Wandel in der Wahrnehmung der Kreuzzüge

Für Ägypten gilt das schon, für Tunis jedoch nicht. Tunis war kein Bestandteil des ehem. Ayyubiden-Reiches und stand dementsprechend auch nicht unter mamelukischer Nachfolge-Herrschaft. Die Motivation für diesen Kreuzzug war schon den Zeitgenossen nicht ganz klar.

Die Motivation des Kreuzzugs von 1270 war gleichfalls die Rückeroberung von Jerusalem, oder zumindest die Stabilisierung der wenigen verbliebenen christlichen Herrschaften. Das war allen bei der Kreuznahme des Königs, die schon 1267 erfolgt ist, bewusst gewesen. Auch dem Prinzen von England, der sich mit Ludwig IX. zu einem gemeinsamen Zug abgesprochen hat. Die Gründe für den Angriff auf Tunis haben sich den Zeitgenossen tatsächlich nicht erschlossen. Die Politik Karls von Anjou aber auch des al-Mustansir von Tunis soll dabei eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. Allerdings war auch klar, dass Tunis nur eine Etappe auf dem Weg nach Outremer sein sollte. Der Tod des Königs an der Ruhr hat allerdings die Franzosen zum Abbruch ihres Kreuzzuges veranlasst; Prinz Eduard ist dagegen weitergereist.
 
@Joinville: Ist die Frage ernst gemeint, wo der Widerspruch bei Bohemunds und Balduins Verhalten liegt?
Ich gehe auf einen Kreuzzug um - aus tiefer Religiosität heraus und dem Wort des Papstes folgend (so die These, gegen die ich argumentiere) - Jerusalem von den Ungläubigen zu befreien.
Unterwegs falle ich aber dadurch auf, dass ich mir einen Herrschaftsbereich erobere (und zwar z.T. gegen den Willen der anderen Anführer, die ich erpressen kann, weil ich einen Weg in die belagerte Stadt kenne, den aber nur bekannt gebe, wenn ich dafür die eroberte Stadt bekomme (Bohemund), bzw. der gar nicht auf dem direkten Weg nach Jerusalem liegt (Balduin)) und mir dann so lange Zeit lasse, dass ich zwar noch am Grab des Erlösers beten kann, zur Befreiung der Stadt an sich aber gar nichts beigetragen habe (außer das angreifende Heer durch meine Abwesenheit zu schwächen). Das Pilgern ans Hl. Grab alleine war nicht der Sinn des Kreuzzugs (wobei es ja nicht einmal sicher ist, dass der ursprüngliche Sinn überhaupt die Befreiung Jerusalems war). Ich glaube nicht, dass es im Sinne einer Pilgerreise ist, sie ein Jahr zu unterbrechen, um mir eine eigene Herrschaft zu erobern. Die Staatengründung war nicht die einzige Möglichkeit, die Reisewege zu sichern ... man hätte sich auch einfach an den Eid halten können, den man Alexios geleistet hatte, von dem man aber bereits bei der Belagerung der ersten größeren Stadt (Nikaia) nichts mehr wissen wollte. Und das ist jetzt Ausdruck von Religiosität?

Bzgl. des Angriffs am Gründonnerstag: damit kein Missverständnis aufkommt: Ich meinte den Angriff der Kreuzfahrer am Gründonnerstag 1097 auf Konstantinopel, nachdem ihnen Alexios, als sie sich weigerten, ihm den geforderten Eid bzgl. der (ehemaligen) Gebiete seines Reiches zu leisten, den Zugang zum Markt und damit den Lebensmitteln sperrte ...

@Armer Konrad: In Clermont hatte man ganz exakt formuliert hatte: der Kreuzzug sollte einer Wallfahrt gleichgestellt sein und damit der Abbüßung der weltlichen Sündenstrafen gleich kommen, also NICHT dem Erlass der Sünde oder der jenseitigen Strafen. Gepredigt wurde dann aber meist der Erlass aller Sünden / der Erlass auch der jenseitigen Strafen ... und das machte den Kreuzzug so attraktiv, richtig. Der Papst an sich hatte aber in Clermont etwas anderes versprochen (vgl. den schon genannten Hans Eberhard Mayer, S. 35).
 
Ist die Frage ernst gemeint, wo der Widerspruch bei Bohemunds und Balduins Verhalten liegt?

Ja.

