Bolgarin
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Im folgenden Beitrag wollen wir an einen bulgarischen Herrscher erinnern, der zur Wahrung der europäischen Kultur maßgebend beigetragen hat, dessen Beitrag aber kaum bekannt ist, allein auf Grund des zeitlichen Abstandes von etwa 1200 Jahren. Die Rede ist von Khan Terwel, der das 1. Bulgarische Reich in der Zeit von 701 bis 721 regierte.
Deniza Manowa unterhielt sich mit dem Historiker Prof. Georgi Bakalow, Prorektor der Sofioter Universität „Heiliger Kliment von Ochrid“.
„Wenn wir über den Khan Terwel sprechen, müssen wir uns einige Dinge vergegenwärtigen“, sagt Prof. Bakalow. „Terwel ist Sohn und Nachfolger des Khans Asparuch, unter dessen Herrschaft im Jahre 681 der bulgarische Staat am Unterlauf der Donau gegründet wurde. Khan Terwel trat in politische Beziehungen zum Nachbarn Byzanz im Jahre 705, als Justinian II. um Unterstützung bat, seine Herrscherrechte wiederzuerlangen. Er war nämlich zehn Jahre zuvor von Leontios seines Thrones beraubt und in die Verbannung zu den Chasaren geschickt worden. Als diese sich anschickten, sich seiner zu entledigen, floh er nach Bulgarien, wo er um Hilfe ersuchte. Der bulgarische Herrscher willigte ein, stellte aber auch einige Bedingungen.“
Eine dieser Bedingungen war das Abtreten des heutigen Gebietes Sagore, östlich des Balkangebirges, das in unmittelbarer Nähe zur damaligen bulgarischen Reichshauptstadt Pliska lag. Justinian II. erklärte sich damit einverstanden, wie auch mit der zweiten wichtigen Bedingung. Sie betraf die Verleihung des Titels Cäsar an Khan Terwel. Im damaligen oströmischen Reich erhielt diesen Titel der zweitwichtigste Mann im Staat nach dem Imperator. Den Titel Cäsar trugen für gewöhnlich der künftige Imperator oder die ihm am nächsten stehende Person. In der gesamten byzantinischen Geschichte bekamen diesen Titel nur drei Männer außerhalb des Reiches, wobei Terwel der erste unter ihnen war.
„Es war also ein absolutes Novum für die byzantinische Diplomatie, als im 8. Jahrhundert der bulgarische Khan Terwel den Titel Cäsar zuerkannt bekam“, unterstricht Prof. Bakalow. „Sicher werden beide Seiten diese Verleihung anders gedeutet haben. Die Bedeutung dieses Titels für den bulgarischen Herrscher lag zum einen darin, dass der bulgarische Staat und sein Herrscher vom oströmischen Reich legitimiert wurden und zum anderen konnte Khan Terwel den Herrschaftsanspruch seiner Dynastie Dulo, der er angehörte, untermauern.“
Und so rückte er mit seiner Armee im Jahre 705 vor die Mauern von Konstantinopel und belagerte die Stadt. Zu Beginn machte man sich über das Erscheinen Justinians lustig, zumal man ihm vor seiner einstigen Verbannung Nase und Zunge abgeschnitten hatte. Justinian gelang es aber, sich durch eine Wasserleitung in die Stadt einzuschleichen und er konnte angesichts seiner Verbündeten draußen, die mit einer ausgedehnten Belagerung drohten, seine Herrschaft wiedererlangen. Der byzantinische Hof hatte das kleinere Übel gewählt und Justinian II. wieder den Thron angeboten. Damit waren auch die Beziehungen mit Bulgarien ins rechte Lot gerückt.
Khan Terwel zeichnete sich aber nicht allein durch seine weitsichtige Verbündetenpolitik aus. Während seiner Regierungszeit wurde im Jahre 716 ein Wirtschaftsabkommen zwischen Bulgarien und Byzanz abgeschlossen. Laut diesem Vertrag mussten alle Waren, die zwischen beiden Ländern ausgetauscht werden, ein Siegel aufweisen, d.h. sie mussten eine Aus- bzw. Einfuhrgenehmigung besitzen.
Die wohl wichtigste Tat des bulgarischen Herrschers war aber sein Sieg über die Araber im Jahre 718, die zum zweiten Mal den Versuch unternahmen, Konstantinopel einzunehmen.
