Warum feiert Frankreich immer noch den 11.November 1918?

Die Franzosen marschieren auch Jahr für Jahr am 14. Juli in einer großen Militärparade über die Champs Elysées. Und das nur, weil an dem Datum ein Mob vom Markt einen Knast gestürmt, dessen Wächter massakriert und ein paar Kleinkriminelle befreit hat. Und seit einigen Jahren marschieren deutsche Kontingente mit.
Lasst die Franzosen doch die Gedenktage feiern, die sie feiern wollen und sie auf die Art feiern, auf die sie feiern wollen. Wenn unsere Nachbarn aus ihrer Sicht auf ihre aus ihrer Sicht große Geschichte zurückblicken wollen (vom Spielfeldrand aus bin zumindest ich persönlich ebenfalls gewillt, den Franzosen die Größe ihrer Geschichte zuzugestehen), dann sollen sie es doch tun.
Dass man den überlegenen und damals wie später als sehr bedrohlich empfundenen großen Nachbarn im Osten über vier sehr opferreiche Jahre erfolgreich daran gehindert hat, den Sedanstag auf den Champs Elysées zu feiern, ist, wie ich finde, tatsächlich eine große Leistung angesichts der relativ schmaleren industriellen Basis, des Handicaps, dass der Feind diesmal auf das Elsaß und Teile Lothringens zurückgreifen konnte und die erheblichen Verluste an Personal, Gelände und weiterer industrieller Kapazität in den ersten Monaten des Krieges.
Egal wer welchen Anteil an der Kriegsschuld trägt, die Freude/Stolz/Erleichterung, dass man am Ende "prevailed" und sogar einen Außenseitersieg davongetragen hat - nach dem es aus französischer Sicht wohl nicht immer ausgesehen haben dürfte - kann ich nachvollziehen.
Und ich sehe nirgends, dass anlässlich dieser Feierlichkeiten überzogener Revanchismus gezeigt würde. Die Zeiten sind hoffentlich vorbei.
 
Ich frage mich eigentlich, weshalb Frankreich eigentlich immer noch den 11.November 1918, also der sogenannten Waffenstillstand zwischen den Alliierten des Ersten Weltkrieges und dem Deutschen Reich, feiert? Habt ihr eine vernünftige Erklärung dafür?

Ich meine oder ich hoffe es zumindest, dass auch den Franzosen mittlerweile bewusst ist, dass sie einen nicht gerade unerheblichen Anteil am Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu schultern haben. Die ganze mittlerweile erstklassig wissenschaftlich erschlossene Vorgeschichte des grauenhaften Weltkrieges zeigt doch ganz klar, dass alle beteiligten Großmächte Schuld auf sich geladen haben und die alleinige Hauptschuld nicht mehr nur Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich angelastet werden kann. Insofern finde ich diese Feier, gerade unter Freunden, ganz gewiss nicht mehr zeitgemäß, ja sogar unangemessen, da meinen könnte, die Franzosen denken, sie seien Opfer und hätten sich den bösen Deutschen erfolgreich widersetzt; aber nur mit massiver Unterstützung von Großbritannien und den USA.


Andere Lände haben eine andere Gedenkkultur. In Deutschland hat die Erinnerung an den 2. Weltkrieg, der noch schlimmer war, die an den 1. Weltkrieg überlagert, in Frankreich, GB und Belgien besteht bei vielen ein weitaus größeres Interesse. Wer Bilder aus 1916, 1917 von der Somme, von Verdun oder aus Flandern sieht, mag sich wundern, dass dort überhaupt je wieder etwas wachsen konnte. Der Ploegsteerter Wald, Polygonwald und der Houtholster Forst sind wieder gewachsen, aber die Spuren sind zu sehen, und damit sind nicht nur die vielen Soldatenfriedhöfe gemeint, Krater von Minensprengungen sieht man noch und es ist auch heute nicht ganz ungefährlich, das Schlachtfeld von Verdun zu besichtigen. Frankreich hat einen hohen, sehr hohen Preis gezahlt bis zum Sieg, und ich glaube, die meisten der Akteure, an die, die vielen, vielen Friedhöfe erinnern, haben den Krieg nicht gewollt, aber sie haben ihn ausgekämpft. Ich glaube noch nicht einmal, dass es bei Gedenktagen um die Schuldfrage geht. Es wirkt befremdlich auf Deutsche, weil uns die Empfindung militärischen Heldentums größtenteils abhanden gekommen ist. Große Schlachten und Heerführer waewn ein Lieblingskind von Historeikern, seit Herodot die Perserkriege beschrieb, doch es riecht nach Personenkult. Diese einstellung wiederum stößt bei vielen Franzosen, Briten und Amerikaner oft auf Befremden.

