Als Orte Städte wurden

Ja, es gibt verschiedene Kriterien der Einteilung in diverse Siedlungsformen.

1. Nicht die Größe an sich, sondern die Einwohnerungszahl:
2000 - 5000 Landstadt
5.000-19.999 Kleinstadt
20.000-99.999 Mittelstadt
über 100.000 Großstadt
Städte mit über einer Million Einwohner werden als Millionenstädte bezeichnet.
Und was nutzt uns diese Einteilung für das 10. Jh.?:grübel:
2000 Einwohner dürfte bsw. kaum eine Stadt in Brandenburg noch im Hochmittelalter gezählt haben. Eine Stadt mit 10.000 Einwohner war noch um 1500 sehr groß, gerade in Deutschland.
 
Und was nutzt uns diese Einteilung für das 10. Jh.?:grübel:
2000 Einwohner dürfte bsw. kaum eine Stadt in Brandenburg noch im Hochmittelalter gezählt haben. Eine Stadt mit 10.000 Einwohner war noch um 1500 sehr groß, gerade in Deutschland.
Wie man in folgendem Link sieht, gab es im Mittelalter eher die Einteilung nach Anornung der Gebäude und Siedlingsform. Beispiel ist hier Hamburg, das sich um 808 an dem bereits bestehenden Dorf Hamm entwickelte. Die entstehende Festung wird 832 als Hammaburg erwähnt. http://www.deutsche-staedte.com/hamburg/geschichte.html

Die Ortsnamen und deren Veränderung geben oft Hinweise darauf, welche Siedlungsform vorherrschend war bzw sich bis zum Spätmittelalter entwickelt hatte.

Um 950 hatte Hamburg noch etwa 500 Einwohner.
 
Ich mag mich irren, aber wie ich beim Lesen der heutigen Beiträge festgestellt habe, müssen wir unbedingt die Definition einer Stadt mit der minimal notwendigen und der maximal möglichen wissenschaftlichen Schärfe versehen. Hierbei wird es interdisziplinär, da sich in diesem Punkt die Gebiete der Siedlungsgeographie und andere - wie bspw. auch Kulturgeschichte - berühren.

Stadt ? Wikipedia versucht bereits im Einleitungsteil des Artikels die diesbezüglich relevanten Kriterien zu erfassen - soweit ich es beurteilen kann, waren die Autoren dabei auch recht präzise und haben mehrere Faktoren berücksichtigt:
http://de.wikipedia.org/wiki/Stadt schrieb:
Eine Stadt (von althochdt.: stat = Standort, Stelle; etymologisch eins mit Statt, Stätte...) ist eine größere, zentralisierte und abgegrenzte Siedlung mit einer eigenen Verwaltungs- und Versorgungsstruktur im Schnittpunkt größerer Verkehrswege. Damit ist fast jede Stadt zugleich ein zentraler Ort. Ihre Einwohnerschaft kann ethnisch, sprachlich, sozial, kulturell, konfessionell usw. sehr vielfältig sein.

Städte sind aus kulturwissenschaftlicher Perspektive der Idealfall einer Kulturraumverdichtung und aus Sicht der Soziologie vergleichsweise dicht und mit vielen Menschen besiedelte, fest umgrenzte Siedlungen (Gemeinden) mit vereinheitlichenden staatsrechtlichen bzw. kommunalrechtlichen Zügen wie zum Beispiel eigener Markthoheit, eigener Regierung, eigenem Kult und sozial stark differenzierter Einwohnerschaft. Das Letztere unterscheidet sie von Lagern (Arbeitslagern, Straflagern, Winterquartieren von Heeren u. Ä.), das Erstere z. B. vom Dorf...

Einige zusätzliche Anmerkungen noch dazu...

1. Mit der absoluten Größe nach Einwohnerzahl brauchen wir in der Tat nicht zu argumentieren, da es heutzutage bspw. Städte mit weniger als 1000 Einwohnern und andererseits nichtstädtische Gemeinden mit mehr als 1000 Einwohnern (man schaue dazu z.B. in den Erzgebirgskreis) gibt. Desweiteren war ein Ort mit 10000 Einwohnern im europäischen Mittelalter eine Großstadt - wie von Brissotin bereits korrekt ausgeführt wurde.
Die Stadtgröße nach absoluter Einwohnerzahl hilft nur bzgl. der Einordnung als Klein-, Mittel- und Großstadt; und diese Einordnung muß wiederum relativ gemessen an der jeweiligen Epoche erfolgen.

