Zwiebeltürme in Süddeutschland

lynxxx

Aktives Mitglied
kurze Frage an den Kennern von Turmaufsätzen: In Süddeutschland haben etliche Kirchen diese "Zwiebel"-Aufsätze. Hintergrund dieser merkwürdigen Form? (PS: Erinnert mich auch an die Kirche am Roten Platz in Moskau)
 
Überzeugende Erklärung zur Entwicklung der Zwiebeltürme:
Zwiebeltrme

Hmm, irgendwie überzeugt mich diese Erklärung des Journalisten mit theol. Ausbildung nicht in allen Punkten.

Ich meine, er verwechselt vielleicht die Kuppeln (Welsche) der Frauenkirche, mit den Zwiebeltürmen?
Welsche Haube:
Welsche Haube - Das grosse Kunstlexikon von P.W. Hartmann
Zwiebelhaube:
Zwiebeldach - Das grosse Kunstlexikon von P.W. Hartmann

Nun bezieht sich der Autor z.B. auf dieses Blatt aus Jerusalem, wovon er annimmt, dass der Architekt der Frauenkirche dieses kennen will:
http://www.ubs.sbg.ac.at/sosa/inkunabeln/WII397(2a).jpg
Woher er es annimmt, der Architekt hätte es gesehen, steht in den Sternen...

Übrigens geht auch die Wiki davon aus, aber nachdem ich letztens ein wenig in der Wiki sehr zähflüssig aktiv zu sein versuche, weiß ich leider, dass vieles, was eine Vermutung oder Möglichkeit in der Literatur ist, dort schnell zur Faktizität umgeschrieben wird. Abgesehen davon, habe ich festgestellt, dass ohne Literaturangaben/Fussnoten vieles nicht seriös genug ist, und man auch gleich in die Bibliothek gehen kann, bevor man nun versucht alle Angaben zu überprüfen.

Nun gut. Auf der obigen Graphik sehen wir nun Kuppeln wie bei der Frauenkirche und der Venezianischen Kirche hier:

Madonna dell'Orto

Jedoch das Vorbild des "Tempel Salomons", also den Felsendom hat nun gerade keine "Welsche Haube", sondern einen Zwiebelhaube in der Graphik.
So sieht der Felsendom in Wirklichkeit aus, zur Erinnerung für diejenigen, die ihn grad nicht vor Augen haben:

Bild:Dome of the rock distance.jpg ? Wikipedia

Wenn ich nun schaue, wann [FONT=Verdana,Arial]Lukas Rottaler gestorben ist, dann erhalte ich hier ganz unten in der letzten Buchansicht, dass er schon vor der Fertigstellung von den Kuppeln 1525 [/FONT][FONT=Verdana,Arial]gestorben ist; auch der Wolfgang war schon tot. Der Autor hat hier offensichtlich welche verwechselt.
Vielleicht ist der Kuppelbauer auch nicht sicher bekannt, da auf der offiziellen Seite nichts steht?
Auch wenn ich von Lukas Rottaler oder den vorigen Architekten Jörg von Halspach in googlebooks mal zusammen mit "Venedig/Venice" eingebe, erhalte ich keine Angaben.

Auch die Kombi mit "Madonna dell´Orto" und "Frauenkirche" bringt nichts. Gut, dass sollte nicht sooo viel heißen, könnte aber ein Hinweis sein, dass hier irgendein Kunsthistoriker einfach mal die Ähnlichkeit zu Venedig sah, und daraus einen direkten Einfluss machte... oder?

Also irgendwie sind mir in dem Text ein paar Fehler zu viel drin, als dass ich ihn ohne Fussnoten völlig abnicken könnte, oder?

Übrigens kommen Welsche Hauben auch im Norden Deutschlands, oder Nordosten vor, Zwiebeltürme meiner Erinnerung nach eher nur im Süden, oder?

Wenn wir nun von diesen Welschen Hauben, bzw. Halbkuppeln auf Kirchentürmen zu den Zwiebeltürmen kommen, dann dürfen wir natürlich auch mal einen Blick von Bayern richtung Osten werfen, und sehen, dass dort ebenfalls Zwiebelhauben im 15./16. Jahrhundert en vogue wurden.

Bekanntestes Beispiel ist hier die [/FONT][FONT=Verdana,Arial]Basilius-Kathedrale (Foto).[/FONT]
Klickmich:

[FONT=Verdana,Arial]


Im vielen östlichen und südöstlichen Gebieten wurde diese Form populär.