Papa-Leo schrieb:
Unterwegs falle ich aber dadurch auf, dass ich mir einen Herrschaftsbereich erobere (und zwar z.T. gegen den Willen der anderen Anführer, die ich erpressen kann, weil ich einen Weg in die belagerte Stadt kenne, den aber nur bekannt gebe, wenn ich dafür die eroberte Stadt bekomme (Bohemund), bzw. der gar nicht auf dem direkten Weg nach Jerusalem liegt (Balduin)) und mir dann so lange Zeit lasse, dass ich zwar noch am Grab des Erlösers beten kann, zur Befreiung der Stadt an sich aber gar nichts beigetragen habe (außer das angreifende Heer durch meine Abwesenheit zu schwächen).

Das war die machtpolitische Komponente in diesem Unterfangen. Jeder der Anführer hat sein eigenes Spiel gespielt um sich seinen Teil vom Kuchen abzuschneiden. Auch jene die 1099 nach Jerusalem weitergezogen waren. Insgesamt ist weder das Verhalten von Bohemund noch das des Balduin für besonders verwerflich erachtet wurden.

Papa_Leo schrieb:
Das Pilgern ans Hl. Grab alleine war nicht der Sinn des Kreuzzugs (wobei es ja nicht einmal sicher ist, dass der ursprüngliche Sinn überhaupt die Befreiung Jerusalems war).

Als die Grafen von Blois und Vermandois (der Bruder des Königs) nach Frankreich zurückgekehrt waren, sind sie dort der allgemeinen Verachtung ausgesetzt gewesen, weil sie 1098 vor Antiochia desertiert und sich auf die Heimreise begeben haben. Ihnen wurde die Nichteinhaltung ihres Eides, bis zum heiligen Grab zu ziehen, zum Vorwurf gemacht. Um sich von dem Eidbruch reinzuwaschen haben sie sich 1101 erneut auf die Reise begeben.

Papa_Leo schrieb:
Ich glaube nicht, dass es im Sinne einer Pilgerreise ist, sie ein Jahr zu unterbrechen, um mir eine eigene Herrschaft zu erobern. Die Staatengründung war nicht die einzige Möglichkeit, die Reisewege zu sichern ... man hätte sich auch einfach an den Eid halten können, den man Alexios geleistet hatte, von dem man aber bereits bei der Belagerung der ersten größeren Stadt (Nikaia) nichts mehr wissen wollte. Und das ist jetzt Ausdruck von Religiosität?

Das war ein Ausdruck von mittelalterlicher Religiosität. Jerusalem war erobert und der Oberhoheit der römischen Kirche und des Papstes zugeführt wurden. Darauf kam es letztlich den Verantwortlichen an. Die Eroberungen der Herrschaft des schismatischen Ostkaisers zuzuführen, Eid hin oder her, ist für die meisten der Anführer nicht in Frage gekommen.
 
Es geht nicht darum, ob das Verhalten verwerflich war, es geht darum, ob die Motive mehr machtpolitisch, wirtschaftlich oder religiös waren.

Nein, Stephan von Blois wurde - unter anderem von der eigenen Frau - zum Vorwurf gemacht, dass er ein Feigling sei und sich vor den Kämpfen gedrückt hätte.

Jerusalem der Oberhoheit der römischen Kirche und des Papstes zugeführt? Gottfried hat auf den Titel "König" verzichtet, Balduin schon nicht mehr ...

Nochmal: der Gesandte des Papstes, Adhemar von Le Puy, sah sich meist nicht in der Lage, den Willen des Papstes gegenüber den Anführern des Kreuzzugs durchzusetzen ...
 
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So richtig in Mode gekommen ist das Kreuzzugs-Bashing meiner Meinung nach erst mit der Islamapologetik. Sobald man auf die Gewalt im Islam und ihre historische Anwendung zu sprechen kommen möchte, wird einem das vermeintliche Todschlagargument "Aber ... aber die Kreuzzüge!" um die Ohren geworfen.
 
Aha ... dann sind Milger, Wollschläger und wie all die Autoren heißen, die die Kreuzzüge mit kritischer Distanz untersuchen in Wirklichkeit also Zeitreisende?
 
Ich glaube nicht, dass hier "Mode" und "Mainstream" und "Todschlagargument" etwas zur Diskussion beitragen, vor allem, da es dann sehr schnell um Aktuelles / aktuelle Politik geht, die aber hier nicht Thema sein soll.
Ich denke auch nicht, dass der Begriff "Bashing" hier angebracht ist.
 
