Wie sah Velleius Paterculus Augustus?

dekumatland

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Paradigmenwechsel in der Lesung von Varus‘ Leistungen
@El Quijote dazu eine Frage, die eher nicht zur Varusschlacht gehört:
Wenn nach Augustus, den schlecht zu reden sich wohl verbot, dessen Protege Varus runtergemacht wird, ist das dann eine indirekte Augustuskritik? (der Art "ja, Augustus, göttlich, aber jetzt Tiberius ist doch besser, pragmatischer, keine hasardierenden Germanienexperimente")

Zugleich: große römische Armeeaufgebote müssen überwiegend siegreich sein bzw so dargestellt werden, damit man nicht das Vertrauen ins Imperium verliert. Folglich muss man zur Wahrung des Nimbus Unbesiegbarkeit im Fall, dass nachweislich mal nicht gesiegt wird, einen Sündenbock - hier Varus - etablieren.

Das wären gleich zwei "Narrative": das eine politische indirekte Augustuskritik, das andere als Bewahrung der Unbesiegbarkeit.

Aber beides betrifft nur politische Darstellungen nach außen, denn den Militärs war in ihrem Pragmatismus vermutlich bekannt, dass eine verlorene Schlacht noch kein verlorener Krieg ist.
 
Die Augustuskritik sehe ich darin noch nicht. Tiberius war in allem der Erbe von Augustus, er erbte 2/3 von Augustus' Vermögen, er erbte die Herrschaft (was natürlich nicht immer so klar gewesen war, vor ihm hatten ja diverse andere Personen in der Erb[en]folge gestanden, die waren halt nur alle verstorben:

Agrippa (12 v. Chr.)

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(Nemausus-As mit den Büsten von Agrippa und Augustus, 27 - 12, vom Reversbild abstrahiert ist auch das moderne Wappen vonm Nîmes, gezeigt werden soll der Sieg Octavians über Marc Anton bzw. Ägypten)


Marcellus (23 v. Chr.)

Gaius (4 n. Chr.) und Lucius (2 n. Chr.)
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(Gaius/Lucius-Denar und Gaius/Lucius-Aureus. Gaius und Lucius werden als PRINCipes IVVENTutis präsentiert, mit Lituus und Simpulum als Inhaber von zwei der vier hohen Priesterämter.
Da es immer ein vorderes und ein hinteres Schuld ist und der lituus immer auf der Seite des hinteren, das simpulum immer auf der Seite des vorderen Schildes ist, werden sie jeweils dem älteren Gaius und dem jüngeren Lucius entsprechend zugeordnet.)


Gaius alleine (Datierung 8 v. Chr.)
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Und schließlich Tiberius (TI.CAESAR) in der Quadriga)
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Und nach Augustus' Tod bleibt Augustus für Tiberius wichtig, v.a. auch als Legitimation, auch wenn er zunächst den Senat scheinbar bzgl. der Nachfolgeregelung walten ließ:

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TIberius CAESAR DIVI AUCusti Filius AUGUSTUS - Tiberius Caesar, Sohn des vergöttlichten Augustus, Augustus
PONTIFex MAXIMus

Oder:

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ich glaube die Transliteralisierung der Umschrift erübrigt sich.
SC auf dem Revers steht für Senatus Consultum, also die Fiktion, der Senat habe diese Münze ausgegeben. (Datierung 22 - 26, mir ist nicht ganz klar, worauf sich diese Datierung stützt).

[Edit: Falsche Münzdatierung berichtigt (Gaius, reitend vor Feldzeichen, alleine, die Münze ist zehn Jahre vor Lucius' Tod emittiert worden, nicht erst in dem zweijährigen Zeitraum nach Lucius' und vor Gaius' Tod)
 
Zuletzt bearbeitet:
Von den DIVVS AVGVSTVS PATER-Münzen gibt es diverse Exemplare, meist mit Büste des Augustus, tw. aber auch ein Ganzkörperportait des sitzenden/thronenden Augustus, die Rückseite in verschiedenen SC-Varianten mit Lorbeerkranz, einem die Weltkugel fassenden Adler oder auch mit einem Altar und der programmatischen Schrift PROVIDENTia bzw. einem Tempel.
 
Je negativer Varus dargestellt wird, umso mehr stellt sich die Frage, wie der göttliche Augustus diesen fördern und ihm vertrauen konnte... und dann ist es nicht mehr weit zu "ganz so göttlich war der August wohl doch nicht"
Aber das blendet Velleius ja alles weg. Er erwähnt Varus genau einmal (also er nennt dessen Namen natürlich öfter), nämlich im Rahmen der Varusschlacht. Kritik an der Germanienpolitik des Kaiserhauses gibt es nicht, dafür stand ja Tiberius, die wird allein auf Varus abgewälzt.

Dagegen an einer anderen Stelle über die hispanischen Provinzen (VP, Hist. Rom. II, 90):

Illae enim provinciae Scipiones consumpserunt; illae contumelioso decem annorum bello sub duce Viriatho maiores nostros exercuerunt; illae terrore Numantini belli populum Romanum concusserunt; in illis turpe Q. Pompei foedus turpiusque Mancini senatus cum ignominia dediti imperatoris rescidit; illa tot consulares, tot praetorios absumpsit duces, patrumque aetate in tantum Sertorium armis extulit, ut per quinquennium diiudicari non potuerit, Hispanis Romanisne in armis plus esset roboris et uter populus alteri pariturus foret. 4 Has igitur provincias tam diffusas, tam frequentis, tam feras ad eam pacem abhinc annos ferme quinquaginta perduxit Caesar Augustus, ut quae maximis bellis numquam vacaverant, eae sub C. Antistio ac deinde P. Silio legato ceterisque postea etiam latrociniis vacarent.

