Jiddisch - eine mittelhochdeutsche Sprache (?)

Leopold Bloom

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Fortführung aus folgendem Thread: http://geschichtsforum.de/showthread.php?p=21053#post21053


Tib.Gabinius schrieb:
hyokkose, wir könnten uns jetzt darüber noch eine Weile unterhalten, aber das würde den Threat noch weiter ab vom Thema bringen als bisher.



Aussagen:

Tib.Gabinius schrieb:
Zitat Wilhelm Schmidt, Geschichte der deutschen Sprache, S. 99 f.
"Eine Sonderstellung nimmt das Jiddische ein: "Als Nebensprache der Juden in Deutschland entstanden, rückt das Jiddische zur ihrer Hauptsprache auf, schuf eine wertvolle, verzweigte Literatur, die in der zweiten Hälfte des XX. Jh. allgemein anerkannt wurde." (Weissberg 1988,24.) Als ältestes erhaltenes Denkmal gilt ein Zweizeiler, der im "Wormser Maxser" (hebräisch Machsor "Festgebetsbuch") vom Jahr 1272/73 überliefert ist:.....
Bereits hier werden "das Eindringen" des Mittelhochdeutschen ins primäre Hebräisch und die Übernahme deutscher Sprachstrukturen deutlich sichtbar. Die Entstehungszeit und die Entstehungsumstände des Jiddischen sind noch nicht entgültig erforscht. Wahrscheinlich führte die Ghettoisierung der Juden um 13. Jh. und die damit verbundene Isolierung zur Ausformung eines eigenen Idioms, das neben der deutschen Grundstruktur wichtige hebräische Elemente, aber auch romanische und slawische Bestandteile enthält. Als Schriftsystem diente das Hebräische."

Ergo: Jiddisch ist eine Mischung aus Hebräisch, Mittelhochdeutsch, Romanisch und Slawisch.




hyokkose schrieb:
Was immer das Jiddische an slawischem und hebräischem Wortschatz (eventuelle romanische Bestandteile sind eher vernachlässigbar) aufgenommen hat: Es basiert auf dem Mittelhochdeutschen und auf keiner anderen germanischen Sprache.



Tib.Gabinius schrieb:
Wenn du also sagst, es basiert auf dem Mittelhochdeutschen stimmt dies zwar, ist jedoch nicht vollständig, da es eine Mischsprache ist.
Man läßt ja auch nicht irgendwelche germanischen Stämme aus, wenn man von Germanen spricht, oder meint nur Sachsen wenn man von Angelsachsen redet.




hyokkose schrieb:
Da alle Sprachen Mischsprachen sind, ist dieser Hinweis überflüssig. Auch der "Schmidt" verwendet in diesem Zusammenhang den Ausdruck "Mischsprache" nicht, sondern spricht von "Tochtersprache des Deutschen" (S. 38).




Und jetzt ab....
 
Als ich neulich in Berlin war, habe ich witziges Buch zum Thema gesehen.

Es heisst: Jiddisch im Berliner Jargon oder Hebräische Sprachelemente im deutschen Wortschatz.

Wer sich dafür interessiert was: Schickse, doof, abnibbeln, malochen, Kaff, Bammel oder Ische nun wirklich heisst, dem wird es dort auf witzige Weise erklärt.

Der Autor heisst: Andreas Nachama
 
askan schrieb:
Als ich neulich in Berlin war, habe ich witziges Buch zum Thema gesehen.

Es heisst: Jiddisch im Berliner Jargon oder Hebräische Sprachelemente im deutschen Wortschatz.

Wer sich dafür interessiert was: Schickse, doof, abnibbeln, malochen, Kaff, Bammel oder Ische nun wirklich heisst, dem wird es dort auf witzige Weise erklärt.

Der Autor heisst: Andreas Nachama
Wo du das gerade ansprichst: hierzulande hat man auch noch immer eine Masn und wünscht sich Hals und Beinbruch. ;)
 
Mme Taussaud schrieb:
habt ihr schon mal jemanden fließend jiddisch sprechen hören?:rolleyes:

Ja, ich als das letzte mal in Berlin war. In Schöneberg gibts ein russisches Szenekaffee, dort war eine Grossfamilie frühstücken, mit den Kellnern sprachen sie russisch, aber untereinander ein jiddisch so wie ich es nur beim Film Anatevka gehört habe.
 
Ich kenne bisher nur geschriebenes jiddisch in jüdischen Witzen. Verstehen kann ich es, In einem Gespräch (dessen Redetempo vom Sprecher und nicht vom Zuhörer abhängt) würde mir das wahrscheinlich nicht gelingen.
 
Der holländische Pianist van der Pas erzählt in Gregor Piatigorskis Autobiografie "Mein Cello und ich" von seiner ersten Begegnung mit dem Cellisten Emanuel Feuermann:
"Er sprach holländisch, aber ein sehr merkwürdiges Holländisch. Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, daß es Jiddisch war."
 
