Soldaten: Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben

Zwischenfragen: Seit wann sind die Abhörprotokolle bekannt?
Wurden sie schon zuvor wissenschaftlich ausgewertet?
Ist das Buch nur die erste breite Veröffentlichung oder die erste zusammenhängende Auswertung?
 
Zwischenfragen: Seit wann sind die Abhörprotokolle bekannt?
Wurden sie schon zuvor wissenschaftlich ausgewertet?
Ist das Buch nur die erste breite Veröffentlichung oder die erste zusammenhängende Auswertung?

Sönke Neitzel hat bereits ein Buch über solche Abhörprotokolle geschrieben.

Abgehört. Deutsche Generäle in britischer Kriegsgefangenschaft 1942-1945, Berlin 2005, 2. Auflage 2006, Taschenbuch Berlin 4. Auflage 2009.

Im Spiegel steht es.

Im Rahmen seiner Recherche stiess er 2001 auf die Abhörprotokolle deutscher Offiziere. Er hat da über den U-Boot Krieg im Atlantik recherchiert und ist in diesem Zusammenhang in den britschen und amerikanischen Archiven auf diese Abhörprotokolle gestossen. Er forschte mit Harald Welzer weiter. Zusammen fanden sie dann 150 000 Seiten Originalquellen, die nun im neuen Buch verarbeitet wurden.

Spiegel. Nr. 14.04.04.2011. Seite 44


Es ist zusammen mit dem ersten Buch von Neitzel die erste Auswertung.
 
Ich frage mich, welche Mechanismen und Rahmenbedingungen da am Werke sind. Bei den Tätern frage ich mich, wie so etwas ablaufen kann. Da wird es doch sicherlich auch "Initialtäter" und Mittäter geben. Und auch bestimmt den ein oder anderen, die sich nicht daran beteiligen oder sogar dagegen Widerstand leisten. So mögen dann gewisse Eigendynamiken entstehen.
Diese Frage würde ich schon im Hinblick auf den Krieg stellen, in dem solche Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten geschehen. Denn der Krieg an sich ist nicht der Normalzustand (jedenfalls war er das nicht im August 1939) und es bedarf seit jeher Riten, Mechanismen, Rahmenbedingungen, die es überhaupt erst möglich machen, dass sich Menschen in "Krieger" verwandeln und ausziehen, um andere zu töten, verletzen, quälen, plündern, etc. Ich hoffe, dass es erlaubt ist, auf folgende Seite zu verweisen, auf der das archetypische Verhalten von Soldaten beleuchtet wird: Die Hunde des Krieges - Rituale und Trophäen der Krieger: Kopfjagd Tätowierung Kriegsbemalung Werwolf Metamorphose.

Hier dürfte sich dann auch zeigen, wie wichtig es seitens der Politik ist, das Spagat zum "gezähmten Soldaten" hinzubekommen: einerseits muss der einzelne Soldat so rauh sein, dass er den Krieg überhaupt führt. Andererseits darf er nicht so rauh sein, dass er ihn grausam oder unmenschlich gegenüber der Zivilbevölkerung oder Gefangenen führt.

Beim Zweiten WK war für die Entfesselung des Krieges auf deutscher Seite eine jahrelange propagandistische Vorprägung der künftigen Soldaten erforderlich im Sinne der Ideologie einer nationalistischen Herrenrasse, die Raum für das eigene Volk erkämpft und die minderwertigen Völker bekämpft, die Deutschland jahrelang geknechtet haben sollen. Recht war nach dieser Ideologie, was nützlich war. Entsprechend schwach war die politische Aufsicht, es sei denn, die Einhegung des Krieges, das Beachten völkerrechtlicher Grenzen, erschien in dem jeweiligen Abschnitt gerade nützlich. Von Bedeutung war in diesem Zusammenhang freilich auch noch die Haltung der militärischen Vorgesetzten. Wenn diese gegen Übergriffe vorgingen, konnte dies durchaus disziplinarische Wirkung zeigen. Wenn aber die Übegriffe durch Politik und Befehlshaber gefördert oder geduldet wurden, konnte sich selbst der unbedeudenste Besatzungssoldat als Herrenmensch ausleben.

Ich weiß, daß es eher um die Frage geht, wieso beispielweise ein konkreter Soldat einen vorbeifahrenden Radfahrer erschiesst, um an dessen Fahrrad zu kommen, anstatt ihm das Fahrrad einfach wegzunehmen. Aber man darf nicht vergessen, dass die öffentliche politische Ebene und die Ebene der militärischen Führung wichtig sind für das Entstehen und die Pflege moralischen Bewusstseins. Wenn diese Ebenen ausfallen oder gar Übergriffe begünstigen, dann macht sich das Verbrechen breit.
 
