Bedeutung und Bild von Eltern im MA

Rafael

Aktives Mitglied
Sicherlich galt vor allem das Gebot "Du sollst deine Eltern ehren" im Mittelalter. Doch mir stellt sich die Frage, welche Bedeutung man den Eltern dieser Zeit beimaß, d.i. inwieweit sie für Erziehungsfehler verantwortlich gemacht wurden, inwieweit sprach man davon, dass der Apfel nicht weit vom Baum fällt, hatten Eltern besondere Rechte, hatten sie besondere (aus unserer Sicht) Pflichten etc..

Da ich mich nicht erst durch pseudowissenschaftliche Texte wurschteln möchte, frage ich heute Abend der Einfachheit (so jedenfalls für mich) wegen hier bei unseren Kennern des Mittelalters.

Freue mich auf Antworten, hilfreiche Literatur und natürlich auf Diskussionen.

Einen schönen Abend wünscht

Rafael
 
Da bin ich mal gespannt, welche Antworten hier im Thread gefunden werden. Schon Augustinus soll sich in seinem Werk "Über die christliche Lehre" zu Erziehungsfragen geäußert haben; einer Zusammenfassung nach soll er darin von der Unschuld des Kindes sprechen, das unter dem Schutz Gottes stehe, sich gegen Kindesmord und Außsetzung aussprechen. Er sah das Kind als Erziehbar, aber man solle ihm keine Schmerzen zufüge; zentral in seinem Konzept seien Elternliebe und die Rolle der Mutter als Pflegeperson.
Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, daß er damit große Wirkung erziehlte.

Auf jeden Fall ist die Frage nach Erziehungsfehlern eine sehr moderne und hat wohl nichts mit dem Mittelalter zu tun.
Und schließlich impliziert das sicherlich bedeutende Gebot zur Elternehrung hauptsächlich Rechte der Eltern, nicht irgendwelche Pflichten.
 
Ich danke vielmals für den Tipp. Mein Problem ist nur, dass ich leider kein Französisch kann, doch ich lasse meine Schwester übersetzen. :)
 
http://www.uni-weimar.de/architektur/e+gel1/projekte/kosovo/Seminare/Greifzu/geschich.html
http://www.germsem.uni-kiel.de/mediaevistik/materialien/kindheit.pdf

http://www.mittelalter.uni-tuebingen.de/?q=links/alltag.htm

Vielleicht helfen dir die Links weiter, dort findest du einiges zu Gesellschaft und Familie.
Wenn man Aries glauben darf, war Kindheit ein sehr, sehr kurzer Abschnitt, danach waren die Blagen eher lästig und mußten geformt werden.
Eine Errungenschaft des Christentums war es schon, daß man vor Abtreibungen zurückschreckte und Kinder nicht mehr aussetzte (zumindest theoretisch), andererseits entledigte man sich dieses Kostenfaktors nach Möglichkeit, so etwa im Oblatenwesen.
An dem Text von Augustinus wundert mich, daß er sie so als reine, unbefleckte Wesen sah; wurde zu seiner Zeit nicht auch die Kindertaufe etabliert, weil die lieben Kleinen eben nicht die kleinen Reinen waren?
Abgesehen davon stelle ich mir die Mittelalterliche Familie eher als größere Sippe vor, wo jeder an den Kindern miterzog, insofern habe ich meine Zweifel, daß den biologischen Eltern in der Erziehung die gleiche Rolle zukommt wie heutzutage.
Was heißt denn überhaupt "ehren"? Sich alles gefallen lassen? (Das bestreiten moderne Exegeten heftig) Sich um die Eltern kümmern, wenn diese gebrechlich sind?
Ich würde alttestamentliche Verhältnisse nicht so uneingeschränkt aufs Mittelalter übertragen.
zur Zeit der Erzväter war Kinderreichtum das nonplusultra. Ein Segen, die höchste Auszeichnung, dagegen eine große Schande, wenn man kinderlos blieb, z.B. weil dann keiner da war, der den Eltern ein würdiges Begräbnis verschaffte, im Buch Tobit wird darauf angespielt.
Im MA kamen die Kinder einfach (immernoch), aber was sollte man ihnen vererben, um ihr Auskommen zu sichern?? Ist vielleicht die Idee des Fortlebens in den Kindern (vorübergehend) abhanden gekommen? Die Frömmigkeit wandelte sich über die Zeiten erheblich. Vom Judentum zum Christentum und innerhalb des Christentums über die Jahrhunderte zu einer sehr persönlichen Angelegenheit. Jeder suchte seinen persönlichen Weg zur Glückseligkeit. Im Spätmittlealter nehmen Andachten, Mystik etc. stark zu.

