Menschenopfer in der Antike

Mummius Picius schrieb:
die Barkiden erobern als "Familienunternehmen" Spanien; andere Städte scheinen ebenfalls "Privatbesitz" (z. B. Mago auf Menorca) gewesen zu sein.
Hamilkar blieb ständig im kontakt mit dem Rat in Karthago. Es mag seine Idee und durch ihn geleitet gewesen sein, aber der Rat musste zustimmen und hatte entscheidenden Einfluss und Mitbestimmungsrechte. Mir kam Karthago immer sehr polisähnlich vor (Stadt mit Umland, Gründung als Handelstützpunkt und die relative Autonomie anderer punischer Städte wie z.B. Utica).
Rom fragte auch im ersten punischen Krieg bei Privatpersonen an, ob sie Schiffe für die Flotte ausrüsten. Großes Engagement von Feldherren oder Adligen muss dem Staatsbegriff nicht widersprechen. Erst recht nich wenn man von einer Polis ausgeht, die eine Gemeinschaft von Bürgern war, der Staat als abstraktes Gebilde also kaum wahrgenommen wurde.
 
Stimmt, Themistokles, Karthago sah aus wie eine Polis, benahm sich wie eine Polis und wurde in griechisch-römischen Quellen dargestellt wie eine Polis. Aber hauptsächlich, weil Griechen und Römer mit den Begriffen operieren mussten, die sie kannten … es ist wirklich abgrundtief zu bedauern, dass uns so wenig punisches Schriftmaterial überliefert ist. Vielleicht war der "Staatsbegriff" der Punier religiös: die Gottheit Melquart, als "Herr der Stadt" eindeutig rollenbezogen, lässt so etwas ahnen. Interessant ist unter diesem Aspekt die besondere Beziehung des Melquart zu den Barkiden (ersichtlich aus den spanischen Münzen), dessen Gleichsetzung mit "Herakles" (was nicht nur aus dem Gleichklang abgeleitet werden kann) und dem geradezu verzweifelten Versuch der Barkiden, innerhalb zweier Generationen einen Modernisierungsschub sondergleichen anzuführen. So muss das Fremde fremdartig bleiben, und zugegebenermaßen ist natürlich auch meine Mutmaßung nur eine Mutmaßung.

Nochmal zu Kiprian: ich behaupte, dass es keine "staatlich organisierten Massenopfer" gegeben hat, weil in diesem Tophet keine "Massenbegrabungen" gab, sondern eben nur sehr individuelle und zeitlich differenzierte Niederlegungen; übrigens sind 20.000 Urnen keine überragend große Zahl angesichts einer Stadtgeschichte von 700 Jahren und einer Einwohnerzahl von 100-200.000. Ich behaupte, dass die Opfer im Tophet stattfanden, weil dort das Heiligtum und der Altar standen - und die wenigen punischen und auch die älteren kanaanitischen Quellen den Tophet als Ort der Opfer bezeichnen. Ich behaupte, dass es keinen "Opferautomaten" von Flaubert/Diodorischer Bauart gab, weil das sicher zum einen deutlicheren dokumentarischen Niederschlag gefunden hätte - Polybius z. B. hätte sicher darüber geschrieben - und zum anderen, weil diese Art von öffentlicher Opferstätte dem Konzept eines punischen Heiligtums, in dem neben einem Baitylos und einer Handvoll Gläubiger gerade mal noch ein Altar Platz hatte, profund widerspricht. Natürlich kann es möglich sein, dass das Monster auf einem öffentlichen Platz stand, und dass man die Asche der geopferten Kinder in die Winde streute. Im Rahmen der Mutmaßungen, die man über die punischen Kulte anstellen kann, nimmt das aber einen eindeutig unwahrscheinlicheren Platz ein (schließlich schreiben ja römische Autoren über eine Fortführung der "Kinderopfer" auch nach dem Untergang Karthagos; das spricht schon mal gegen eine dafür notwendige Blech-Götzenstatue mit Einwurfschacht und Feuerungsautomatik).

