgesetzt.
Okay Sklaven waren sie nicht, sie bekamen sogar Sold oder Heuer wenn sie es überlebten. Aber das ist fast auch schon alles.


Inge Auerbach widmet in ihrer Studie "Die Hessen in Amerika" vor allem der Auffassung von Freiheit und der Wahrnehmung des Anderen ihr Interesse. Bei einfachen Soldaten wie Offizieren stieß das System der Plantagensklaverei weitgehend auf Ablehnung.
 
Ich halte sehr wenig davon, Begrifflichkeiten so zu verwischen wie das hier in der Diskussion teilweise geschehen ist.
Sklaverei, Leibeigenschaft, Schuldknechtschaft oder gar Strafhaft sind sehr verschiedene Dinge, und sollten trotz gewisser Gemeinsamkeiten nicht in einen Topf geworfen werden.
Sonst sind wir gleich kurz vor "Sklaverei liegt immer dann vor, wenn jemand nicht machen kann, was er will" - und dann wird der Begriff völlig sinnlos.

Ganz falsch wäre auch, die Industriearbeiter des 19. Jahrhunderts auch noch in diesen Kontext zu nehmen.
Die konnten ihre Arbeitsstelle jederzeit kündigen, haben das auch häufig getan und die Industriellen hatten damit einige Probleme.
 
Ein bischen OT

Wie verhält sich das mit den heutigen "Luxussklaven" im Fussball ?

Ich halte das auch für Menschenhandel für viele Millionen €

OT Ende
 
Ein bischen OT

Wie verhält sich das mit den heutigen "Luxussklaven" im Fussball ?

Ich halte das auch für Menschenhandel für viele Millionen €

OT Ende

Die unterschreiben aber freiwillig ihre Verträge und verdienen sehr viel Geld; also würde ich sie nicht als Sklaven bezeichnen, sondern eher als Angestellte. ;)
 
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Prinzipielle Zustimmung zur "Nichtverwischung" von Begrifflichkeiten. Wir benennen schließlich Dinge mit einem bestimmten Begriff, um sie genau zu identifizieren.

Um was es mir ging, war der Unterschied zwischen Anspruch (an den Begriff) und Wirklichkeit.

Nehmen wir den Strafgefangenen ...

In einem Rechtsstaat wird, ohne Zweifel, ein Mensch, der gegen geltendes Recht verstößt, angeklagt, vor Gericht gestellt und nach Feststellung der Schuld ggf zu einer Haftstrafe verurteilt. In der folgenden Haft ist er nicht völlig rechtefrei, genießt Schutz vor Misshandlung, Folter, Ausbeutung und allen anderen Dingen die wir mit einem humanen Strafvollzug nicht in Verbindung bringen. Sicher, der Verurteilte ist unfrei, unfrei im Sinne von Freiheitsentzug als Strafe für eine begangene Straftat.

In einem anderen System wird nun gleichzeitig ein Mensch angeklagt, vor Gericht gestellt und verurteilt weil er gegen "geltendes Recht" verstößt ... welches viele jedoch nicht als "Recht" bezeichnen würden.

Ein Journalist schreibt ein regimekritisches Buch, wird wegen "Verunglimpfung der Obrigkeit" verurteilt ... wird zu 10 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Im Straflager ist er als "Politischer" der Willkür der gewöhnlichen Kriminellen ausgesetzt, erfährt eher Represssalien als Schutz vom Lagerpersonal, sein alleiniges Recht besteht aus dem "Recht auf Arbeit" und er lebt unter den menschenunwürdigsten Bedingungen und Umständen.

In beiden Systemen beschreibt ihn der Begriff "Strafgefangener" ... und ein Zyniker könnte argumentieren, der "Strafgefangene" im Rechtsstaat unterscheide sich nicht von seinem Gegenpart im Unrechtsregime ... er habe schließlich gegen geltendes Recht verstoßen und sei von einem ordentlichen Gericht verurteilt worden.

Gleicher Begriff, gleicher Zustand, gleicher Sachverhalt ? Reden wir in beiden Fällen tatsächlich von einem Strafgefangenen, dürfen wir an ein und dem selben Begriff "kleben", nur weil Grundzüge der Definition "Strafgefangener" gegeben sind ?

Ich kann es nicht gleichsetzen. Und weil ich es in diesem Fall nicht kann, kann ich es eben auch im Falle des Leibeigenen - im von mir genannten Zeitraum, am von mir angegebenen Ort - auch nicht.

Zugegeben, ich habe nur wenig Wissen über die Leibeigenschaft in z.B. Preußen. Vielleicht waren die Preußen hier aufgeklärter, humaner, rechts- bzw unrechtsbewusster als ihre östlichen Nachbarn - tausende Werst entfernt.

