Welche Staatsform hatte das Reich?

Es bleibt natürlich ein "Reich", was aber nicht bedeutet, dass man seine Verfassung, seine Organe und deren Aufgaben nicht klar beschreiben könnte, u.a. Reichsregierung (Kaiser, Reichsregiment, Reichshofkanzlei, Reichshofrat), Reichstag mit seinen Reichskollegien, Reichskreise, Reichsheer, Reichsfinanzwesen, Reichskammergericht usw.

Also, für mich stellt sich der Unterschied von Staat und Staatenbund gar nicht so eindeutig dar.
Es gab bestimmte Reichsinstitutionen, du hast sie genannt. Ebenso hat die EU bestimmte Institutionen, die über den Nationalen stehen.
Die Staaten im Reich hatten eigene Armeen, konnten eigenständig Beziehungen zu auswertigen Staaten aufnehmen, und hatten eigentlich kaum Berührungspunkte mit dem Reich.
 
Ich schätze den Unterschied von Staat und Staatenbund durchaus als ein wichtiges Merkmal einer solchen Organisation ein.
Denn die souveränen Mitglieder eines Staatenbundes bilden, je nach Grad der Unabhängigkeit, auch so etwas wie Kontrollorgane für das große Ganze, indem sie es in bestimmten Aspekten beschränkten. Bei uns wäre das zum Beispiel die Kulturhoheit der Länder.
Diese Merkmale fehlen in Ländern wie Frankreich dagegen gänzlich, die zentralistisch verwaltet werden.
 
Also, für mich stellt sich der Unterschied von Staat und Staatenbund gar nicht so eindeutig dar. Es gab bestimmte Reichsinstitutionen, du hast sie genannt. Ebenso hat die EU bestimmte Institutionen, die über den Nationalen stehen.
Die Staaten im Reich hatten eigene Armeen, konnten eigenständig Beziehungen zu auswertigen Staaten aufnehmen, und hatten eigentlich kaum Berührungspunkte mit dem Reich.

Das Reich ist mit der Europäischen Union nicht vergleichbar, denn Kaiser und Reichsfürsten hatten ein erheblich engeres Verhältnis zueinander, was die Verfassung des Heiligen Römischen Reichs (deutscher Nation) deutlich zeigt.

So wurde der Kaiser von den Kurfürsten gewählt und hatte danach das Recht, das Reich nach außen zu vertreten. Er hatte ferner das Recht den Reichstag zu berufen, den vom Reichstag beschlossenen Gesetzen die Ratifikation zu erteilen und diese damit wirksam zu machen. Der Kaiser war zudem Inhaber der Gerichtshoheit bei den Reichsgerichten.

Als oberstem Lehnsherrn oblag dem Kaiser die Verleihung und Erneuerung der Reichslehen, auch wenn er zur Wiederverleihung bedeutenderer heimgefallener Reichslehen der Zustimmung der Kurfürsten bedurfte.

Ferner übte der Kaiser noch immer gewisse Hoheitsrechte über die Kirche aus, die zunächst auf seiner landesherrlichen Gewalt beruhten: Der Kaiser war der Lehnsherr der zur Reichskirche gehörigen Hochstifter, Stifter und Abteien. Die Reichsbischöfe sowie die reichsunmittelbaren Äbte und Prälaten wurden vom Kaiser belehnt. Daraus ergaben sich Rechte und Pflichten beider Seiten.

Aus seiner Stellung als oberster Schutzherr der christlichen Kirche (advocatus ecclesiae) ergab sich auch die Schutzherrschaft über die Reichskirche. Der Kaiser musste in der Wahlkapitulation eidlich die Verpflichtung übernehmen, die Reichskirche in ihren Rechten und Privilegien auch gegenüber dem römischen Stuhle zu schützen (StändWahlkap. Art. XIV.). Ferner war er verpflichtet, für eine Abgrenzung der kirchlichen gegenüber der weltlichen Jurisdiktion Sorge zu tragen.