Ich glaube nicht, dass hier "Mode" und "Mainstream" und "Todschlagargument" etwas zur Diskussion beitragen
Ich glaube schon, schließlich erwähnt der OP selbst die negative Bewertung der Kreuzzüge insbesondere durch die Populärwissenschaft.

vor allem, da es dann sehr schnell um Aktuelles / aktuelle Politik geht, die aber hier nicht Thema sein soll.
Aktuelle Politik nicht unbedingt. Eher um einen Vergleich zwischen Kreuzzug und Jihad.
 
So richtig in Mode gekommen ist das Kreuzzugs-Bashing meiner Meinung nach erst mit der Islamapologetik.

Jeder darf natürlich seine Meinung sagen. Hilfreich wäre eine literaturgestützte Untermauerung dieser steilen These.

Wo ist denn diese angebliche "Islamapologetik" zu erkennen und wie wirkt sich das kausal - also im Sinne einer nachvollziehbaren Wirkung - auf die Bewertung der Kreuzzüge aus?
 
Es geht nicht darum, ob das Verhalten verwerflich war, es geht darum, ob die Motive mehr machtpolitisch, wirtschaftlich oder religiös waren.

Wie Joinville und Armer Konrad ziemlich anschaulich beschrieben haben, geht aus den uns bekannten Fakten nicht hervor, dass machtpolitische und wirtschaftliche Motive gegenüber den religiösen dominiert haben. Dass erstere völlig irrelevant waren, behauptet ja auch niemand. Als ich schrieb, nur religiöse Motive könnten die Kreuzzüge erklären, so meinte ich damit den ersten Impuls, die Idee überhaupt, das Kreuz zu nehmen um die Heilige Stadt zu befreien. Diese Idee, und die enorme Resonanz die sie im tief religiösen mittelalterlichen Europa fand, ist ja wohl nicht mit machtpolitischen oder wirtschaftlichen Erwägungen zu erklären.

Du kannst doch nicht zig tausenden Rittern und Knappen, kleinen und grossen Edelmännern und Fürsten, ganz zu schweigen von den Dienern und dem einfachen Volke, das im Tross mitreiste, pauschal unterstellen, sie hätten primär aus Eigennutz und opportunistischen Motiven eine so lange und gefährliche, oft genug auch tödliche Reise auf sich genommen.

Jerusalem der Oberhoheit der römischen Kirche und des Papstes zugeführt? Gottfried hat auf den Titel "König" verzichtet, Balduin schon nicht mehr ...

Es geht hier glaube ich um die spirituelle Hoheit des Papstes. Der Bischof von Rom hat ja auch nicht über Frankreich oder England geherrscht.
 
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@Witiko: Lies bitte meine Beiträge noch einmal, dann müsstest du zu einer differenzierteren Zusammenfassung meiner Aussagen bzgl. der Motive der Kreuzfahrer in der Lage sein.
Denn nochmal: Ich habe das geschrieben: "Man kann manchen Kreuzfahrern sicher die religiösen Motive nicht absprechen, aber einer beträchtlichen Zahl ging es neben der Befreiung Jerusalems (die dann bei vielen auch an die zweite oder dritte Stelle trat) um Eroberung von eigenem Gebiet."
manchen ... beträchtliche Zahl ... neben der Befreiung ... die dann bei vielen an die zweite oder dritte Stelle trat ... merkst du was?

Dagegen deine Zusammenfassung: "Du kannst doch nicht zig tausenden Rittern und Knappen, kleinen und grossen Edelmännern und Fürsten, ganz zu schweigen von den Dienern und dem einfachen Volke, das im Tross mitreiste, pauschal unterstellen, sie hätten primär aus Eigennutz und opportunistischen Motiven eine so lange und gefährliche, oft genug auch tödliche Reise auf sich genommen."

Ich weiß nicht, welche Fachliteratur Armer Konrad und Joinville zu dem Thema gelesen haben, mein Eindruck ist allerdings, dass du gar keine dazu gelesen hast. In der Forschung ist unumstritten, dass Beute und Eroberung eine Rolle gespielt haben. Die Frage ist nun, wie groß, wie entscheidend diese Rolle war.
Es gibt Historiker, die sehen ganz generell das Primat eher bei weltlichen Motiven (Milger, Wollschläger, z.T. auch Runciman) und andere, die sehen das Primat eher bei religiösen (Riley-Smith). Soweit ich sehe, sind sich aber alle einig, dass es Teilnehmer gab, die aus Macht- und Beutegier dabei waren und welche, die aus religiösen Motiven teilnahmen. Je weiter nach oben man in der Hierarchie kommt, desto häufiger geht es eher um Herrschaft und Macht.

