Auswirkungen der geografischen Lage auf Handel, Wandel, Grenzen, Kontakte

rena8

Aktives Mitglied
Man sagt in der Immobilienbewertung gibt es 3 entscheidende Kriterien, 1. die Lage, 2. die Lage, 3. die Lage.

Gestern bin ich zufällig in einer TV-Doku über Srivijaya ? Wikipedia gelandet.
Um die Organisation zu beschreiben, wurde es als Hanse von Südostasien bezeichnet.
Seehandelsmächte hat es vor und nach der Hanse viele gegeben.
Im Mittelmeer Phönizier, Venedig, einige griechiche Stadtstaaten.
Bei den Nordsee- und Atlantikanrainern fallen mir spontan außer der Hanse, die Niederlande, Portugal, Spanien, England und die Waräger/Wikinger ein.

Ich habe mich gefragt, ob es weltweite Gemeinsamkeiten auch über alle Zeiten von Städten / Ländern gibt, die an Ozeanen liegen.
Eine geografische Lage, die meist eine traditionelle Nutzung des Meeres durch Muschelsuche, Fischfang zur Grundlage hat. Daraus folgt Boots- und Schiffbau und Handel.
Andererseits sind die Grenzen zum Meer durch die Natur klar bestimmt, also können die Bewohner es sich leisten, in diese Richtung weltoffener sein. Insofern wirkte ein Ozean vielleicht eher verbindend.

Kann man das bei Flüssen auch so feststellen?
In Europa liegen einige Staatsgrenzen in einer Flussmitte, z.B. im Rhein, schon während des römischen Reichs.
Geografisch ist ein Fluß eine ähnlich eindeutige Grenze wie das Meer.
Und wie ist das mit Gebirgen, Wüsten, Steppen, Sümpfen?

Was wirkt wann und wie als eindeutige Abgrenzung zu Nachbarn und führt zur Ausbildung eigenständiger Kulturen und was schafft Verbindungen durch notwendigen Handelsaustausch?

Ich habe die Fragen unter Wirtschaftsgeschichte gepostet, weil es keiner Epoche oder Weltgegend zuzuordnen ist.
Man könnte es auch zum Smalltalk verschieben, denn ich erwarte keine historischen Links, sondern Meinungen und Gedanken von Geschichtsinteressierten.
 
Wasserstraßen waren über viele Jahrtausende die schnellsten und sichersten Verkehrswege, die erst in der jüngsten Vergangenheit von vergleichsweise neuen Transportmitteln wie der Eisenbahn teilweise abgelöst wurden. Für den Transport von Massengütern wie zum Beispiel Rohstoffen oder Vorprodukten spielt auch heute die Binnenschifffahrt noch eine überragende Rolle, da sie den Transport von großen Gütermengen zu relativ günstigen Preisen bewältigen kann. Bei der Überbrückung von großen Entfernungen zum Beispiel Einfuhr von Waren aus Fernost spielt die internationale Handelsschifffahrt heute in einem immer globaleren Markt immer noch eine wichtig Rolle, da alle anderen Transportmittel viel zu kostenintensiv wären. Das gleiche gilt hier auch für die Einfuhr von Rohstoffen und Massengütern. Das alles spricht für mich eher für die von dir ins Spiel gebrachte verbindende Komponente vor allem von Seehäfen.

Dass Flüsse und vor allem Ströme schon immer natürlich Grenzen bilden, denke ich ist relativ logisch, da es für unsere Vorfahren ein erhebliches Problem gewesen sein dürfte Flüsse, wie Rhein, Donau, Wolga etc. zu überqueren, somit endete das Stammes-/Staatsgebiet einfach an dieser natürlichen Barriere. ME verhält es sich mit größeren Gebirgszügen genauso. Auch diese bilden für primitive(re) Gesellschaften fast unüberwindliche Hindernisse.
 
Wenn ich mir die Weltkarte anschaue und gedanklich die Seehandelsstädte / -nationen markiere, fällt mir auf, dass diese sich überwiegend auf Inseln, Inselgruppen und zergliederten Halbinseln (dazu zähle ich auch Europa) befinden.
Soweit logisch, wenig Hinterland, lange Küstenlinie, danach sollten auch Japan, Korea und die Karibik dazugehören, wovon ich bisher aber wenig gehört habe.
Die großen Kontinentalländer, wie China, Mitteleuropa, Afrika, Mittel- und Südamerika haben vielleicht aufgrund ihres reichen Hinterlandes auf eigenen Seehandel verzichtet und waren eher Zulieferer auch über die Flüsse.
Könnte man den Anfang dieser unterschiedlichen Handelsorientierung schon in der Frühzeit suchen?
So etwa, ein Fischer wird nicht leicht zum Bauern und ein Bauer baut so schnell keine Boote?
 