Vielleicht hatte ein Leibeigener in Preußen eine Anlaufstelle, eine Schiedsstelle oder einen Obmann ... irgend eine Instution ... bei der er Klage erheben oder Beschwerde einlegen konnte. Vielleicht hatte er sogar die Chance im "Streit" gegen seinen Herren sogar zu obsiegen. Wer weiß es ? Ich weiß es nicht.

Nehmen wir aber tatsächlich nur einen Wimpernschlag lang an, dass einem russischen Leibeigenen ein solches Instrumentarium zur Verfügung stand ?

Was wollte der Leibeigene unternehmen, trieb ihm der Gutsbesitzer tatsächlich die einzige Kuh aus dem Stall ?

Oder wenn dieser ihm das Schwein wegnahm, welches er als Ferkel über den Sommer, vom kärglichen Essen der Familie abgezweigt, fett fütterte um vom Verkaufserlös / vom Ertrag die Familie über den Winter zu bringen ?

Wie wollte er sich wehren, wo wollte er seine Beschwerde einreichen ? Ging er zum Dorfältesten erntete er ein Achselzucken, ging er zum Verwalter setzte es Prügel. Näherte er sich unaufgefordert dem Gutsherren, der ihn nur tief verbeugt und mit abgenommener Mütze am Wegesrand stehen sehen wollte - wenn er ihn schon sehen musste - dann riskierte er unter Umständen sein Leben.

Ging er zum Adelsmarschall oder zum Gouverneur ? Sicherlich nicht.

Gerade nach Alexander II, unter der Herrschaft der Zaren Alexander III und Nikolaus II - den Anhängern des "Moskowiter Absolutismus" und Gegnern der Zemtswos, die von Alexander II 1864 eingeführt, aber von ihnen zur Karikatur des ursprünglichen Gedankens degradiert wurden - herrschte der Gedanke des "väterlichen Landesherren" , der Gedanke, dass sie Aristokratie (die "Herrschaft der Besten") am Besten wüsste was "gut" für die Leibeigenen war. Sie war ja schleißlich gottberufen.

Wenn man im Jahre 1905 (Stichwort: Petersburger Blutsonntag) die Armee auf Arbeiter schießen ließ, nur weil diese ihre Forderungen nach bürgerlichen Freiheiten, einem Parlament, wirtschaftlicher Erleichterung und dem Achtstundentag verkündeten, was hätte man dann mit einem / einer Gruppe Leibeigene(n) gemacht, der / die gegen erlittenes Unrecht demonstrierte ?

Daher meine Aussage ... die Leibeigenen der russischen Aristokratie war rechtelos und unfrei. Haben sie auf dem Papier Rechte gehabt, haben sie diese nicht durchsetzen / einfordern können.

Per definitionem waren sie Leibeigene, de facto aber vollkommen rechtlos. Warum also, zum Kuckuck, darf man sie nicht Sklaven nennen ? Nur weil sie eben als Leibeigene bezeichnet wurden ?
 
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Da ergeben sich auch für mich einige Fragen.
1) Konnte der Gutsherr es verhindern, wenn sich ein Leibeigener als Soldat verpflichtete?
2) Bot ein Kloster Flüchtigen Kirchenasyl?
3) Konnten sie sich theoretisch selbst freikaufen?
4) Was geschah mit Verschleppten, so z.B. nach Tatarenüberfällen? Wurden sie ausgelöst? Oder nach einer Befreiung einfach wieder zurück gegeben? Man wird doch nicht immer den "ehemaligen Besitzer" ermittelt haben können?

Die Verhältnisse in Russland müssen ganz besonders schlimm gewesen sein.
 
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Um was es mir ging, war der Unterschied zwischen Anspruch (an den Begriff) und Wirklichkeit.
Da bin ich auf jeden Fall deutlich bei Dir.
Man muß sich natürlich in erster Linie das Inhaltliche anschauen, nicht blind den Etiketten glauben.

In beiden Systemen beschreibt ihn der Begriff "Strafgefangener" ...
Gleicher Begriff, gleicher Zustand, gleicher Sachverhalt ? Reden wir in beiden Fällen tatsächlich von einem Strafgefangenen, dürfen wir an ein und dem selben Begriff "kleben", nur weil Grundzüge der Definition "Srafgefangener" gegeben sind ?
Gutes Beispiel.
Ich sehe Deinen Punkt, der ist auch plausibel.
Trotzdem würde ich in der Tat sagen, daß in beiden Fällen "Strafgefangener" die richtige Bezeichnung ist.

