Hof- versus Bauerntanz?
Über den profanen, volkstümlichen Tanz des MA schreibt Sibylle Dahms (
Tanz. Bärenreiter-Verlag, 2001), daß er eine deutliche Tendenz zum gesprungenen Reigen zeige und erst ab dem 13. Jh. zum Paartanz. Motivation war der Jahreskreis, insonders der Frühling mit möglichen Rekurs auf althergebrachte Fruchtbarkeitsriten; es wurden im Freien getanzt: auf dem Dorfanger oder um die Linde im Dorfe oder einen Brunnen, ab dem 14. Jh. auch in Tanzhäusern. Wie kommt die Autorin beispielsweise auf das Tanzen um Dorflinde? In bezug auf die Angaben der Plätze scheint Franz M. Böhmes
Geschichte des Tanzes in Deutschland von 1886 maßgeblich zu sein, das ich mir in einem Wiederabdruck im Olms-Verlag (1967) ausgeliehen habe: „Jedes Dorf hatte seine Linde, um den der Reigen sich drehte“ (Böhme I, S.37); als Quellen werden genannt die von Friedrich Heinrich von der Hagen herausgegebene Sammlung von Minnesinger-Handschriften, wobei freilich nicht leicht herauszufinden ist, was mit MSH. III, 199b und 187b im weiteren genau gemeint ist, weil die Jahresangabe der Sammlung (1838) schon zu Böhmes Zeiten überholt war (vgl.
https://portal.d-nb.de/opac.htm?method=showFirstResultSite¤tResultId=partOf%253D451767764%2526any&selectedCategory=any); vielleicht ist hier jemand fündiger als ich:
http://books.google.de/books?id=D4u1Ilo4v0kC&printsec=frontcover&source=gbs_book_other_versions_r&cad=1_2#PPR4,M1
Nichts desto weniger sei bezüglich der Tanzgeschichte gerade die Darstellung Böhmes dringendst empfohlen. Was Sachs für die Zusammenstellung der Sekundärliteratur zur Tanzgeschichte geleistet hat, hat Böhme bezüglich der Zusammenstellung der Quellen geleistet. Vielleicht als ein kleiner Eindruck etwas im Hinblick auf die Ausgangsfrage vom Legat:
Bezüglich des höfischen Tanzes gibt Sibylle Dahms das Tanzen in geschlossenen Räumen an – ebenso schon Böhme (a. a. O.) freilich ohne Literaturangabe – und „in maßvolle, schleifenden, am Boden haftenden Schritten [...] in Reigenform oder in Paaren“ (2001, S.53) an. Ihr Abbildungsnachweis erscheint mir freilich auf eine Tanzszene aus dem 16. Jh. (Kupferstichserie von Johann Theodor de Bry) irreführend und wie bereits bemerkt, habe ich so meine Zweifel bei einer Gegenüberstellung von Bauern- und Hoftanz in den früheren Epochen des Mittelalters. Bei Böhme selbst finden sich zwar Andeutungen in die Richtung einer solchen Dichotomie, aber als Tanzhistoriker des 19. Jhs., der die Quellen gründlich studiert hat, weiß er eigentlich besser:
So zitiert Böhme selbst an einer Stelle (S.24 nach Bodmer) den Schenk Konrad von Landegge (
http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Landeck,_Konrad_Schenk_von):
[FONT=Franklin Gothic Medium, sans-serif]Wir son tanzen, wir son springen, wir son fröhlich reigen, wir son singen.[/FONT]
Mir scheint, als würde im Hintergrund die Überlieferung eines gewissen Teichners im
Liederssaal überbewertet, der um 1370 „das wilde Tanzen als einen von den Bauern auf den Adel übergegangenen Unfug [rügt]“ (Böhme I, S.34) Nun ist es nicht unbedingt redlich, eine Quelle lediglich gegen eine andere andere willkürlich auszuspielen. In einer Hausarbeit heißt es:
„Eine neuere Veröffentlichung zu diesem Thema ist Joachim Bumkes Werk
Höfische Kultur [2 Bde. 1986]. Bumke weist in seinen Ausführungen darauf hin, daß wir insbesondere über die höfischen Tänze des 12. und 13. Jahrhunderts sehr schlecht unterrichtet sind. Gründe hierfür sieht Bumke einerseits in der ungünstigen Quellenlage (Lehrbücher der Tanzkunst hat es erst im 15. Jahrhundert gegeben) andererseits aber auch darin, daß die Zeugnisse, die hauptsächlich aus der höfischen Dichtung stammen, noch nicht in angemessener Weise ausgewertet wurden.“
http://www.grin.com/e-book/29317/der-tanz-zur-zeit-des-minnesangs.
Nun, wenn auch nicht in erschöpfender Weise, aber eine durchaus umfassende Auswertung hatte meinem Eindruck gemäß schon ein Autor, der hundert Jahre vor Bumke publizierte, gemacht! Interessant wäre in meinem Zusammenhang nun aber dann doch zu fragen: Wie ernst ist Neidhart überhaupt zu nehmen, wenn er von bäuerlichen Tänzen à la Hoppaldei berichtet und fragt:
[FONT=Franklin Gothic Medium, sans-serif]wer gap in die windikeit, daz sie in der Spielstuben hovetanzen künnen?[/FONT]
Oder mit anderen Worten vermute ich zumindest, daß man Neidhart überhaupt nicht wörtlich nehmen darf: Tanzten die Bauern nicht einfach so wie am Hofe, den Neidhart aber sich gerne „züchtiglich“, „sachte“ - wie Teichner sagen würde - tanzend zu sehen wünschte?
Freilich kenne ich mich mit modernen Neidhartinterpretation in keinster Weise aus, daher will ich die Überlegung indirekt überprüfen, und zwar indem ich der Frage nachgehe, ob die Quellen belegen, daß man am Hofe eben nicht – wie angeblich vornehmlich im Bauerntanze – gesprungen sein sollte. Dazu finde ich natürlich nicht unbedingt Eindeutiges bei Curt Sachs, aber immerhin zitiert er aus (wohl Konrad von Würzburgs) Trojanischem Krieg:
[FONT=Franklin Gothic Medium, sans-serif]Ez ward nie schöner reige/ gemachet [...] lîs ûf den füezen slîfen/ und dar nâch balde springen[/FONT].
Und nach Sachs läßt dieses „Zeugnis des 13. Jahrhunderts [...] kaum einen Zweifel, daß innerhalb des gleichen 'Reigens' auf einen schleifenden Teil
balde, daß heißt 'sogleich', ein Springtanz folgt. Hier sind die klassischen Paare Vortanz-Nachtanz, Basse danse-Tordion,* Pavane-Galliarde vorbereitet.“ (Sachs, [1933] 1976, S.190) Hüpf- oder Sprintänze, diese waren für Teichner das Gegenteil der „züchtiglichen Tänze“; hier wäre neben schon genannten der Ridewanz zu erwähnen,** oder auch der französische Virelai (>Firlefanz), wobei aber auch nicht viel mehr als die Namen bekannt wurden und es wird dann noch komplizierter, daß auch von Tret- oder Trabtänzen gesprochen wird, was bei Sachs aber keine eindeutige Systematik ergibt. Vielleicht dazu wann anders eine Fortsetzung.
* auf der nächsten Seite: „Bassadanza und Saltarello“ (S.191) – an anderer Stelle heißt es auch: daß der Tourdion „nicht anderes als eine Abart der Galliarde“ sei (S.242)
** Der Name leitet sich von „ritwân“ wenn nicht von der altfranzösischen Rotruenge (< provenzalisch: Retroensa?) her.