Mein ganzes Geschwafel hier soll eher als Denkanstoß, denn als konkrete Antwort dienen.
 
Denkanstöße sind genauso wichtig wie Antworten! So manches Mal auch die Basis für gute Antworten.
 
Hallo KASSIA,
der Link zur Kindheit im Mittelalter von Sandra Schmid (Universität Salzburg) ist wirklich gut. Die anderen sicherlich auch, aber noch mehr wollte ich jetzt denn doch nicht lesen.

Kassia schrieb:
Abgesehen davon stelle ich mir die Mittelalterliche Familie eher als größere Sippe vor, wo jeder an den Kindern miterzog, insofern habe ich meine Zweifel, daß den biologischen Eltern in der Erziehung die gleiche Rolle zukommt wie heutzutage.

Anhand von fünf Textanalysen versucht Ralph Frenken (Aspekte der Geschichte der Kindheit anhand historischer Autorbiographien. in: Nyssen & Janus, Psychogenetische Geschichte der Kindheit. Gießen, 1997) die Kindheiten verschiedener Persönlichkeiten zu rekonstruieren und arbeitet heraus, daß bei allen die leiblichen Eltern die wichtigsten Bezugspersonen waren, obwohl sie auch von anderen erzogen wurden.

Ich würde alttestamentliche Verhältnisse nicht so uneingeschränkt aufs Mittelalter übertragen.

Das heißt es auch nicht; als einst leidenschaftlicher Leser der Bücher von Alice Miller kann ich die Ausgangsfrage von Rafael sehr gut verstehen, bin mir aber gar nicht sicher in wieweit das Gebot, seine Eltern zu ehren überhaupt in den ersten zwei Dritteln des Mittelalter Geltung hatte, zumindest weniger gesamtgesellschaftlich, am ehesten noch in klerikalen Kreisen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn man Aries glauben darf, war Kindheit ein sehr, sehr kurzer Abschnitt...
Philippe Aries darf man glauben.

Diesbezüglich darf man ihm glauben, bezüglich anderer Aussagen jedoch nur bedingt - vgl. dazu das Kapitel Eltern und Kinder in Peter Dinzelbacher "Europa im Hochmittelalter 1050-1250: Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte" - Primus Verlag, Darmstadt 2003:
Die vom Neuzeithistoriker Philipp Aries in die Welt gesetzte Legende, die Kindheit sei als Lebensphase eigener Prägung im Mittelalter nicht bekannt gewesen, ist inzwischen... widerlegt worden...
Aber jedenfalls war diese Altersstufe früher beendet als in der europäischen Gegenwart. Wann jemand als mündig, geschäfts-, ehe- und deliktfähig angesehen wurde, war eine Sache des lokal gültigen Rechts bzw. der örtlichen Sitte...
Im sächsischen Recht endete die Minderjährigkeit mit dem zwölften Jahr, doch blieben einige rechtliche Beschränkungen bis zum einundzwanzigsten bestehen. Doch wie sehr das Theorie war, erhellt aus einer erschütternden Begebenheit aus den Siebzigerjahren des 12. Jh.
In Holstein hatte ein neunjähriger(!) Bettler einen um zwei Jahre jüngeren(!) Buben erschlagen, um an dessen Kleider zu kommen. Ein Onkel des Getöteten konnte den Täter ergreifen.
Und so wurden alle Gemeindemitglieder zusammengerufen, Gericht gehalten und er dazu verurteilt, mit dem Rade hingerichtet zu werden.
Kurz darauf bekamen die Leute jedoch Mitleid mit dem kindlichen Delinquenten, aber der Onkel und der Priester beharrten auf dem Vollzug der Todesstrafe, die tatsächlich in ihrer ganzen Grausamkeit durchgeführt wurde...
Trotz seiner neun Jahre wurde er also als voll schuldfähig angesehen und in einem ordentlichen Gerichtsverfahren verurteilt - die altholsteinische Kirchspielgemeinde besaß die Blutgerichtsbarkeit...