Quellen und Schlußfolgerungen...

Die zentrale Frage ist doch hier, ob man solche Aussagen als Pars por Toto nehmen kann, also, ob sie als Paradigma für das Denken und Fühlen einer ganzen Armee stehen?

Es waren knapp 4 Millionen deutsche und knapp 60.000 österreichische Soldaten in westalliierter Kriegsgefangenschaft und wenn es in dieser großen Gruppe keine Zeugnisse für Verrohung und Barbarei nach Jahren des blutigen Krieges geben würde, das wäre mehr als ungewöhnlich.

Die Abhörprotokolle aus den britischen Lagern sind schon vor einigen Jahren debattiert worden. Damals wurde auch die Frage diskutiert, ob die Soldaten davon ausgehen mußten, abgehört zu werden, insbesondere Offiziere wurden eigentlich prinzipiell per 'Coaching' vor Abhöraktionen in Gefangenschaft eindringlich gewarnt. Interpretiert wurde die vorgebliche Offenheit in dem Kontext damals, daß einige Soldaten wohl mit der Zeit die Vorsicht vergessen hätten.

Jede Empathie für die Opfer war z.B. auch den meisten alliierten Bomberpiloten fremd. Die Zeugnisse hierzu sind ebenso bestürzend. In dem Kontext findet aber keine Forschung statt. Das Ganze hier ist aus einem Forschungsprojekt der Uni Mainz und dem Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen entstanden.

Leider wird wohl kaum einer der zitierten Soldaten zum Wahrheitsgehalt befragt werden können. Insofern ist zumindest Quellenvorsicht geboten. Für die Tendenz der Grundthese finden sich aber sicher bunte und eifrige Anhänger...
 
Leider wird wohl kaum einer der zitierten Soldaten zum Wahrheitsgehalt befragt werden können. Insofern ist zumindest Quellenvorsicht geboten. Für die Tendenz der Grundthese finden sich aber sicher bunte und eifrige Anhänger...

Warum sollten sie lügen - noch zudem, wenn "insbesondere Offiziere [...] eigentlich prinzipiell per 'Coaching' vor Abhöraktionen in Gefangenschaft eindringlich gewarnt" worden waren?
Denn dass das kein regelhaftes sondern entmenschlichtes Verhalten war, das war auch einem Menschen 1939 - 45 völlig bewusst.
 
Folgerungen...

Warum sollten sie lügen - noch zudem, wenn "insbesondere Offiziere [...] eigentlich prinzipiell per 'Coaching' vor Abhöraktionen in Gefangenschaft eindringlich gewarnt" worden waren?
Denn dass das kein regelhaftes sondern entmenschlichtes Verhalten war, das war auch einem Menschen 1939 - 45 völlig bewusst.

Wieso sollen gerade Offiziere wahrheitsgemäße Angaben machen, wenn sie davon ausgehen mußten, abgehört zu werden und entsprechend gewarnt wurden? Solche Abhöraktionen galten als gängiges Mittel der Informationsbeschaffung, auch auf deutscher Seite.

Die wesentliche Frage ist doch, ob man diese hier auftretende Empathielosigkeit als einen besonderer Makel für die Wehrmacht interpretieren kann oder ob es ein allgemeingültiges Ergebnis der enthemmenden Kriegserfahrung war? Dann verliert es aber das 'Spektakuläre'.

Grüße

Vitruv
 
Wieso sollen gerade Offiziere wahrheitsgemäße Angaben machen, wenn sie davon ausgehen mußten, abgehört zu werden und entsprechend gewarnt wurden? Solche Abhöraktionen galten als gängiges Mittel der Informationsbeschaffung, auch auf deutscher Seite.

Ach so... darum belasten sie sich also selbst, weil sie wissen (oder wenigstens ahnen), dass sie abgehört werden. Total logisch.

Die wesentliche Frage ist doch, ob man diese hier auftretende Empathielosigkeit als einen besonderer Makel für die Wehrmacht interpretieren kann oder ob es ein allgemeingültiges Ergebnis der enthemmenden Kriegserfahrung war? Dann verliert es aber das 'Spektakuläre'.
Ist das tatsächlich die wesentliche Frage? Ich habe den Eindruck, dir geht es um ein relativierendes "Aber die anderen haben doch auch." :hmpf:
 
Resonanzen...

