Voltaire und das HRR

elysian

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Vorweg: Ich hoffe, diesen Punkt nicht übersehen zu haben.

Problem: Voltaire sagte über das Heilige Römische Reich, es sei weder heilig, noch römisch, noch ein Reich.

Mich würde interessieren, wie Ihr seine Aussage bewertet.
Hat er Recht oder Unrecht? Warum hieß das HRR so, wie es hieß? Kann man den Namen in diese eigenständigen Bestandteile zerlegen oder bilden sie eine Einheit? Was macht ein Reich zu einem Reich? Welche Definitionen gibt es? Kann ein Reich seinen Anspruch, Reich zu sein, verwirken oder geht es als Reich unter allen Umständen unter?

Zu den möglichen Definitionen:
a) lassen sich Entwicklungen in der Geschichte mit anderen Reichen vergleichen und welche Folgerungen müssen daraus für die Definition geschlossen werden?

b) andere Sprachen verwenden andere Begriffe; gibt es semantische Unterschiede zwischen den jeweils verwendeten Begriffen (z.B. Reich, imperium, empire, etc.) und ergeben sich hieraus gegebenenfalls Folgen für das Geschichtsverständnis und/oder die Definition?

Das sind so ein paar Fragen, die mir hierbei durch den Kopf schwirren. Ich hoffe, Ihr könnt mir bei Ihrer Klärung helfen. Bei Bedarf werde ich mich natürlich gern bemühen, Unklarheiten bei der vielleicht etwas wüsten Fragenansammlung zu beseitigen.

Danke im Voraus
 
Problem: Voltaire sagte über das Heilige Römische Reich, es sei weder ..., ein Reich.

Ich könnte mir vorstellen das Voltaire dem HRR(DN) zu seiner Zeit den Universalgedanken absprach den das (römische) Reich in der Antike repräsentierte, während das HRR zu Voltaires Lebzeiten faktisch nur noch die deutschsprachigen Gebiete umfasste. Die Verwendung des Begriffes "römisches Reich" für das damals bestehende Staatsgebilde könnte sozusagen eine Abwertung dieses Begriffes sein, hatte dessen historisches Vorbild einst noch fast alle Völker Europas unter ein Recht und eine Ordnung geeint.
 
Natürlich meinte Voltaire dies zu der Zeit, da er diesen Satz prägte (mW 1756), spöttisch.
Wie Joinville bereits schrieb, sprach Voltaire dem HRR(DN) ab, seiner Bezeichnung entsprechend universell und eben "heilig" zu sein.

Hier sind nun folgende Punkte noch zu beachten:
1. Im wörtlichen Sinne hatte er ja durchaus auch Recht, nur eben in der bloßen und retrospektiven Bestandsaufnahme des 18. Jh.
2. Der entscheidende Punkt jedoch ist der Reichsgedanke, der sich während der Jahrhunderte zuvor dahingehend äußerte und manifestierte, daß die Menschen an die Existenz und auch an die Kraft eines solch universellen christlichen Imperiums glaubten.
3. Was Voltaire nicht bewußt war, ist ein weiterer Punkt, an dem er richtig lag: die Bezeichnung Sacrum Imperium war erst ab 1157, die Bezeichnung Sacrum Romanum Imperium sogar erst ab 1254 in Gebrauch, und eben nicht von Anbeginn.
 
Ich denke man muss zu einer Einschätzung mehrere Aspekte einsehen.
Zum einen war er Hofhistoriograph unter Louis XV und sich ja auch tatsächlich intensiv mit der Geschichte z.B. Frankreichs beschäftigt, zum anderen war er der Religion gegenüber sehr skeptisch eingestellt, ohne dass ich ihn deswegen wie Friedrich II. einen Atheisten nennen würde. Außerdem war er wohl von der damaligen antiösterreichischen Stimmung in Frankreich bestimmt, welches durchaus lange etwas neidisch auf die Vormachtrolle des HRR in Mitteleuropa geschielt hatte. Wenn man dann noch seine Rolle am preußischen Hof kennt, wird man nicht überrascht sein, dass er das HRR sehr kritisch sah. Gewissermaßen stellte dieses ja ganz exemplarisch dar, was Voltaire immer wieder ironisch oder gar zynisch gekrittelte, nämlich eine Ordnung, die mehr Schein als Sein war, was er eben auch an der katholischen Kirche Frankreichs in seinem Zeitalter zu kritisieren wusste.
 
Nach der Heilsgeschichte ist ja das Römische Reich das letzte Reich der Menschheitsgeschichte vor der dem Jüngsten Gericht. Daher wurde der Begriff Sacrum Imperium Romanum so lange fortgeführt, da es heilsgeschichtlich kein Reich nach dem Römischen Reich geben kann.
 
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