Roland Freisler/Volksgerichtshof

Aber könnte das nicht auch daran liegen, daß die Nazis ihre Verbrechen im wesentlichen OHNE "Nutzung" des Justizapparats begingen?

Meine unrepräsentativen Eindrücke sind eher, daß die Justiz (Ausnahme Volksgerichtshof / 20. Juli) vorzugsweise dort eingesetzt wurde, wo eben die normalen Gesetze eine Grundlage hergaben (gerade in der Militärjustiz).
Da wäre dann auch schwer Rechtsbeugung nachzuweisen.

Ansonsten aber wurde ohne Richterbeteiligung gemordet, das wurde dann nach dem Krieg eben als Mord etc. verfolgt.

Insgesamt haben die Nazis (auch wegen Krieg und relativ kurzer Herrschaftszeit) weniger Wert auf äußerliche Korrektheit gelegt als z. B. die DDR. Der SED war es ja immer sehr wichtig, daß es für alle Unterdrückungsmaßnahmen eine "rechtsstaatliche" Basis gab.

Das kann man so nicht sagen. Die Nazis legten durchaus auch Wert auf formal- oder scheinlegale Prozeduren. Die konnten ihnen aber auch wieder ganz schnurz sein, wenn es gerade passte, wie z.B. als der selbsternannte "oberste Gerichtsherr" seine Kumpanen Röhm etc. ermorden ließ, und erst recht bei der Ermordung der Juden.
Außerdem gab es nicht nur den Volkgerichtshof, sondern darunter noch eine ganze Reihe von Sondergerichten mit der gleichen Funktion. Und jemanden wegen eines Witzes über einen Politiker hinrichten zu lassen ist auch nicht so ohne, um es vorsichtig auszudrücken.
 
Außerdem gab es nicht nur den Volkgerichtshof, sondern darunter noch eine ganze Reihe von Sondergerichten mit der gleichen Funktion.

Ein wichtiger Hinweis.

Bevor man sich mit im Detail mit Freisler beschäftigt, wäre doch die Stellung des Volksgerichtshofes zur Verurteilung "politischer" Straftaten zu untersuchen. Dazu gibt es einiges an Literatur, siehe Liste hier:
Volksgerichtshof ? Wikipedia
 
Das kann man so nicht sagen. Die Nazis legten durchaus auch Wert auf formal- oder scheinlegale Prozeduren. Die konnten ihnen aber auch wieder ganz schnurz sein, wenn es gerade passte, wie z.B. als der selbsternannte "oberste Gerichtsherr" seine Kumpanen Röhm etc. ermorden ließ, und erst recht bei der Ermordung der Juden.
Außerdem gab es nicht nur den Volkgerichtshof, sondern darunter noch eine ganze Reihe von Sondergerichten mit der gleichen Funktion. Und jemanden wegen eines Witzes über einen Politiker hinrichten zu lassen ist auch nicht so ohne, um es vorsichtig auszudrücken.


Und sie legten Wert darauf, auf Juristen zurückgreifen zu können, die linientreu waren. Beim Reichstagsbrandprozess gab es einen Freispruch, und der Volksgerichtshof wurde nicht zuletzt deshalb ins Leben gerufen, weil manche Gerichte den Nazis zu standesbewußt oder zu milde erschienen.

Das Recht wurde in Deutschland unter den Nazis so massiv gebogen und gebeugt, dass selbst die wenigen seriösen Juristen u. U. Recht beugen mussten, etwa wenn ein Richter einen "Volksschädling" zu 1 1/2 Jahren Gefängnis verurteilte, der vor einem Sondergericht womöglich wegen "sabotage" und "Wehrkraftzersetzung exekutiert wurde.
 
Die Nazis legten durchaus auch Wert auf formal- oder scheinlegale Prozeduren.
Dazu noch ein Zitat aus dem neuesten Heft der Zeitschrift g-geschichte:
Da auch in Nazi-Deutschland alles "seine Ordnung" haben musste, wurde der Röhm-Putsch noch "legalisiert" und zwar durch das am 3. Juli 1934 verkündete "Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr" das lediglich aus einem Satz bestand: " Die zur Niederschlagung hoch- und landesverräterischer Angriffe am 30. Juni, 1. und 2. Juli 1934 vollzogenen Maßnahmen sind als Staatsnotwehr rechtens." Und am 13. Juli 1934 lieferte Hitler vor dem von der NSDAP beherrschten Reichstag die "parlamentarische" Begründung nach: " In dieser Stunde war ich verantwortlich für das Schicksal der deutschen Nation und damit des deutschen Volkes oberster Gerichtsherr."
 