Der Friedensvertrag von Brest- Litowsk und die Annexionswünsche
 
Turgot, weil sie was zu feiern haben....
Immerhin war an dem Tag dieser Alptraum WKI für die Franzosen vorbei und der Gegner, der sich in Versailles !!!! gegründet hat, war besiegt.
Wenn das kein Grund ist, auch noch nach 100 Jahren stolz zu sein, was dann???
 
In anderen Ländern stösst Karnevals erwachen am 11.11 auf genauso ein Unverständnis. Wie kann man da feiern? Wurde ich von einem Kanadier gefragt. Das wir an einem anderem Tag der Toten und Gewaltopfer gedenken wird dafür von anderen übersehen. So ist es nun mal. Andere Länder, andere Sitten.

Apvar
 
Ich frage mich eigentlich, weshalb Frankreich eigentlich immer noch den 11.November 1918, also der sogenannten Waffenstillstand zwischen den Alliierten des Ersten Weltkrieges und dem Deutschen Reich, feiert? Habt ihr eine vernünftige Erklärung dafür?

...

Warum sollten die Franzosen das nicht als Feiertag haben?
Schließlich sind ja die Deutschen in Frankreich einmarschiert und nicht etwa andersherum.
Und vorher auch schon und nachher noch einmal und nicht andersherum.
Warum sollte Frankreich nicht feiern, dass es als demokratischer Staat seine Existenz behauptete gegen eine Monarchie von "Gottes Gnaden"?
 
Warum sollten die Franzosen das nicht als Feiertag haben?
Schließlich sind ja die Deutschen in Frankreich einmarschiert und nicht etwa andersherum.
Und vorher auch schon und nachher noch einmal und nicht andersherum.
Warum sollte Frankreich nicht feiern, dass es als demokratischer Staat seine Existenz behauptete gegen eine Monarchie von "Gottes Gnaden"?

Nur kleiner Hinweis: Vorher sind die Franzosen üblicherweise in Deutschland einmarschiert, so wie in viele andere Länder ebenso. Und 1914 war es das weltweit zweitgrößte Kolonialreich, welches der überwältigenden Mehrheit seiner Einwohner die elementarsten demokratischen Grundrechte verweigerte.

Nur so als Kontext.
 
hatl schrieb:
Und vorher auch schon und nachher noch einmal und nicht andersherum.

Dabei solltest du aber nicht die Kleinigkeit unerwähnt lassen, das in beiden Fällen Frankreich den Deutschen Reich, nämlich am 19.Juli 1870 und am 03.September 1939, den Krieg erklärt hatte. Und an dem Krieg von 1870/71 ist Frankreich ganz gewiss nicht schuldlos.


Es ist anscheinend so, das die Schuldfrage sowohl in der Vorgeschichte des Weltkrieges als auch in der Julikrise 1914 vollkommen außerhalb der Betrachtung bleiben. Man hat gewonnen und das wird gefeiert. Fertig.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dabei solltest du aber nicht die Kleinigkeit unerwähnt lassen, das in beiden Fällen Frankreich den Deutschen Reich, nämlich am 19.Juli 1870 und am 03.September 1939, den Krieg erklärt hatte. Und an dem Krieg von 1870/71 ist Frankreich ganz gewiss nicht schuldlos.

