So, nun aus obigem Buch die S. 259 ff.
Dazu muss noch erläutert werden, dass
Carl Sagan (Buch erschien 1996) Naturwissenschaftler ist, insofern die Wissenschaft es dort ggf. leichter hat, als bei Geisteswissenschaften, wo es größere Interpretationsschwankungen geben kann.
Deshalb vertraue ich in diesem Falle auch auf anerkannte Autoritäten (oder wie C. Sagan eher sagen würde, Fachleuten), solange keine aktuelleren Autoritäten mit neu entdeckten Quellen auf dem Plan treten und in der Zunft positive Resonanz finden. Besonders in Bereichen, wo ich mich nicht so gut auskenne, denn ich habe eben anders als z.B. professionelle Byzantinisten mit jahrzehntelanger Erfahrung nicht den Ein- und Überblick über das aktuelle Geschehen und Entwicklungslinien der Zunft.
Ich habe die Kursiv-
Italic-Schreibung aus dem Originaltext hier wiedergegeben.
Zitat Anfang:
"In der Wissenschaft stehen am Anfang vielleicht Ergebnisse von Experimenten, Daten, Beobachtungen, Messungen, »Fakten«. Wir denken uns, wenn wir können, eine Vielzahl möglicher Erklärungen aus und konfrontieren jede Erklärung systematisch mit den Fakten. Im Laufe ihrer Ausbildung legen sich Wissenschaftler das nötige Rüstzeug zur Entlarvung von Unsinn zu. Dieses Rüstzeug wird ganz nüchtern immer dann angewandt, wenn neue Ideen untersucht werden sollen. Falls die neue Idee dieser Überprüfung standhält, übernehmen wir sie freudig, wenn auch mit aller Vorsicht. Wenn man so zu arbeiten pflegt, wenn man nicht jeden Unsinn akzeptiert, dann kann man gewisse Vorkehrungen dafür treffen: Es gibt nämlich eine bewährte, immer wieder getestete Methode. Was befindet sich in unserem Rüstzeug?
Instrumente zum skeptischen Denken.
Skeptisches Denken läuft darauf hinaus, daß es die Mittel zur Verfügung stellt, ein durchdachtes Argument zu formulieren und zu verstehen sowie - was besonders wichtig ist - ein irriges oder betrügerisches Argument zu durchschauen. Es kommt nicht darauf an, ob uns die Schlußfolgerung gefällt, die sich aus einer Argumentationskette ergibt, sondern ob die Schlußfolgerung sich aus der Prämisse oder vom Ausgangspunkt her ableiten läßt und ob diese Prämisse wahr ist.
Hier einige dieser Instrumente:
- Die »Fakten« müssen nach Möglichkeit immer von unabhängiger Seite bestätigt werden.
- Suchen Sie eine stichhaltige Diskussion des Beweismaterials durch kenntnisreiche Vertreter aller Standpunkte herbeizuführen.
- Autoritäre Argumente haben wenig Gewicht - »Autoritäten« haben sich immer wieder geirrt und werden sich immer wieder irren. Vielleicht sollte man lieber sagen, daß es in der Wissenschaft keine Autoritäten gibt, sondern höchstens Fachleute.
- Entwickeln Sie mehr als eine Hypothese. Wenn etwas erklärt werden soll, dann denken Sie an alle Möglichkeiten, wie es erklärt werden könnte. Dann denken Sie an die Tests, mit denen Sie systematisch jede dieser Möglichkeiten widerlegen könnten. Was dann noch übrigbleibt, die Hypothese also, die bei dieser darwinistischen Auslese unter »mehrfachen Arbeitshypothesen« einer Widerlegung standhält, hat eine viel bessere Chance, die richtige Lösung zu sein, als wenn Sie sich einfach mit der erstbesten Idee begnügen, die Ihnen gefällt.