Auf Meeren und Ozeanen konnte man keine Zölle ein- oder Wegelagerei intensiv betreiben. Der Landweg kostete beim Transport entweder Unsummen an Durchfuhrzölle oder Verlust der Ware und Menschen durch Raub und Tod.
 
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Kann man das bei Flüssen auch so feststellen?
In Europa liegen einige Staatsgrenzen in einer Flussmitte, z.B. im Rhein, schon während des römischen Reichs.
Geografisch ist ein Fluß eine ähnlich eindeutige Grenze wie das Meer.
Und wie ist das mit Gebirgen, Wüsten, Steppen, Sümpfen?
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Grüezi rena

Als Bergler beurteile ich die Sache etwas anders. In der Schweiz kann man sehr schön erkennen, dass Flüsse und Seen ursprünglich etwas Verbindendes hatten. Im Mittelelter, als sich die Territorien der Kantone formten, bildeten sie den Kern der Kantone. Die Urkantone (Uri, Schwyz, Nidwalden) umfassen je ein Flusstal. Die Eidgenossenschaft formierte sich rund um den Vierwaldstättersee. Viele weitere Kantone (Wallis, Bern, Glarus, Graubünden...) umfassen im Wesentlichen ein Flusstal.
Interessant ist dann aber, dass die Aussengrenze der Schweiz (17. Jahrhundert) teilweise von Seen und Flüssen Rhein gebildet wird Rhein, Tessiner Seen, Genfersee...). Anscheinend änderte sich die Funktion der Gewässer, nun waren sie trennend und nicht mehr verbindend.

Gruss Pelzer

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Naja, @Pelzer in der Schweiz konnte man vor den ersten wasserbaulichen Maßnahmen problemlos über die Kiesbänke durch die Flüsse waten.
Bei den großen Strömen (Rhein, Donau) ist das anders. Sie trennen UND verbinden zugleich. Einmal markieren sie feste geographische Bezüge als Grenzlinie und sind schwer zu überwinden bzw. an Furten und Brücken gut zu kontrollieren. Andererseits sind sie ideale "neutrale" Transportwege zwischen zwei Territorien.
 
Naja, @Pelzer in der Schweiz konnte man vor den ersten wasserbaulichen Maßnahmen problemlos über die Kiesbänke durch die Flüsse waten.
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...da hast du zweifellos recht.
Im "Flachland" mag das anders sein. Aber bei uns sind die Flüsse und Seen eine Art Keimzelle der Staatsbildung gewesen.

Gruss Pelzer

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Bei den großen Strömen (Rhein, Donau) ist das anders. Sie trennen UND verbinden zugleich. Einmal markieren sie feste geographische Bezüge als Grenzlinie und sind schwer zu überwinden bzw. an Furten und Brücken gut zu kontrollieren. Andererseits sind sie ideale "neutrale" Transportwege zwischen zwei Territorien.

Ich sehe das im Großen und Ganzen genauso so. Bis auf die neutralen Transportwege. Hier sehe ich vordergründig die Erleichterung für alle Reisenden und insbesondere für Händler die Kostensenkung.
 
@El: Bis auf die neutralen Transportwege. Hier sehe ich vordergründig die Erleichterung für alle Reisenden und insbesondere für Händler die Kostensenkung.
Natürlich, das auch. Allerdings, sofern der Strom breit genug ist, konnte man ihn auch befahren, wenn ein oder beide Ufer "feindlich" gesinnt waren (Pfeilschussweite).
 
Auf Meeren und Ozeanen konnte man keine Zölle ein- oder Wegelagerei intensiv betreiben.