Ach so... darum belasten sie sich also selbst, weil sie wissen (oder wenigstens ahnen), dass sie abgehört werden. Total logisch.


Ist das tatsächlich die wesentliche Frage? Ich habe den Eindruck, dir geht es um ein relativierendes "Aber die anderen haben doch auch." :hmpf:


Lieber El Quijote,

Nein, hier geht es wohl eindeutig um die Durchsetzung der Dauer-These, nur die Wehrmacht hat.... Ansonsten hat doch 'Relativierung' eher Breitensportcharakter... Ich habe auch kein Interesse, mich gegen die üblichen Verdächtigungstechniken zu wehren, wenn man ein wenig Quellenkritik einfordert und sich nicht gleich freudig stramm ins Belastungslager einreihen will.

Das ist aber nicht der Kern. Wer hat die Aussagen überprüft und wer die Möglichkeit sich gegen die Zitate zu wehren? Findet da überhaupt eine Quellenkritische Betrachtung statt oder hat Geschichtspolitik auch hier Vorrang? Das schafft das Unbehagen. Da funktioniert auch der Filter in der Fachdebatte nicht mehr.

Einer, der sich auf den energieverschlingenden Weg gemacht hat, sich gegen seinem Vater zugeschriebene Zitate zu wehren, ist Thilo von Choltitz (siehe Anlage). Der landet denn auch schnell und überall in der Schublade des Unbelehrbaren, ganz egal, ob die Zitate nun stimmen oder nicht, interessiert doch keinen, soll er doch schweigen...oder meinetwegen wie ich, wenn ich ein kleines Maß an Quellenkritik einfordere. Das ist denn auch hier der eindeutige Vorrang der Geschichtspolitik. Bei einer einigermaßen entwickelten Debattenkultur sollte das aber nicht passieren...

Grüße Vitruv
 

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Jede Empathie für die Opfer war z.B. auch den meisten alliierten Bomberpiloten fremd.

Da wäre ich gespannt, welcher Studie kann man die Untersuchung "der meisten" entnehmen?

Leider gleitet das Thema damit zudem ab. Die Frage oben war im Ausgangspost von Ursi so formuliert, was am Fühlen und Handeln dem Kontext der Nationalsozialistischen Ideologie zuzuordnen ist. Das bezieht sich eben auch auf individuelle Verbrechen über reine Kriegs-/Kampfhandlungen hinaus und ist nicht - abstrakt formuliert: - eine Frage der Empathie über Kollateralschäden.

@Gandolf hat das gut erläutert, auch bezüglich des "Ausfallen von Ebenen". Soweit tatsächlich hier wehrmachtsführungsseitig eine Eindämmung betrieben wurde, hatte als wesentlichen Aspekt einen disziplinarischen, also einen "kriegstechnischen" Hintergrund. Zugespitzt: eine Soldateska ist schlechter zu führen. Darauf ist in der Paralleldiskussion zu den Kriegsverbrechen im Osten hingewiesen worden.

Den Eindruck der Relativierung habe ich übrigens auch, wie ElQ (EDIT: sehe gerade, in der Antwort von @vitruv wird wieder mal ausweichend auf die Metaebene der Diskussionskultur gewechselt).

In gewisser Weise kann man inzwischen reflexartige Verweise auf den Bombenkrieg feststellen, wenn es um Wehrmachtsverbrechen geht. Das Thema an sich ist dabei durchaus Diskussionen wert, zB bzgl. der Bomberbesatzungen, dem Abstraktionsgrad der Kriegshandlungen (analog Belagerungsgeschütze vor Leningrad), oder den psychischen Auswirkungen sehr hoher Verlustrisiken bei den Einsätzen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Denn der Krieg an sich ist nicht der Normalzustand (jedenfalls war er das nicht im August 1939)

Beim Zweiten WK war für die Entfesselung des Krieges auf deutscher Seite eine jahrelange propagandistische Vorprägung der künftigen Soldaten erforderlich ...

Was man gerade in Deutschland nicht aus den Augen verlieren darf, ist, daß das Land nach dem ersten Weltkrieg gar nicht richtig in den "Normalzustand" zurückfand. Wer in den politischen Auseinandersetzungen der Weimarer Republik erlebt hat, daß zur Durchsetzung des eigenen ideologischen Standpunktes der Verlust an Menschenleben in Kauf genommen wurde (man kann auch sagen, wer das Morden mitangesehen hat), der war auch als Soldat später vorgeprägt.