- Versuchen Sie, nicht allzusehr an einer Hypothese zu hängen, nur weil sie von Ihnen stammt. Sie ist nur eine Zwischenstation auf dem Weg zum Wissen. Fragen Sie sich, warum Ihnen diese Idee gefällt. Vergleichen Sie sie fair mit den Alternativen. Suchen Sie nach Gründen, sie abzulehnen. Wenn Sie das nicht tun, werden andere es tun.
- Quantifizieren Sie. Wenn das, was Sie erklären wollen, sich auf irgendeine Weise messen läßt, irgendeine numerische Quantität aufweist, dann sind Sie viel eher in der Lage, zwischen konkurrierenden Hypothesen zu unterscheiden. Was vage und qualitativ ist, erlaubt viele Erklärungen. Natürlich lassen sich Wahrheiten in den vielen Qualitätsfragen ausfindig machen, denen wir uns stellen müssen, aber sie zu finden ist weitaus schwieriger.
- Bei einer Argumentationskette muß jedes Glied (einschließlich der Prämisse) funktionieren - nicht nur die meisten Glieder.
- Ockhams Rasiermesser. Wenn wir es mit zwei Hypothesen zu tun haben, die die Daten gleich gut erklären, müssen wir nach dieser praktischen Faustregel die einfachere wählen.
- Fragen Sie sich immer, ob die Hypothese zumindest im Prinzip falsifiziert werden kann. Behauptungen, die nicht überprüfbar, nicht falsifizierbar sind, sind auch nicht viel wert. Denken wir etwa an die großartige Idee, daß unser Universum und alles darin nichts weiter als ein Elementarteilchen - sagen wir, ein Elektron - in einem viel größeren Kosmos ist. Aber wenn wir niemals Informationen außerhalb unseres Universums gewinnen können, läßt sich die Idee auch nicht widerlegen. Sie müssen in der Lage sein, Behauptungen zu überprüfen. Hartnäckige Skeptiker müssen die Chance bekommen, Ihren Überlegungen zu folgen, Ihre Experimente zu wiederholen und festzustellen, ob sie zu dem gleichen Ergebnis gelangen.
Wie ich zuvor schon betont habe, ist es entscheidend, daß man sich auf sorgfältig ausgedachte und kontrollierte Experimente verlassen kann. Durch bloßes Nachdenken werden wir nicht viel erfahren. Es ist verlockend, sich mit der erstbesten Erklärung zu begnügen. Eine ist doch viel besser als gar keine. Aber was geschieht, wenn wir uns mehrere ausdenken können? Wie entscheiden wir uns dann für eine von ihnen? Zunächst gar nicht. Wir unterziehen sie dem Experiment.
[...]
Jedes gute
Rüstzeug zur Entlarvung von Unsinn muß uns nicht nur sagen können, was wir tun müssen, um den Wahrheitsgehalt einer Behauptung zu überprüfen, sondern auch,
was wir nicht tun sollen.
Es ist uns dabei behilflich, die häufigsten und gefährlichsten logischen Irrtümer und rhetorischen Trugschlüsse zu durchschauen. Viele gute Beispiele lassen sich in der Religion und in der Politik finden, weil die Menschen, die sie betreiben, so oft zwei einander widersprechende Thesen rechtfertigen müssen.
Zu diesen Irrtümern und Trugschlüssen zählen:
- Das argumentum ad hominem (lateinisch »an den Menschen« appellierend) - dabei wird der Argumentierende und nicht das Argument angegriffen. Beispiel: Die Pastorin Dr. Smith ist eine bekannte Bibelfundamentalistin, daher müssen ihre Einwände gegen die Evolutionstheorie nicht ernst genommen werden.
- Das Autoritätsargument. Beispiel: Präsident Richard Nixon sollte wiedergewählt werden, weil er einen Geheimplan für die Beendigung des Krieges in Südostasien hat - aber weil er geheim war, gab es für die Wählerschaft keine Möglichkeit, seine Vorzüge zu bewerten; das Argument lief darauf hinaus, ihm zu vertrauen, weil er Präsident war - ein Fehler, wie sich herausstellte.
