Die Abschaffung der Folter in Preußen und die Folgen

Rafael

Aktives Mitglied
1740 wurde unter Friedrich dem Großen in Preußen die Folter abgeschafft. Die Abschaffung der Folter stieß aber auf heftigen Widerstand und zunächst wurde die neue Sachlage auch nicht öffentlich gemacht: Man befürchtete mehr Straftaten, da Verbrecher keine Furcht mehr vor der Folter haben mussten und es auch nur ein geringes Risiko gab, einer Straftat überführt zu werden.
Im Inquisitionsprozess, der in der Zeit üblich war, konnten nur zwei direkte Tatzeugen bzw. ein Geständnis, die Krone der Beweise, zu einer Verurteilung führen.
Indizien (wie Tatwaffe, das gefundene Entwendete bei dem Angeklagten etc.) dienten also nicht direkt der Urteilsfindung, auch wenn die Sachlage eindeutig gegen den Angeklagten sprach. Indizien dienten (lediglich) dazu eine weitere Untersuchung, eine peinliche Befragung zu fordern oder bei nicht ausreichenden Indizien dies zu unterlassen.
Betrachtet man diesen Hintergrund, so ist es leicht verständlich, dass man sich fragte, wie denn überhaupt noch ein Straftäter überführt werden sollte, wenn man durch die Folter nicht sein Geständnis erzwingen konnte. - An dieser Stelle möchte ich aufmerksam machen, dass die Anwendung der Folter im (weltlichen) Inquisitionsprozess nicht einer grausamen Willkürlichkeit zugrunde lag, bei der man ein Geständnis erpressen wollte, weil das Urteil schon im Vornhinein gefällt war. Man versuchte wirklich den Schuldigen zu finden und es gab auch einige Regelungen, die besagten, wer, wann und wie gefoltert werden durfte. Missbräuche und Missstände gab es natürlich auch zur Genüge. - Und auch trotz der Relativierung soll hier nicht gesagt sein, dass die Folter positiv zu bewerten sei. Folterung ist eine Grausamkeit, die die Menschenwürde verletzt.

Obwohl es also diesen Hintergrund gab, der die Folter im Prozess notwendig machte, da der ein blöder Verbrecher sein musste, der sich von zwei Leuten bei der Tat beobachten liess, wurde die Folter aufgrund der Aufklärung nach und nach abgeschafft.

Ist diese kleine Information zu diesem Thema so in Ordnung oder findet jemand etwas Falsches?

Bei Interesse kann ich auch Quellen, Literatur und noch mehr Informationen zum Inquisitionsprozess, zum Akkusationsprozess und der Folter angeben.

Doch vor allem frage ich mich, wie funktionierte denn die Umstellung des Strafrechts genau. Denn nach dem Material, das ich bis jetzt gelesen habe, befinden wir uns in einem leeren Raum. Die Folter ist abgeschafft und man muss wohl viele Straftäter laufen lassen; langsam entwickelt sich das System, in dem die Indizien eine größere Grundlage zur Verurteilung sind; doch wie geschah dies?
Wer war an der Entwicklung dieser Rechtsordnung beteiligt?
Gibt es eine Übergangszeit, in der viele Straftäter dann auf freiem Fuss blieben?

LG

Rafael
 
In diesem Zusammenhang sei Christian Thomasius - Wikipedia, der sich bereits massiv gegen die Folter als Mittel richterlicher Erkenntnis wendete.

Da gibt es noch eine ganze Reihe anderer, doch wenn ich mich nicht irre, ist es mit Thomasius so, dass er nicht die Folter gänzlich abschaffen möchte. Es sollte seiner Meinung nach Einschränkungen und mehr Regelungen für die Folteranwendung geben, wenn ich es noch richtig in Erinnerung habe.
Sicherlich erkennt er all die Fehler der Folter, doch meines Wissens hat er keinen Ersatz für die Folter parat, so dass der Inquisitionsprozess zu einer Farce werden würde.
Oder vertue ich mich da mit ihm?
 
