Scorpio
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Vor einiger Zeit fand ich bei einer Wohnungsrenovierung- die Wohnung gehörte einem praktischen Arzt- eine Tasche, eigentlich eher ein Beutel, der zur Ausstattung eines alliierten Sanitäters gehört haben muss. Der Beutel enthielt eine Aderpresse, eine Arterienklemme, Verbandsmaterial und mehrere kleine Tuben, bei denen ich anfangs überhaupt keine Ahnung hatte, was es damit auf sich hat.
Erst nach einer Weile kapierte ich, dass es sich um Syretten handelte. Eine Syrette sieht aus wie eine kleine Zahnpastatube oder wie ein Sekundenkleber. An der Tube ist eine Kanüle befestigt, die Kanüle ist versiegelt, entfernt man den Aufsatz, ist die Syrette fertig, um benutzt zu werden. Syretten waren mit starken Opiaten, in der Regel Morphin gefüllt. Die Dosierung entsprach 1/2 Gran (grain=32,5 mg Morphin).
William Seward Burroughs beschreibt in seinem autobiographischen Werk "Junky-Confessions of an unredeemed Drug Addict seine ersten Erfahrungen mit Morphin gegen Ende des 2. Weltkriegs. Ohne Burroughs Beschreibung hätte ich gar nicht gewusst, was eine Syrette überhaupt ist.
Morphin war das erste Alkaloid, das 1804 erstmals von Friedrich Sertürner isoliert wurde. Während des Krimkriegs und des Amerikanischen Bürgerkriegs wurde Morphin erstmals in größerem Umfang eingesetzt.
Morphin war natürlich auch in Opium-Präparaten wie Laudanum enthalten, es konnte bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nur oral verabreicht werden. Bis die Wirkung einsetzte, verging viel Zeit, die Konzentration von Medikamenten schwankte mit dem Reinheitsgrad des verwendeten Opiums, und es war viel schwieriger, es korrekt zu dosieren. Es kam vor, dass Patienten zu niedrig dosiert wurden und dann immer noch unter Schmerzen litten oder es kam vor, dass in den überfüllten Lazaretten, Patienten zu hoch dosiert wurden und an Atemdepression starben.
Die Entwicklung des Morphins und der Injektionsspritze ermöglichte eine viel genauere Dosierung und eine direkte Applikation des Wirkstoffs. Die Risiken von Opiaten und die Gefahr einer Abhängigkeit war prinzipiell bekannt. Die Suche nach dem reinen Wirkstoff war auch mit der Hoffnung verbunden, dass man damit die Risiken einer Abhängigkeit minimierte.
Diese Hoffnung erwies sich als Illusion. Die großzügige Anwendung von Morphin auf den Schlachtfeldern des 19. Jahrhunderts führte zu einem massiven Rückgang der Todesfälle, es häuften sich aber auch Berichte von Soldaten und Ärzten, die morphinabhängig geworden waren. Auch sein Entdecker Friedrich Sertürner wurde Morphinist.
Um die Jahrhundertwende gab es eine Reihe von Präparaten, Tonika, Pillen etc., etc., die Morphin oder auch Kokain enthielten.
Kokain war das erste Lokalanästhetikum. Das Mittel nahm einer Zahnextraktion oder-Wurzelbehandlung den Jahrhunderte alten Schrecken. Senator Thomas Buddenbrook hätte, wäre er 10 Jahre später zu Zahnarzt Brecht gegangen, sehr viele Qualen und vielleicht der Tod erspart geblieben.
Am Vorabend des 1. Weltkriegs war das Suchtpotenzial von Morphin, Kokain bekannt. Auch ein Mittel, das 1898 von Bayer auf den Markt gebracht wurde mit dem Handelsnamen Heroin war ins Gerede gekommen. 1910 kam es zu einer ersten Internationalen Opiumkonferenz, und in den USA wurde die Harrison Act erlassen, und eine Rezeptpflicht eingeführt.
Gegen starke und stärkste Schmerzen sind aber Mittel wie Morphin unentbehrlich. In Kriegszeiten waren qualifizierte Ärzte und Schwester immer rar. Wenn einem Verwundeten Morphin verabreicht wurde, war in der Regel ein Arzt zu konsultieren, eine Injektionslösung musste in vielen Fällen erst vorher vorbereitet werden, und im Kriegsfall gab es weit mehr Verwundete, als Ärzte, die sich um sie kümmern konnten.