Auch das Oberkommando über die Reichsarmee führte der Kaiser, das jedoch auch einem oder mehreren Reichsgeneralfeldmarschällen übertragen werden konnte. Die oberste Leitung des Reichskriegs lag in der Hand des Reichskriegsrats. Die Reichsstände mussten die Mannschaften für die ihnen auferlegten Kontingente selbst aufbringen. Sie mussten Söldner werben oder zogen Lehnsleute (Vasallen) heran, sofern sie über solche verfügten. Das Reichsheer setzte sich demnach aus zahlreichen Kontingenten zusammen. die oft erst zu einer militärischen Einheit verbunden werden mussten.

Man könnte hier noch viele Beispiele nennen, die zeigen, dass das "Reich" eine Körperschaft war, die mit heutigen Staatsformen kaum vergleichbar ist. Es gilt, was ich weiter oben bereits sagte: Letztlich ist die verfassungsmäßige Konstruktion des Gebildes "Reich" erklärungsbedürftig und entzieht sich einer monokausalen modernen Begrifflichkeit.
 
Sehr interessant, danke für die Klarstellung!
Das HRR in der Frühen Neuzeit ist für mich immernoch sehr rästelhaft. Das macht auch gerade den Reiz aus sich damit zu beschäftigen...
 
Sehr interessant, danke für die Klarstellung!
Das HRR in der Frühen Neuzeit ist für mich immernoch sehr rästelhaft. Das macht auch gerade den Reiz aus sich damit zu beschäftigen...

Damit stehst du ganz und gar nicht allein dar, MacX!

Das Reich mit all seinen Instititionen und Gliedern sowie deren Rechten und Pflichten füllt unzählige dicke Handbücher namhafter Hisroriker. Und bis zum heutigen Tage herrscht über manche Detailfragen Unstimmigkeit. Ich vermute mal, das selbst zur Zeit der Existenz des HRR Unklarheiten über die Auslegung und Anwendung mancher Bestimmungen, Verordnungen und Gesertze bestanden.

Das macht das Ganze ja auch spannend, sofern man sich für diese Materie interessiert, die manchen Leuten ziemlich trocken erscheint. :winke:
 
Mal etwas anderes:
Bei verschiedenen Staaten Europas wird gern von "Königreichen" oder auch "Kaiserreichen" (etwa "Deutsches Reich" 1871-1918) gesprochen.

Wie ist es beim HRR? Königreich oder Kaiserreich?

Lässt sich das überhaupt so genau sagen.

Für "Königreich" spräche mMn. gerade im Mittelalter, dass der König von Amtswegen schon Staatsoberhaupt ist, und der später erworbene Kaisertitel eigentlich nichts daran ändert. Oftmals wurde er auch gar nicht errungen. Trotzdem wurde der König nicht als weniger legitim angesehen.

Für "Kaiserreich" spräche allerdings der Anspruch der Könige und Kaiser Nachfolger des antiken Römischen Reiches, und vorallem Karls des Großen zu sein. Der Kaisertitel war also auf alle Fälle erstrebenswert.
Ab der Frühen Neuzeit stellt sich dieses Problem der Kaiserkrönung nicht mehr. Der gewählte König rückte automatisch ins Kaiseramt nach.
Ab dieser Zeit könnte man also von einem Kaiserreich sprechen.

Wie seht ihr es?
 
Mal etwas anderes:
Bei verschiedenen Staaten Europas wird gern von "Königreichen" oder auch "Kaiserreichen" (etwa "Deutsches Reich" 1871-1918) gesprochen.

Wie ist es beim HRR? Königreich oder Kaiserreich?



Wie seht ihr es?
Für mich war der Kaiser, Kaiser. Und das Reich eines Kaisers war sein Kaiserreich. Bin aber auch Vorderösterreicher. Mich darf man sowas nicht fragen...=)

Jedenfalls sehe ich nicht, was die späteren Kaiserreiche eher zu Kaiserreichen als das HRR machen sollte. Der Kaiserbegriff ist ja nicht zwingend an einen bestimmten Machtraum gebunden, denke ich. Aber klärt mich in der Sache auf, wenn ich falsch liege!
 