Hier lesen wir nun, dass sie zu Ehren gegen die Türken (Tataren) errichtet wurde. (Momentan grad egal, ob's stimmt oder auch ein "Urban Myth"/Legende ist)

Aha. Nun kommen wir auch mal näher auf meine eigentliche Frage zu sprechen:

Ich habe (glaube ich) mal in irgendeinem DuMont Reiseführer, oder Reclam Kunstführer gelesen, dass die Zwiebelhauben den Osmanischen Turbanen und/oder Sturmhauben nachempfunden seien/inspririert seien.

Ihr auftreten korreliert zeitlich zumindest mit der zunehmenden Expansion der Osmanen vom 15.-17. Jh.

Nun gibt es zur Zwiebelhaube auch eine Wiki Seite mit Theorien:
Onion dome - Wikipedia, the free encyclopedia

Allerdings bin ich bei Wiki in diesen Themen noch skeptischer, weil spätestens nach dem 11. Sept. oftmals viele dortige Artikel eine in der wiss. Literatur nicht vorhandene Schieflage erhielten. D.H. es werden Einflüsse gerne verneint, erst recht im religiösen/kirchlichen Bereich, von sehr eifrigen christlichen Wikipedianern. Und bei obiger Seite mit ihren russ. Lit.-Angaben habe ich größere Bedenken vor ideologischen [/FONT]Implikationen.

Siehe hier der Einfluss selbst von religiösen Inhalten (Allah) in einer Kirche:

Klickmich bitte:



Nun weiß ich aber, dass z.B. osm. Sturmhauben beispielsweise in Nürnberg und Augsburg nachgebaut wurden, teils sogar zu kostbaren orientalisierenden Prunkhauben. (Venedig hatte ja schon länger etliche Einlfüsse z.B. von den Mamluken in ihrem Kunsthandwerk).
Auch andere nicht militärische Metallarbeiten erhielten orientalisierende Ornamentik, in Dürers Drucken macht sich der Einfluss bemerkbar, usw., warum nicht auch in der Architektur? (Siehe auch die merkwürdigen "Sarazenentürme" im Parallelthread.)

Und schaut man sich mal die Turbane oder die Helme/Sturmhauben des 14.-17. Jh. an, dann könnte diese These vielleicht stimmen, genau wie irgendwelche Drucke, die kursieren sollten? (Wenn ich mich denn noch recht erinnere, was ich gelesen habe):

Schaut hier einige Formen, die so ähnlich in Bayern nachgetrieben wurden:

http://www.metmuseum.org/toah/images/hb/hb_04.3.456a.jpg
hier mal einer mit Spiralform, wie in der Basilius-Katedrale:
http://i4.photobucket.com/albums/y110/Nephtys/Oriental Warriors/TurbanhelmOttoman.jpg
http://www.turizm.gov.tr/DE/resimgo...=33534&RESIMISIM=osmanli_eser_04-migfer-1.jpg
http://i4.photobucket.com/albums/y110/Nephtys/Oriental/Turban_Helmet_Metropolitan_1.jpg

Leider konnte ich online nichts konkretes und seriöses finden, ausser in diesem alten Schinken:
Archäologisches Wörterbuch: Deutsch ... - Google Buchsuche
S. 274

Meinungen? Gute Bücher im Buchregal?
 
Zuletzt bearbeitet:
@lynxxx: Siehe hier der Einfluss selbst von religiösen Inhalten (Allah) in einer Kirche.

Das ist ja echt ein Ding. Andere Internetquellen sprechen von arabischen Ornamenten. Bedeutet der Schriftzug wirklich "Allah"? Das wäre in einer christlichen Kirche ja eine "Blasphemie ohnegleichen" gewesen.

Die Zwiebelturmarchitektur von osmanischen Kopfbedeckungen herzuleiten, ist doch eine typische @lynxxx-Idee. Du glaubst das aber sicher selbst nicht wirklich, oder?
 
Ohne groß Ahnung zu haben.
Den Turm "meiner" Taufkirche schmückt seit 1670 eine "welsche Haube" und ich erinnere mich, wie mein damaliger Kunsterzieher Dr. R. (er nannte sich wirklich Kunsterzieher) uns irgendwann Mitte der 60er den Unterschied zwischen einem "Zwiebelturm" und dieser "Welschen Haube" erläuterte.

