Seit dem ist "Halten bis zum letzten Mann" zwar militärischer Standartbefehl geblieben, aber wir reden ja hier in weiten Teilen über die Zivilbevölkerung und da ist der Gedanke alles zu vernichten, was noch irgendwie brauchbar ist, siehe Nero-Befehl eigentlich die logische Ergänzung zum "Halten bis zum letzten Mann".
Die Inkaufnahme der totalen Vernichtung um dem Feind nichts brauchbares mehr zu überlassen und ihn für den Sieg so weit als möglich bluten zu lassen.
Ein paar Anmerkungen und andere Sichten - auch aus der Sicht des NS-Staates – auf die damaligen historischen Realitäten in der Phase des Zusammenbruchs.
Zum einen ist es die Realität der entgrenzten Kriegsführung, die keine Form von legaler Einschränkung mehr kannte, die „nach Hause“ zurück kam (Kunz, S. 287). Der Terror, der im Osten praktiziert worden ist, wandte sich nun auch gegen die „Heimatfront“, so der Tenor bei Kershaw (S. 523ff) Insbesondere der Nero-Befehl wandte sich nicht nicht nur gegen den Feind, sondern auch gegen die Lebensgrundlagen des eigenen Volkes. Und wurde deswegen vielfach nicht befolgt, so auch die Ausführungen von Speer.
Die „Volksgemeinschaft“ befand sich in Auflösung und ein offener Aufstand gegen das Regime wurde im wesentlichen durch eine deutliche Steigerung der Repression verhindert. Im Kontext der „Todesmärsche“ wurde relativ wahllos gegen jeden Soldaten oder Zivilisten vorgegangen, gegen den „Verdacht“ vorlag. Vor allem die Parteigruppierungen und ihre paramilitärischen Verbände waren in diese Orgie der entfesselten Gewalt zunehmend eingebunden. Nicht selten losgelöst von zentralen Vorgaben, sondern als Ausdruck eines spontanen hysterischen Mobs.
Das System des tiefgestaffelten Erfassung von „Deserteuren“ war explizit dem „sowjetischen Verfahren“ entlehnt, durch brachiale Gewalt, die Front von Hinten zu stabilisieren und die meisten der zehntausenden Deserteure wurden aufgegriffen und standrechtlich erschossen.
Die Front im Osten hielt im wesentlichen auch deswegen, weil man die Rache der sowjetischen Soldaten fürchtete und aus diesem Grund – vielfach – noch aus innerer Überzeugung bereit war, sich selber und die eigenen Familien so lange wie möglich zu schützen.
Der Nero-Befehl verweist zwar einerseits auf die Entgrenzung von Gewalt auch gegen das eigene „arische Volkstum“, aber er verweist auch auf die Besonderheiten hin, mit dem die Ideologen des 3. Reich die Vorstellungen zum tausendjährigen Reich aufgeladen haben. Im Kern steht dabei eine Vorstellung von Zeit und Geschichtlichkeit, so im wesentlichen Clark in seinen interessanten Ausführungen(S. 189ff), die sich aus der Vorstellung einer linearen Zeit entkoppelt. „Das NS-Regime wollte nicht das Paradigma der linearen Geschichte von innen revolutionieren, um es für die Bedürfnisse einer alles verändernden Partei aufzurüsten, sondern trachtete danach, Geschichte ganz zu meiden, ihr in ein rassisch definiertes Zeitkontinuum des transhistorischen Gedankens zu entfliehen. In dieser Hinsicht ähnelte das Regime Mircea Eliades archaischen Menschen, der versucht, sich mit allen Mitteln der Geschichte entgegenzustemmen, die er betrachtet als eine Folge unumstößlicher, unvorhersehbarer Ereignisse von autonomem Wert. Vergangene Ereignisse und Individuen vermag er lediglich in der Gestalt zeitloser Archetypen wahrzunehmen. “ (Clark, S. 206)
Die enge historische Verzahnung von Rasse und Abstammung erzeugte eine Vorstellung der Identität der „arischen, germanischen Vorfahren“ und dem 3. Reich. Nicht der Zeitbegriff war damit zentral, sondern im Kern stand die zeitübergreifende Identität des „Volkskörpers“ in seiner „arischen Fundierung“. Und die Vorstellung von der historischen Mission des 3. Reichs konnte solange als intakt angesehen werden wie der „rassische Körper“ der „Volksgemeinschaft“ in seinem Kern intakt bleibt.