Naja, es hat ja nicht zu jeder Zeit einen Kaiser gegeben, und die Kaiserkrönung (die ja extern statt fand im Mittelalter) war auch nicht nötig, eher optional.

Mir ist nur aufgefallen, dass die Begriffe Kaiserreich und Königreich bei anderen Staaten sehr häufig benutzt werden, beim HRR so gut wie nie.
 
Naja, es hat ja nicht zu jeder Zeit einen Kaiser gegeben, und die Kaiserkrönung (die ja extern statt fand im Mittelalter) war auch nicht nötig, eher optional.

Mir ist nur aufgefallen, dass die Begriffe Kaiserreich und Königreich bei anderen Staaten sehr häufig benutzt werden, beim HRR so gut wie nie.
Ich glaube, man sollte nicht so scharf zwischen deutscher und fränkischer Geschichte trennen. Bis weit ins 11. Jh. hinein nannten die meisten Herrscher das Reich immer noch "Frankenreich" und das Frankenreich war mit dem Vertrag von Aachen im Jahre 812 ein vom byzantinischen Kaiser anerkanntes Kaiserreich. Daß nun nicht alle Herrscher des Reiches auch Kaiser wurden, weil es sich einbürgerte, daß der Papst die Krönung vorzunehmen hatte, schadete der Sache - also dem Reich - an sich kaum.
Die Option, sich krönen lassen zu können, war für alle gewählten Könige des Regnum Teutonicum aber immer vorhanden.
Nicht dagegen z. B. für die Könige von Polen oder Ungarn.
 
Ich glaube, man sollte nicht so scharf zwischen deutscher und fränkischer Geschichte trennen.

Hab ich nicht getan. Ich frage nur, welcher Begriff eher zutrifft: "Kaiserreich" oder "Königreich". Wenn man so argumentiert, die Nachfolge des Römischen Reiches anzutreten bedeutet ein Kaiserreich zu sein, kann ich das nachvollziehen.

Aber für mich macht der Begriff "Kaiserreich" erst Sinn, wenn es für das Staatsoberhaupt keine Alternative zum Kaisertum gibt, wenn es sozusagen verfassungsrechtlich verankert ist. Im Falle HRR war es aber mehr das Upgrade des Königtums. ^^
 
Wenn man so argumentiert, die Nachfolge des Römischen Reiches anzutreten bedeutet ein Kaiserreich zu sein, kann ich das nachvollziehen.

Aber für mich macht der Begriff "Kaiserreich" erst Sinn, wenn es für das Staatsoberhaupt keine Alternative zum Kaisertum gibt, wenn es sozusagen verfassungsrechtlich verankert ist. Im Falle HRR war es aber mehr das Upgrade des Königtums. ^^

Es war aber eigentlich nicht nur ein Upgrade, sondern stand in ebenjener erwähnten römischen Tradition - über die ostfränkische bzw. fränkische Traditionslinie in der weströmischen Tradition (der byzantinische Kaiser stand bekanntlich in der entsprechenden oströmischen Tradition, was später nach dem Untergang von Byzanz dann die russischen Zaren für sich beanspruchten - Stichwort: Moskau, das "dritte Rom" nach Rom und Konstantinopel).

Kaiser bedeutete grundsätzlich im Gegensatz zu König auch eine über diesem wie jedem anderen König stehende übernationale Herrschaft.
 
Naja, es hat ja nicht zu jeder Zeit einen Kaiser gegeben, und die Kaiserkrönung (die ja extern statt fand im Mittelalter) war auch nicht nötig, eher optional.

Mir ist nur aufgefallen, dass die Begriffe Kaiserreich und Königreich bei anderen Staaten sehr häufig benutzt werden, beim HRR so gut wie nie.
Bei welchen Staaten wird denn der Begriff häufig genutzt?