Zum Verhältnis der Eltern zu ihren eigenen Kindern führt Dinzelbacher weiterhin aus:
Daß die meisten mittelalterlichen Kinder jenes Quantum an Zuwendung erhielten, das für das Aufwachsen eines Menschen nötig ist, dürfte unbezweifelbar sein. Erreichten sehr viele, bisweilen sogar die Hälfte aller Geborenen das Erwachsenenalter nicht, so hatten wohl Krankheiten, Unfälle und falsche Behandlung aufgrund von Unwissen daran mehr Schuld als Ablehnung und Vernachlässigung. Wenn Bischof Etienne de Fougeres um 1175 in seinem "Livre des manieres" den Umgang mit Kindern kritisiert:
Vater und Mutter küssen und kuscheln sie wie toll, rauben und betrügen für sie, nehmen für sie, ohne zurückzugeben, mühen und plagen ihre (eigenen - Anm. von mir) Körper; mag übertrieben sein, hinterläßt aber doch sehr den Eindruck, daß hier von einer ganz üblichen gefühlsmäßigen Haltung echter Zuwendung die Rede ist...
Besonders interessant wäre zu erforschen, was das im gesamten Mittelalter übliche feste Wickeln der Säuglinge für Konsequenzen im späteren Dasein hatte. Vergleichende Studien sprechen von einer daraus resultierenden extremen Passivität , was zu der so bereitwilligen Annahme von Autoritäten durch die meisten Erwachsenen in jener Epoche passen würde...



Bleibt abschließend noch der Punkt des Respekts oder Nichtrespekts der Kinder gegenüber den Eltern, wozu sich Dinzelbacher wie folgt äußert:
Doch gab es in der Tat Rebellion gegen die Eltern. Das wissen wir aus der politischen Geschichte, wo die gegen die Väter aufbegehrenden jungen Adligen aber schon die Volljährigkeit erreicht hatten. Genauer sind jedoch die Berichte über besonders fromme Kinder, die aus Gründen Widerstand leisteten, die die damalige Zeit - und sie selbst - als religiöse zu fassen vermochten... Christus hatte ja ganz klar gelehrt: Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn und Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. (Mt 10,37)...
Besonders Mädchen fanden in den Idealen der religiösen Reformbewegung eine gesellschaftlich akzeptierte Basis, sich der männlichen Sexualität und Herrschaft im Eheleben zu verweigern...
 
Nachtragen möchte ich noch, daß es wirklich schwierig ist, über die "Rezeption" des 4. Gebotes in der Gesellschaft(en) des Mittelaters Informationen zu bekommen.