Im Gegensatz zu dir habe ich versucht, zu zeigen, warum ich das z.B. von Bohemund und Balduin glaube ... ich warte immer noch auf Erklärungen, warum ich bei beiden doch das Primat der Religion sehen soll. Du kannst gerne auch die anderen Anführer des Ersten Kreuzzugs erläutern, da dürftest du es sogar bei einem oder zwei recht leicht haben.

Einfaches Volk was auf dem Ersten Kreuzzug nicht das Entscheidende. Das einfache Volk hatte - und da sehe ich durchaus das Primat bei der Religion - schon vorher seinen Kreuzzug, kam aber (wie ich schon viel weiter oben schrieb) nicht weit.
Die Frage nach den Motive der Knappen und Diener stellt sich nicht so wirklich, denn die wurden von ihren Herren meist nicht gefragt, ob sie mit wollen.
Bleiben die Ritter, Edelmänner und Fürsten. Ich habe aus meiner Sicht schon bei zwei der wichtigsten Anführer gezeigt, dass das nicht nach primär religiösen Motiven aussieht.
Ich könnte das noch weiter ausführen, aber von dir kommt eigentlich nie mehr als "das war nicht so", aber keine Argumente.
 
Wenn ich von zig tausenden Rittern und Knappen, kleinen und grossen Edelmännern und Fürsten schreibe, dann bezieht sich das auf deine beträchtliche Zahl, nicht auf die Gesamtheit aller Kreuzfahrer. Du gehst nämlich nunmal davon aus, dass diese beträchtliche Zahl primär aus Eigennutz handelte (wobei ja auch das persönliche Seelenheil strenggenommen ein eigennütziges Motiv darstellt... :Daber du weisst schon, was ich meine)

In der Forschung ist unumstritten, dass Beute und Eroberung eine Rolle gespielt haben.

Wo habe ich denn bitte etwas anderes behauptet?

Soweit ich sehe, sind sich aber alle einig, dass es Teilnehmer gab, die aus Macht- und Beutegier dabei waren und welche, die aus religiösen Motiven teilnahmen. Je weiter nach oben man in der Hierarchie kommt, desto häufiger geht es eher um Herrschaft und Macht.

Stimmt. Ich wage mich sogar soweit vor und formuliere eine sensationnelle These: bei vielen, oder gar fast allen Kreuzfahrern,spielten sowohl religiöse, als auch wirtschafltiche und machtpolitische Beweggründe eine Rolle!

Bleiben die Ritter, Edelmänner und Fürsten. Ich habe aus meiner Sicht schon bei zwei der wichtigsten Anführer gezeigt, dass das nicht nach primär religiösen Motiven aussieht.

Zwei von insgesamt mehreren Zehn- oder gar Hunderttausend Kreuzfahrern (oder sogar noch viel mehr, wenn man zwei Jahrhunderte Kreuzfahrten nach Palästina zusammenzählt). Was hast du uns damit bewiesen? Rein gar nichts.

Dem halte ich entgegen, dass man nicht einfach so eine mehrmonatige, lebensgefährliche Reise antritt, nur weil man sich ein paar Hektar Dattelpalmen unter den Nagel reissen möchte. Da gab es auch einfachere Wege, an Geld und Macht zu kommen (z.B. die Nachbarn daheim überfallen).

Übrigens waren viele Kreuzfahrer (wie der Name schon sagt) nichts anderes als bewaffnete Pilger, die nicht unbedingt dem Ritterstand angehörten. Du kaprizierst dich hier auf einen vergleichsweise bescheidenen Anteil der Kreuzfahrer, nämlich die Anführer und aristokratische Elite, bei der (wie gesagt) strategische und wirtschaftliche Überlegungen naturgemäss eine grössere Rolle einnahmen als bei Rittern niederen Ranges oder bei Bediensteten (die ja wohl keine Sklaven waren und somit durchaus bei der Entscheidung, ob sie nun mitwollten oder nicht, mitreden durften).

Ich könnte das noch weiter ausführen, aber von dir kommt eigentlich nie mehr als "das war nicht so", aber keine Argumente.

Was soll dieser meckernde Ton? Ich führe sehr wohl Argumente an. Dass sie dir nicht gefallen, ist ein anderes Paar Schuhe. :D
 
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Da das keinen Sinn macht, nur zu dem einen Punkt bzgl. der Bediensteten oder Ritter niedrigeren Ranges (oder auch der Fußknechte): Ja, sie waren keine Sklaven ... das erzähl uns aber jetzt mal, dass sie, wenn ihr Herr in den Krieg zieht, mitreden duften, ob sie da mitwollten oder nicht.
 