„Das ist ein Ereignis, das damals in Europa für großes Aufsehen sorgte“, sagt weiter der Geschichtsprofessor. „Leider wird darüber wenig gesprochen und vor allem der Sieg des Frankenkönigs Karl Martell am 18. Oktober 732 bei Poitiers über die Araber unter Abd er Rahman ibn Abdallah betont. Zweifellos war das eine große Schlacht und ein großer Sieg Westeuropas, das sich gegen die arabische Invasion wehrte. Aber der Plan der Araber war weitaus globaler. Sie versuchten Europa von zwei Seiten aus einzunehmen. Die eine arabische Invasion sollte über den Bosporus und die Dardanellen erfolgen und dann weiter über bulgarisches Territorium nach Mitteleuropa führen. Die andere musste über die Pyrenäen und dem heutigen Südfrankreich und beide Araberstrome sollten sich irgendwo auf dem Gebiet des heutigen Österreich oder der Schweiz treffen.“
Der Sieg bei Poitiers hätte also für Europa nur halben Erfolg gebracht. Der entscheidende Vorsieg gegen die Araber fand bereits vor den Mauern von Konstantinopel statt. Unverhofft für die belagerten Byzantiner kam Unterstützung aus Bulgarien, die nachweislich nicht angefordert worden war. In der Schlacht fielen laut byzantinischen, arabischen und lateinischen Chronisten um die 30.000 Araber.
„Es hat sich dabei um Marinefußtruppen gehandelt, die die Stadt vom Land her umzingelt hatten, während die Flotte das vom Meer aus tat“, präzisiert der Historiker Prof. Georgi Bakalow. „Die Zerschlagung der Landtruppen setzte der Araberinvasion von dieser Seite her ein Ende. Konstantinopel war gerettet. Der bulgarische Herrscher Khan Terwel hatte damit nicht einfach nur eine regionale Aufgabe gelöst, sondern eine Aufgabe von gesamteuropäischer Bedeutung, indem das Vordringen der Araber bis nach Mitteleuropa gestoppt wurde. Die Chronisten jener Zeit vermerkten diese Tat recht ausführlich und schrieben dem bulgarischen Herrscher diesen großen Verdienst zu. Aus heutiger Sicht betrachtet, hat das Bulgarien in ein völlig neues Licht gerückt. Bulgarien wurde als ein Land bekannt, das Anteilnahme an der Rettung des christlichen Europas zeigte und das ganz deutlich und mit Taten untermauert. Diese Tatsache muss einen größeren Bekanntheitsgrad erhalten, besonders heute, da wir der Europäischen Union beitreten. Es ist wichtig zu wissen, dass Bulgarien ein Staat ist, der sich an der Formung der Kultur Europas und seiner Sicherheit bereits in jenen frühen Jahrhunderten maßgeblich beteiligt hat“, schließt Prof. Georgi Bakalow seine Ausführungen.
http://www.bnr.bg/RadioBulgaria/Emission_German/Theme_Geschichte/Material/gk061130.htm
wikipedia:
http://en.wikipedia.org/wiki/Battle_before_Constantinople
Deniza Manowa unterhielt sich mit dem Historiker Prof. Georgi Bakalow, Prorektor der Sofioter Universität „Heiliger Kliment von Ochrid“.
„Wenn wir über den Khan Terwel sprechen, müssen wir uns einige Dinge vergegenwärtigen“, sagt Prof. Bakalow. „Terwel ist Sohn und Nachfolger des Khans Asparuch, unter dessen Herrschaft im Jahre 681 der bulgarische Staat am Unterlauf der Donau gegründet wurde. Khan Terwel trat in politische Beziehungen zum Nachbarn Byzanz im Jahre 705, als Justinian II. um Unterstützung bat, seine Herrscherrechte wiederzuerlangen. Er war nämlich zehn Jahre zuvor von Leontios seines Thrones beraubt und in die Verbannung zu den Chasaren geschickt worden. Als diese sich anschickten, sich seiner zu entledigen, floh er nach Bulgarien, wo er um Hilfe ersuchte. Der bulgarische Herrscher willigte ein, stellte aber auch einige Bedingungen.“
Eine dieser Bedingungen war das Abtreten des heutigen Gebietes Sagore, östlich des Balkangebirges, das in unmittelbarer Nähe zur damaligen bulgarischen Reichshauptstadt Pliska lag. Justinian II. erklärte sich damit einverstanden, wie auch mit der zweiten wichtigen Bedingung. Sie betraf die Verleihung des Titels Cäsar an Khan Terwel. Im damaligen oströmischen Reich erhielt diesen Titel der zweitwichtigste Mann im Staat nach dem Imperator. Den Titel Cäsar trugen für gewöhnlich der künftige Imperator oder die ihm am nächsten stehende Person. In der gesamten byzantinischen Geschichte bekamen diesen Titel nur drei Männer außerhalb des Reiches, wobei Terwel der erste unter ihnen war.
