Verschieben von Ortsnamen?

Sepiola

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Vor einiger Zeit ist mir ein sonderbares Buch in die Hände gefallen:

Johannes Freutsmiedl
Römische Straßen der Tabula Peutingeriana in Noricum und Raetien
Büchenbach [2006]

Der Autor verfolgt hier die Verläufe der im Titel genannten Straßen. Beim ersten Durchblättern bin ich aus dem Staunen nicht herausgekommen:
"Aris flavis", "Samulocenis", "Grinarione" sollen alle an der Donau entlang zu finden sein ("Aris flavis" = Immendingen/Möhringen, "Samulocenis" = Fridingen, "Grinarione" = Herbertingen) statt am Neckar.
Die Tabula Peutingeriana soll hier die frühkaiserzeitlichen Verhältnisse wiedergeben.
Die genannten Stationen seien unter Domitian aufgegeben und am Neckar neu gegründert worden sein. Dort sind sie ja auch archäologisch belegt - einschließlich der inschriftlich bezeugten Namen.
O-Ton Freutsmiedl:
"Die römischen Städte Arae Flaviae und Samulocenna wurden nach der Verlegung der Grenze an der Donau zum Limes unter Kaiser Domitian 85/90 n. Chr. in Rottweil und Rottenburg, beide nun am Neckar gelegen, gegründet und existierten bis 260 n. Chr." (S. 187)

Das Buch enthält viele weitere Skurrilitäten, auf die ich hier nicht eingehen will.

Was mich hier interessiert, ist die These:
"Bei einer Ortverlegung im Zuge des Landesaubaus wurde der alte Name des aufgegebenen Dorfes, ja sogar einer Stadt oder eines Lagers, vermutlich immer mitsammt der alten Bevölkerung am neuen Platz wieder verwendet. Das bedeutet, dass die Stationsnamen der Tabula die ersten, die ursprünglichen Anlagen und dass die bekannten oder in vielen Fällen nur als bekannt angenommenen Orte der jüngeren Straßen dann die Zweitgründungen waren." (S. 39)

Gibt es tatsächlich Belege dafür, dass systematisch Dörfer, Städte und Lager unter Beibehaltung des Namens um 30 km, 60 km oder mehr verlegt wurden?
 
Der Mitnahme des Namens bei Beibehaltung der Funktion ist ein allgemeines Phänomen, dass in verschiedenen Kulturen vorkommt. Daran ist somit nichts bemerkenswert. Es gehört nach dem Strukturalismus zu den normalen menschlichen Verhaltensweisen. Im Gegensatz zu der einfachen Aussage sehe ich allerdings Unterschiede solcher Neugründungen. Einwanderer wählen Ortsnamen, die für sie Ortsnamen sind. Verwaltungen wollen wohl eher die Zuordnung von Namen und Funktion wahren. Letzteres ist somit nur dann beobachtbar, wenn die Namen entweder sehr fest mit einem Standort verbunden ist, der wiederum eine wichtige Funktion hat, also als eigentlicher Träger der Funktion die aktualisierte Funktion gilt, oder, wenn in dem betrachteten Raum Ortsnamen eine geringe Rolle spielen, etwa weil es sonst nur unbedeutende Orte gibt, oder man für einen neuen Ort bei oder nach Aufgabe des alten Ortes bei Beibehaltung der Funktion sogar einen neuen Namen braucht, weil ein anderer z.B. nicht bekannt oder unaussprechlich ist.

Ich habe keine Zeit, Literatur herauszusuchen, aber bis ihr das bezüglich Alisos nicht glauben wolltet, rechnete ich das zur Allgemeinbildung.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich sehe auch in der Mitnahme eines Ortsnamens nichts grundsätzlich Bemerkenswertes.
Gefragt habe ich ausdrücklich nach Belegen für eine systematische Verschiebung.
In dem Beispiel von Freutsmiedl wäre nicht nur ein Ort verlegt worden, sondern eine komplette Kette von Stationen.

Man hätte also beim Bau einer neuen Straße den Neckar entlang Städte und Lager gegründet, für die man die Namen der Straßenstationen der bestehenden Straße längs der Donau übernommen hätte.
 
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