[Von mir gelöscht, da unnötig agressiv]

Ritter niederen Ranges hatten z. T. eigene Ländereien, und konnten (anders als im "normalen" Kriegsfall) nicht von ihrem Lehnsherrn gezwungen werden, das Kreuz zu nehmen. Davon abgesehen hatte der Papst ein Ende der Leibeigenschaft in Aussicht gestellt für jeden, der das Kreuz nehmen und ins heilige Land mitziehen würde. Das könnte doch den einen oder anderen unfreien Bauern motiviert haben mitzumarschieren, zumal der päpstliche Erlass offenbar nicht nur für den Ersten Kreuzzug galt.

Was ist mit den Schmieden, Waffeningenieuren, einfachen Soldaten und Söldnern? Wurden die auch alle gezwungen?
 
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@Witiko:
Ich weiß nicht, welche Fachliteratur Armer Konrad und Joinville zu dem Thema gelesen haben, mein Eindruck ist allerdings, dass du gar keine dazu gelesen hast. In der Forschung ist unumstritten, dass Beute und Eroberung eine Rolle gespielt haben. Die Frage ist nun, wie groß, wie entscheidend diese Rolle war.
Es gibt Historiker, die sehen ganz generell das Primat eher bei weltlichen Motiven (Milger, Wollschläger, z.T. auch Runciman) und andere, die sehen das Primat eher bei religiösen (Riley-Smith). Soweit ich sehe, sind sich aber alle einig, dass es Teilnehmer gab, die aus Macht- und Beutegier dabei waren und welche, die aus religiösen Motiven teilnahmen. Je weiter nach oben man in der Hierarchie kommt, desto häufiger geht es eher um Herrschaft und Macht.
Als Laie mit dem Hobby Mittelalter/Renaissance halte ich es - entgegen den Historikern - für verfehlt, sich um das Primat der Motivation zu streiten - und zwar, weil es der Vorstellungswelt des Mittelalters nicht gerecht wird. Machtpolitik und Religiosität waren lediglich für einige wenige klerikale Kreise ein Widerspruch. Auch die Päpste trieben bekanntlich ungeniert Machtpolitik und dies nicht nur im Zusammenhang mit den Kreuzzügen. Um die wohl extremster Pole des Dualismus Machtpolitik / Religiosität aufzugreifen:

Der allererste Kreuzzug - den von Walter ohne Habe von Poissy und Peter von Amiens - war ganz offensichtlich aus rein religiösen Motiven zu Stande gekommen (man darf hier sicher von einer regelrechten Kreuzzugshysterie sprechen), was die Teilnehmer (beinahe alle aus dem "niederen Volk") aber nicht daran hinderte, die (christlichen) Länder auszuplündern, die sie passierten.

Die Motivation der italienischen Handelsstädte Venedig und Genua hingegen war von rein wirtschaftlichen Interessen dominiert was aber beispielsweise die Kaufleute aus Amalfi auch nicht daran hinderte, ein Hosptial zu stiften, aus dem später der Johanniter-Orden hervorging.

Und die Motivation der verschiedenen Teilnehmer zu vergleichen - so im Stil "Boemund war primär machtpolitsch orientiert, Gottfried von Bouillon primär religiös" - reicht auch nicht aus, um die Kreuzzüge zu beurteilen zu können - denn dieser Dualismus lässt zuviel unberücksichtigt. So gehörte es beispielsweise zum rein weltlichen Ideal des Rittertums, an einem Kreuzzug teilzunehmen. Ein Kreuzzug nach Jerusalem galt nachgerade als Höhepunkt einer Ritterbiographie und hatte noch mehr Prestige als gewonnene Turniere und siegreiche Schlachten. Man muss also - nebst Beute, Wirtschaft, Machtpolitik, Befreiung des hl. Grabes, Sündenerlass - den weltlichen "Ruhm" in die Motivationsliste einbeziehen um dem Phänomen der Kreuzzüge gerecht zu werden.

Religiös motiviert waren beispielsweise auch die Gründungen der Ritterorden, was diese hinwiederum auch nicht daran hinderte, Machtpolitik zu betreiben - gewissermassen als Mittel zum Zweck. Bis ins Spätmittelalter hinein war es auch bei rein pragmatisch-machtorientierten Adligen, die Zeit ihres Lebens nicht durch religiöse Skrupel aufgefallen waren, gelegentlich Praxis, im Alter nach Jerusalem zu pilgern um dort zu sterben. Das erhöhte die Chance im Jenseits und war möglicherweise billiger als die Gründung eines Hausklosters.

