Wo fängt Archäologie an?

florian17160

unvergessen
Wo fängt Archäologie an?

Ich meine, Knochen ausbuddeln von Schlachten, die vor 150 Jahren passiert sind, oder etwas von einer Zeit zu erfahren, die sich unserem Selbstverständnis entzieht?
 
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Dazu habe ich eine Frage.
Wo fängt Archäologie an?

Ich meine, Knochen ausbuddeln von Schlachten, die vor 150 Jahren passiert sind, oder etwas von einer Zeit zu erfahren, die sich unserem Selbstverständnis entzieht?

Langenscheidt Fremdwörterbuch Online-Edition sagt:

Ar·chäo·lo'gie, die; -, keine Mehrzahl Wissenschaft von der Erforschung und Sicherung nichtschriftlicher Reste vergangener Kulturen (Ausgrabung, Konservierung), Altertumsforschung
Wie andernorts erwähnt, bin ich in der Archäologie recht unbedarft. Diese Definition erscheint mir aber recht einleuchtend. Wenn es darum geht, herauszufinden, welche Gegenstände für Menschen der betreffenden Zeit wertvoll/nützlich waren, hört Archäologie wohl nirgendwo auf.

Ein Beispiel dafür hier: http://www.geschichtsforum.de/f136/sturm-legt-deutsche-bunker-frei-22607/
 
Zitat:
Ar·chäo·lo'gie, die; -, keine Mehrzahl Wissenschaft von der Erforschung und Sicherung nichtschriftlicher Reste vergangener Kulturen (Ausgrabung, Konservierung), Altertumsforschung
@floxx: Wie andernorts erwähnt, bin ich in der Archäologie recht unbedarft. Diese Definition erscheint mir aber recht einleuchtend.
Mir nicht - wenn es nur um "vergangene Kulturen" ginge, müsste man spätestens am Ende der Antike einen Schlussstrich ziehen.
 
Es gibt einen alten Kalauer, der sagt, Archäologie ist es dann, wenn das, was man ausgräbt nicht mehr nach Verwesung stinkt.
 
Mir nicht - wenn es nur um "vergangene Kulturen" ginge, müsste man spätestens am Ende der Antike einen Schlussstrich ziehen.

Wieso? Bunkergrabungen werden doch scheinbar auch (und mit gutem Recht, wie ich finde) nach Maßgabe archäologischer Standards ausgeführt. Wenn man "Alltagsgeschichte" betreibt, kann die Archäologie z. B. neben der mittlerweile anerkannten Felpostforschung ein gewinnbringendes Feld sein.

Andersherum: Wie sollte man die Erschließung von Bunkern, um jetzt beim Beispiel zu bleiben, anders nennen als eben eine "archäologische"?
 
Die Definition ist in dieser kurzen Form totaler Unfug! Sie umfasst alles, was nicht "Literatur" ist, also "Nicht-Philologie" sozusagen. Da gibt es aber noch jede Menge Kunstgeschichtler, die sich nicht als Archäologen sehen.

Archäologie beschreibt heute eine gewisse METHODIK des Arbeitens, die sich von der "klassischen" Philologie, unterscheidet: Ausgrabungen, Restauration,... Nicht jeder Ausgräber oder Restaurator ist aber ein Archäologe.
Der Name "Arche" = "Anfang", "Ursprung" ist hier wohl etwas irreführend. Man kann "Früh- und Vorgeschichtler" sein, ohne viel von Archäologie zu verstehen...
 
Die Definition gestaltet sich in der Tat ein wenig schwierig. Es gibt archäologische Grabungen, die weit bis in die Neuzeit hineingehen, etwa wenn eine von der Natur zurückeroberte Industriebrache, die erst in den fünfziger Jahren aufgegeben wurde aus historischem Interesse wieder freigelegt und dokumentiert wird.
Die Dokumentation ist überhaupt das wichtigste bei einer archäologischen Arbeit, sonst hat sie wissenschaftlich keinen Wert (das ist m.E. auch das Hauptproblem bei Raubgrabungen: Nicht der Diebstahl von Artefakten, sondern die Befundzerstörung). Entsprechend muss auch methodisch gearbeitet werden, also sich vorarbeitend Schicht für Schicht, nach Möglichkeit immer das Niveau haltend, jedes Pfostenloch und jede Abfallgrube dokumentierend (Pfostenlöcher und Abfallgruben heben sich von ihrer Umgebung durch die dunkel Farbe ab, die das organische Material (Holz, Knochen, Gemüsereste, sonstiger Abfall - klassischer Archäologenspruch: Nichts ist so dauerhaft wie ein Loch!) hinterlassen hat.
Jeder Schnitt muss in Fläche und Profil sorgsam dokumentiert werden, d.h. er muss photographiert, kartiert und gezeichnet werden. Die Funde (Scherben, Knochen, Flints, Spolien, Metallreste) müssen auch nach Jahrzehnten noch dem Schnitt und der Fundschicht zuordenbar sein, aus der sie stammen, damit auch nach Jahrzehnten noch eine Interpretation des Befundes und Berücksichtigung der Funde gemacht werden kann, bzw. ältere Interpretationen einer Überprüfung unterzogen werden können.