Wieso sollen gerade Offiziere wahrheitsgemäße Angaben machen, wenn sie davon ausgehen mußten, abgehört zu werden und entsprechend gewarnt wurden? Solche Abhöraktionen galten als gängiges Mittel der Informationsbeschaffung, auch auf deutscher Seite.

Die wesentliche Frage ist doch, ob man diese hier auftretende Empathielosigkeit als einen besonderer Makel für die Wehrmacht interpretieren kann oder ob es ein allgemeingültiges Ergebnis der enthemmenden Kriegserfahrung war? Dann verliert es aber das 'Spektakuläre'.

Viele dieser Protokolle sind doch noch zu Kriegszeiten angefertigt worden. Da ging es doch eher darum, militärische Geheimnisse nicht preiszugeben, um dem Feind keine Informationen und damit keinen Vorteil zu geben. Darauf wurden die Offiziere geeicht. Um das Ausplaudern von Kriegsverbrechen scheinen sich viele nicht so sehr gesorgt zu haben, da sie ja wohl kaum damit gerechnet haben, dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Das "Spektakuläre" verstehe ich nicht ganz? Was ist denn spektakulär? Empathielosigeit als Ergebnis der Kriegserfahrung gab es auch schon zuvor. Die Einnahme von Jerusalem 1099 oder auch das Morden der Bevölkerung im dreißigjährigen Krieg sind genauso barbarisch. Relativiert das irgendein Verbrechen im zweiten Weltkrieg? Natürlich nicht!
 
Nachrichtendienstliche Erkenntnisse z.B. aus Abhörprotokollen wurden meines beschränkten wissens nach nie als Beweismittel in Kriegsverbrecherprozessen zugelassen. Vllt. ergaben sie Ermittlungsansätze, aber da müßte man in die einzelnen Ermittlungsakten einsteigen.

Die Verbrecher haben im Uz genügend justizable Spuren hinterlassen, kontrasignierte Befehle, Besprechungsprotokolle, Aktennotizen, Briefwechsel, Affidavits von Zeitzeugen bis hin zu Gesetzen (z.B. Nürnberger Gesetze etc.). Wo also liegt aus historischer Sicht das Interesse an solchen Protokollen? M.E. doch einzig und alleine die psychologisch-individuelle Motivationslage der Täter zu ergründen. Natürlich auch abgeleitete Forschungsgebiete, wie Sprachforschung, welche Wortwahl, wie gehen kriegsgefangene Offiziere, die sich in einer extremen persönlichen Situation befinden miteinander um, funktionieren die Hierarchien noch, wie stellen sie sich zur gegnerischen Gefangenenmacht usw. Mehr ist aus solchen Protokollen jenseits von kriegsgeschichtlichen "Spuren" nicht zu entnehmen.


M.
 
Damals wurde auch die Frage diskutiert, ob die Soldaten davon ausgehen mußten, abgehört zu werden, insbesondere Offiziere wurden eigentlich prinzipiell per 'Coaching' vor Abhöraktionen in Gefangenschaft eindringlich gewarnt.

Und an diesem Arguemt erkennt man eindeutig, dass Vitruv gerne auf einer Metaebene über Publikationen schreibt, quasi vom Hörensagen, die er offensichtlich nicht selber gelesen hat.

Wer hat denn da, also damals, mit welchem Argument Neitzel kritisiert. Eine präzise Antwort wird Vitruv, nahezu wie immer, leider, schuldig bleiben, weil eine quellengestützte Argumentation nicht seine Stärke ist.

Hätte er selber Neitzel gelesen, dann wüßte er, dass Neitzel diese Aspekte duchaus methoden- und qellenkritisch diskutiert hat und sich der Implikationen seines Vorgehens durchaus bewußt war.

Deswegen auch sein Versuch, durch zusätzlich Quellen und Dokumente eine Validierung vorzunehmen.

Unter dem Strich ist die politische Intention bei Vitruv wider leider allzu deutlich, wie bei fast allen seinen Beiträgen! Offensichtlich vertragen manche Personen keine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Igitt, Nestbeschmutzung. :hmpf:
 
Da wäre ich gespannt, welcher Studie kann man die Untersuchung "der meisten" entnehmen?