Ich habe nicht behauptet, dass nicht tatsächlich Kinder getötet wurden, und die von dir (ich darf dich doch duzen, oder?) erwähnten "Doppelbegräbnisse" eines Fetus und eines Kleinkinds legen diesen Verdacht nahe. Die Existenz einer institutionalisierten Kinderopferung nach Diodor'scher Beschreibung ist damit keineswegs bewiesen.
 
Gibt es über die Opferungspraxis denn im Libanesisch-Palästinesischem Gebiet keine Hinweise oder Funde die als Vergleich dienen könnten? Schließlich ist dort das Stammland der punischen Kultur.
 
Mummius Picius
Ich habe nicht behauptet, dass nicht tatsächlich Kinder getötet wurden, und die von dir (ich darf dich doch duzen, oder?) erwähnten "Doppelbegräbnisse" eines Fetus und eines Kleinkinds legen diesen Verdacht nahe. Die Existenz einer institutionalisierten Kinderopferung nach Diodor'scher Beschreibung ist damit keineswegs bewiesen.

Ich nehme an, dass alle Leute, unabhängig davon wann, in welcher Epoche, sie leben, ihre Kinder normalerweise lieben. Wenn das der Fall ist, glaube ich nicht, dass die Eltern (sogar damals in Karthago) ihre Kinder ganz freiwillig geopfert würden. Möglicherweise waren sie gezwungen (von dem Staat, von den hohen Priestern, ect.) das zu machen. Klingt logisch, nicht wahr? Dazu sprechen auch die römischen Überlieferungen und Informationen, dass die Karthager später (wann später kann ich nicht sagen) spezielle Kindersklaven hatten um ihre eigenen Kinder nicht mehr zu opfern. Diese Kinder, die die Karthager als Sklaven besaßen, wurden nämlich geopfert.

Du darfst mich duzen.

Mummius Picius
…..übrigens sind 20.000 Urnen keine überragend große Zahl angesichts einer Stadtgeschichte von 700 Jahren……..

Das bedeutet jede zwei Wochen ein Kind (oder mehrere Kinder) zu opfern. Ob das eine grosse Zahl ist, überlasse ich den anderen Mitgliedern des Forums zu beurteilen.

Mummius Picius
Ich behaupte, dass die Opfer im Tophet stattfanden, weil dort das Heiligtum und der Altar standen - und die wenigen punischen und auch die älteren kanaanitischen Quellen den Tophet als Ort der Opfer bezeichnen.

Ich nehme an, dass Du Recht hast.
 
Zuletzt bearbeitet:
Du hast es selber gesagt, Askan: die berühmteste Kinderopferung ist wohl die im letzten Moment verhinderte von Isaak durch seinen Vater Abraham. Wir können davon ausgehen, dass sich in diesem Gnadenakt der namenlose Gott Abrahams deutlich von den anderen namenlosen Göttern Kanaans differenzierte.

Viele Götter forderten das erste von allem. Die meisten des griechisch-römischen Kulturkreis gaben sich mit Feldfrüchten, Jungtieren oder dem ersten Schluck aus einer neuen Flasche zufrieden. Nicht alle; die Tophets in Phoenikien, Kanaan und auch den punischen Ländern waren Stätten, an denen Kinder geopfert wurden, vermutlich auch die erstgeborenen. Die Frömmigkeit, mit der ein Mensch dieser Zeit sein Kind darbrachte, ist für uns glücklicherweise nicht nachvollziehbar, aber wir wollen uns nicht ins naheliegende Schlammcatchbecken der moralischen Diskussion antiker Handlungen nach modernen Parametern stürzen, sondern nachdenken.