Die Erläuterung bringe ich natürlich heute nicht mehr zusammen, aber eine "Welsche Haube" ist eine "Haube" mit geschwungenen Seiten, während der "Zwiebelturm" sich eigentlich selbst erklärt. Vermutlich eher aus den Barocken "Muschelformen" abgeleitet werden kann.
Der "visuelle Eindruck" jedenfalls ist ein ganz anderer.
 
Hmm, irgendwie überzeugt mich diese Erklärung des Journalisten mit theol. Ausbildung nicht in allen Punkten.

Ich meine, er verwechselt vielleicht die Kuppeln (Welsche) der Frauenkirche, mit den Zwiebeltürmen?
Welsche Haube:
Welsche Haube - Das grosse Kunstlexikon von P.W. Hartmann
Zwiebelhaube:
Zwiebeldach - Das grosse Kunstlexikon von P.W. Hartmann
Leider hatte ich dazu in meinem Kunstlexikon nichts gefunden. Aber Welsche Haube und Zwiebelturm sind natürlich zwei verschiedene Dinge. Nicht umsonst gab und gibt es auch kombinierte Formen aus Welscher Haube und Zwiebelturm.
 
Das ist ja echt ein Ding. Andere Internetquellen sprechen von arabischen Ornamenten. Bedeutet der Schriftzug wirklich "Allah"? Das wäre in einer christlichen Kirche ja eine "Blasphemie ohnegleichen" gewesen.

Die Zwiebelturmarchitektur von osmanischen Kopfbedeckungen herzuleiten, ist doch eine typische @lynxxx-Idee. Du glaubst das aber sicher selbst nicht wirklich, oder?

Ich weiß, ich stehe im Verdacht, alles mögliche mit dem Nahen Osten verbinden zu wollen... ;)
Aber anders als andere fußen meine Anmerkungen dabei fast immer auf wissenschaftlicher Literatur. Hierbei könnte ich jedoch durchaus einer "Urban Myth", einer Legende aufgesessen sein. Mein Dumont Moskau Reiseführer ist im Keller, und ich weiß nicht mehr, wo ich es mal las. Aber vielleicht habe ich es ja auch gar nicht gelesen, sondern projiziere die vermeintliche "Legende" auf gelesenes?
(Immerhin, ein Buchlink habe ich ja gefunden, wenn auch veraltet)

Zu der Kirche und Allah oben, kannst es selber mal im PDF lesen, wenn du aufs Bild klickst und in meinem Album nochmals aufs Bild klickst und dem Link im Comment folgst. Dort ist das Bild auch größer, und du erkennst die kufische Schrift. Es ist Allah und es gibt weitere Beispiele, das berühmteste ist der Krönungsmantel der deutschen Kaiser. (Oder das Polterabendgewand Elisabeths)

Erstaunlich, nicht wahr? ;) Erstaunlich für heutige Zeitgenossen... :friends: ;)

Wenn man sich die Übernahme von Formen und Ornamentik in der Kunstgeschichte anschaut, dann ist dieser Bereich äusserst durchlässig, durchlässiger und gegenseitig durchdringender, als andere Bereiche. Insofern kann es mehrere Ursachen haben, auch ohne dass es so offensichtlich ist, wie später die sog. "Turkomanie"/Turquerie.

Vielleicht suche ich irgendwann doch nochmals in meinen Bayern und Moskaubüchern danach...
 
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Auf Malta wird in jeder katholischer Kirche zu Allah gebetet - kein Wunder, das Maltesische ist dem Arabischen verwandt und Gott bedeutet eben Allah.
Die kufischen Schriftzeichen auf dem Krönungsmantel des HRR überraschen eigentlich auch nicht, der Mantel wurde in der Hofwerkstätte von Palermo gefertigt und im 12. Jhdt. sprach und schrieb man dort eben auch noch arabisch.
 