Es waren jene Provinzen, welche die Scipionen hinwegrafften, jene plagten unsere Vorfahren in dem schmachvollen zehnjährigen Krieg unter dem Heerführer Viriathus, jene zerrütteten mit dem Schrecken des Numantinischen Krieges das römische Volk, in jenen ereignete sich die schändliche Kapitulation von Quintus Pompeius, dessen Bedingungen der Senat ablehnte, und die schändlichere Kapitulation von Mancinus, der ebenfalls ungültig gemacht und dessen Befehlshaber schändlich dem Feind ausgeliefert wurde, jene rafften so viele Konsuln und Prätoren als Befehlshaber dahin, und in der Zeit unserer Väter brachten sie Sertorius hervor, dass für fünf Jahre nicht zu entscheiden war, ob die Hispanier oder die Römer robuster seien und welches Volk dem anderen nachgeben würde. Dieses waren also die Provinzen, so weitläufig und dicht besiedelt, so wild, die vor etwa 50 Jahren Caesar Augustus in Frieden brachte, dass sie niemals mehrgroße Kriege zu führen imstandeseien. Jetzt, unter C. Antistius und dann unter P. Silius und anderen Legaten danach waren sie sogar frei von Raub.
Liest man Velleius Paterculus könnte man glauben, Augustus habe in den iberischen Provinzen mal ordentlich aufgeräumt. De facto hat er nur Kantabrien, Asturien und Galicien erobert, der Rest Spaniens war lange befriedet. Augustus hat unter die skuzessiven Eroberungen Spaniens, die 200 Jahre zuvor begonnen hatten, einen Schlusstrich gesetzt, in dem er die relativ dünn besiedelten Gebirge in Nordspanien unterwarf.
Ich will das nicht kleinreden, die kantabrische Reiterei hat nachhaltigen Eindruck auf die Römer gemacht, die von dieser Manöver kopierten (und nach den Kantabrern benannten). Aber Velleius sagt im prinzip: Spanien macht seit 200 Jahren Probleme und Augustus hat diesen Problemen ein Ende gesetzt. Und das stimmt eben so nicht. Klar hat es Probleme mit verschiedenen lusitanischen und keltischen Stämmen gegeben und Einfälle dieser in die römischen Provinzen Iberiens, aber das hat sich so peu a peu in den 200 Jahren ergeben. Als Augustu übernahm, war der größte Teil Spaniens längst unter römischer Kontrolle.
 
Wenn nach Augustus, den schlecht zu reden sich wohl verbot, dessen Protege Varus runtergemacht wird, ist das dann eine indirekte Augustuskritik?

Vor dem Jahr 26: Nicht unbedingt.

"Als der für verbale Tiefschläge berüchtigte Rhetor Lucius Cestius Pius in einer Anspielung dem P. Quinctilius Varus die Niederlage seines Vaters vorhielt, galt dies dem älteren Seneca als ein Musterbeispiel unanständigen Verhaltens."
Reinhard Wolters, Die Schlacht im Teutoburger Wald, München 2008, S. 146

O-Ton Seneca:
"cum multa dixisset, novissime adiecit rem, quam omnes improbavimus: 'ista neglegentia pater tuus exercitum perdidit.' filium obiurgabat, patri male dixit."
Seneca the Elder
Meine Übersetzung:
"Nachdem er eine Menge gesagt hatte, fügte er endlich etwas hinzu, was wir alle als ungehörig zurückwiesen: 'Durch diese Nachlässigkeit hat dein Vater ein Heer verloren' - er schalt den Sohn, indem er den Vater verleumdete."

Laut Walter John, Zu den Familienverhältnissen des P. Quinctilius Varus, in: Hermes 86 (1958) wäre diese Episode frühestens 18 oder 19 n. Chr. anzusetzen.


Nach dem Jahr 27: Klares Nein!
Wolters schreibt weiter:

"Im Jahr 26 wurde in Rom Claudia Pulchra von dem ambitionierten Aufsteiger Domitius Afer angeklagt. Es war dies die Zeit der berüchtigten Hochverratsprozesse unter Tiberius; in Rom herrschte ein Klima der Angst, Verfolgung und Missgunst. [...] Im Jahr darauf zog Domitius Afer den Sohn des Legaten gleichfalls in das für die Angeklagten aussichtslose Verfahren hinein. An diesem Punkt endet die Überlieferung zu den Quinctiliern. Mit der Anklage und dem Ausscheiden der Familie aus der Führungsschicht des Reiches war allerdings auch das Andenken des Feldherrn seines Schutzes beraubt."
Claudia Pulchra war die Witwe des Varus senior und die Mutter des Varus junior.
Wenig später (um 30) verfasste Velleius seine Römische Geschichte. Wolters weist darauf hin, dass Velleius sich mit dem abfälligen Urteil über Varus "in der Zeit der Verfolgung der Quinctilii zugleich selbst positionierte".

Man muss halt in Betracht ziehen, für welche Leser ein Autor schreibt.
 
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