Das ist so nicht ganz richtig, so muß man 1.) betrachten, das die meisten Handelsschiffe jener Jahre allesamt nicht sehr Hochseefähig waren und somit immer in Küstennähe segelten und 2.) waren die Küstengliederungen in dieser Zeit auch noch ganz anders gestaltet.
Ein Beispiel der Wehrturm von Neuwerk, der erst ab Mitte 19.Jahrhundert zum Seezeichen umgebaut wurde. Nach seiner Erbauung im 14.Jahrhundert diente er als Wehr- und Zollturm für Schiffe die in die Elbe fuhren um nach Hamburg zu gelangen. Die Inselwelt zwischen Scharhörn und Neuwerk war damals auch noch etwas größer, es gab also noch mehr Insel zu dieser Zeit, somit war ein Umsegeln des Weges nach Neuwerk um nach Hamburg zu gelangen kaum möglich.
 
Bei den großen Strömen (Rhein, Donau) ist das anders. Sie trennen UND verbinden zugleich. Einmal markieren sie feste geographische Bezüge als Grenzlinie ...

Diese Ausgangshypothese kann ich ebenfalls unterstützen.

Ob man einen Fluß als "natürliche" Grenze ansieht (oder als metaphorische --> Rubikon), hängt hauptsächlich von den politischen Akteuren ab. Typisch ist die Frage, ob der Rhein eine solche Grenze war/ist; die französische Expansionspolitik gen Osten hat sich jahrhundertelang dieses Arguments bedient.

Sieht man das Problem aus der siedlungsgeschichtlichen Perspektive, tritt das Verbindende deutlicher hervor. Lewis Mumford (Die Stadt: Geschichte und Ausblick. München: DTV 1979) sieht im Vorhandensein eines Flusses eine überaus wichtige "dynamische Komponente der Stadt, ohne die sie an Größe, Reichweite und Produktivität nicht hätte zunehmen können [...]: das erste wirksame Mittel von Massentransporten, die Wasserstraße. Es ist ja kein Zufall, daß die ersten Städte in Flußtälern entstanden sind. Der Aufstieg der Stadt geht Hand in Hand mit Verbesserungen der Schiffahrt [...]" (S. 83).

Viele gerade der größten Städte sind ziemlich bald beiderseits von Flüssen expandiert, im Mittelalter etwa Paris und London und die Städte in den italienischen und flandrischen Ballungsräumen (siehe Leonardo Benevolo, Die Stadt in der europäischen Geschichte. Frankfurt: Büchergilde 1993, Kap. 2 und 3).

Gil-galad hat sicher Recht, wenn er auf das technische Problem hinweist (bzw. auf die Relation zwischen Barriere-Umfang und Technologie-Stand). Im europäischen Binnenland scheint das aber nur selten ausschlaggebend gewesen zu sein, jedenfalls dann, wenn sich die Herren beider Flußseiten über gewisse Modalitäten (Benutzungsrechte, Zollrechte usw.) einigen konnten.
 
Viele gerade der größten Städte sind ziemlich bald beiderseits von Flüssen expandiert, im Mittelalter etwa Paris und London und die Städte in den italienischen und flandrischen Ballungsräumen (siehe Leonardo Benevolo, Die Stadt in der europäischen Geschichte. Frankfurt: Büchergilde 1993, Kap. 2 und 3).

Ja, in Europa wurden Flußlagen eindeutig bevorzugt und das seit der Frühzeit Lepenski Vir ? Wikipedia, Nacheiszeitlich wurde Europa hauptsächlich über die Flüsse besiedelt, das erklärt die Bevorzugung.
Wassernähe gehört allgemein zu den Kriterien bei der Ortswahl einer Ansiedlung und wird immer die erste Wahl sein. Nur wenn Orte in Wassernähe schon besetzt sind, weicht man auf andere Lagen aus, dass hat @Pelzer für die Schweiz bereits dargestellt.

Gil-galad hat sicher Recht, wenn er auf das technische Problem hinweist (bzw. auf die Relation zwischen Barriere-Umfang und Technologie-Stand). Im europäischen Binnenland scheint das aber nur selten ausschlaggebend gewesen zu sein, jedenfalls dann, wenn sich die Herren beider Flußseiten über gewisse Modalitäten (Benutzungsrechte, Zollrechte usw.) einigen konnten.

Hauptsächlich interessierte mich, ob man unsere europäischen Lagekriterien verallgemeinern kann.
Bei Seehandelsstädten spricht vieles dafür.
Die beidseitigen Flußmetropolen finde ich auch im alten Ägypten, natürlich in Sumer und auch in Indien.

Peking kann ich nicht einordnen, nur in der Nähe des Meeres, in einer Flüsse durchzogenen Schwemmlandebene und von einer alten Seehandelsstadt Tokio weiß ich vielleicht nur nichts?