Zudem 1870 die französische Armee als erste auf deutsches Gebiet vorgestoßen ist, am 3. August bei Saarbrücken. Es ist mir immer unverständlich geblieben, warum man in deutschen Schul-Geschichtsbüchern Preussen und Bismarck als "schuldigen" des Krieges 1870 darstellt, obwohl Napoleon III damals diesen Krieg vehement suchte und sowieso eine äüsserst agressive und imperialistische Aussenpolitik führte.


Es ist anscheinend so, das die Schuldfrage sowohl in der Vorgeschichte des Weltkrieges als auch in der Julikrise 1914 vollkommen außerhalb der Betrachtung bleiben. Man hat gewonnen und das wird gefeiert. Fertig.

Das sehe ich auch so. In Frankreich wird die Geschichte sowieso weitaus weniger kritisch betrachtet als bei uns. Stanley Kubriks Film, "Wege zum Ruhm" durfte lange in Frankreich (und sogar in Westberlin) nicht gezeigt werden, obwohl (oder gerade) weil er auf realen Ereignissen aus dem 1 WK basierte. Die Meutereien und folgenden Massenerschiessungen in der französischen Armee waren lange ein Tabuthema in Frankreich.
 
Ich meine oder ich hoffe es zumindest, dass auch den Franzosen mittlerweile bewusst ist, dass sie einen nicht gerade unerheblichen Anteil am Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu schultern haben.
Ich denke oder fürchte, die Franzosen sehen keinen wirklichen Grund, etwas auf ihre Schultern (um das Bild weiter zu benutzen) zu nehmen. Der Sieg im November 1918 hatte etwas Heiliges für Frankreich und das lässt sich, auch durch Rationalität, nicht so schnell verdrängen.

Schließlich sind ja die Deutschen in Frankreich einmarschiert und nicht etwa andersherum.
Na ja, das aber auch nur, weil die Franzosen keinen wirklich offensiven Plan hatten. Es sollte eher ein Vortasten sein. Nicht weil sie so friedliebend waren, sondern weil sie mit der russischen Dampfwalze rechneten, die recht bald Berlin bedrohen würde. Daraus wurde dann allerdings nichts.
 
Es ist anscheinend so, das die Schuldfrage sowohl in der Vorgeschichte des Weltkrieges als auch in der Julikrise 1914 vollkommen außerhalb der Betrachtung bleiben.

Vielleicht ist es ja möglich, von der "Schuld" zu der Frage nach "Verantwortung" für den WW1 zu kommen. Die "Schuldfrage" ist eigentlich juristisch im Rahmen des VV als juristisches Konstrukt geklärt und im GF auch ausreichend so dargestellt worden. Die Frage der Verantwortung stellt sich entsprechend der Arbeiten von Fischer, MacMeekin und Clark (um nur mal drei Autoren zu nennen) weiterhin und dürfte in der Zukunft differenzierter beantwortet werden.

Zumindest MacMeekin hat für Russland das ansatzweise geleistet, was Fischer für das DR gleistet hat.

http://books.google.de/books?id=vQF099JYW_EC&printsec=frontcover&dq=mcmeekin,+russia&hl=de&sa=X&ei=mL2AUondB8OJtQaWo4GQBw&ved=0CD0Q6AEwAQ#v=onepage&q=mcmeekin%2C%20russia&f=false

Und ein großer Teil der Ergebnisse von Fischer behält durchaus seine Gültigkeit, so auch Clark, allerdings wird die Sichtweise durch die zunehmend stattfindende Darstellung der Verantwortung der anderen Großmächte ergänzt.

Na ja, das aber auch nur, weil die Franzosen keinen wirklich offensiven Plan hatten.

Es gab in nahezu in allen Armeen zu diesem Zeitpunkt das Primat der Offensive. Auch teils abgeleitet aus der Perzeption von Clausewitz.

Plan XVII ? Wikipedia

und bes. S. 111
Frankreichs Aussenpolitik in der Julikrise 1914: ein Beitrag zur Geschichte ... - Stefan Schmidt - Google Books

und Heuser, bes. S. 97
Reading Clausewitz - Beatrice Heuser - Google Books

und generell bei Snyder
The Ideology of the Offensive: Military Decision Making and the Disasters of ... - Jack Snyder - Google Books
 
Zuletzt bearbeitet:
Es gab in nahezu in allen Armeen zu diesem Zeitpunkt das Primat der Offensive. Auch teils abgeleitet aus der Perzeption von Clausewitz.