Edit: In diesem Zustand kann natürlich ein Schnitt nicht photographiert werden. Die Profilränder sind abgetreten oder gebröckelt, Steine liegen im Weg. Die Nadeln sind Spuren des Vermessungsprozesses: Sie sind cm-genaue Koordinaten in Länge, Breite und Höhe. Wenn korrekt vermessen und gezeichnet wurde, kann in hundert Jahren jemand hingehen und genau sagen, wo die Nadeln steckten.
 

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Man kann "Früh- und Vorgeschichtler" sein, ohne viel von Archäologie zu verstehen...

Eigentlich nicht, denn die Methoden der Früh- und Vorgeschichtler sind ja gerade die, welche wir kolloquial als die der Archäologie sehen. Der klass. Archäologe ist dagegen ein Lockenzähler.
 
Also ist es relevant von "Archäologie" zu sprechen, wenn die Kriegsgräberfürsorge Knochen aus Verdun holt und sie wieder in der angenommenen Heimat beerdigt, oder, wenn ein Historiker herrausfinden will, woran Tutmosis gestorben ist und die Knochen dann in ein Museum bringt?
 
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Eigentlich nicht, denn die Methoden der Früh- und Vorgeschichtler sind ja gerade die, welche wir kolloquial als die der Archäologie sehen. Der klass. Archäologe ist dagegen ein Lockenzähler.
Ich denke, es ist wie in der Physik: Es gibt Experimentalphysiker und Theoretische Physiker; die Theoretischen Physiker haben alle auch mal ein Praktikum im Grundstudium gemacht... für manche war's das dann aber auch...
 
Ich denke, es ist wie in der Physik: Es gibt Experimentalphysiker und Theoretische Physiker; die Theoretischen Physiker haben alle auch mal ein Praktikum im Grundstudium gemacht... für manche war's das dann aber auch...
Das ist der klass. Archäologe der korrespondierende Typus zum theoretischen Physiker.
 
Also ist es relevant von "Archäologie" zu sprechen, wenn die Kriegsgräberfürsorge Knochen aus Verdun holt und sie wieder in der angenommenen Heimat beerdigt, oder, wenn ein Historiker herausfinden will, woran Tutmosis gestorben ist und die Knochen dann in ein Museum bringt?

Wenn die entsprechenden Methoden der Freilegung und Dokumentation angewandt werden, dann ist auch die Bergung des Leichnams eine Weltkriegssoldaten Archäologie.
 
Archäologie zu definieren ist wirklich sehr schwierig schon alleine wiel sich das Fach vor allem in den letzten 30 Jahren in sehr viele Teilbereiche aufgeteilt hat.
Grundsätzlich würde ich die Archäologie über die Quellen definieren die sie hauptsächlich nutzt. Hier ist ganz klar eine Materielle Sichtweise Materielle Kultur ? Wikipedia vorherreschend, also der Befund, der Fund als Ausgangsbasis der Forschung.
Dabei spielt es keine Rolle ob der ausgegrabene Befund und/oder Fund aus der Neuzeit, Kaiserzeit, Neolithikum usw. stammt.
Ich denke aber auch das der Wiki-Artikel dazu eigentlich nicht schlecht ist:
Archäologie ? Wikipedia


deSilva
Man kann "Früh- und Vorgeschichtler" sein, ohne viel von Archäologie zu verstehen.
Das ist das Problem der uneinheitlichen Bezeichnungen der "Archäologischen Seminare" in Deutschland.
Ich habe in Marburg Vor- und Frühgeschichte studiert und der Schwerpunkt liegt ganz klar auf dem Bereich den man als Archäologie bezeichnet.
Andere Uni´s haben dann einen eher historischen Schwerpunkt in der Methodik.
Außerdem ist Archäologe auch keine geschütze Berufsbezeichnung, also jeder kann sich so nennen wenn er will:hmpf:.
 
Ich habe in Marburg Vor- und Frühgeschichte studiert und der Schwerpunkt liegt ganz klar auf dem Bereich den man als Archäologie bezeichnet.
Andere Unis haben dann einen eher historischen Schwerpunkt in der Methodik.

Letzteren Satz verstehe ich nicht. Welche Methoden, wenn nicht die der Archäologie sollen die UFGler den anwenden? Auf Texte können sie ja nicht zurückgreifen (ja, ja, die "Barbarenvölkerarchäologie" kann natürlich immer mal wieder auf lateinische und griechische Texte zurückgreifen).
 
Eigentlich nicht, denn die Methoden der Früh- und Vorgeschichtler sind ja gerade die, welche wir kolloquial als die der Archäologie sehen. Der klass. Archäologe ist dagegen ein Lockenzähler.