Bei Altamerika sehe ich weniger Parallelen, weder bei Küstenstädten noch bei Flußmetropolen aber immerhin lag Tenochtitlan am/in einem See.
 
Es gibt eine Hypothese über "potamus-Kulturen". Danach sind frühe Zivilisationen an Flusstäler gebunden (Nil, Euphrat, Indus usw.) Ich persönlich mag das nicht so wörtlich nehmen.
 
Viele gerade der größten Städte sind ziemlich bald beiderseits von Flüssen expandiert, im Mittelalter etwa Paris und London und die Städte in den italienischen und flandrischen Ballungsräumen (siehe Leonardo Benevolo, Die Stadt in der europäischen Geschichte. Frankfurt: Büchergilde 1993, Kap. 2 und 3).

Ich halte das für nur logistisch zwingend.

Eine Stadt ist an Wasserversorgung und Abwasserentsorgung gebunden,
was Rom sehr deutlich macht und auch den Aufwand , welchen man dazu
betreiben musste , falls die städtische Expansion eben so gewaltig wurde.
Wird das nicht sorgfältig bedacht und entwickelt , gibt es eine Seuchenanfälligkeit der Bevölkerung in höchster Risikostufe zB. für Cholera.

Und diese Problemlage muss auch in Ägypten und Mesopotamien, in Indien
und China bestanden haben.

Bei unseren späteren europäischen Grosstädten ( Paris, London) ist wohl
auch die langsamere Expansion gegenüber Rom auf den Verlust des techn.
Wissens/Könnens der Römerzeit zurückzuführen.
 
Es gibt eine Hypothese über "potamus-Kulturen". Danach sind frühe Zivilisationen an Flusstäler gebunden (Nil, Euphrat, Indus usw.) Ich persönlich mag das nicht so wörtlich nehmen.

Das ist ein guter Hinweis und finde ich, für die 3 genannten Flüsse und ein paar andere, auch soweit plausibel.
Das sind fruchtbare Flusstäler, die durch ihre Lage aber begrenzt sind. Da musste Mensch sich was einfallen lassen, Bewässerung, Terrassierung und vor allem ein soziales Gefüge, was die relativ hohe Bevölkerungsdichte "im Zaum hielt".
Ein Flusstal als Bedingung für eine frühe Hochkultur sehe ich aber nicht als zwingend.
In Anatolien, ein Hochland, findet man erste Kulturen im Flussschwemmland bei Catal Höyük oder in Obermesopotamien, da es gibt zwar Flüsse, diese sind aber nicht der Besiedlungsmittelpunkt.
Und China, begann es da auch an den Flüssen?

In Altamerika sehe ich da nur den Amazonas, vielleicht wissen wir dort auch zu wenig über die Anfänge.
Es scheinen dort Gebirge oder besser Hochebenen oder einzelne hohe Berge eine Rolle zu spielen.
In einer feuchtheißen Tropenregion kann ich mir durchaus vorstellen, dass Hochebenen bevorzugte Lagen sein können, erlauben sie oft den Anbau von Spezialkulturen und sind angenehmer / es gibt weniger Probleme mit Malaria und anderen Tropenkrankheiten.
@Treibsand Cholera gehört bestimmt dazu, (erst jetzt gesehen)

Nordindien könnte dafür ein Beispiel sein oder ostafrikanische Hochländer.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich möchte diesen Faden gern wieder aufnehmen, wobei diesmal Steppen und Halbwüsten zu betrachten wären.
In anderen Threads werden parallel die Mongolen, Turkvölker und mal wieder die Indogermanen erörtert.

Im Gegensatz zu Flusstälern, Schwemmlandebenen und anderen Garten- und Ackerbaulagen sind Steppen- und Halbwüsten doch eher 1-B-Lagen, weil die kontinuierliche Wasserversorgung fehlt.

Sie waren und sind eher dünn besiedelt und verlangen eine angepaßte, mobile Bewirtschaftung, die sich vor allem auf Tierhaltung stützt. Zum Erwerb anderer Güter war Austausch, Handel, manchmal auch Raub notwendig.

Kann man bei diesen Hirtennomaden-Kulturen vielleicht auch weltweite und zeitübergreifende Gemeinsamkeiten in Kultur, Religion und Expansionsverhalten finden?
 
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