Vor ein paar Jahren während meines Studiums haben wir über ihn diskutiert.
Der mir bekannte Status ist, daß er Folter als Erkenntnisinstrument abgelehnt hat, weil man durch Folter fast jeden Menschen zu dem gewünschten Geständnis veranlassen kann. Und das Ziel eines ordentlichen juristischen Verfahrens ist die Wahrheitsfindung.
Thomasius, Christian | MDR.DE
Thomasius größtes Verdienst auf rechtlichem Gebiet besteht darin, positiv auf die Abschaffung der Folter eingewirkt zu hat. Bereits 1705 bezeichnete er in einer Disputation die Folter als Schmach christlicher Staaten.
Projekt Literaturkritik
[FONT=Arial, Helvetica, sans-serif][SIZE=-1]1705[/SIZE][/FONT]
[FONT=Arial, Helvetica, sans-serif][SIZE=-1]Veröffentlichung des Traktates „De tortura ex foris Christianorum proscribenda“ mit einem deutlichen Votum für die Abschaffung der Folter
[/SIZE][/FONT]
rbb Preußen-Chronik | Christian Thomasius
Seine Forderung nach einem Recht ohne religiösen Bezug verknüpft er mit drei Prinzipien:
1. Die Regel des Ehrbaren (Honestum): "Was du wilt/daß andere sich thun sollen/das tue dir selbsten."
2. Die Regel des Wohlanständigen (Decorum): "Was du wilt/daß andere dir thun sollen/das thue du ihnen".
3. Die Regel des Gerechten (Iustum): "Was du dir nicht wilt gethan wissen/das thue du andern auch nicht."
Thomasius ist es auch, der die Abschaffung der Folter und der Hexenprozesse fordert.

Diese Beiträge decken sich mit meinem Kenntnisstand.
 
Anscheinend meine ich dann wohl einen anderen Foltergegner... Ich werde mich aber auch noch mal durch die Thesenpapiere hier zu Hause quälen und schauen, ob es wirklich Thomasius oder mein Statement mit einem anderen Namen berichtigen.
 
Um das Für und wider der Folter stritten im 17. und frühen 18. Jahrhundert die bedeutendsten Rechtsgelehrten und neben Gegnern wie Christian Thomasius und Friedrich von Spee hatte sie durchaus auch prominente Befürworter wie Jean Bodin und Carpzow.

der Inquisitionsprozess, wie er bis zu den Justizreformen in den napoleonischen Satelitenstaaten in den deutschen Ländern gültig war, zeichnete sich dadurch aus, dass ein Täter nur durch Tatzeugen und nicht etwa Komplizen oder durch ein Geständnis überführt werden konnte. Eingeschränkt war allerdings auch die Verteidigung, die lediglich auf interpretativer Ebene möglich war. Ein Anwalt konnte keine eigenen Zeugen vorladen oder Zeugen befragen.

Die Forderungen Thomasius nach Bindung der Strafe an einen vernünftigen Zweck setzten sich schließlich durch. Selbst dort wo die Folter noch anfang des 19. Jahrhunderts legal war, wurde sie nicht mehr mit der Härte wie im 17. Jahrhundert angewandt und konnte abgebrühte Ganoven kaum abschrecken. Tatsächlich gab es viele Juristen, die mit psychologisch ausgefeilten Verhörpraktiken arbeiteten und viel mehr mit Freundlichkeit und Humanität erreichten. So scheint der Justizbeamte Anton Keil für seinen gefangenen Mathias Weber alias Fetzer, einen berühmten Räuber regelrechte Sympathie empfunden zu haben. Er sprach im Rotwelscher Gaunerjargon mit seinen Gefangenen, schmeichelte ihrer Eitelkeit und erfuhr viel mehr, als durch brutale Gewalt.

Die Abschaffung der Folter und die Humanisierung der Strafjustiz trugen zu einer ganz eigentümlichen Genregattung bei, der "Aktenmäßigen Berichte". Das war im Grunde eine art frühes aktenzeichen XY ungelöst, in der Juristen über ihre Erfahrungen mit Räubern berichteten, Kollegen Hinweise zur Überführung gaben und brave Bürger auf konfrontationen mit Banditen vorbereiten wollten. Dazu war es natürlich auch eine spannende Unterhaltungslektüre.

Heiner Boehnke und Christian Sarkowicz haben solche Berichte gesammelt
in Die deutschen Räuberbanden 3 Bde. Bd 1 Die großen Räuber, Bd. 2 Die rheinischen Räuberbanden, Bd 3 Von der Waterkant bis zu den Alpen. (erschienen bei Eichborn)

Kathrin Lange "Gesellschaft und Kriminalität".

Martin Lange, Räuber und Gauner ganz privat- Räuberbanden und die Justiz im 18. und 19. Jahrhundert.
 
So jetzt habe ich es gefunden... Ich hatte mich da mit Thomasius ziemlich vertan. Derjenige, der den Missbrauch der Folter beanstandete, aber die Folter nicht abschaffen wollte, weil diese eine Notwendigkeit für ihn darstellte, war der von Scipio genannte Carpzov.

Interessant, vor allem da ich davon noch nie was gehört hatte, finde ich die "Aktenmäßigen Berichte", so dass ich mich auch mal auf die angegebene Literatur stürzen werde.
 
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