Warum wurde Otto I. nicht Kaiser des Ostfrankenreiches?

Sepiola hat doch schon die zeitgenössische Sicht aus den Lörracher Annalen dargelegt. Traditionell war der Kaisertitel seit dem Absetzung von Romulus Augustulus (476) mit Konstantinopel verbunden. Dabei sahen sich die oströmischen Kaiser als Kaiser des Gesamtreiches. Aus Sicht von Konstantinopel war die Kaiserkrönung von Karl dem Großen eine Anmaßung und Usurpation. Das Zwei-Kaiser-Problem wurde hier schon häufiger angesprochen.

Aber für den ideellen Fortbestand des Römischen Reiches gab es auch eine theologische Begründung: die Idee der Translatio Imperii, die wiederum auf der Vier-Reiche-Lehre aus der Bibel beruht.

Translatio imperii – Wikipedia
Vier-Reiche-Lehre – Wikipedia

Die Frage der Legimität des erneuerten Kaisertums im Westen ist eigentlich damit verbunden, wer die "wahren" Erben des Römischen Reiches sind.

Das Zwei-Kaiser-Problem ist mir bekannt, auch die theologische Theorie des Translatio imperii. Aber deine Aussage widerspricht doch meiner Aussage nicht, sondern zeigt, dass diese Begründung "nachgeliefert" bzw. später datiert war. Siehe den von dir verlinkten Wikipediaartikel zu "Translatio imperii": "Die Vorstellung, dass das Imperium in der Nachfolge des Römerreichs stehen würde, kam aber erst im Laufe des 10./11. Jahrhunderts auf, und seit dem 13. Jahrhundert wurde das Reich als Heiliges Römisches Reich bezeichnet."

Diese Herangehensweise ist ja weitläufig bekannt, es ist sogar bei einer gewissen Gruppierung in Syrien bzw. Mesopotamien zu finden, die damit ihre Abspaltung von einer anderen Gruppierung legitimiert, dessen ehemaliger Chef über dem großen Teich nicht sehr beliebt war...

Letztendlich ging es gar nicht darum, eine wirkliche Legitimierung zu finden - die theologische zudem "nachgeliefert wurde" und auf eine juristische Legitimierung wurde nicht wert gelegt. Siehe diie anderen Posts, z.B. den von dir zitierten Stilicho.
 
Da wird also aufgezählt:
- Die Griechen hatten ja gar keinen richtigen Kaiser mehr (sondern "nur" eine Kaiserin, die zählt ja nicht...)
- Herrscher über Rom (wo die früheren Kaiser immer residiert hatten) war Karl
- Auch die übrigen sedes ("Städte" ist hier ungenau übersetzt, gemeint sind Regierungssitze, also Ravenna, Trier, Mailand, Arles) in Italien, Gallien und Germanien wurden von Karl beherrscht

Da gibt es also durchaus den rückwärts gerichteten Bezug zu Rom und den übrigen Residenzen, wo seit Jahrhunderten kein Kaiser mehr geherrscht hatte.

Eben, zeitgenössisch, auch dieses ergibt zum "Vorher" nix. Das Zeitgenössische verrät eher beabsichtigte Geschichtskonstruktion, als das es Geschichte rekonstruiert.

Die Diskussion dieser Quelle hatte ich auch oben schon mit Beumann angesprochen. Der stellt - soweit ich sehe - alle Quellen in den Vergleich.

Die aktuellere Untersuchung zu den Lorscher Annalen von Collins in Story's Edition (Charlemagne: Empire and Society) liegt mir leider nicht vor.
 
Zu Thema lesenswert:

Janet Nelson: IV/10. Kingship and Empire, Formation: c.750 -c.1150
in: Burns, The Cambridge History of Medieval Political Thought c.350 - c.1450, S. 211-252.

sowie speziell zum Kaisertitel
Beumann, Nomen imperatoris - Studien zur Kaiseridee Karls des Großen, in HZ 1958, S. 515-549

Eben, zeitgenössisch, auch dieses ergibt zum "Vorher" nix. Das Zeitgenössische verrät eher beabsichtigte Geschichtskonstruktion, als das es Geschichte rekonstruiert.

Die Diskussion dieser Quelle hatte ich auch oben schon mit Beumann angesprochen. Der stellt - soweit ich sehe - alle Quellen in den Vergleich.

Die aktuellere Untersuchung zu den Lorscher Annalen von Collins in Story's Edition (Charlemagne: Empire and Society) liegt mir leider nicht vor.