Plan XVII ? Wikipedia

Ja, aber das war doch eher ein Alibi als tatsächlich ein Plan. Der Schlieffen-Plan war schon eine Dummheit, Plan XVII...
Foch in der Tradition der attaque à outrance am 9. September '14 an Joffre: „Meine rechte Flanke steht unter Druck, das Zentrum meiner Armee gibt nach. Unmöglich mich zu bewegen. Exzellente Situation. Ich greife an.“
Übersetzt: "Von rechts kommt ein PKW, von vorn ein Lastwagen. Unmöglich, von der Kreuzung zu kommen. Formidable, ich gebe Gas und biege links ab."
 
So eine Feier hat doch nichts mit Kriegschuld o.ä. zu tun.
Sicher kann man fragen , ob sowas noch zeitgemäß ist und , typisch deutsch, dabei den gefallen Helden gedenken(Sedanstag/Heldengedenktag/Volkstrauertag) statt sich einfach zu freuen, das die französiche Nation noch lebt ....
Angesichts der doch eher nicht so guten Wirtschaftslage und angesichts dezentraler Tendenzen ist das einfach ein identitäts stiftender Feiertag für einen Zentralstaat wie Frankreich. so ein Tag hebt die Stimmung und das Wirgefühl, gerade Anfang November, wenn das Wetter bescheiden ist ....
 
Glaube nicht das der 11. November für Party in Frankreich steht. Er ist wohl eher wie unser Volkstrauertag.
Nationalfeiertag mit Party aller Orten, dazu Militärparade auf dem Champs Elyse, wird am 14. Juli in Frankreich gefeiert. Stichtag ist die Erstürmung der Bastille 1789.

Apvar
 
.........

Es ist anscheinend so, das die Schuldfrage sowohl in der Vorgeschichte des Weltkrieges als auch in der Julikrise 1914 vollkommen außerhalb der Betrachtung bleiben. Man hat gewonnen und das wird gefeiert. Fertig.

Turgot,
die Franzosen haben "gewonnen".
Sie haben aber auch, das sollte man ja nicht übersehen, dem eigenen Untergang getrotzt.
Das ist etwas Besonderes.

Wären die Franzosen bis nahe Berlin vorgerückt, und hätten die Deutschen diese Gefahr nach langem Bangen endlich glücklich überwunden,
würden sie nicht auch Grund zum Feiern haben?

Grüße hatl
 
Turgot,
die Franzosen haben "gewonnen".

Deutschland hat den Krieg verloren, gewonnen hat keiner den Krieg.
Die Alliierten haben den Sieg durch die materialistische Übermacht mit den Kriegseintritt der USA erzwungen.
Aber da der vermeintliche Sieg nicht zu einer andauernden Friedensphase führte, ist es fragwürdig, dies zu feiern ... wichtiger wäre hier wohl das Kriegsende am 08.05.1945
 
Deutschland hat den Krieg verloren, gewonnen hat keiner den Krieg.
...
Richtig.
Europa hatte insgesamt verloren.
Nach dem ersten Weltkrieg, in dem Europa eine Jugend verbrannte, lag es
schwer verwundet und verstört am Boden.

Marschall Foch, dessen Denkmal heute in der Stadt meiner französchen Verwandschaft wohl sauber geputzt ist, bemerkte zum Versailler Vertrag:
"Das ist kein Frieden. Es ist ein Waffenstillstand auf 20 Jahre."
Ferdinand Foch ? Wikiquote

Das deutsche Kaiserreich brach zusammen.
Die KuK-Monarchie fiel auseinander, das osmanische Reich löste sich erstmal fast in Luft auf und Russland taumelte am Abgrund.
Und Frankreich überlebte mehr schlecht als recht.
Aber es überlebte.
 
Zurück
Oben