Noch vor vierzig Jahren hat ja Kishon geschrieben, daß die meistgesprochene Sprache in Israel jiddisch sei und hebräisch die einzige Muttersprache, die die Mütter von ihren Kindern lernen. Mittlerweile wird das schon deutlich anders aussehen.
Ich denke, das Jiddische wird schon noch eine Weile bestehen bleiben, gerade in orthodoxen Kreisen, allerdings erfährt davon der "Normalsterbliche" nicht soviel.
Vor dem zweiten Weltkrieg dagegen gab es wohl, v.a. im deutsch-polnischen Grenzbereich, interkonfessionelle Schulen, in denen sogar nichtjüdische Mitschüler des Jiddischen mächtig waren, was gar nicht einmal ein Zeichen übermäßiger religiöser Toleranz sein mußte; man hörte es halt tagtäglich. Irgendwo habe ich sogar einmal eine jiddische Verballhornung von Schillers "Glocke" gelesen, und ich meine, auch die sei von nichtjüdischen Studenten verfaßt worden.
Heute scheint diese Sprache ja auch in weniger strenggläubigen oder einfach nur interessierten Kreisen eine gewisse Renaissance zu erfahren, allerdings weiß ich nichts Näheres darüber.

Ich weiß, für das Folgende gibt's ein anderes Forum, aber weil's hier so gut paßt:

In einem koscheren Restaurant in New York, das hauptsächlich von Neueinwanderern aus dem Osten frequentiert wird, serviert ein Chinese, der perfekt jiddisch spricht. Einmal kommt ein neuer Gast und wundert sich. Er winkt den Wirt heran und fragt: "Sagen Sie, wie ist es möglich, daß ein Chinese so gut Jiddisch kann?"
"Still!" flüster der Wirt erschrocken. "Nicht so laut! Der Chinese arbeitet bei mir schon seit einem vollen Jahr gratis gegen Kost und Logis, weil er glaubt, daß er dabei Englisch lernt!"
 
Es ist richtig, dass Jiddische als Tochter des Deutschen anzusehen, da es hieraus entstanden ist. Daran ändert sich auch nichts, wenn durch den jüdischen Hintergrund hebräische Wörter Einklang gefunden haben. Auch wenn wir heute Deutsch reden, bringen wir oft hebräische Wörter ein, welche im Deutschen einfach keine Entsprechung haben.

Erst später durch die Wanderungen bzw. Vertreibungen kamen dann auch noch Wörter aus anderen Sprachen hinzu und im Ostjiddischen ist der Anteil aus romanischen und slawischen Sprachen auch recht hoch.

Hierbei sollte man aber nicht vergessen, dass auch deutsche Juden Jiddisch sprachen, welches diesem Einfluss nicht ausgesetzt war und welche dann mit ihrem Westjiddisch erst später nach Osten abwanderten. Dadurch gibt es auch heute noch unterschiedliches Jiddisch.

Und Jiddisch ist nicht so ausgestorben, wie manchen meinen. Es ist heute nur üblich, dass sekuläre Juden eben die Landessprache verwenden, was in früheren Zeiten anders war und damit die ganze jiddische Kultur hat entstehen lassen, welche heute in dieser Form nicht mehr gelebt wird. Jiddisch taucht heute fast ausschließlich nur noch im orthodoxen bis ultraorthodoxen Bereich auf. Hier ist es dann aber noch sehr lebendig und erst letzte Woche habe ich es hier gehört wie auch gesprochen. Zuhause sprechen wir zur Zeit eigentlich kein Jiddisch bzw. nur selten.

A guten schabbes.
 
Lukrezia Borgia schrieb:
Warum nicht die Sprache mit Musik unterlegen?

Ja meine Grandma väterliherseits, sie konnte nichts anderes als Jiddisch. Sie hat zwar in Amerika nach dem Krieg Englisch gelernt das hat sie aber auch mit einem starken jiddischen Akzent gesprochen. Auch meine andere Grandma sprach noch Jiddisch und das hat sie mit mir auch gesprochen ales ich klein war so das mir das Jiddische sehr vertaut ist.
 
Mme Taussaud schrieb:
habt ihr schon mal jemanden fließend jiddisch sprechen hören?:rolleyes:

Ich war einst auf einem Abend Jüdischer Kultur. Sehr interessant. Abend mit Musik und Tanz. Leider gings zu schnell rum. Die gesungen Lieder waren entweder jiddisch oder hebräisch. Und ich hab sogar was verstanden:red:
 
Wird jiddisch denn langfristig überleben? Wird es in Schulen gelehrt, werden Bücher in jiddisch geschrieben, gibt es Radiostationen und Fernsehsendungen in jiddisch? Oder wird das in Zukunft eher was für Kultur- oder Heimatvereine, wie z. B. die der Schlesier oder Ostpreußen, also eine Sprache ohne Land?
 
Also ich habe in Berlin schon Familien getroffen die untereinander noch jiddisch sprechen. Es sind Juden aus Russland.
 
In Israel wird mittelfristig aussterben. Da sich die Gründer für hebräisch entschlossen (was sehr günstig für die orientalen Juden war), konnten die Osteuropäischen Migranten sich nicht durchsetzen. der Holocaust hat bekanntlich die jüdischen Gemeinden OSteuropas zerstört und die wenigen dortgebliebenen werden imho die Sprache kaum aufrechterhaltne können. In New york wir jiddisch mWn noch gepflegt. Es gibt jiddische Autoren, vermutlich auch Theater und eventuell Musik. Schulen bezweifle ich schon sehr. es wird sich vielleicht ähnlich entwickeln wie viele Dialekte, ein paar Leute versuchen noch etwas damit zu machen (z.b. Asterixbände;) ), aber die Anzahl der aktiven Sprecher wird sehr bald sehr stark zurückgehen.
Ich bin mir aber sicher, dass man jiddisch völlig berechtigt Sprache ohne Land nennen kann.
 
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