Auch wenn wir die Gesetze im zweiten Beispiel für falsch halten - sie sind trotzdem ein Regelsystem. Und wer sich daran hält, bleibt unbehelligt.
Eine solche Option hat ein Sklave normal nicht.
Umgekehrt ist die Zwangsarbeit beim Strafgefangenen nur ein Nebenaspekt, der Herrscher sperrt ihn nicht ein, um Geld zu verdienen, er wird ihn auch nicht verkaufen. Meist wird er nach Verbüßung der Zeit auch entlassen.

Generell ist es m. E. wenig sinnvoll, die genauen Lebensbedingungen zum Maßstab zu machen. Ob jemand knapp am Verhungern ist oder in Luxus lebt, ob er gequält wird oder selber andere quält - das macht die Unterscheidung zwischen Sklaverei und Leibeigenschaft etc. nicht aus.

Es geht um die gesellschaftliche Stellung und die juristische Bewertung.
Und da bleibt eben ein Strafgefangener auch ein solcher, ob er nun im Luxusknast alle Annehmlichkeiten genießt oder im Steinbruch malocht.

Und ein Sklave kann in Ketten auf der Galeere mißhandelt werden - oder als hoher Würdenträger einen eigenen Palast haben.

Vielleicht hatte ein Leibeigener in Preußen eine
Anlaufstelle, eine Schiedsstelle oder einen Obmann ...
Im Prinzip hatte er die. Obwohl ich Deine Zweifel teile, wie wirksam das in der Praxis sein konnte.

Der wesentliche Schutz von Abhängigen - wohl auch in Rußland - bestand wohl nicht in wenig durchsetzbaren Gesetzen, sondern in sozialen Normen.
Diese wirken in vormodernen Gesellschaften deutlich stärker als juristische Klauseln.

Es wäre für einen Edelmann völlig undenkbar gewesen, ohne rechtlichen Anspruch einem Abhängigen das Schwein zu stehlen. Das ging gegen das Ehrgefühl und er wäre bei seinen Standesgenossen unten durch gewesen.
Und es wäre natürlich auch dumm gewesen - denn mit solchen Willkürakten hätten die Herren den Abhängigen die letzte Motivation genommen, produktiv zu sein und ihre wirtschaftliche Basis zu verbessern.
 
Da ergeben sich auch für mich einige Fragen.
1) Konnte der Gutsherr es verhindern, wenn sich ein Leibeigener als Soldat verpflichtete?
2) Bot ein Kloster Flüchtigen Kirchenasyl?
3) Konnten sie sich theoretisch selbst freikaufen?
4) Was geschah mit Verschleppten, so z.B. nach Tatarenüberfällen? Wurden sie ausgelöst? Oder nach einer Befreiung einfach wieder zurück gegeben? Man wird doch nicht immer den "ehemaligen Besitzer" ermittelt haben können?

Die Verhältnisse in Russland müssen ganz besonders schlimm gewesen sein.

Hallo Baltic !

Wieder nur für / über Russland gesprochen ... und natürlich ohne Anspruch auf absolute Wahrheit ...

Frage 1)

Nikolaus II soll einmal gesagt haben, die Herrschaft des Hauses Romanow stütze sich auf Gott, hundertausende Kreuze und millionen Bayonette.

Der Eid des russischen Soldaten, zur zeit Nikolaus II, lautete ...

Ich verspreche und schwöre hiermit vor dem Allmächtigen Gott und seinen heiligen Evangelien, seiner Kaiserlichen Majestät, dem obersten Autokraten, aufrichtig und getreulich zu dienen, ihm in allen Dingen zu gehorchen und seine Dynastie bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen, ohne mein Leben zu schonen.

Ich wage die Aussage, dass ein Soldat ein Leibeigener in Uniform war. Warum sollte ein Leibeigener dieses Los wählen, warum sollte er einen Tyrannen (den Gutsbesitzer) gegen eine Vielzahl von Tyrannen eintauschen (die Offiziere seines Regiments) ?

Gegen den Willen seines Besitzers konnte der Leibeigene nichts unternehmen, wohl auch nicht dem Militär beitreten.

Frage 2)

Die russisch orthodoxe Kirche predigte den Gehorsam des Volkes gegenüber der Obrigkeit. An Kirchenasyl glaube ich daher weniger, weiß es aber nicht bestimmt.

Frage 3)

Auch hierzu habe ich keine beweissicheren Erkenntnisse, theoretisch: "Ja" . Sicherlich, wenn der Leibeigene dem Gutsherren einen Betrag anbieten konnte, der seinen ""Wert" überstieg und die Mittelherkunft sowie den Aufbewahrungsort vor ihm geheim halten konnte. Aber: Woher sollte der Leibeigene die erforderlichen Mittel haben ?