Dazu noch ein Zitat aus dem neuesten Heft der Zeitschrift g-geschichte:

Und am 13. Juli 1934 lieferte Hitler vor dem von der NSDAP beherrschten Reichstag die "parlamentarische" Begründung nach: " In dieser Stunde war ich verantwortlich für das Schicksal der deutschen Nation und damit des deutschen Volkes oberster Gerichtsherr."

Bei der "parlamentarischen" Begründung blieb es nicht. Carl Schmitt als "Kronjurist" des Dritten Reiches lieferte in der Deutschen Juristen-Zeitung vom 01.08.1934 die formaljuristische "Begründung" nach:

http://delete129a.blogsport.de/images/CS_DerFuehrerschuetztdasRecht.pdf
 
Für mich als Jura-Studentin interessant zu lesen. Denn es offenbart die Logik, mit der die linientreuen Juristen in dieser Zeit immer argumentierten: alles Recht leitet sich aus dem Lebensrecht des Volkes als Gemeinschaft ab, nicht des Menschen als Individuum.
Was natürlich den ungemeinen Vorteil hat, dass man das Recht einer Gemeinschaft viel einfacher auf eine Führungsfigur fixieren kann.
 
"Recht ist, was dem Volk nützt", und die Urteile wurden (werden) im "NAMEN DES VOLKES" verkündet.
 
Sicherlich wäre dieser Mann, wie fast alle Richter und Staatsanwälte des Nazi-Regimes nicht zur Verantwortung gezogen worden. Einfache Begründung, mit der auch fast alle anderen sich ihrer Strafe entziehen konnten, war, das sämtliche Strafen sie sie verhängten auf "gesetzlicher Grundlage" basierten.
 
Wobei man bei den Staatsanwälten, denke ich, doch einen Unterschied machen muss. Im Gegensatz zum Richter, der zwar die Entscheidungsgewalt hat, ansonsten aber nicht tätig wird (und somit sich im Rahmen seines Gesetzes bewegt), hatte der Staatsanwalt (meines Wissens auch in der Zeit des NS-Regimes) exekutive Befugnisse, sprich die Aufklärungsarbeit zusammen mit der Polizei. Ich nehme an, dass es bei einem Staatsanwalt einfacher wäre, etwas vor Gericht Verwertbares zu finden.
 
@ Philippa
Zwischen Richtern und Staatsanwälten muss man tatsächlich unterscheiden, aber mit der entgegengesetzten Folge. Gerade weil der Richter die Entscheidungsgewalt hat, ist er leichter strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Er schickt den Angeklagten aufs Schafott. Der Staatsanwalt kann sich damit herausreden, er habe "nur" angeklagt, der Richter hätte ja immer noch anders entscheiden können. Und ein nicht ganz unbekannter Marinerichter hat ja auch argumentiert, er sei nur der Staatsanwalt gewesen.
 
Sicher, so wie du es darlegst, ist es richtig.

Ich meinte allerdings etwas anderes, habe mich da wohl undeutlich ausgedrückt. Ich meinte nur, dass der Richter - wenn er denn nach geltenden Gesetzen handelt - in einer neuen Rechtsordnung schwerer zu bestrafen ist. Keine Strafe ohne Gesetz, somit wäre er aus dem Schneider.
Der Staatsanwalt, der das Recht anwendet - also als Exekutive fungiert - kann sich viel eher auch in seiner "Rechtsordnung" in Verfehlungen verstricken. Da kann es nur eine Frage der Auslegung sein. Und schließlich kannst auch das Vorgehen der Staatsanwaltschaft bei Ermittlungen dem Staatsanwalt zuschieben - und das ist nicht gerade unbeachtlich. Ich gebe mal ein Beispiel, damit man weiß, was ich meine.