- Das Argument der negativen Folgen. Beispiel: Ein Gott, der Strafe und Lohn verteilt, muß existieren, denn andernfalls wäre die Gesellschaft viel gesetzloser und gefährlicher - vielleicht sogar unregierbar. Oder: Der Angeklagte in einem aufsehenerregenden Mordprozeß muß für schuldig erklärt werden - sonst werden andere Männer ermutigt, ihre Frauen zu ermorden.
- Die Berufung auf Unwissenheit - die Behauptung, was nicht als falsch bewiesen sei, müsse wahr sein, und umgekehrt Beispiel: Es gibt keine zwingenden Beweise, daß UFOs die Erde nicht besuchen; daher existieren UFOs - und überall im Universum gibt es intelligentes Leben. Oder: Vielleicht gibt es ja Abermillionen von anderen Welten, aber wir kennen keine einzige, die moralisch so hochstehend ist wie die Erde, daher stellen wir noch immer das Zentrum des Universums dar. Diese Ungeduld in zweifelhaften Fällen läßt sich mit dem Satz kritisieren: Das Fehlen eines Beweises ist kein Beweis für das Fehlen.
- Das spitzfindige Argument, das oft zur Rettung einer Behauptung vorgebracht wird, wenn man in tiefen rhetorischen Schwierigkeiten steckt. Beispiel: Wie kann ein barmherziger Gott künftige Generationen zu unendlichem Leid verurteilen, nur weil eine einzige Frau gegen einen ausdrücklichen Befehl einen Mann dazu gebracht hat, einen Apfel zu essen? Spitzfindiges Argument: Du verstehst eben nicht die subtile Lehre vom freien Willen. Oder: Wie konnte Gott es zulassen, daß die Anhänger des Judaismus, des Christentums und des Islam - die jeweils dazu angehalten sind, in geradezu heroischem Maße Barmherzigkeit und Mitgefühl an den Tag zu legen - so viele Grausamkeiten so lange verübt haben? Spitzfindiges Argument: Du verstehst wieder einmal nicht die Willensfreiheit. Und außerdem sind die Wege Gottes unergründlich.
- Etwas ohne Beweis voraussetzen oder etwas unterstellen. Beispiel: Wir müssen die Todesstrafe einführen, um vor Gewaltverbrechen abzuschrecken. Aber sinkt die Rate der Gewaltverbrechen tatsächlich, wenn die Todesstrafe verhängt wird? Oder: Die Aktienkurse sind gestern wegen einer technischen Anpassung und infolge von Gewinnmitnahmen der Anleger gefallen - aber gibt es irgendeinen eigenständigen Beweis dafür, daß »Anpassung« und Gewinnmitnahme eine derart ursächliche Rolle gespielt haben - haben wir überhaupt irgend etwas aus dieser vermeintlichen Erklärung erfahren?
- Die empirische Auswahl oder die Beschränkung auf die günstigen Umstände, oder wie es der Philosoph Francis Bacon formuliert hat: man zählt die Treffer und vergißt die Fehlschüsse.* Beispiel: Ein Staat rühmt sich der Präsidenten, die er hervorgebracht hat, verschweigt aber seine Serienmörder.
- Die Statistik der kleinen Zahlen - der empirischen Auswahl nahe verwandt. Beispiel: »Wie es heißt, sei jeder fünfte Mensch Chinese. Wie ist das möglich? Ich kenne Hunderte von Menschen, aber kein einziger davon ist Chinese. Hochachtungsvoll.« Oder: »Ich habe dreimal hintereinander die Sieben gewürfelt. Heute abend kann ich nicht verlieren.«
- Das Wesen der Statistik mißverstehen. Beispiel: Präsident Dwight Eisenhower ist erstaunt und beunruhigt, als er erfährt, daß die Hälfte aller Amerikaner eine unterdurchschnittliche Intelligenz haben.