Interessant sind in diesem Zusammenhang möglicherwiese bestimmte Märchen wie z. B. das vom eigensinnigen Kind (Nr. 117 von Grimm & Grimm als "einfach kindliche Lehre" bezeichnet):
Das Märchen erzählt nur, daß es eben eigensinnig war und "es tat nicht, was sine Mutter haben wollte. Darum hatte der liebe Gott kein Wohlgefallen an ihm und ließ es krank werden, kein Arzt konnte ihm helfen, und in kurzem lag es auf dem Totenbettchen. Als es nun ins Grab versenkt und Erde über es hingedeckt war, so kam auf einmal sein Ärmchen wieder hervor und reichte in die Höhe." Das Kind zog sein Arm erst für immer zurück, als die Mutter darauf schlug. In einer polnischen Version streckt das Kind übrigens sein Ärmchen heraus, um von seiner Mutter bestraft zu werden, bevor es darauf die ewige Ruhe findet.

Carl-Heinz Mallett (Kopf ab! Hamburg/München, 1985/1990), dem ich dieses Märchen hier entnehmen, erwähnt eine ältere Variation des Themas von Hans Sachs "Von der Kinderzucht" aus der Mitte des 16. Jh., worin der Arm eines Jünglings, der ihn aus dem Grab streckt, abgeschlagen wird, und daß in manchen Varianten der abgeschlagene Arm in einer Kirche oder in einem Rathaus aufbewahrt würden.
Es wäre einmal zu fragen, wieviel älter derartige Märchen eigentlich sind als der Zeitpunkt ihrer Aufzeichnung.

Im Kapitel zitiert der Autor lediglich Barbara Beuys (Familienleben in Deutschland. Reinbeck, 1980) im Zusammenhang vom Luther-Zitaten:
"Willst du nun nicht Vater und Mutter gehorchen und dich erziehen lassen, so gehorche dem Henker. Gehorchst du dem nicht, so gehorche dem Streckebein und, das ist der Tod. Denn das will Got so haben [...]"
In Gegenwart Philipp Melanchtons soll er anläßlich eines Streites mit seinem ältesten Sohn gesagt haben: "Ich will lieber einen toten Sohn als einen ungezogenen." Oder er foderte, "daß man auch durch Gericht töten soll ungehorsame Kinder" (in: "An die Ratsherren aller deutschen Städte...").
Bei Luther hängt diese Einstellung sicherlich mit seiner christlichen Erziehung und/oder der Bibellektüre, die er bekanntlich definitiv beherrschte, zusammen und mit ihm ist ja auch ihre Popularisierung (sowie dank des Buchdrucks) verbunden. Insofern ist es kein Wunder, daß Mallett hier festellt, daß Martin Luther bestimmte Bibelstellen (Spr 13, 24; 29, 15; Dtn 21, 18 ff) aktualisierte, "und zwar mit solcher Vehemenz, daß er eine neue Einstellung zur Erziehung mitbegründet hat".
 
Ein weiterer Punkt zur Bedeutung der Eltern im Mittelalter ist doch sicherlich auch die Weitergabe der gesellschaftlichen Stellung. Dies ist vor allem auf den Adel bezogen. Der älteste Sohn erbte schließlich, so vor allem im Frühmittelalter, später nämlich kamen noch andere "Vererbungsformen" (Aufsplitterung des Territoriums etc.) auf, den väterlichen Haushalt und führte diesen weiter.
Die jüngeren Söhne mussten dann schließlich ins Kloster oder sie versuchten bei anderen Herren am Hofe groß rauszukommen. Auch gab es ja eine große Kreuzzugsbereitschaft unter den jüngeren Söhnen, da im Reich nicht genug Land vorhanden war, und die letzteren so die Chance bekamen Reichtum und Land zu ergattern.
Doch konnten die Eltern ihren ältesten Sohn auch ausschließen und den Haushalt an den jüngeren vererben? Waren solche Regelungen irgendwo schriftlich fixiert?

Wie sah es bei der Land- und Stadtbevölkerung aus mit der Weiterreichung der sozialen Stellung durch die Eltern an die Kinder?
 