„Es war also ein absolutes Novum für die byzantinische Diplomatie, als im 8. Jahrhundert der bulgarische Khan Terwel den Titel Cäsar zuerkannt bekam“, unterstricht Prof. Bakalow. „Sicher werden beide Seiten diese Verleihung anders gedeutet haben. Die Bedeutung dieses Titels für den bulgarischen Herrscher lag zum einen darin, dass der bulgarische Staat und sein Herrscher vom oströmischen Reich legitimiert wurden und zum anderen konnte Khan Terwel den Herrschaftsanspruch seiner Dynastie Dulo, der er angehörte, untermauern.“
Und so rückte er mit seiner Armee im Jahre 705 vor die Mauern von Konstantinopel und belagerte die Stadt. Zu Beginn machte man sich über das Erscheinen Justinians lustig, zumal man ihm vor seiner einstigen Verbannung Nase und Zunge abgeschnitten hatte. Justinian gelang es aber, sich durch eine Wasserleitung in die Stadt einzuschleichen und er konnte angesichts seiner Verbündeten draußen, die mit einer ausgedehnten Belagerung drohten, seine Herrschaft wiedererlangen. Der byzantinische Hof hatte das kleinere Übel gewählt und Justinian II. wieder den Thron angeboten. Damit waren auch die Beziehungen mit Bulgarien ins rechte Lot gerückt.
Khan Terwel zeichnete sich aber nicht allein durch seine weitsichtige Verbündetenpolitik aus. Während seiner Regierungszeit wurde im Jahre 716 ein Wirtschaftsabkommen zwischen Bulgarien und Byzanz abgeschlossen. Laut diesem Vertrag mussten alle Waren, die zwischen beiden Ländern ausgetauscht werden, ein Siegel aufweisen, d.h. sie mussten eine Aus- bzw. Einfuhrgenehmigung besitzen.
Die wohl wichtigste Tat des bulgarischen Herrschers war aber sein Sieg über die Araber im Jahre 718, die zum zweiten Mal den Versuch unternahmen, Konstantinopel einzunehmen.
„Das ist ein Ereignis, das damals in Europa für großes Aufsehen sorgte“, sagt weiter der Geschichtsprofessor. „Leider wird darüber wenig gesprochen und vor allem der Sieg des Frankenkönigs Karl Martell am 18. Oktober 732 bei Poitiers über die Araber unter Abd er Rahman ibn Abdallah betont. Zweifellos war das eine große Schlacht und ein großer Sieg Westeuropas, das sich gegen die arabische Invasion wehrte. Aber der Plan der Araber war weitaus globaler. Sie versuchten Europa von zwei Seiten aus einzunehmen. Die eine arabische Invasion sollte über den Bosporus und die Dardanellen erfolgen und dann weiter über bulgarisches Territorium nach Mitteleuropa führen. Die andere musste über die Pyrenäen und dem heutigen Südfrankreich und beide Araberstrome sollten sich irgendwo auf dem Gebiet des heutigen Österreich oder der Schweiz treffen.“
Der Sieg bei Poitiers hätte also für Europa nur halben Erfolg gebracht. Der entscheidende Vorsieg gegen die Araber fand bereits vor den Mauern von Konstantinopel statt. Unverhofft für die belagerten Byzantiner kam Unterstützung aus Bulgarien, die nachweislich nicht angefordert worden war. In der Schlacht fielen laut byzantinischen, arabischen und lateinischen Chronisten um die 30.000 Araber.
„Es hat sich dabei um Marinefußtruppen gehandelt, die die Stadt vom Land her umzingelt hatten, während die Flotte das vom Meer aus tat“, präzisiert der Historiker Prof. Georgi Bakalow. „Die Zerschlagung der Landtruppen setzte der Araberinvasion von dieser Seite her ein Ende. Konstantinopel war gerettet. Der bulgarische Herrscher Khan Terwel hatte damit nicht einfach nur eine regionale Aufgabe gelöst, sondern eine Aufgabe von gesamteuropäischer Bedeutung, indem das Vordringen der Araber bis nach Mitteleuropa gestoppt wurde. Die Chronisten jener Zeit vermerkten diese Tat recht ausführlich und schrieben dem bulgarischen Herrscher diesen großen Verdienst zu. Aus heutiger Sicht betrachtet, hat das Bulgarien in ein völlig neues Licht gerückt. Bulgarien wurde als ein Land bekannt, das Anteilnahme an der Rettung des christlichen Europas zeigte und das ganz deutlich und mit Taten untermauert. Diese Tatsache muss einen größeren Bekanntheitsgrad erhalten, besonders heute, da wir der Europäischen Union beitreten. Es ist wichtig zu wissen, dass Bulgarien ein Staat ist, der sich an der Formung der Kultur Europas und seiner Sicherheit bereits in jenen frühen Jahrhunderten maßgeblich beteiligt hat“, schließt Prof. Georgi Bakalow seine Ausführungen.
http://www.bnr.bg/RadioBulgaria/Emission_German/Theme_Geschichte/Material/gk061130.htm
wikipedia:
http://en.wikipedia.org/wiki/Battle_before_Constantinople