Meinst Du das jetzt auf die Geschichtswissenschaft bezogen?

Ich denke einmal da kommt es daher, dass sich der Begriff Heiliges Römisches Reich oder Heiliges Römisches Reich deutscher Nation eingebürgert hat und dieser eben auch die historische Bezeichnung sehr gut trifft.
Spricht man denn oft vom Byzantinischen Kaiserreich oder nicht eher vom Byzantinischen Reich? Und dennoch würden wir den Byzantinern das Kaiserreich nicht absprechen wollen.

Aber die Überlegung ist nicht übel, dass es schon ein wunderliches Kaiserreich ist, in welchem es bisweilen keinen Kaiser gab. :grübel:
 
Aber die Überlegung ist nicht übel, dass es schon ein wunderliches Kaiserreich ist, in welchem es bisweilen keinen Kaiser gab.
Auf den ersten Blick, ja. Die teils geschriebene, teils ungeschriebene Verfassung des Alten Reichs - Wahlmonarchie! - hatte allerdings für diesen Fall bewußt Vorsorge getroffen, und zwar durch das Amt des sogenannten Reichvikars bzw. Reichsverwesers (vgl. Reichsverweser ? Wikipedia). Das war im hohen Mittelalter ein Recht, welches der Papst für sich in Anspruch nahm. Spätestens seit der Goldenen Bulle jedoch (Digitale Bibliothek - Münchener Digitalisierungszentrum) traten zwei Reichs- bzw. Kurfürsten an dessen Stelle.

An der Goldenen Bulle lässt sich auch der Unterschied zwischen Kaisertum und Königtum zeigen: Der darin geregelte Wahlakt bezog sich ausschließlich auf das Königtum: "Mit Abschluß der [...] Wahlentscheidung war der Gewählte König. Die anschließend [...] erfolgte Krönung mit der Übergabe der Reichsinsignien hatte demgegenüber nur noch symbolischer Bedeutung" (Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, S 8).

Dies blieb auch bis zum Ende des Alten Reiches prinzipiell so, während sich die "Handhabung" bezüglich des Kaisertums änderte: "Mit der Königwahl wurde überdies die Anwartschaft auf die Kaiserwürde erworben, deren Erlangung zu Maximilians I. Zeiten noch grundsätzlich der Krönung durch den Papst in Rom bedurfte. Gleichwohl verzichtete der König 1508 [...] auf den klassischen Krönungsakt und nahm hinfort den Titel eines "erwählten Römischen Kaisers an. Künftig fiel mit dem erfolgreichen Abschluss des kurfürstlichen Wahlaktes mithin sogleich die Erlangung der Kaiserwürde zusammen. Der in der Vergangenheit zeitweise aus dem Recht zur Kaiserkrönung die Befugnis zur Kontrolle der Königswahl für sich reklamierende Pontifex war damit vom Geschäft des 'Kaisermachens' ausgeschlossen" (ebd.).

Die Frage "König/Kaiser von was?" ist ja hier im Forum schon einige Male angesprochen worden. Im Artikel "Reich" in "Geschichtliche Grundbegriffe" (Bd. 5, S. 423-508) wird jedenfalls für das 10./11. Jh. viererlei diskutiert: "die gentile, die fränkische, die imperiale [= römische] und die deutsche Frage" (S. 435). Ich kann das hier nicht alles abschreiben, sondern nur darauf hinweisen, dass das mittelalterliche Kaisertum ganz eng gebunden war an seinen Auftrag als Verteidiger des (okzidentalischen) Christentums; nachdem letzteres sich in der Reformationszeit spaltete, trat insoweit eine weitere Erosion des "Kaiser"-Begriffs ein.