Einweg-Injektionsspritzen gab es damals noch nicht. Wenn einem Verwundeten eine Spritze gegeben werden sollte, mussten Injektionsspritzen jedes Mal erst gereinigt und sterilisiert werden.
Syretten hatten den Vorteil, dass sie eine fertige Injektionslösung enthielten. Die Dosierung von 1/2 gran=32,5 mg Morphin war so stark, dass sie die Beschwerden eines durchschnittlichen Menschen zuverlässig linderte, aber auch nicht so stark, dass man daran sterben konnte. Syretten konnten auch von wenig ausgebildetem Sanitätspersonal verabreicht werden. Während Spritzen meist für intravenöse Applikation vorgesehen waren, wurden Syretten für subkutane Injektionen benutzt. Die Syrette wurde unter der Haut angesetzt und mit Daumen und Zeigefinger das Schmerzmittel injiziert. Nach einmaligem Gebrauch wurde die Syrette weggeworfen. Notfalls konnte ein Soldat sich damit selbst eine Injektion geben.
Soweit ich bisher recherchieren konnte, waren Syretten im 1. Weltkrieg noch unbekannt, und ich habe keine Indizien finden können über die Verwendung von Syretten in der deutschen oder italienischen Armee. Auch die britische Armee verwendete im 2. Weltkrieg Syretten. Während die Amerikaner 1/2 grain Morphin-Syretten verwendeten, benutzten die Briten ein Kombinationspräparat "Omnipon", dass Morphin und Papaverin enthielt. Syretten wurden anscheinend auch im 2. Golfkrieg noch von den Briten und US-Amerikanern benutzt.
Soweit ich bisher informiert bin, sind Syretten aus britischen oder amerikanischen Armeebeständen unter Militaria-Sammlern sehr begehrt. Auf dem Markt dürften sich ohnehin nur wenige Original-Syretten erhalten haben. Da Morphin heute in den meisten Staaten streng kontrolliert wird, wäre es kaum möglich, Syretten zu kaufen oder zu verkaufen, ohne gegen das BtMG zu verstoßen.
Die Syrette, hochtoxisch und strengstens verboten- ist heute nur noch ein Relikt, ein Überbleibsel aus einem fast völlig in Vergessenheit geratenen Kapitel der Medizin- und Militärgeschichte.
Erst nach einer Weile kapierte ich, dass es sich um Syretten handelte. Eine Syrette sieht aus wie eine kleine Zahnpastatube oder wie ein Sekundenkleber. An der Tube ist eine Kanüle befestigt, die Kanüle ist versiegelt, entfernt man den Aufsatz, ist die Syrette fertig, um benutzt zu werden. Syretten waren mit starken Opiaten, in der Regel Morphin gefüllt. Die Dosierung entsprach 1/2 Gran (grain=32,5 mg Morphin).
William Seward Burroughs beschreibt in seinem autobiographischen Werk "Junky-Confessions of an unredeemed Drug Addict seine ersten Erfahrungen mit Morphin gegen Ende des 2. Weltkriegs. Ohne Burroughs Beschreibung hätte ich gar nicht gewusst, was eine Syrette überhaupt ist.
Morphin war das erste Alkaloid, das 1804 erstmals von Friedrich Sertürner isoliert wurde. Während des Krimkriegs und des Amerikanischen Bürgerkriegs wurde Morphin erstmals in größerem Umfang eingesetzt.
Morphin war natürlich auch in Opium-Präparaten wie Laudanum enthalten, es konnte bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nur oral verabreicht werden. Bis die Wirkung einsetzte, verging viel Zeit, die Konzentration von Medikamenten schwankte mit dem Reinheitsgrad des verwendeten Opiums, und es war viel schwieriger, es korrekt zu dosieren. Es kam vor, dass Patienten zu niedrig dosiert wurden und dann immer noch unter Schmerzen litten oder es kam vor, dass in den überfüllten Lazaretten, Patienten zu hoch dosiert wurden und an Atemdepression starben.
Die Entwicklung des Morphins und der Injektionsspritze ermöglichte eine viel genauere Dosierung und eine direkte Applikation des Wirkstoffs. Die Risiken von Opiaten und die Gefahr einer Abhängigkeit war prinzipiell bekannt. Die Suche nach dem reinen Wirkstoff war auch mit der Hoffnung verbunden, dass man damit die Risiken einer Abhängigkeit minimierte.