Ein weiterer Punkt zur Bedeutung der Eltern im Mittelalter ist doch sicherlich auch die Weitergabe der gesellschaftlichen Stellung. Dies ist vor allem auf den Adel bezogen. Der älteste Sohn erbte schließlich, so vor allem im Frühmittelalter, später nämlich kamen noch andere "Vererbungsformen" (Aufsplitterung des Territoriums etc.) auf, den väterlichen Haushalt und führte diesen weiter.
Die jüngeren Söhne mussten dann schließlich ins Kloster oder sie versuchten bei anderen Herren am Hofe groß rauszukommen. Auch gab es ja eine große Kreuzzugsbereitschaft unter den jüngeren Söhnen, da im Reich nicht genug Land vorhanden war, und die letzteren so die Chance bekamen Reichtum und Land zu ergattern.

Das mit der "Aufsplitterung des Territoriums" nennt man Ganerbentum - eine Erscheinung, welche vor allem im süddeutschen Raum stark verbreitet war. Dies konnte - in zugegebenermaßen dann schon selteneren Fällen - sogar soweit gehen, daß die Familienburg zwischen mehreren Erben aufgeteilt wurde (Ganerbenburg; quasi mehrere Burgen in einer Burganlage - vgl. dazu auch Werner Meyer "Deutsche Burgen, schlösser und Festungen" - Gondrom, Bindlach 1994).

Grundsätzlich sind Deine Ausführungen zu den Nachgeborenen richtig, wiewohl die jüngere Kreuzzugsforschung die "abenteuerlustigen jüngeren Söhne" nicht mehr als so außerordentlich bedeutsam innerhalb der Kreuzzugsbewegung ansieht (vgl. dazu bspw. Jonathan Riley-Smith "Illustrierte Geschichte der Kreuzzüge" - Campus Verlag, Frankfurt a.M./New York 1999).
Im Kontext der Kreuzzüge sollten wir in diesem Kontext nicht leichtfertig darüber hinwegsehen, daß hier die Ritterorden für die nachgeborenen Söhne überaus lukrativ waren: die Familie schenkte zwar dem Orden nicht geringe Summen und/oder Grundeigentum u. dgl., aber erhielt dafür einen "Kreuzfahrer auf Lebenszeit", welcher die Gelübde einlösen und die damit verbundenen Sündenablässe der Familie erlangen konnte.

Doch konnten die Eltern ihren ältesten Sohn auch ausschließen und den Haushalt an den jüngeren vererben? Waren solche Regelungen irgendwo schriftlich fixiert?

Wie sah es bei der Land- und Stadtbevölkerung aus mit der Weiterreichung der sozialen Stellung durch die Eltern an die Kinder?

Schau mal da: http://www.phil.uni-passau.de/histhw/TutHiWi/genealogie/genealogie4.html
Das Problem ist natürlich auch in diesem Kontext, daß Aufzeichnungen fast ausschließlich vom Adel vorhanden sind.
 
Danke für die rasche Antwort. Dein Literaturtipp mit dem Dinzelbacher war auch sehr hilfreich!
Das habe ich noch nicht mitbekommen, dass man heute nicht mehr davon ausgeht, dass die jungen Söhne ohne Land solch eine Bedeutung für die Kreuzzüge hatten. Doch dennoch darf ich deinen Worten entnehmen, dass die Ritterorden als eine weitere Institution - neben dem Kloster meine ich - galten, in die die jüngeren Söhne hineingesteckt worden waren. Also hatten diese Söhne durch die Beitritte in die Ritterorden eine "indirekte" - einwenig unkorrekt - Bedeutung für die Kreuzzüge!?

-Nachtrag-
Ich habe mir den Link angesehen und finde hier äußerst interessant, dass der Erblasser zwar seinen Willen äußern durfte, aber die Tradition war auch in diesem Punkt noch so wichtig, dass er diese nicht mit seinem Willen verletzen durfte.
Ich denke mal, dass man wenigstens diesen Punkt auch auf nichtadlige Gesellschaftsschichte übertragen kann.
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke für die rasche Antwort. Dein Literaturtipp mit dem Dinzelbacher war auch sehr hilfreich!