2. Ebenfalls kein taugliches Argument stellt - so kurios dies auf den ersten Blick erscheinen mag - der Punkt der kommunalen Selbstverwaltung (die schon angesprochene kommunale Selbstorganisation ist ein Aspekt davon) dar, denn deren Wurzeln liegen vorrangig nicht in der Selbstverwaltung griechischen und römischen Typs (die übrigens auch in der byzantinischen und arabisch-islamischen Welt so nicht erhalten blieb), sondern in der germanischen Dorfgenossenschaft. Diese Selbstverwaltung im genossenschaftlichen Sinn kam in der mittelalterlichen Stadt erst ab dem Hochmittelalter wieder zum Tragen und wurde übrigens in absolutistischer Zeit erneut zurückgedrängt, ehe sie nach 1800 in der Form garantiert wurden, auf deren Tradition unsere heutige kommunale Selbstverwaltung beruht (unterbrochen natürlich durch die Diktaturen des 20. Jh.). Würden wir jedenfalls die kommunale Selbstverwaltung pauschal als Argument anwenden, so hätte es im heutigen Deutschland nicht nur vor dem Hochmittelalter keine Städte gegeben, sondern ebenso nicht in absolutistischer Zeit oder bspw. auch während der Zeit des Nationalsozialismus.

3. Dankenswerterweise hat R.A. nochmals nachdrücklich auf den ebenfalls eher untauglichen Punkt des Stadtrechts verwiesen - hierzu möchte ich nochmals das Kölner Beispiel bemühen: das Stadtrecht von Köln stammt nämlich nicht aus dem Mittelalter, sondern noch aus römischer Zeit (daher auch der Name Colonia Claudia Ara Agrippinensium - obgleich andererseits das mittelalterliche Köln nicht als Weiterentwicklung der Römerstadt, sondern als Neubildung im 10. Jh. - Zusammenlegung aus alter Römerstadt und vormals außerhalb gelegener Handelssiedlung - zu charakterisieren ist); im Jahre 1475 wurde die Stadt offiziell Freie Reichsstadt, wobei damit eigentlich ein Zustand seit 1288 sanktioniert wurde. Mittelalterliche Stadtrechte u. dgl. wurden tatsächlich vergeben, als man bestimmte Privilegien u.ä. zu Grunde legen konnte, und waren durchaus auch eine offizielle Bestätigung eines Zustandes, der mitunter schon jahrhundertelang währte.
 
2.) Größe
Das wurde bisher gar nicht genannt
Auf das Merkmal Größe hatte ich schon mal beiläufig hingewiesen, aber das ist mir nicht so wichtig. Eher das
(auch weil frühe Städte nach unseren Maßstäben gerade zu ärmliche Bevölkerungszahlen hatten).
Für Deutschland mag das stimmen, aber international nicht so unbedingt
http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_gr%C3%B6%C3%9Ften_St%C3%A4dte_der_Welt_(historisch)
Es gibt in wikipedia noch eine Liste mit der Bevölkerungsentwicklung verschiedener alter Städte. Die finde ich aber gerade nicht.
Dass ein Bischof seinen Sitz dort hatte, ist für mich durchaus ein Kriterium für Urbanität. Auch in antiken Städten gehörte die Priesterkaste zum städtischen Leben.
Selbstverwaltung zu verlangen halte ich für etwas problematisch angesichts der antiken Städte.
 
Die Einwohnerzahl ist nun wirklich kein Kriterium, dass für die Definition einer Stadt im Mittelalter eine Rolle spielt. Es gab, v.a. ab dem 12./13. Jhdt. unzählige Orte mit Stadtrecht, die kaum 100 Einwohner zählten.

Zur allgemeinen Definition von "Stadt" zitiere ich mal aus Erich Bayer's Wörterbuch zur Geschichte (4. Aufl., Stuttgart 1974):
«Stadt, allgem. der in einer Landschaft, einer Herrschaft, einem Staat verkehrsgünstig, oft zentral gelegene Sammel- und Knotenpunkt von Handel und Gewerbe, Regierung, Verwaltung, Militär und Kult, der häufig zum allgemeinen kulturellen Mittelpunkt eines Volkes wird. (...)»