- Viele der in Karthago und anderswo gefundenen Urnen sind offenkundig die von Totgeburten, in anderen stecken Tierknochen. Wurde hier die Gottheit mit einer Totgeburt oder einem Tier "verarscht"? Höchstwahrscheinlich nicht; Baal sah genau so durch einen Betrug wie Zeus. Wurde hier eine Totgeburt als "Erstgeburt" deklariert und ein Lämmchen als Ersatzopfer isaakscher Prägung? Wahrscheinlicher.
- Kinderurnen. Es gibt viele davon. Ist das ein Zeichen für hohe Kindersterblichkeit oder für Opferung bei lebendigem Leib? Viele Archäologen plädieren für die Kindersterblichkeit, die übrigens in einer größeren und unhygienischeren Stadt höher ist als in einer relativ kleinen. Dagegen stehen andere, die in den Urnen eindeutig die Opfer sehen, von denen römische und griechische Geschichtsschreiber berichten. Haben die alle gelogen, ihren Feind "verteufelt", absichtlich missverstanden? Vermutlich nicht. Der Kult hat seine Wurzeln im ritualisierten Opfer des Erstgeborenen, und die Evidenzien weisen darauf hin, dass in Karthago viel länger die Altäre rauchten als im phoenikischen Mutterland. Sie deuten auch auf eine Wandlung zum Transzendentalen, eine Entwicklung vom "lebensspendenden und lebensraubenden" hin zum "lebensspendenden und Leben zurücknehmenden" Gott: die Auslegung der häufiug anzutreffenden Strichmännchen-Symbole in Huß' Buch klingt zwar etwas bemüht, ist aber dennoch einleuchtend (das Opfer, symbolisiert durch den Kreis, überschreitet die Grenze des Lebens, symbolisiert durch die Linie, hin zum Gott, symbolisiert durch einen Baitylos).
- Trotzdem: es sind viele Kinderurnen, und einige sogar doppelt belegt mit einem Kleinkind/Fetus und einem größeren Kind. Hier fehlt uns jetzt eine Zahl: ist es eine signifikant große Menge? Sind das einfach zwei Kinder einer unglücklichen Familie, die von einer Epidemie hinweg gerafft wurden, oder wurde hier ein zu kleines Opfer mit einem Sklavenkind "aufgestockt"? Preisfrage: hat es hier schon DNA-Untersuchungen ergeben? Wir wissen einfach so jämmerlich wenig.

Alle zwei Wochen ein Kind (oder zwei) zu verlieren ist eine gute Statistik für die Kindersterblichkeit einer antiken Stadt. Auch für einen angeblich so grimmigen und gierigen Gott ist das eine eine ziemlich schmale Diät - hätte er Sklaven akzeptiert, wäre Karthago reich genug gewesen, ihn mit täglichen Opfern zu bedienen. Das wiederum hätte sicher in den Büchern der Griechen und Römer Niederschlag gefunden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mummius Picius
Die Frömmigkeit, mit der ein Mensch dieser Zeit sein Kind darbrachte, ist für uns glücklicherweise nicht nachvollziehbar, aber wir wollen uns nicht ins naheliegende Schlammcatchbecken der moralischen Diskussion antiker Handlungen nach modernen Parametern stürzen, sondern nachdenken.

Mit Frömmigkeit hat das nichts zu tun. Es ist ein uralter menschlicher und sogar tierischer Instinkt eigene Kinder zu lieben und sie zu beschützen, nicht zu opfern. Eltern opfern sich um ihre Kinder und nicht im Gegenteil.
Aus heutiger und auch aus damaliger Sicht, immer, Kinder zu opfern war pervers, widernatürlich. Die regierenden hohen Priester in Karthago und in einigen Gesellschaften im Nahen Osten (sie waren natürlich keine Menschen, sie sahen nur als Menschen aus), die Kinder als Opfer forderten, hatten unbegrenzte Macht und totale Unterwerfung der anderen Mitglieder ihrer Gesellschaften gewollt. Und zwar auf jeden Preis! Mit Angstgefühle, Zwang und Gewalt, ohne Gnade.
Beispiele/Sie haben schon das Alte Testament erwähnt: Lesen Sie es bitte, noch ein Mal aufmerksam durch. Ausser dem Fall mit Isak, werden Sie mindestens zwei passende Beispiele finden. Das erste Beispiel zeigt mit welchen Gefühlen haben die Menschen ihre Kinder geopfert / ich sage es noch ein Mal – mit Frömmigkeit hatte das nichts zu tun. Das zweite Beispiel zeigt was passierte mit den Menschen und ihren Familien, wenn jemand das versprochene Opfer (versprochenes von den Priestern), versteckt hatte.
Für mich ist alles kristallklar.