In diesem Sinne äußert sich Goebbels, der ein Anhang zu Hitlers politischen Testament anfertigt (Gosztony, S. 324). Er verweigert Hitler darin den Gehorsam, eine neue Regierung zu bilden, und folgt ihm stattdessen mit Frau und Kindern in den Tod. Im obigen Sinne der Möglichkeit zur Reinkarnation des 3. Reichs zu einem späteren Zeitpunkt formuliert Goebbels in diesem Anhang: „
In dem Delirium von Verrat, das in diesen kritischen Tagen des Krieges den Führer umgibt, muß es wenigstens einige geben, die bedingungslos und bis zum Tode zu ihm halten, auch wenn das einem formalen, sachlich noch so begründeten Befehl, den er in seinem politischen Testament zum Ausdruck bringt, widerspricht. Ich glaube, damit dem deutschen Volk für seine Zukunft den besten Dienst zu erweisen, denn für die kommenden schweren Zeiten sind Vorbilder noch wichtiger als Männer. Männer werden sich immer finden, die der Nation den Weg ins Freie zeigen. Aber eine Neubildung unseres völkisch-nationalen Lebens wäre unmöglich, wenn sie sich nicht auf der Grundlage klarer und jedem verständlicher Vorbilder entwickelte.“ (Gosztony, S. 324).
Rationalitäten im Untergang des Dritten Reiches würde ich nicht ansatzweise suchen (wollen).
Vor dem Hintergrund der beschriebenen Sichtweise auf die aus der Zeit fallende Zeitlichkeit des „Tausenjährigen Reichs“ war das Verhalten von Hitler und anderen, wie Goebbels, durchaus - aus ihrer Sicht - rational nachvollziehbar. In dem Selbstmord von Hitler und anderen NS-Größen wird vor allem die Vorbildfunktion herausgestrichen, die eine Neuorientierung an der NS-Ideologie ermöglicht. Es war die Idee und der Kern einer neuen „Hermann-Sage“ , um die sich die Neugründung des neuen NS-Regimes,, dem „4. Reich“ vollziehen soll. Der arische Phönix aus der Asche, auch vor dem Hintergrund der intendierten Vernichtung im Rahmen des „Nero-Befehls“
Den Zeitbegriff, den Clark für das 3. Reich diagnostiziert, sollte man an einer anderen Stelle ausführlicher diskutieren, da er ausgesprochen interessante Einsichten in das Verständnis einer "neo-nazistischen Ideologie" bietet.
Clark, Christopher (2018): Von Zeit und Macht. Herrschaft und Geschichtsbild vom Großen Kurfürsten bis zu den Nationalsozialisten. 1. Aufl. München: Deutsche Verlags-Anstalt.
Gosztony, Peter (Hg.) (1975): Der Kampf um Berlin 1945 in Augenzeugenberichten. München: dtv.
Kershaw, Ian (2013): Das Ende. Kampf bis in den Untergang NS-Deutschland 1944/45. München: Pantheon.
Kunz, Andreas (2007): Wehrmacht und Niederlage. Die bewaffnete Macht in der Endphase der nationalsozialistischen Herrschaft 1944 bis 1945. München: Oldenbourg
Nero-Befehl
https://www.ns-archiv.de/personen/hitler/nero-befehl/
Hitler: Politisches Testament
https://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0228_hte&l=de