Es lässt sich wohl kaum ein genauer Zeitpunkt festmachen, ab wann eine Siedlung zur Stadt wird. Als Beispiel sei hier St. Gallen erwähnt:
Das berühmte Reichskloster entstand im 7./8. Jhdt., im 9. Jhdt. wurde es durch eine Abtspfalz, die wahrscheinlich auch dem reisenden König als Aufenthaltsort diente, ergänzt und es entstand eine Siedlung darum herum. Im 10. Jhdt. wurde diese Siedlung bereits befestigt (Zeit der Ungarneinfälle). Im späten 10. Jhdt. erhielt die Befestigung steinerne Mauern mit 13 Türmen und mehreren Toren – in den zeitgenössischen Quellen als «vallos urbis» bezeichnet. Ein Marktrecht ist im 12. Jhdt. sicher nachgewiesen, erste bürgerliche Freiheiten bekamen die dem Fürstabt unterstellten St. Galler aber erst durch König Rudolf von Habsburg.

M. E. darf St. Gallen - das auf keinerlei römische Ursprünge zurückblicken kann – aber trotzdem bereits im 10. Jhdt. als Stadt bezeichnet werden.
 
Die zitierten Definitionen von @timotheus sowie seine Ausführungen dazu und @saladin helfen auf jeden Fall weiter.
Sie sind in @R.A. Kriterien aber bereits enthalten.

Ich sehe drei wesentliche Kriterien:

1.) Service für das Umland.
"Service" mal recht allgemein gehalten, dazu gehören Roveres Stichworte "arbeitsteilige Gesellschaft, Geldwirtschaft, Warenumschlag" oder Balticbirdys "überregionaler Handelsplatz / administrative Strukturen / Vorhandensein spezialisierter Handwerker".
Ich würde noch Funktionen wie Gerichtsbarkeit, Politik, Bildung oder Kultur nennen.
Wobei natürlich selten alle diese Aspekte erfüllt sind.

Aber wichtig ist eben, daß die Stadt nur mit einem Umland denkbar ist, dem sie Funktionen anbietet (auch Städte mit überregionaler Bedeutung / Fernhandel haben erst einmal ein regionales Umland).

Die Umlandbewohner kommen in die Stadt, um dort zu handeln, weltlichen oder religiösen Spektakel mitzuerleben, eine Schule zu besuchen etc.

Demgegenüber ist ein Dorf eigentlich nur auf sich selber bezogen. Es muß vielleicht Steuern oder Spanndienste nach außen liefern, aber das ist nicht wesentlich, das Dorf käme natürlich auch ohne diese Außenkontakte aus (sogar besser ;-).
Wo Dorfbewohner nicht als selbstversorgende Bauern tätig sind (Schmied, Müller, Pfarrer ...), sind sie im wesentlichen auch nur für das Dorf tätig. Wenn über einem gewissen Maß solche Tätigkeiten auch für Nachbardörfer angeboten werden, ist das Dorf schon auf dem Weg zur Stadt.

Den Punkt Service für das Umland halte ich bes. durch die Abgrenzung zum Dorf für sehr gut ausgeführt.
Sprechen wir hier nur vom 10. Jhdt. oder insges. vom frühen Mittelalter?
Die anfangs genannten Wikingerhandelsplätze Haithabu, Vineta existierten früher, vielleicht kann ich an diesen Beispielen mein Problem am besten verdeutlichen.
Den Punkt Administration/Verwaltung kann ich mir in den frühmittelalterlichen Städten nicht recht vorstellen.
Rechtssprechung angelehnt an germanische Thingordnung oder weiter westlich an römisch/christliche Ordnung schon eher.
Wenn die Stadt sich um Bischofs- oder Fürstensitz bildete, wurde die Rechtssprechung und Verwaltung von der kirchlichen oder weltlichen Obrigkeit durchgeführt, Strafen konnten durchgesetzt, Steuern eingetrieben werden.
Wie funktionierte Verwaltung aber in Haithabu, irgendwie habe ich da so ein Bild von Wildwest-Frontstadt?


2.) Größe....
3.) Veränderungsbereitschaft
Zuletzt will ich ein "weiches" Kriterium umschreiben, das ich für die Mentalität der Städter wichtig halte.