Frage 4)

Einen Leibeigenen freikaufen ? Warum nicht gleich einen neuen Leibeigenen für den Betrag, den das Lösegeld theoretisch ausgemacht hätte, kaufen ?

Leibeigene sind in großen Zahlen aus der Leibeigenschaft geflohen und haben sich z.B. den Kosaken angeschlossen. Oder haben ihr Glück in Sibirien gesucht, wo selten nach der Herkunft gefragt wurde. Eine Verschleppung durch z.B. die Tataren dürfte für den Leibeigenen eher eine Befreiung als eine Verschleppung gewesen sein. Ein "Verschleppter" wäre sicherlich lieber bei seinen Verschleppern geblieben als ins Schicksal des Leibeigenen zurück zu kehren. Schlimmstenfalls tauschte er eine Leibeigenschaft gegen eine andere ein.

Hoffe diese Antworten helfen weiter.
 
Der wesentliche Schutz von Abhängigen - wohl auch in Rußland - bestand wohl nicht in wenig durchsetzbaren Gesetzen, sondern in sozialen Normen.
Diese wirken in vormodernen Gesellschaften deutlich stärker als juristische Klauseln.

Es wäre für einen Edelmann völlig undenkbar gewesen, ohne rechtlichen Anspruch einem Abhängigen das Schwein zu stehlen. Das ging gegen das Ehrgefühl und er wäre bei seinen Standesgenossen unten durch gewesen.
Und es wäre natürlich auch dumm gewesen - denn mit solchen Willkürakten hätten die Herren den Abhängigen die letzte Motivation genommen, produktiv zu sein und ihre wirtschaftliche Basis zu verbessern.

Hallo R.A. !

"Soziale Normen" trifft wohl den Nagel auf den Kopf. Sicherlich wäre ein Diebstahl für einen Edelmann unschicklich und nicht seinem Stande angemessen. Keine Frage. Auch wäre ein Diebstahl sicherlich, neben dem Aspekt "unten durch", auch Anlass für Hohn und Spott gewesen.

Hö hö ... der Fürst Donskoj hat nicht mal mehr genug Zaster um sich ein Schwein zu kaufen ... hö hö .

Vorausgesetzt natürlich, die Wegnahme des Schweins (z.B.) wäre tatsächlich als Diebstahl angesehen worden und nicht als Übertrag des "Eigentumes eines Eigentums". Zugegeben, ich kenne die "Leibeigenenperspektive" deutlich besser als die Denk- und Sichtweise der Gutsherren.

Deine weiteren Ausführungen, z.B. zum Strafgefangenen, finde ich sehr aufschlussreich und danke Dir dafür.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Vorausgesetzt natürlich, die Wegnahme des Schweins (z.B.) wäre tatsächlich als Diebstahl angesehen worden
Richtig.
Und da gibt es natürlich eine Grauzone.

Daß der der Verwalter des Fürsten (der agiert in solchen Fällen ja) wirklich völlig willkürlich eine Sau aus dem Stall eines Bauern abholt - das dürfte fast nie vorgekommen sein.

Aber wenn er meint, die traditionelle Abgabe eines Schweins bei der Hochzeit des Lehnsherrn (völlig konstruierter Fall natürlich) würde auch gelten, wenn der Bruder des Lehnsherrn heiratet - dann mag er sich im Recht vorkommen und das nicht als Diebstahl ansehen.

Die Gegenargumentation des Abhängigen dürfte dann auch nicht juristisch erfolgen, sondern auf Gewohnheit abzielen "das war doch noch nie so". Und wenn die Dorfgemeinschaft das bestätigt, kann das schon Eindruck machen auf einen Verwalter, der seine Machtstellung letztlich auch nur dem Gewohnheitsrecht verdankt.

Im Zweifelsfall bleibt dann noch die französische Methode: Wenn der Verwalter zu sehr übertreibt, bekommt er irgendwann eine Mistgabel in den Leib.
Das wird dann zwar zu Strafaktionen des Herren und einigen toten Bauern führen - aber dann ist die Grenze des Zumutbaren mal wieder für einige Zeit definiert, und der Nachfolger des Verwalters wird das respektieren.

Die deutsche Methode wäre tatsächlich eher die juristische. Gegen als unberechtigt angesehene Abgaben wurde schon geklagt. Zumindestens kenne ich Klagen von Dorfgemeinschaften gegen Lehnsherren, die bis zum Reichsgericht hoch gingen.
Das wäre in den meisten anderen europäischen Ländern wohl nicht vorstellbar gewesen.
Über Klagen von Leibeigenen weiß ich nichts, die hätten sich auch die Prozeßkosten nicht zahlen können - aber in Analogie vermute ich schon, daß sie zumindestens Beschwerde führen konnten.
 
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