Man kann, wie schon von anderen gesagt, diese Begriffsverwendung nicht übertragen auf andere Reiche, deren Oberhäupter sich auch Kaiser nannten (Byzanz) bzw. so übersetzt wurden (China, Japan). Der religiöse Hintergrund wird übrigens noch deutlich im Falle von Alfons VI. (1040-1109) und Alfons VII. (1104-1157), Könige von Kastilien und Leon, die sich beide den Kaisertitel zulegten. (Wäre vielleicht eine eigene Diskussion wert.)
 
timotheus
Kaiser bedeutete grundsätzlich im Gegensatz zu König auch eine über diesem wie jedem anderen König stehende übernationale Herrschaft.

Richtig, das sehe ich auch so. Deswegen finde ich es ja um so verwunderlicher, dass um das Königtum unter den Fürsten so stark gestritten wurde, und die Wahl urkundlich festgelegt werden musste, während über das Kaisertum bzw. die Kaiserwahl nie so eine Regelung existierte. Man sollte doch meinen, das Kaisertum wäre für ein Gebilde, dass sich "Heiliges Römisches Reich" nennt, unerlässlich.

Brissotin
Bei welchen Staaten wird denn der Begriff häufig genutzt?

Meinst Du das jetzt auf die Geschichtswissenschaft bezogen?

Ich meine damit, wie die Staaten in etlichen Atlanten bezeichnet werden:

ein Auszug aus der Legende zu einer Karte beispielspielsweise:

"Hl. Römisches Reich
Königreich Burgund
Königreich Dänemark
Königreich Frankreich
Königreich England
Königreich Italien
Königreich León
Königreich Kastilien
Königreich Navarra"

Spricht man denn oft vom Byzantinischen Kaiserreich oder nicht eher vom Byzantinischen Reich? Und dennoch würden wir den Byzantinern das Kaiserreich nicht absprechen wollen.

Doch, "Byzantinisches Kaiserreich" oder "Kaiserreich Byzanz" sind mir geläufig. Für den Fall HRR kenne ich zB. aber auch "römisch-deutsches Kaiserreich", wobei man das wirklich sehr selten antrifft.

In dem Zusammenhang der Art der Benennung des Reiches, wird ja auch der Charakter und der Anspruch deutlich. Für Papst Gregor VII war es offensichtlich schon von Belang, dass Heinrich IV "nur" König war, und sein Reich dementsprechend "nur" ein Königreich.
 
ein Auszug aus der Legende zu einer Karte beispielspielsweise:

"Hl. Römisches Reich
Königreich Burgund
...

Man sollte aber auch bedenken, das Begriffe wie "Königreich" und "Kaiserreich" eher moderne Umschreibungen sind. Im Mittelalter war von regnum oder imperium die Rede.

Die moderne Geschichtsschreibung ist sogar in der Lage recht "moderne Königreiche" im Mittelalter zu endecken.
Angevinisches Reich ? Wikipedia
 
Ich hätte in dem Zusammenhang auch noch eine Frage.
Das HRR ist ja aus dem Ostfankenreich herevor gegangen, welches eine Abspaltung aus dem Frankenreich war. Frankreich ist wiederum aus dem Westfrankenreich hervor gegangen, dessen König sich ebenso wie die des Ostfrankenreiches und Italien sich zum Kaiser krönen lassen konnten und Karl II. tat das ja auch.
Was ich mich frage ist:
Bis wann gab es bei den Westfranken/Franzosen dieses Anrecht?
Oder ist das vielleicht nie entfallen?
Weiß das jemand?
 
Bis wann gab es bei den Westfranken/Franzosen dieses Anrecht?
Oder ist das vielleicht nie entfallen?

Es ist nie entfallen, so gesagt.
Aber aufgrund der Machtlosigkeit der frühen Kapetingerkönige, sowie der räumlichen Trennung von Italien waren Ambitionen auf die Kaiserkrone eher Wunschdenken. Erst im 13. Jahrhundert faste man dies wieder ins Auge.