Der Aufsatz von Beumann ist online verfügbar: http://www.mgh-bibliothek.de//dokumente/z/zsn2a041385.pdf
 
Dankeschön!

Für die anderen Hinweise biete ich wie immer PN an. Da findet sich dann ein Weg. ;-)
 
Ich beziehe mich auf die anderen Beiträge wie auch dem von @Ravenik , die besagen, dass es kein Kaiserreich Frankenkreich gab bzw. später Ostfrankenreich. Daher stimme ich dem nicht zu. Aber dazu können sich wahrscheinlich die anderen besser äußern.

Das "Reich" wurde nicht neu erschaffen, sondern existierte bereits bei Amtsantritt Heinrichs I. als regnum francorum orientalium. Neu war, dass erstmals kein Herrscher aus der Dynastie der Karolinger auf den Thron gelangte. Die Franken, Schwaben und Sachsen unterstützten die Wahl des Ottonen, Arnulf von Baiern musste wenig später durch eine militärische Drohgebärde dazu gebracht werden.

Heinrich I. hat die Fundamente gelegt für die Transformation des regnum francorum orientalium zum Heiligen Römischen Reich, denn die frühen ottonischen Herrscher sahen sich durchaus als Teil des Ostfränkischen Reichs. Im Bonner Vertrag von 921 zwischen. Heinrich I. und Karl dem Einfältigen führten die Könige die Titulaturen König der Westfranken und König der Ostfranken, domnus et gloriosissimus (Heinrich magnificentissi- mus) rex Francorum occidentalium, entsprechend Karl, orientalium.

Die Titulatur rex francorum orientalium wurde nach Ottos Kaiserkrönung aufgegeben.
 
Das "Reich" wurde nicht neu erschaffen, sondern existierte bereits bei Amtsantritt Heinrichs I. als regnum francorum orientalium. Neu war, dass erstmals kein Herrscher aus der Dynastie der Karolinger auf den Thron gelangte. Die Franken, Schwaben und Sachsen unterstützten die Wahl des Ottonen, Arnulf von Baiern musste wenig später durch eine militärische Drohgebärde dazu gebracht werden.

Heinrich I. hat die Fundamente gelegt für die Transformation des regnum francorum orientalium zum Heiligen Römischen Reich, denn die frühen ottonischen Herrscher sahen sich durchaus als Teil des Ostfränkischen Reichs. Im Bonner Vertrag von 921 zwischen. Heinrich I. und Karl dem Einfältigen führten die Könige die Titulaturen König der Westfranken und König der Ostfranken, domnus et gloriosissimus (Heinrich magnificentissi- mus) rex Francorum occidentalium, entsprechend Karl, orientalium.

Die Titulatur rex francorum orientalium wurde nach Ottos Kaiserkrönung aufgegeben.

Danke. Aber wenn ich das richtig sehe, widerspricht das ja meiner Aussage nicht, sondern präzisiert sie.
 
Die Franken, Schwaben und Sachsen unterstützten die Wahl des Ottonen, Arnulf von Baiern musste wenig später durch eine militärische Drohgebärde dazu gebracht werden.

Die Schwaben unterstützten die Wahl nicht.
Burchard (Burghard) von Schwaben musste durch eine militärische Drohgebärde dazu gebracht werden:

Unterwerfung des herzogs Burghard von Schwaben. Eo ordine rex factus Heinricus perrexit cum omni comitatu suo ad pugnandum contra Burghardum ducem Alamanniae.
RI II,1 n. q, Heinrich I., 919 ..., .... : Regesta Imperii


die frühen ottonischen Herrscher sahen sich durchaus als Teil des Ostfränkischen Reichs.
Das kann man wohl sagen.
 
Die Titulatur rex francorum orientalium wurde nach Ottos Kaiserkrönung aufgegeben.

Dazu schrieb @Joinville vor geraumer Zeit:

Die Begriffe "Ostfrankenreich" bzw. "Westfrankenreich" sind, wenn ich mich recht entsinne nur sehr selten offiziell benutzt wurden. Ich glaube nur in einigen wenigen Dokumenten der späten Karolinger und frühen Luitdolfinger, zu Vertragswerken die beide Regna betrafen.

Würde auch Sinn machen. Nur wenn zwei reges Francorum auf derselben Urkunde genannt werden, besteht die Notwendigkeit, jeweils "Ost" und "West" hinzuzufügen.