Nehmen wir an, Richter F verurteilt einen Widerstandskämpfer S zum Tode: gesetzlich ist festgelegt, dass Hochverrat mit dem Tode bestraft wird.

Nehmen wir den Staatsanwalt O, der die Ermittlungen im Fall des Verdächtigen T anordnet, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ein Geständnis hervorzubringen. Gesetzlich mag ihm gestattet sein, alle vertretbaren Schritte zu unternehmen, um das Volk zu schützen. Wie ein heutiger Richter "vertretbare Schritte" auslegen würde, weiß ich nicht - aber die Anwendung von Folter wäre bestimmt nicht dadurch gedeckt. Somit würde sich der Staatsanwalt außerhalb seines damals geltenden Rechts bewegt haben.
 
Keine Strafe ohne Gesetz, somit wäre er aus dem Schneider.

Das „nullum crimen sine lege, nulla poena sine lege“ ist ja auch mit gutem Grund ein fundamentales Prinzip der Rechtsstaatlichkeit.

Aber man gerät doch in ein starkes moralisches Dilemma, wenn man dieses Prinzip auch auf den NS-Unrechtsstaat anwenden will.

Ganz davon abgesehen könnte man auch formaljuristisch die Gesetzmäßigkeit verbrecherischer Urteile anzweifeln, zöge man etwa geltende Bestimmungen des Völkerrechtes oder Völkergewohnheitsrechtes heran oder auch die Bestimmungen der weiterhin gültigen Weimarer Verfassung.

Um bei Freisler zu bleiben: Von einem Juristen in seiner Position dürfte erwartet werden, dass er mit den Grundsätzen der Völkerrechts und der Weimarer Verfassung vertraut ist und daher einschätzen kann, ob die Gesetze, nach denen er seine Urteile fällen muss, ihrerseits selbst Rechtmäßigkeit beanspruchen können.
 
Klar steckt man in einem moralischen Dilemma - das ist ja das Gemeine an der ganzen Sache. Was die Anwendbarkeit von Völkerrecht und Völkergewohnheitsrecht angeht, geb ich dir Recht - ich bin auch froh, dass sich das in unserer modernen Welt etabliert hat.

Und was Freislers Kenntnisse bezüglich des Völkerrechts bzw. bezüglich der Weimarer Verfassung angeht, stimmt ich dir ebenfalls zu - und einschätzen konnte er seine Urteile diesbezüglich mit Sicherheit auch. Und selbst wenn er's nicht gekonnt hätte, schützt ja Unwissenheit bekanntlich nicht vor Strafe.

Und was den Umgang mit Juristen der Nazi-Zeit angeht, ist die Geschichte eines engen Bekannten von Freisler interessant: sein Name ist Otto Palandt. Sein Name ziert (übrigens zu Unrecht) den gebräuchlisten Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch - und sein Vorwort, dass zu früheren Zeiten vor braunem Gedankengut nur so triefte, wurde hinter weggeschwärzt. Dennoch macht man heute noch gutes Geld mit seinem Namen - davon abgesehen, dass der Name damit einen Wertschätzung erfährt, die er nicht verdient. Bizarr.
 
Zuletzt bearbeitet:
Noch so ein "Wendiger" ist interessant, der Kommentator des Grundgesetzes Theodor Maunz ? Wikipedia

Ich meinte allerdings etwas anderes, habe mich da wohl undeutlich ausgedrückt.
Ich verstehe deine Argumentation schon. Aber der Staatsanwalt bewegt sich in derselben Rechtsordnung wie der Richter und kann sich ebenso wie der Richter, dessen Urteil durch eine höhere Instanz aufgehoben wird, auf eine unterschiedliche Rechtsauffassung berufen, wenn seiner Anklage durch den/die Richter nicht gefolgt wird.
Dass die brutalen Verhör- und Untersuchungsmethoden, wenn du daran denkst, leichter als rechtswidrig identifizierbar und strafrechtlich verfolgbar waren, gebe ich dir völlig recht. Kam es aber nicht zu solchen Brutalitäten, sondern wurde "nur" wegen einer Bagatelle oder einer nach rechtsstaatlichen Kriterien nicht vorwerfbaren Tat angeklagt, konnte sich der Ankäger damit herausreden, das Schlimme sei erst durch das Urteil des/der Richter angerichtet worden.