1240 hatte Graf Robert von Artois (Bruder von Ludwig IX.) die deutsche Königskrone (und damit die Anwartschaft auf die Kaiserwürde) vom Papst noch abgelehnt, aber schon sein Neffe König Philipp III. der Kühne war der erste Kapetinger der sich zur Kandidatur stellte, aber gegen Rudolf von Habsburg unterlag.

EDIT:
Dazu ist aber noch anzumerken, das die ideologische Trennung der Könige von Frankreich zum Oberhoheitsanspruch der römisch-deutschen Kaiser im 13. Jahrhundert im vollem Gang war. Die Dekretale Per Venerabilem (1202) stellte das klar.
http://de.wikipedia.org/wiki/Dekretale_Per_Venerabilem

Gleichzeit besannen sich die Kapetinger auf die universelle Herrschaftsauffassung Karls des Großen und knüpften an die Tradition der Karolinger an. König Philipp II. hatte nach dem Sieg bei Bouvines 1214 der Ehrentitel eins Augustus angenommen, der schnell zu seinem Beinamen (August) wurde. König Ludwig VIII. hat man bereits als direkten Nachkommen Karls des Großen verhehrlicht und seit Ludwig IX. betrachteten sich die französischen Könige als Kaiser in ihrem Königreich.

http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_VIII._(Frankreich)#Die_karolingische_Erneuerung
http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_IX._(Frankreich)#Herrschaftsauffassung
 
Zuletzt bearbeitet:
Joinvolle
Man sollte aber auch bedenken, das Begriffe wie "Königreich" und "Kaiserreich" eher moderne Umschreibungen sind. Im Mittelalter war von regnum oder imperium die Rede.
Schon klar... Ich beziehe mich auch nur auf die moderne Terminologie.

Barbarossa
Bis wann gab es bei den Westfranken/Franzosen dieses Anrecht?
Spontan hätte ich gesagt, dass sich das mit Otto dem Großen entschieden hat, da er ja auch, wie Joinville schon gesagt hat, Italien dem Reich angegliedert hatte, wie einst Karl der Große.
 
Da noch einige interessante Gesichtspunkte eingebracht wurden, gehe ich nochmal zum Beitrag von Peter Moraw in "Geschichtliche Grundbegriffe" zurück.

Im Mittelalter war von regnum oder imperium die Rede.
Zur "gentilen Frage" weist Moraw darauf hin (S. 435), dass "auch im 10. Jh. und - schwächer werdend - im 11. Jh. und darüber hinaus immer wieder eine regna-Terminologie für die Stammesherzogtümer gebraucht" wurde, z. B. bei Widukind von Corvey; Stämme blieben also "quasi noch königsfähige Gebilde", was für die Begriffsverwendung vielleicht nicht unwichtig ist. [1]

Das HRR ist ja aus dem Ostfankenreich herevor gegangen, welches eine Abspaltung aus dem Frankenreich war. Frankreich ist wiederum aus dem Westfrankenreich hervor gegangen...
Auch zur "fränkischen Frage" ein interessanter Gedanke Moraws: Noch im Abkommen von 921 nannten sich die Partner rex Francorum orientalium und rex Francorum occidentalium, und Widukind bezeichnete das Herrschaftsgebiet Otto I. noch als Francia Saxoniaque, während Germania "nur" ein (von den Römern übernommener) geographischer Begriff war. Im Gegensatz zum Westreich kam im Osten die "Frankentradition" jedoch relativ früh in Wegfall: "Vielleicht allzu rasch wurde dieser inhaltsschwere Titel dem Westreich überlassen, für dessen Konsolidierung er so wertvoll wurde" (S. 436). Etwas verkürzt: Im Osten trat durch die Verbindung mit dem Süden das "römische" Namenselement an die Stelle des "fränkischen".


[1] Zum "Teil"-Königtum kam es erst in der Neuzeit (Preußen, Sachsen, Bayern, Württemberg). Es wäre theoretisch auch möglich gewesen, für den mächtigsten Stammesführer einen Titel wie "Großkönig" zu kreieren.;)
 
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