Ich möchte doch nochmals den Faden von oben weiterspinnen, daher:
So um 700-800 haben sehr viele Adlige, bemüht um ihr Seelenheil, Schenkungen an Klöster gemacht. So ziemlich jeder Ort verdankt seine 1. urkundliche Nennung solchen Schenkungen. Dann ab ca. 850 Sendepause bis ins 11. Jahrhundert.
Gleichzeitig im 11. Jahrhundert jede Menge "nachgereichte" Urkunden.
Einen Grund muss ja beides haben. Meine Vermutung, dass es derselbe ist.
Nur als Beispiel für das regnum alemanorum:
Das mysteriöse "Blutgericht von Cannstatt" 746 ist nur durch drei relativ kurze Notizen überliefert, daher in seiner "Aussagekraft" - wie es stattfand - sehr umstritten. Dass es, in welcher Form auch immer, stattgefunden haben muß, hat die Forschung sehr schlüssig aus den Urkunden d a n a c h herausfinden können, so wie auch an den Urkunden selbst sodann erkennbar wurde, dass es sich um nachträgliche Ver-Fälschungen handelte, warum ?
Nach 746 wurde die fränkische Grafschaftsverfassung in Allemannien eingeführt ( ein Herzogtum gab es ja nun nicht mehr, da dieses 746 aufgelöst wurde). Ruthard und Warin waren die wohl bedeutendsten "Stadthalter" der Franken, die mit Hilfe vor allem der Abtei Reichenau die fränkische Königsmacht sichern sollten. Nach 746 muß eine groß angelegte Konfiszikation durchgeführt worden sein - vor allem der Besitz des karolingerungehorsamen Adels wurde zu Fiskalgut eingezogen.
Wurde nun im vormaligen Herzogtum Schwaben bis 746 nach der lex alemanorum gehandelt und geurkundet, so musste logischerweise mit der "Machtübernahme" der Franken ja nun eine erkennbare Änderung eintreten, und solche, verfassungsrechtliche Änderungen, gab es auch !
Unmittelbar nach 746 gab es plötzlich immense und sehr großzügige "Schenkungen" ( besser; Vergabungen oder Traditionen ) an bestehende und neu entstehende Klöster. Ruthard und Warin konnten ja nun leicht großzügig mit "Fiskalgut" umgehen, da sie selbst ja dadurch nicht ärmer wurden - sie handelten ja im Auftrag ihres Königs und "erkauften" für diesen Treue und Unterwürfigkeit mit eigentlich "fremdem Gut"!
Da nun alem. Stammesrecht (die Gültigkeit der lex. alemanorum blieb unangetastet) sich mit fränkischen "Staatsrecht" zu überschneiden begann, passierten Fehler, die oftmals in der Unwissenheit (nicht nur der Schreiberlinge in den Klöstern) begründet waren.
Auch das alemannische Herzogtum kanne ja Fiskalgut - es war dasjenige, daß dem Herzogum als solchem, gehörte - daneben gab es auch das Privateigentum (Allod) des Herzogs und seiner Familie. Und gleichermaßen gab es nun Fiskalgut, das als Lehen vergabt war, und es gab auch privates Eigentum , auch des Adels und der Klöster. ( die "Kirche" als solche gab es organisatorisch noch nicht - aber auch eine Eigenkirche konnte ähnlich wie ein Eigenklöster mit Gut ausgestattet werden)
Da nun vor 746 Lehensvergaben aus privatem Gut keines urkundlichen Nachweises bedurften (mündlich unter Zeugen) , mußten hingegen solche, die aus fiskalen Lehen vergabt wurden in zweierlei Urkunden abgehandelt werden: es war dies zum einen die schuldrechtliche Urkunde - meist als Stiftung eines Seelgeräts o.ä. - zum anderen der dingliche Vollzug. Das heißt, mit dem Schenkungsversprechen alleine war Besitz aus Lehen nicht übertragbar, es war die Mitwirkung des "Fiskus" erforderlich. Der zu "schenkende" Besitz mußte daher an den Fiskus zurückübertragen werden und i.d.R. der zuständige Graf mit den Schenkern und drei weiteren Zeugen urkundete nunmehr dinglich in einer sogenannten Auflassungsurkunde. Das Gut blieb nach wie vor Lehen des Fiskus. Wenn es in das "private Eigentum" des Klosters übergehen sollte, dann ward dazu eine Urkunde der königlichen Kanzlei erforderlich, die in aller Regel anlässlich eine Reise des Königs in die Nähe des Ortes ( war aber nicht zwingen ) als Bestätigung erfolgte.
Zu berücksichtigen war ferner noch das Erbrecht! Erbberechtigte (Kinder) Söhne mußten bei Vergabungen mitwirken. Töchter mussten dann nicht mitwirken, wenn ihre "standesgemässe Ausstattung" bereits erfolgt war.
Bei Übertragungen aus dem privaten Gut, war zu beachten, ob es Mannes oder der Frau Eigentum war, an dem der jeweils andere Ehegatte die "Gewehre" hatte; der Gewehre-Inhaber mußte ebenfalls mitwirken.
Verständlich also, daß in der Zeit nach 746 sich die Formmängel häuften, so daß "Schenkungen" wiederholt werden mußten. Verständlich auch, wenn es zu Vergaben gekommen war über konfiszierten, privaten Besitz, der bereits zuvor - und da eben noch formlos, mündlich unter Zeugen - tradiert worden war.
All diese Fehler wurden in der modernen Forschung decidiert aufgedeckt, was vielfach zur "Umschreibung" der individuellen Geschichte führte, denn, immerhin waren bzw. sind die Traditionsurkunden gleichzeitig die wichtigste Grundlage auch für Genealogen.
In der Folgezeit schwächte sich bekanntlich die königl. Macht im Reiche ab bis incl. König Konrad I. Die alten Adelsfamilien kamen wieder zu Macht und Bedeutung und sie kämpften um die Wiedererlangung ihrer Anerkennung und ihrer Positionen. Ich erinnere hier besonders an die Auseinandersetzungen mit den Burchharden sowie nachfolgend der Bertholde (Erchanger und Berthold) und daran, wie Bischof Salomon von Konstanz (als zugleich Kanzler des Königs) es verstand, die Wiederentstehung des alem. Herzogtums zu verhindern und neben seiner Bischofswürde auch noch die Abteien St. Gallen und Reichenau auf sich vereinigte.
In diese Zeit fallen sowohl in St. Gallen wie auch in Reichenau ganze Serien von "Fälschungen", die sich sicherlich aus vorstehendem erklären.
Viele alem. Adelige hatten ihre Eigenkirchen und kleinen Eigenklöster unter den Schutz von St. Gallen ( nicht dem fränk. Reichenau) gestellt, welches seine Privilegien noch von den Merowingerkönigen erlangt hatte, um so der fränkischen Politik entgegen zu wirken.
Die Schutzprivilegien für St. Gallen hätte auch ein Salomon weder als Bischof noch als Abt angreifen können)dürfen - auf die Bibliothek und die Schreibstuben jedoch hatte er freilich Zugriff.
Um nun hier nicht "mangels Quellen" gerügt zu werden, verweise ich zu diesem (hochinteressanten) Thema, auf die aktuelle Literatur von z.B. M. Borgolte, Geschichte der alem. Grafschaften u. Die Grafen Alemanniens ... Europa entdeckt seine Vielfalt, Goetz Hans-Werner, Europa im fr. Mittelalter, aber auch noch Hagen Keller, Mitterauer und G. Tellenbach.
salu, jeanne