Zur Grundidee eines Dorfes gehört eigentlich, daß sich über die Generationen nichts wirklich ändert. Insbesondere leben im Dorf nur Leute, die dort geboren wurden oder einen dort Geborenen geheiratet haben. in der Praxis gibt es natürlich immer wieder auch Zuzügler - aber diese Ausnahmen gehören nicht zum geistigen Konzept "Dorf".

Im Gegensatz dazu gehört zur Grundidee einer Stadt, daß sie wachsen und sich verändern kann. Neue Leute kommen in die Stadt (auch wenn sie nicht unbedingt bald Bürgerrecht bekommen), die Stadt ist grundsätzlich bereit, mit dieser Veränderung und den Folgewirkungen fertig zu werden.
Auch wenn erst später Rechtskonstrukte wie "Stadtluft macht frei" diesen Prozeß formalisierten, gehörte m. E. die grundsätzliche Offenheit für Zuzug von Anfang an zur Idee einer Stadt.
Ein Mensch zieht nicht (oder fast nie) von einem Dorf in ein anderes, auch nicht von der Stadt in ein Dorf - sondern fast immer von einem Dorf in die Stadt.

Vielen Dank R.A. für diesen wichtigen Punkt. Gesamtgesellschaftlich beschreibt er die Notwendigkeit zu einer anderen Organisationsform bei wachsender Bevölkerungszahl und begrenzter Anbaufläche.
 
Im Frühmittelalter gab es im Gebiet des heutigen Deutschlands östlich des Rheins, Skandinaviens und Osteuropas noch keine eindeutigen Herrschaftsstrukturen.
Wie wirkte sich dieser Umstand auf den Übergang vom Dorf zur Stadt aus?

Die in http://www.geschichtsforum.de/f77/zeitliche-abgrenzung-fr-h-hoch-und-sp-tmittelalter-6507/ diskutierten regionalen Abgrenzungen von Antike, Früh- und Hochmittelalter könnte man für die Entstehung der Städte mE heranziehen.
 
Die Einwohnerzahl ist nun wirklich kein Kriterium, dass für die Definition einer Stadt im Mittelalter eine Rolle spielt. Es gab, v.a. ab dem 12./13. Jhdt. unzählige Orte mit Stadtrecht, die kaum 100 Einwohner zählten.
Mit meinem Hinweis auf historische "Großstädte" wollte ich nicht sagen, dass nur so große Siedlungen als Städte gelten könnten. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass es anderswo auch solche gab. Die Einwohnerzahl ist aber mMn schon ein Kriterium. Allerdings nicht im absoluten Sinn, dass eine bestimmte Zahl überschritten sein müsste, sondern relativ zum Umland bzw. zu anderen Siedlungen, die als Städte angesehen werden. Nur dann können die Funktionen erfüllt werden, die in deinem Zitat angeführt sind.
Zur allgemeinen Definition von "Stadt" zitiere ich mal aus Erich Bayer's Wörterbuch zur Geschichte (4. Aufl., Stuttgart 1974):
«Stadt, allgem. der in einer Landschaft, einer Herrschaft, einem Staat verkehrsgünstig, oft zentral gelegene Sammel- und Knotenpunkt von Handel und Gewerbe, Regierung, Verwaltung, Militär und Kult, der häufig zum allgemeinen kulturellen Mittelpunkt eines Volkes wird. (...)»
MMn geht die Definition nur über die Funktionalität, weil es (außer den übrig gebliebenen römischen) keine formellen Stadtrechte gab zu der Zeit, um die es hier geht.

Wie funktionierte Verwaltung aber in Haithabu, irgendwie habe ich da so ein Bild von Wildwest-Frontstadt?
Eine Selbstverwaltung mit Ratsverfassunfg etc. gab es damals noch nicht. Einiges über die Verhältnisse, auch die Herrschaftsverhältnisse, in Haithabu gibt es unter diesem Link
http://www.missunde.hhm.de/haithabu.htm
 
Zuletzt bearbeitet:
Es ist hier schon sehr viel Bedenkenswertes zusammengetragen worden - vielen Dank! Dazu vier ergänzende Aspekte bzw. Paraphrasierungen:

1. Fallgruppen

Leonardo Benevolo (Die Stadt in der europäischen Geschichte) lässt, wie die meisten, die Bildung eines neuen Städtesystems im 10. Jahrhundert beginnen. Er betrachtet die Entwicklung anhand von drei geographisch-politischen Fallgruppen (S. 64):

  • die Gebiete im Mittelmeerraum, die in klassischer Zeit städtisch besiedelt waren
  • Süditalien und Spanien, die unter dem Einfluß byzantinischer bzw. arabischer Stadtmodelle standen
  • die Gebiete zwischen Loire und Rhein, Deutschland, England, die skandinavischen und slawischen Länder
2. Äußeres Erscheinungsbild

Benevolo hebt aus städtebaulicher Sicht folgende Merkmale der Stadt nach dem 10. Jh. hervor (S. 61 ff.):

  • Öffentliche und private Gebäude sind zweckmäßig positioniert. Sie bilden einen "öffentlichen Raum".
  • Die soziale Ordnung ist komplex und wird durch ein Gleichgewicht zwischen verschiedenen Machtträgern geprägt.
  • Die Stadt ist räumlich konzentriert, d. h. sie "bedeckt eine möglichst geringe Fläche, wobei die Mitte die höchste Anziehungskraft besitzt"
  • Die Stadt entwickelt sich dynamisch, d. h. sie bleibt "immer unvollendet".
3. Soziologisch-ökonomischer Aspekt

Max Weber hat, wie zu vielem anderem, auch zum Stadtbegriff Erhebliches ausgeführt. Er sieht zwei entscheidende Merkmale (Wirtschaft und Gesellschaft, S. 727 f.):

  • Vorhandensein eines grundherrlichen, vor allem eines Fürstensitzes als Mittelpunkt, für dessen ökonomischen oder politischen Bedarf unter Produktionsspezialisierung gewerblich gearbeitet wird und Güter eingehandelt werden
  • Bestehen eines nicht nur gelegentlichen, sondern regelmäßigen Güteraustausches am Ort der Siedlung als ein wesentlicher Bestandteil des Erwerbs und der Bedarfsdeckung der Siedler: eines Marktes
Noch das preußische Allgemeine Landrecht (ALR 1794, Teil II, 8. Titel, § 86) formuliert diesen Aspekt so: "Städte sind hauptsächlich zum Aufenthalt solcher Einwohner des Staats bestimmt, welche sich mit der Verarbeitung oder Verfeinerung der Naturerzeugnisse, und mit dem Handel beschäftigen." Interessanterweise drehen sich die folgenden §§ um besondere Ausprägungen des Stadtrechts, nämlich um die sog. "Bannmeile" und um das "Marktrecht" - Verwaltungsaspekte (Magistrat usw.) kommen erst danach.

4. Stadtrecht

Das Stadtrecht ist sicher kein "objektives Kriterium". Seine Bedeutsamkeit ergibt sich aus einem sehr vordergründigen, positivistischen Argument: Stadt ist, wer - warum auch immer - von einer dazu legitimierten Instanz als Stadt anerkannt oder mit Stadtrechten beliehen wird.

Diesen Gedanken hält noch das ALR fest (§ 87): "Das Stadtrecht kann von niemanden als dem Oberhaupte des Staats ertheilt werden.")
 
Mich erinnert die Diskussion "fatal" an Grabenkämpfe vergangener Jahrhunderte: Waren keltische Oppidia schon Städte? Sie integrierten doch bereits (die meisten/alle) Kriterien von mittelmeerischen Städten, warum also waren/sollten sie welche/keine sein?

Die klassiche, griechische Stadt gilt immer als Ideal. Eine römische Civitas unterschied sich dennoch von einer griechischen Polis. Trotz des bekannten Umfangs großer Siedlungen des alten Orients (vor dem Hellenismus) wurden/werden noch immer Kriterien aufgestellt, warum etwa altägyptische Siedlungen eben nicht den Status einer Stadt verdienen sollten. Begriffe wie Tempelstädte u.ä. wurden zur Abgrenzung aufgestellt. Natürlich sind viele der damals gebrauchten Argumente noch immer richtig und daher auch im Gebrauch, doch sollte man nicht zu enge Grenzen ziehen.