Diese Hoffnung erwies sich als Illusion. Die großzügige Anwendung von Morphin auf den Schlachtfeldern des 19. Jahrhunderts führte zu einem massiven Rückgang der Todesfälle, es häuften sich aber auch Berichte von Soldaten und Ärzten, die morphinabhängig geworden waren. Auch sein Entdecker Friedrich Sertürner wurde Morphinist.
Um die Jahrhundertwende gab es eine Reihe von Präparaten, Tonika, Pillen etc., etc., die Morphin oder auch Kokain enthielten.
Kokain war das erste Lokalanästhetikum. Das Mittel nahm einer Zahnextraktion oder-Wurzelbehandlung den Jahrhunderte alten Schrecken. Senator Thomas Buddenbrook hätte, wäre er 10 Jahre später zu Zahnarzt Brecht gegangen, sehr viele Qualen und vielleicht der Tod erspart geblieben.
Am Vorabend des 1. Weltkriegs war das Suchtpotenzial von Morphin, Kokain bekannt. Auch ein Mittel, das 1898 von Bayer auf den Markt gebracht wurde mit dem Handelsnamen Heroin war ins Gerede gekommen. 1910 kam es zu einer ersten Internationalen Opiumkonferenz, und in den USA wurde die Harrison Act erlassen, und eine Rezeptpflicht eingeführt.
Gegen starke und stärkste Schmerzen sind aber Mittel wie Morphin unentbehrlich. In Kriegszeiten waren qualifizierte Ärzte und Schwester immer rar. Wenn einem Verwundeten Morphin verabreicht wurde, war in der Regel ein Arzt zu konsultieren, eine Injektionslösung musste in vielen Fällen erst vorher vorbereitet werden, und im Kriegsfall gab es weit mehr Verwundete, als Ärzte, die sich um sie kümmern konnten.
Einweg-Injektionsspritzen gab es damals noch nicht. Wenn einem Verwundeten eine Spritze gegeben werden sollte, mussten Injektionsspritzen jedes Mal erst gereinigt und sterilisiert werden.
Syretten hatten den Vorteil, dass sie eine fertige Injektionslösung enthielten. Die Dosierung von 1/2 gran=32,5 mg Morphin war so stark, dass sie die Beschwerden eines durchschnittlichen Menschen zuverlässig linderte, aber auch nicht so stark, dass man daran sterben konnte. Syretten konnten auch von wenig ausgebildetem Sanitätspersonal verabreicht werden. Während Spritzen meist für intravenöse Applikation vorgesehen waren, wurden Syretten für subkutane Injektionen benutzt. Die Syrette wurde unter der Haut angesetzt und mit Daumen und Zeigefinger das Schmerzmittel injiziert. Nach einmaligem Gebrauch wurde die Syrette weggeworfen. Notfalls konnte ein Soldat sich damit selbst eine Injektion geben.
Soweit ich bisher recherchieren konnte, waren Syretten im 1. Weltkrieg noch unbekannt, und ich habe keine Indizien finden können über die Verwendung von Syretten in der deutschen oder italienischen Armee. Auch die britische Armee verwendete im 2. Weltkrieg Syretten. Während die Amerikaner 1/2 grain Morphin-Syretten verwendeten, benutzten die Briten ein Kombinationspräparat "Omnipon", dass Morphin und Papaverin enthielt. Syretten wurden anscheinend auch im 2. Golfkrieg noch von den Briten und US-Amerikanern benutzt.
Soweit ich bisher informiert bin, sind Syretten aus britischen oder amerikanischen Armeebeständen unter Militaria-Sammlern sehr begehrt. Auf dem Markt dürften sich ohnehin nur wenige Original-Syretten erhalten haben. Da Morphin heute in den meisten Staaten streng kontrolliert wird, wäre es kaum möglich, Syretten zu kaufen oder zu verkaufen, ohne gegen das BtMG zu verstoßen.
Die Syrette, hochtoxisch und strengstens verboten- ist heute nur noch ein Relikt, ein Überbleibsel aus einem fast völlig in Vergessenheit geratenen Kapitel der Medizin- und Militärgeschichte.