Das war er vielleicht vor 30 Jahren, inzwischen hat sich der Forschungsschwerpunkt von einer reinen kunstgeschichtlichen Betrachtung des Objekts zur Betrachtung des Objekts im geschichtlichen Kontext verschoben. Insofern ist die Bezeichnung Lockenzähler eine von Gummistiefel tragenden und im Dreck wühlenden UFG'lern höchst anachronistisch lancierte Spitze, die uns nur ein müdes Lächeln abringt. :fs:

:friends:
 
Letzteren Satz verstehe ich nicht. Welche Methoden, wenn nicht die der Archäologie sollen die UFGler den anwenden? Auf Texte können sie ja nicht zurückgreifen (ja, ja, die "Barbarenvölkerarchäologie" kann natürlich immer mal wieder auf lateinische und griechische Texte zurückgreifen).
Nunja es gibt ja unter anderem auch die Richtung Provinzialrömische Archäologie als ein Beispiel für eine mehr historisch arbeitenden Diziplin.
Obwohl natürlich klar ist das die Vertreter der Richtung auch Ausgrabungen durchführen etc., aber die Basis ihrer Überlegungen enstammen zumeist schriflt. Quellen.
 
Archaeology is what archaeologists do

Nach meinem Selbstverständnis als Archäologe ist es in erster Linie die Methode der Ausgrabung bzw. das Heranziehen materieller Hinterlassenschaften wie Funden und Befunden als Geschichtsquelle, die das Fach Archäologie oder besser die archäologischen Fächer definiert. So sieht es ja auch die Definition in der Wikipedia: Archäologie ? Wikipedia Dies im z.B. Gegensatz zur "klassischen" Geschichte wie alter, mittelalterlicher usw. Geschichte, die eher auf Texten als Quelle beruht.

Von David Clarke 1973 stammt der zunächst neckisch klingende, aber zutreffende Satz "Archäologie ist, was die Archäologen machen." ("Archaeology is what archaeologists do.")

Das Alter der Funde und Befunde spielt dabei nur eine geringe bzw. in meinen Augen gar keine Rolle. So kann es auch sinnvoll sein, die "Schlachten, die vor 150 Jahren passiert sind", oder auch die allerjüngste Vergangenheit archäologisch zu erforschen. Wichtig ist immer, dass es eine sinnvolle Fragestellung gibt! Bisweilen können mit archäologischen Methoden historische Ereignisse noch aus dem 20. Jahrhundert näher beleuchtet werden, für die es keine oder nur unzureichende Quellen gibt, oder bei denen Funde ein anderes Bild entwerfen lassen als Schriftquellen.

Zu den Schlachten wäre zu sagen, dass die sogenannte Schlachtfeldarchäologie auch in Deutschland mittlerweile weitgehend etabliert ist. Ein gutes Beispiel sind die in der Geschichtswissenschaft vergleichsweise wenig erforschten Kriegsgefangenenlager des I. und II. Weltkrieges und Außen- und Nebenlager von nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Je jünger es wird, desto umstrittener sind natürlich archäologische Untersuchungen, weil eine Archäologie des 20. Jahrhunderts zumindest bei uns noch neu und ungewohnt ist. Neulich hat ein Archäologe bzw. Bauforscher den Auftrag bekommen, die Reste der Berliner Mauer archäologisch zu dokumentieren, die ja bekanntlich erst vor 20 Jahren abgetragen wurde. Und an der University of Bristol wurde 2006 ein 1991 gebauter Ford Transit archäologisch untersucht.

Wenn ich Lust und Zeit habe, mache ich in den nächsten Tagen zwei oder drei Threads zur Schlachtfeldarchäologie, der "Archäologie der Zeit des Nationalsozialismus" und zu den archäologische Forschungen zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf, wobei ich mich bei Beiträgen von mir aus einer archäologischen Mailingliste bediene.
 
Außerdem muß hier auch mal auf die grundlegende archäologische Methode angesprochen werden. Also den Vergleich von materiellen Dingen, sprich Funden, sowie Befunden. Clarke hatte demnach im Grunde recht :-O Wenn jemand anfängt, die Grundrisse von 2.-Weltkriegs-Bunkern zu vergleichen, um eine Typologie und anschließend eine zeitliche Reihenfolge zu erstellen, ist das prinzipiell Archäologie... Wir hatten auf einer Grabung mal eine wilde Deponie aus den frühen Siebzigern, inkl. plattgepresstem VW Käfer. Wir haben sie nur, äh, begrenzt dokumentiert. War aber mal ein interessanter Einblick in die Materielle Kultur der Zeit - mehr, als man von den verfügbaren Fotos und Filmen kriegt. Übrigens wäre die eigentliche Antwort auf die Überschrift: Dann, wenn es menschliche Artefakte gibt. Die Antwort auf die Frage, wo Archäologie aufhört, müßte wohl lauten: Guck mal auf deine Uhr, genau dann (obs Sinn macht, ist eine andere Frage).
 
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