Der Beitrag von jschmidt bringt es recht gut auf den Punkt. Was Stadtrecht ist/enthalten sollte und mithin eine Stadt definiert/definierte, ist zu verschiedenen Zeitaltern unterschiedlich angesehen worden. Es setzt auch Gemeinsamkeiten voraus, die nicht selbstverständlich sind:
- Vor dem Hellenismus, als Vorbild auch römischer Vorstellungen, war eine griechische Polis auch gleichbedeutend mit einer autonomen Herrschaft eines Stadtstaates. Unter Tyrannen, oder fremden Königen ausgesetzt zu sein schränkte die Vorstellung einer Stadt deutlich ein.
- Im Hellenismus wurde eine Form gefunden, die Oberherrschaft über eine Stadt mit dem Gedanken einer freien Polis aussöhnte. Durch gemeinsame Vorstellugen enthielt die Vorstellung einer Stadt auch einen "Kanon" von Einrichtungen, die eine Polis ausmachen sollte. Dazu gehörte neben einem sich (weitgehend) selbst ergänzenden Rat (Selbstverwaltung), einer Stadtmauer (als abgegrenzten Rechtsbezirk: Siehe auch die Ackerfurche des Romulus bei der Gründung[ssage] Roms, welcher sein Bruder Remus mit tötlichen Folgen verlachte) und diversen städtischen Einrichtungen (Gebäuden e.t.c.)... Eine noch so große Ortschaft, die solches nicht vorweisen konnte, erhielt in den griechischen Diadochenreichen und auch im Römischen Reich eben (noch?) nicht das Prädikat Stadt zuerkannt. Die Römischen Kaiser verliehen die unterschiedlichen Grade von "Stadtrechten" ebenso, wie sie Städten nach "falschem Verhalten" auch diese Rechte wieder entziehen konnten. Bekanntestes Beispiel dürfte Alexandria sein, welches einst eine hellenistische Gründung gewesen ist (mithin eine Polis, was gewöhnlich durch Rom respektiert wurde), das Recht auf einen eigenen, freien Rat (Boule) aber durch den alexandrinischen Krieg jedoch entzogen bekam. Dabei galt Alexandria unter römischer Herrschaft als eine der größten und volkreichsten Siedlungen! Ein m.E. schlagendes Beispiel für unser Thema!
- Die mittelalterliche Stadt, welche sich erst nach dem Frühmittelalter ausprägte, kennt ebenso gemeinsame Mindeststandarts, wie die oben angesprochene Definition. Diese decken sich eben nicht (vollständig) mit jenen antiken Anforderungen. Schon gar nicht ist die Erfüllung vieler städtischer "Mindestanforderungen" im arabisch dominierten Raum jener Zeit zu erwarten. Dennoch scheuen wir uns nicht sie trotzdem als Städte zu bezeichnen! Die mittelalterliche Stadt mit ihrem Wertekanon lebte im Wechselspiel von den beiden bekannten und anerkannten übergeordneten Institutionen: Der christlichen Kirche und der Territorialherrschaft (von Adel oder Kirche). Man verfällt leicht dem Fehler, "Freie Reichsstädte" zu definieren und damit andere städtische Zentrenn auszugrenzen. Damalige Stadtrechte waren trotz vieler Gemeinsamkeiten doch zu verschieden! Man unterschied nicht zuletzt den Grad der Selbstverwaltung, denn eine Territorialstadt mit einem weltlichen Herren (egal ob Bischof oder Graf) war nun einmal nicht in vollkommener Selbstverwaltung. Die Selbstverwaltung (Grad unterschiedlich) war immer so etwas wie ein Gründungsakt, besiegelt durch Verleihung eines Grundherren/Fürsten/Königs...

Man sollte das bedenken, ehe hier zu enge Grenzen gezogen werden, was eine mittelalterliche Stadt vor dem 10.Jht ausmachen könnte. Erst recht, wenn gar arabisch beherrschte Städte mit zum Vergleich herangezogen werden sollten..
 
Mich erinnert die Diskussion "fatal" an Grabenkämpfe vergangener Jahrhunderte:
So martialisch habe ich die Diskussion bisher nicht empfunden, sondern im Großen, Ganzen als recht gesittet, und mit dem Ziel gerade das herauszufinden:
... was eine mittelalterliche Stadt vor dem 10.Jht ausmachen könnte.
Dankenswerterweise hast du auch ein paar Gedanken beigetragen.
 
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