Gern geschehen; wenn ich das Buch schon einmal selbst besitze... ;)

Das habe ich noch nicht mitbekommen, dass man heute nicht mehr davon ausgeht, dass die jungen Söhne ohne Land solch eine Bedeutung für die Kreuzzüge hatten. Doch dennoch darf ich deinen Worten entnehmen, dass die Ritterorden als eine weitere Institution - neben dem Kloster meine ich - galten, in die die jüngeren Söhne hineingesteckt worden waren. Also hatten diese Söhne durch die Beitritte in die Ritterorden eine "indirekte" - einwenig unkorrekt - Bedeutung für die Kreuzzüge!?

Diesbezüglich hatte ich mich in diversen Threads zu den Kreuzzügen bereits mehrfach geäußert: der aktuelle Forschungsstand (Jonathan Riley-Smith bzw. die Society for the study of the Crusades and the Latin East) hat plausibel dargelegt, daß die Kreuzzüge - insbes. die Orientkreuzzüge - als das zu verstehen sind, wie sie von den Zeitgenossen genannt wurden: Pilgerfahrten in Waffen nach Jerusalem. Gerade die Interpretation, materiell wenig bemittelte nachgeborene Söhne des Adels hätten fernab der Heimat nach Besitz und Reichtum gesucht, wäre schon früher verworfen worden, wenn man sich nur einmal vor Augen hält, welch erheblichen finanziellen Aufwand der Akt "das Kreuz nehmen" und/oder Heerfahrt im Hochmittelalter dargestellt hat.

Zu den Ritterorden...
Dies ist ein äußerst vielschichtiger Kontext: zum einen waren da natürlich die Vorteile für den Orden selbst (analog zu den Mönchsorden), denn er erhielt Nachschub aus dem Adel und damit verbunden relativ reiche Schenkungen (insbesondere Grundbesitz).
Zum Zweiten waren da auch die Vorteile für die Familie, denn jeder Ordensbruder eines Ritterordens konnte per commutatio das Kreuzzugsgelübde eines Weltlichen erfüllen und damit dessen Ablaß erwirken ("Kreuzfahrer auf Lebenszeit" - wie ich bereits ausführte).
Zum Dritten hatte auch der nachgeborene Sohn eines Adligen beste Karrierechancen (wie wir heute sagen würden), wenn er einem Ritterorden beitrat und die kämpferischen Auseinandersetzungen im Heiligen Land überlebte. Als Sohn eines Adligen wurde er zumeist Ritterbruder, was ihn gewissermaßen privilegierte und den Weg zu den höchsten Ordensämtern eröffnete - zum Vergleich: die Großmeister des Johanniterordens entstammten zu 90% dem Stand der Ritterbrüder. Dies wiederum bedeutete erheblichen politischen Einfluß im Königreich Jerusalem (die Großmeister vom Templer- und Johanniterorden gehörten seit spätestens den 1140ern zur curia regia, dem Kronrat des Reiches) - abgesehen davon, daß es bspw. für adlige Witwen und/oder nichtverheiratete Töchter aus adligem Haus in den Kreuzfahrerstaaten durchaus erstrebenswert war, die Geliebte eines Großmeisters oder Komturs der Ritterorden zu sein.

Ich habe mir den Link angesehen und finde hier äußerst interessant, dass der Erblasser zwar seinen Willen äußern durfte, aber die Tradition war auch in diesem Punkt noch so wichtig, dass er diese nicht mit seinem Willen verletzen durfte.
Ich denke mal, dass man wenigstens diesen Punkt auch auf nichtadlige Gesellschaftsschichte übertragen kann.

Ich weiß zwar nicht, inwieweit die Aussage eines früheren Kommilitonen von mir, der Jura studierte, diesbezüglich repräsentativ ist, aber er meinte, daß die entscheidenden Grundlagen des Erbschaftsrechts im Mittelalter gelegt wurden.
 
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