Leider gleitet das Thema damit zudem ab. Die Frage oben war im Ausgangspost von Ursi so formuliert, was am Fühlen und Handeln dem Kontext der Nationalsozialistischen Ideologie zuzuordnen ist. Das bezieht sich eben auch auf individuelle Verbrechen über reine Kriegs-/Kampfhandlungen hinaus und ist nicht - abstrakt formuliert: - eine Frage der Empathie über Kollateralschäden.

@Gandolf hat das gut erläutert, auch bezüglich des "Ausfallen von Ebenen". Soweit tatsächlich hier wehrmachtsführungsseitig eine Eindämmung betrieben wurde, hatte als wesentlichen Aspekt einen disziplinarischen, also einen "kriegstechnischen" Hintergrund. Zugespitzt: eine Soldateska ist schlechter zu führen. Darauf ist in der Paralleldiskussion zu den Kriegsverbrechen im Osten hingewiesen worden.

Den Eindruck der Relativierung habe ich übrigens auch, wie ElQ (EDIT: sehe gerade, in der Antwort von @vitruv wird wieder mal ausweichend auf die Metaebene der Diskussionskultur gewechselt).

In gewisser Weise kann man inzwischen reflexartige Verweise auf den Bombenkrieg feststellen, wenn es um Wehrmachtsverbrechen geht. Das Thema an sich ist dabei durchaus Diskussionen wert, zB bzgl. der Bomberbesatzungen, dem Abstraktionsgrad der Kriegshandlungen (analog Belagerungsgeschütze vor Leningrad), oder den psychischen Auswirkungen sehr hoher Verlustrisiken bei den Einsätzen.

Und sie halten eine Kultur des Verdachts tatsächlich für eine fachliche Dimension oder für eine zielführende Debattenkultur, eher wohl eine skurrile Repressionskultur?

Das Ausweichen auf den Motivverdacht ist denn aus dieser Perspektive der Pawlowsche Reflex zur Durchsetzung von Geschichtsbildern, wenn sich auch nur der geringste Widerspruch oder auch nur das Wagnis von Vorbehalten erheben.

Und nur so nebenbei: Wenn ein genuiner Bezug zur NS-Ideologie aufgestellt wird, dann ist das eben wieder der Ansatz nicht Kriegsverrohung grundsätzlich zu dokumentieren, sondern ein Alleinstellungsmerkmal der 'Wehrmacht' zu konstruieren. Ob das aber die Abhörprotokolle hergeben, da habe ich meine ganz erheblichen Zweifel...

Grüße Vitruv
 
Und an diesem Arguemt erkennt man eindeutig, dass Vitruv gerne auf einer Metaebene über Publikationen schreibt, quasi vom Hörensagen, die er offensichtlich nicht selber gelesen hat.

Wer hat denn da, also damals, mit welchem Argument Neitzel kritisiert. Eine präzise Antwort wird Vitruv, nahezu wie immer, leider, schuldig bleiben, weil eine quellengestützte Argumentation nicht seine Stärke ist.

Hätte er selber Neitzel gelesen, dann wüßte er, dass Neitzel diese Aspekte duchaus methoden- und qellenkritisch diskutiert hat und sich der Implikationen seines Vorgehens durchaus bewußt war.

Es hat eben niemand irgendeine quellenkritische Haltung eingenommen, da wußte jeder, was dann folgt. Und 'kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit' ist angesichts der unkritischen Adaption eher ein gewagter Euphemismus.

Ich habe sogar letztes Jahr mühsam dazu aufgerafft, einen Vortrag von Neitzel zu den Abhörprotokollen der WH-Generäle zu hören. Auch wenn er die Vorbehalte aufgreift, so ist das zwar taktisch klug, aber er kommt natürlich zu anderen Schlußfolgerungen.

Eine erweiterte unlyrische Sammlung von Unterstellungen ist mir zu unsinnlich. Ich klinke mich hier aus, das wird mir entschieden zu unfruchtbar.

Grüße Vitruv
 
Zuletzt bearbeitet:
Alleinstellungsmerkmale...

Das "Spektakuläre" verstehe ich nicht ganz? Was ist denn spektakulär? Empathielosigeit als Ergebnis der Kriegserfahrung gab es auch schon zuvor. Die Einnahme von Jerusalem 1099 oder auch das Morden der Bevölkerung im dreißigjährigen Krieg sind genauso barbarisch. Relativiert das irgendein Verbrechen im zweiten Weltkrieg? Natürlich nicht!

Das 'Spektakuläre' ist der alleinige Bezug zur Wehrmacht, wo man die Verrohung wie hier nicht als kriegsbedingt, sondern als genuines Produkt der NS-Ideologie interpretieren und verstehen will.