Der Krönungsmantel ist eine Sache. Aus Wiki:
Dem Mantelsaum folgend, ist eine kufische Inschrift mit guten Wünschen für den Träger des Mantels aufgestickt. Obwohl sie gut lesbar ist, werfen Übersetzung und Deutung bis heute Fragen auf, die nicht restlos beantwortet sind.[2] Eine mögliche Übersetzung lautet:
(Dieser Mantel) gehört zu dem, was in der königlichen Werkstatt gearbeitet wurde, in der das Glück und die Ehre, der Wohlstand und die Vollendung, das Verdienst und die Auszeichnung ihren Sitz haben, hier in der königlichen Werkstatt, die sich guter Aufnahme, herrlichen Gedeihens, großer Freigebigkeit und hohen Glanzes, Ruhmes und prächtiger Ausstattung und der Erfüllung der Wünsche und Hoffnungen erfreuen möge; hier, wo die Tage und Nächte im Vergnügen dahingehen mögen, ohne Ende und Veränderung; im Gefühle der Ehre, der Anhänglichkeit und fördernden Teilnahme im Glück und in der Erhaltung der Wohlfahrt, der Unterstützung und gehörigen Betriebsamkeit; in der Hauptstadt Siziliens im Jahre 528 der Hedschra
Daran ist ja nichts Verfängliches. An einer Lobpreisung Allahs in einer christlichen Kirche in Österreich (Lynxxx Post Nr. 8) schon eher. Ganz sicher war dem Bauherrn bei der Bauabnahme nicht klar, was ihm der wohl morgenländische Meister (Zeit der Kreuzzüge) da wirklich hingemalt hat. Wahrscheinlich nicht mal als Schrift erkannt, er wurde verarscht.
 
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Die kufische Inschrift in der Johanneskapelle hat natürlich nix mit dem Thread Zwiebeltürme zu tun, kann man einen eigenen aufmachen - Islamrezeption im Mittelalter oder so ähnlich.
An die Adresse der Entdecker von architektonischen Konexxen zwischen Okzident und Orient - das ist nix neues, ganz im Gegenteil.
Die ganze abendländische Architektur blickt nach Osten, von Nachbauten des Felsendoms und der Al-Aksar Moschee in Pisa bis hin zur Karlskirche in Wien...
Karlskirche als Moschee « DiePresse.com
 
Die Karlskirche in Wien oder das Pumpwerk in Potsdam (Ähnliches in jeder Residenzstadt) sind barocke Marotten, als der Orient als chic galt und man sich bei Hofmaskenbällen türkisch kleidete. Im 11. und 12.Jahrhundert hat man das aber garantiert noch nicht so locker gesehen.
 
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Weder das Pumpwerk in Potsdam noch die Moschee im Schwetzinger Park sind barock, sondern bereits Frühromantik und entstammen einer ganz anderen Zeit bzw. haben eine komplett unterschiedliches Bauprogramm als die Karlskirche (bitte selbst nachlesen, ich möchte da jetzt keine Romane hinschreiben, steht ohnehin alles auf Wiki).

Im 11. und 12. Jahrhundert gab es in hingegen in zahlreichen europäischen Regionen nicht nur regen Austausch, sondern geradezu eine Vermischung der Kulturen. Ich mag da jetzt das maurische Spanien gar nicht als Beispiel anführen, sondern eher das normannische und dann staufische Sizilien und Süditalien. Die christlichen Herrscher beschäftigten arabische Künstler, noch heute sieht man diese Arbeiten in Palermo oder Monreale. Arabischer Einfluss (inkl. kufischer Inschriften) findet man auch auf dem Festland wie zB. im Dom zu Amalfi.
Aber wie bereits gesagt, man sollte einen eigenen Thread dazu öffnen, unsere Mediävisten hätten da sicher einiges spannendes beizuträgen.
 
Auf Malta wird in jeder katholischer Kirche zu Allah gebetet - kein Wunder, das Maltesische ist dem Arabischen verwandt und Gott bedeutet eben Allah.

Da wäre das Malti aber schon eine Besonderheit, denn im Nahen Osten und in Ägypten ist das Wort 'Allah' nur bei Muslimen in Gebrauch; die Christen dort sagen 'rabbe:na' = unser Herr.

Kleine Korrektur: Malti ist ein arabischer Dialekt, nicht dem Arabischen verwandt. In das moderne Malti haben allerdings viele Lehnworte aus dem Italienischen Eingang gefunden.
 
Mein Gott, @Rovere, schaukele dich doch nicht am Begriff "barocke Marotten" hoch. Ob nun Barock, Rokoko oder früher Klassizismus - im 18. Jahrhundert entstanden vieler solcher Bauten. Du wirst doch wohl auch so erkannt haben, was ich damit sagen wollte.
 
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