Der Titel Rex francorum blieb daneben noch lange in Gebrauch.

Heinrich II. führte das Motto "Renovatio regni Francorum" auf seinem Siegel: Heinrich II. (HRR) – Wikipedia

Konrad II. nannte sich 1026 "rex Francorum, Longobardorum et ad imperium designatus Romanorum":
dMGH | Band | Diplomata [Urkunden] (DD) | | K II: Konrad II. (DD K II) | Die Urkunden Konrads II.

Heinrich III. 1040 "Francorum et Longobardorum rex": dMGH | Band | Diplomata [Urkunden] (DD) | | H III: Heinrich III. (DD H III) | Die Urkunden Heinrichs III. 1039-1047

Heinrich IV. 1077 "Francorum et Longabardorum rex": dMGH | Band | Diplomata [Urkunden] (DD) | | H IV,2: Heinrich IV. 2: 1077-1106 (DD H IV) | Die Urkunden Heinrichs IV. 1077-1106
 
Danke für die urkundlich belegten Titulaturen-

Erstaunlich ist für mich, dass die deutsch-römischen Könige und Kaiser noch viele Jahunderte am Attribut "fränkischer König" bzw. rex francorum festhielten. Woher der Titel einst kam, wussten sie Jahrhunderte später womöglich selbst nicht mehr.
 
Erstaunlich ist für mich, dass die deutsch-römischen Könige und Kaiser noch viele Jahunderte am Attribut "fränkischer König" bzw. rex francorum festhielten. Woher der Titel einst kam, wussten sie Jahrhunderte später womöglich selbst nicht mehr.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das wussten.
Aus einer Urkunde Heinrichs IV. (1070):

"... qui erant secundi Ottonis imperatoris et tercii et Heinrici et avi nostri Chuonradi et patris nostri pie memorie Heinrici manu firmata et sigillo signata, in quibus dicebatur, quod non solum ipsi sed et antecessores eorum reges scilicet Francorum Pipinus, Karolus, Lvdewicus, Lotharius et item Karolus ceterique reges antecessores et successores eorum..."
dMGH | Band | Diplomata [Urkunden] (DD) | | H IV,1: Heinrich IV. 1: 1056-1076 (DD H IV) | Die Urkunden Heinrichs IV. 1056-1076
 
Danke für die Hinweise auf die Titulatur. Bis wann wurde denn das rex francorum et langobardorum im Titel benutzt?
 
Bis wann wurde denn das rex francorum et langobardorum im Titel benutzt?

Nach Heinrich IV. habe ich bisher keinen Beleg entdeckt. Ich denke, dass er im 12. Jahrhundert nicht mehr benutzt wurde. Bzw. nur noch, wenn damit auf die Vorgänger verwiesen wurde, die den Titel noch führten.

In einer Urkunde Friedrichs I. von 1154 bezeichnet sich Friedrich selbst als romanorum rex et semper augustus, seine Vorgänger summarisch als Romanorum videlicet et Longobardorum atque Francorum imperatores et reges: dMGH | Band | Diplomata [Urkunden] (DD) | | F I,1: Friedrich I. 1: 1152-1158 (DD F I) | Zeichen und Abkürzungen

Ganz ähnlich in einer Urkunde 1184 (ebenfalls für den Bischof von Verona): dMGH | Band | Diplomata [Urkunden] (DD) | | F I,4: Friedrich I. 4: 1181-1190 (DD F I) | Die Urkunden Friedrichs I. 1181-1190
 
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Otto I. zieht als König des Ostfrankenreiches nach Italien und kommt als Kaiser des HRR zurück. Auf welche Ereignisse oder auf welches Selbstverständnis ist diese Tatsache zurück zu führen? Ab wann und auf welcher Grundlage sah sich Otto als Nachfolger römischer Herrschertradition und wie wurde diese Anschauung vom Papst getragen?

Auf den Nenner gebracht. Ostfrankrenreich und HRR waren Begriffe, die man damals noch nicht kannte. Die Gebiete wurden damals anders genannt. Otto I war Kaiser von Rom, König der Franken und Langobarden. Erst bei dem Salier Heinrich IV wird, meine ich, zum ersten mal auf einer königlichen Urkunde anstelle des bisherigen "rex francorum" "rex teutorum" verwendet. Demnach wäre erst Heinrich IV der erste deutsche König, der sich so nannte.
 
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