Grüße

V.
 
Das 'Spektakuläre' ist der alleinige Bezug zur Wehrmacht, wo man die Verrohung wie hier nicht als kriegsbedingt, sondern als genuines Produkt der NS-Ideologie interpretieren und verstehen will.

Grüße

V.
Das ist bei Welzer und Neitzel kaum vorstellbar. Welzer hat sich intensiv mit der Täterwerdung befasst und dabei in Bezug auf den Nationalsozialismus mit den Daten von Brownings Ordinary Men gearbeitet, der ja gerade gezeigt hat, dass die Verrohung auch weitgehend ohne die Indoktrinierung der Täter vonstatten ging. Welzer ergänzt sogar um Beispiele, in welcher Täter gleichzeitig im nationalsozialistischen Dienst mordeten und ihre persönliche Distanz zum Nationalsozialismus zum Ausdruck bringen. Welzer hat aber den Kreis der untersuchten Täter noch erweitert, um My Lai (soviel zu den Alliierten) Rwanda und Srebrenica.
 
Es hat eben niemand irgendeine quellenkritische Haltung eingenommen, da wußte jeder, was dann folgt. Und 'kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit' ist angesichts der unkritischen Adaption eher ein gewagter Euphemismus.

Hast du denn das Buch schon gelesen? Wahrscheindlich nicht, da es erst am 12. April auf den Markt kommt. Sobald es draussen ist, kann man sicher im Quelleverzeichnis nachsehen und wenn man in die Archive, nach Grossbritannien oder USA reist die Originalqullen anschauen. Danach kann man eine historisch kritische Quellenkritik machen. Das können wir hier im GF zur Zeit nicht, da uns die Quellen ja nicht vorliegen. Also kannst du mit dieser Methadiskussion aufhören.

Interessant ist ja schon, wenn einem die Ergebnisse nicht ins eigene Weltbild passen, dann sind sie unseriös etc. Sagt viel aus
 
Selbstverständnisse...

Das ist bei Welzer und Neitzel kaum vorstellbar. Welzer hat sich intensiv mit der Täterwerdung befasst und dabei in Bezug auf den Nationalsozialismus mit den Daten von Brownings Ordinary Men gearbeitet, der ja gerade gezeigt hat, dass die Verrohung auch weitgehend ohne die Indoktrinierung der Täter vonstatten ging. Welzer ergänzt sogar um Beispiele, in welcher Täter gleichzeitig im nationalsozialistischen Dienst mordeten und ihre persönliche Distanz zum Nationalsozialismus zum Ausdruck bringen. Welzer hat aber den Kreis der untersuchten Täter noch erweitert, um My Lai (soviel zu den Alliierten) Rwanda und Srebrenica.

Ich verstoße gegen meinen Vorsatz. Zum Selbstverständnis des Forschungsprojektes weiss die PM des Fischer-Verlages:

'Das Buch zeigt die Kriegswahrnehmung von Soldaten
in historischer Echtzeit und vermittelt eine faszinierende und
erschreckende Innenansicht des Zweiten Weltkriegs durch jene Soldaten,
die große Teile Europas verwüsteten. Zudem wird im Vergleich zu
anderen Kriegen herausgearbeitet, was am Fühlen und Handeln der
deutschen Soldaten spezifisch für den Nationalsozialismus war und was
nicht.'

qed...

Grüße

V.
 
Das 'Spektakuläre' ist der alleinige Bezug zur Wehrmacht, wo man die Verrohung wie hier nicht als kriegsbedingt, sondern als genuines Produkt der NS-Ideologie interpretieren und verstehen will.

Grüße

V.

Neben dem Spiegel hat auch der Stern über die Sache einen Artikel in seinem aktuellen Heft. Und so wie ich das sehe, wird zwar die Wehrmacht als Ausgangspunkt genommen - immerhin sind die Abhörprotokolle eben solche von Wehrmachtsangehörigen. Aber es wird in beiden Artikeln auch durchaus deutlich, dass es kein spezifisches Phänomen der Wehrmacht gewesen ist, also nicht erklärbar ist als Folge von NS-Ideologie. Denn es wird auch gezeigt, dass ähnliche Verhaltensmuster auch aktuell in Afganistan zu beobachten wären.
 
Nachdem @vitruv erneut und wortreich in #33 der Frage ausgewichen ist, wiederhole ich sie: auf welche Studie bezieht sich der Einwurf zu den alliierten Flugzeugbesatzungen?
 
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