Man kann die Motivationen zu den Kreuzzügen aufzählen, eine Gewichtung vornehmen kann man meiner E. nach nicht. Diese muss schon an der Widersprüchlichkeit des Mittelalters im Allgemeinen scheitern. Wenn man die mittelalterliche Religiosität mit moderner Ethik beurteilen will, entsteht ein falsches Bild der Epoche.
 
@Armer Konrad: Ich denke schon, dass man bei der Beurteilung der Kreuzzüge auch die Motivation der Teilnehmer / der Verantwortlichen untersuchen sollte. Und das war der Aspekt, unter dem ich in die Diskussion eingestiegen bin.

Und auch wenn ich zu Witiko nichts mehr schreiben wollte ...
- unfreie Bauern bzw. Bauern generell nahmen am Ersten Kreuzzug (anders als Armer Konrad zähle ich den Kreuzzug von Walter ohne Habe / Peter den Eremiten, der wohl tatsächlich zu einem beträchtlichen Teil aus Bauern und einfachen Leuten bestand, nicht zu den "nummerierten" Kreuzzügen) wohl kaum teil. Und wenn ich teilnehme, weil mir ein Ende der Leibeigenschaft in Aussicht gestellt wird ... ist das dann eine religiöse Motivation?
- Die Zahl der Söldner im 11. Jhd. dürfte - ganz vorsichtig formuliert - sehr überschaubar gewesen sein, denn so richtig in Erscheinung trat diese Art des Kämpfers erst ca. 200 - 300 Jahre später ... aber selbst wenn wir Söldner für die Zeit der Kreuzzüge annehmen ... dann dürfte hier eingedenk der Bezeichnung für diese Männer auch ein anderer Beweggrund ausschlaggebend gewesen sein.
- einfache Soldaten ... sind wohl die Fußknechte. Ja, ich gehe davon aus, dass die nicht viel mitzureden haben, wenn ihr Herr in den Krieg zieht.
 
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Ritter niederen Ranges hatten z. T. eigene Ländereien, und konnten (anders als im "normalen" Kriegsfall) nicht von ihrem Lehnsherrn gezwungen werden, das Kreuz zu nehmen. Davon abgesehen hatte der Papst ein Ende der Leibeigenschaft in Aussicht gestellt für jeden, der das Kreuz nehmen und ins heilige Land mitziehen würde. Das könnte doch den einen oder anderen unfreien Bauern motiviert haben mitzumarschieren, zumal der päpstliche Erlass offenbar nicht nur für den Ersten Kreuzzug galt.

Was ist mit den Schmieden, Waffeningenieuren, einfachen Soldaten und Söldnern? Wurden die auch alle gezwungen?

Das stimmt so nicht. Die Teilnehmer aus niederadligen Geschlechtern waren meistens überzählige Söhne, die keine Aussicht auf ein Erbe hatten. Und gerade diese - wie auch die "einfachen Söldner" - waren durchaus auf Beute und Besitz aus. Wenn dazu dann noch der kirchliche Ablass gewährt wurde ... Nicht von ungefähr stammten viele Herrscher und Lehensträger der "Kreuzfahrerstaaten" aus dem französischen Niederadel (von den Herren von Ibelin, welche in Kleinarmenien einheiraten konnte, ist beispielweise nicht einmal die Herkunft geklärt). Die niederadligen Kreuzfahrer sahen das Ganze durchaus als Chance zum Aufstieg - mit dem Segen der Kirche.
 
@Armer Konrad: Ich denke schon, dass man bei der Beurteilung der Kreuzzüge auch die Motivation der Teilnehmer / der Verantwortlichen untersuchen sollte. Und das war der Aspekt, unter dem ich in die Diskussion eingestiegen bin.
Ich sollte vielleicht präzisieren: Man sollte die Kreuzzüge wie im Übrigen das Mittelalter überhaupt, nicht nach den Massgaben moderner Ethik beurteilen. Witiko macht das, soweit ich das nachvollziehen kann, übrigens auch. Die mittelalterliche Religiösität entspricht eben auch nicht dem heutigen Katholizismus.

Und wie gesagt: Für die Kreuzzüge spielten noch weitere Motivationen eine Rolle, die in der Diskussion nicht thematisiert wurden. So etwa das idealistische Rittertum.
 
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