- Innerer Widerspruch. Beispiel: Man stellt sich wohlweislich auf das Schlimmste ein, wozu ein militärischer Gegner imstande ist, ignoriert aber aus Sparsamkeit wissenschaftliche Hochrechnungen von Umweltgefahren, weil sie nicht »bewiesen« sind. Oder: Man schreibt die rückläufige Lebenserwartung in der ehemaligen Sowjetunion den Fehlern des Kommunismus vor vielen Jahren zu, aber niemals die hohe Säuglingssterblichkeitsrate in den USA (inzwischen die höchste unter den großen Industrienationen) den Fehlern des Kapitalismus. Oder: Man hält es für vernünftig, daß das Universum auch weiterhin in alle Ewigkeit existieren wird, hält aber die Möglichkeit für absurd, daß es auch eine unendliche Vergangenheit hat.
- Non sequitur (lateinisch »es folgt nicht«) - der Trugschluß. Beispiel: Unsere Nation wird die Vorherrschaft haben, weil Gott groß ist. Aber das behauptet jede Nation von sich - die deutsche Formulierung lautete »Gott mit uns«. Oft haben diejenigen, die sich einem Trugschluß hingeben, es einfach versäumt, andere Möglichkeiten wahrzunehmen.
- Das Argument post hoc, ergo propter hoc (lateinisch »es geschah danach, also wurde es dadurch verursacht«). Beispiel: Jaime Cardinal Sin, Erzbischof von Manila: »Ich kenne... eine Sechsundzwanzigjährige, die wie sechzig aussieht, weil sie die Pille nimmt.« Oder: Bevor Frauen wahlberechtigt waren, gab es keine Atombomben.
- Die sinnlose Frage. Beispiel: Was passiert, wenn eine unwiderstehliche Kraft auf ein unbewegliches Objekt trifft? Aber wenn es so etwas wie eine unwiderstehliche Kraft gibt, dann kann es keine unbeweglichen Objekte geben, und umgekehrt.
- Das ausgeschlossene Mittlere oder die falsche Dichotomie - es werden nur die beiden Extreme in einem ganzen Spektrum von Möglichkeiten betrachtet. Beispiel: »Natürlich, ergreif nur für ihn Partei - mein Mann ist vollkommen, ich habe immer unrecht.« Oder: »Entweder liebst du dein Land, oder du haßt es.« Oder: »Wenn Sie nicht ein Teil der Lösung sind, dann sind Sie ein Teil des Problems.«
- Kurzfristig kontra langfristig - gehört eigentlich unter die Rubrik des ausgeschlossenen Mittleren, ist aber so wichtig, daß ich es eigens herausstelle. Beispiel: Wir können uns kein Programm zur Ernährung unterernährter Kinder und zur Erziehung von Vorschulkindern leisten. Wir müssen uns dringend mit dem Verbrechen auf den Straßen befassen. Oder: Warum sollten wir den Weltraum erkunden oder Grundlagenforschung betreiben, wenn es so viele obdachlose Menschen gibt?
- Der gefährliche Weg, hängt mit der ausgeschlossenen Mitte zusammen. Beispiel: Wenn wir die Abtreibung in den ersten Schwangerschaftswochen erlauben, läßt sich die Tötung eines ausgewachsenen Säuglings unmöglich verhindern. Oder im Gegenteil: Wenn der Staat die Abtreibung sogar im neunten Monat verbietet, wird er uns bald sagen, was wir mit unseren Körpern um die Zeit der Empfängnis zu tun haben.
- Verwechslung von Korrelation und Ursache. Beispiel: Laut einer Umfrage sind mehr Menschen mit College-Abschlüssen homosexuell als Menschen mit einer geringeren Bildung - also macht Bildung die Menschen schwul. Oder: Erdbeben in den Anden treten immer dann auf, wenn der Planet Uranus der Erde am nächsten steht; daher verursacht letzteres ersteres - die Korrelation mit dem näheren, schwereren Planeten Jupiter wird dabei völlig außer acht gelassen.
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