Dazu noch einige Zitate des Ex-Marinerichters Filbinger:

Ich habe das Verfahren gegen Gröger weder eingeleitet, noch betrieben. Gröger war durch Urteil vom 14. März 1944 wegen Fahnenflucht im Felde zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Dieses Urteil ist durch Verfügung des Flottenchefs vom 17. 6. 1944 im Schuldspruch bestätigt, im Strafäusspruch aber 'aufgehoben worden, weil — ausweislich der Urteilsgründe — „auf Todesstrafe hätte erkannt werden müssen". Der Flottenchef handelte dabei als Gerichtsherr. Zu dieser Zeit war ich in Nordnorwegen an der Front. Ich kam erst Ende 1944 nach Oslo und mußte in der zweiten Verhandlung gegen Gröger die Anklage vertreten.
...
Damit war auch für den Anklagevertreter kein Ermessensspielraum, der einen anderen Antrag als den auf die Höchststrafe ermöglicht hätte.
...
Während ich selbst im Verfahren Gröger in der Rolle des Sitzungsvertreters war, der auf das Verfahren keinen Einfluß nehmen konnte, konnte Ich in vielen anderen Verfahren zugunsten der Beschuldigten wesentliches erreichen.
Quelle: Filbinger: "Deshalb stelle ich fest" | Nachrichten auf ZEIT ONLINE
 
Tja, sowas kommt immer dabei raus, wenn man als Gelehrter des Rechts oder gar als dessen Herr in einem Unrechtsstaat lebt. Da bin ich froh, dass mir das wahrscheinlich erspart bleiben wird.
 
Seit doch mal ehrlich, in welchem Staat wurden jemals Richter angeklagt? Ich wüsste keinen, denn es sind immer wieder Richter, die über andere Richter zu entscheiden hätten. Mir ist eigentlich nur ein Fall bekannt, in der Tschechei, bei der ein Beisitzender Richter angeklagt wurde, weil bewusst entlasstendes Material von dieser Richterin unterschlagen wurde und dies auch nachweisbar war. Nur aufgrund dessen war eine Verurteilung möglich.

Ihr seht also, egal wie auch immer, "Der Richter hat immer Recht und wenn er nicht Recht hat, so wird das Recht ihm Recht gemacht."

Die Gesetzte jeder Gesellschaftsform waren schon immer so ausgelegt, das für denjenigen, der dieses Recht anwendet, es immer ein gewisses Schlupfloch geben wird. Denn es sind Menschen, die diese Gesetze erstellten und es wird immer wieder Menschen geben, die sich damit herausreden können, das sie ja nur nach den Buchstaben des Gesetzes gehandelt haben.

Frage einen Jurist und er wird dir sagen das jedes Gesetz eigentlich einfach ist. Von seiner Sicht aus gesehen mag das schon so sein, doch ein normal denkender Mensch kann nur immer wieder den Kopf darüber schütteln.

Und genauso ist es mit den Nazirichtern.
 
In und um Berlin hatte sich eine Bande etabliert, die Fußangeln streute, um die Reifen vorbeifahrender autos zu beschädigen und die Insassen dann auszurauben. Freisler hatte den vorsitz, und er ließ den Grundsatz nulla poena sine lege nachträglich aushebeln, indem er den Straftatbestand nachträglich als Gesetz einfügte und mit der Todesstrafe bedrohte.
 
Zufällig gefunden:

offenbar kursierten Ende 1944 in der Wehrmacht Erzählungen über Freisler und den Volksgerichtshof. Das führte dazu, dass der "Nationalsozialistische Führungsoffizier" beim Chef Generalstab des Heeres eine Teilnahme an einer Verhandlung beim Volksgerichtshof organisierte, um den "ordentlichen" und "fairen" Ablauf zu bestätigen, mit den Ziel, das "völlig falsche Bild" und die "Gerüchte" über die Verhandlungen zu widerlegen.

Nachstehend die propagandistischen Darstellungen (vermutlich Oberst i.G Langmann, zuvor 1941 im Stab von Graf Sponeck, mit einer biographischen "Lücke" 1944 (NSFO?), bis er 1945 Chef Generalstab AOK4 wurde), Quelle NARA T311/228/72+73:
 

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