Mummius Picius
Alle zwei Wochen ein Kind (oder zwei) zu verlieren ist eine gute Statistik für die Kindersterblichkeit einer antiken Stadt.

Wir sprechen hier nicht um Kindersterblichkeit sondern um getötete Kinder. Es besteht doch ein wesentlicher Unterschied zwischen Kindersterblichkeit und Kindermord. Es ist nicht klar wie viele Kinder haben im Tophet ihre letzte Ruhe gefunden und ob es einen anderen Platz gab wo solche Opfer auch begraben wurden.

Mummius Picius
Auch für einen angeblich so grimmigen und gierigen Gott ist das eine eine ziemlich schmale Diät - hätte er Sklaven akzeptiert, wäre Karthago reich genug gewesen, ihn mit täglichen Opfern zu bedienen. Das wiederum hätte sicher in den Büchern der Griechen und Römer Niederschlag gefunden.

Das hatte Niederschlag gefunden, die genaue Quelle kann ich aber jetzt nicht nennen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Kiprian schrieb:
Mit Frömmigkeit hat das nichts zu tun. Es ist ein uralter menschlicher und sogar tierischer Instinkt eigene Kinder zu lieben und sie zu beschützen, nicht zu opfern. Eltern opfern sich um ihre Kinder und nicht im Gegenteil.
Aus heutiger und auch aus damaliger Sicht, immer, Kinder zu opfern war pervers, widernatürlich.
Das kann man in dieser Absolutheit nicht sagen. Ich sah vor kurzem noch eine Doku über ein Volk, ich glaube in Südbrasilien, das nach wie vor jedes Kind nach dem zweiten direkt nach der Geburt tötet. Warum? Weil es in einer steinzeitlichen Umgebung lebt und jedes Elternteil in einer Gefahrensituation nur ein Kind tragen kann, ohne das eigene Leben zu gefähren. Das ist natürlich keine religiöse Opferzeremonie, aber es ist ein Opfer, dass die Eltern bringen, bevor sie emotional an das Kind gebunden sind.

Edit: ich habe das Ganze jetzt mal weiter gedacht (kann aber auch Unfug sein, das bleibt euch überlassen): wir Menschen neigen dazu, unseren Taten einen höheren Sinn zu geben. Wenn ich also sage, dass dieses in meiner Erinnerung südbrasilianische Indianervolk seine Kinder aus zunächst logisch nachvolllziehbaren Gründen opfert, so kann ich doch evtl. davon ausgehen, dass auch andere steinzeitliche Völker aus der gleichen Überlebensstrategie heraus ebenfalls ihre Kinder geopfert haben. Um dieser Kindstötung einen höheren Sinn zu geben (Kinder sind das wertvollste, was Eltern haben können, sieh' auch die Isaak-Geschichte), hat man mit der Zeit möglicherweise der Opferung einen rituellen oder zeremoniellen Charakter verpasst. Die Zeiten ändern sich, Technologien entwickeln sich, die Notwendigkeit zur Flucht und damit auch der Kindstötung aus Überlebensgründen geht verloren, aber die ursprüngliche Notwendigkeit ist inzwischen vielleicht in den Hintergrund des Bewusstseins gerückt und der kultische Charakter in den Vordergrund. Und was ist logischer, als den Göttern das wertvollste zu opfern, was man besitzt?
 
Zuletzt bearbeitet:
Kiprian schrieb:
Für mich ist alles kristallklar.

Dass es keine nachvollziehbaren Situationen gibt, in denen man Kinder für eine höhere Sache in den Tod schickt?

Ich glaube, Du machst es Dir zu einfach.
 
Kiprian,

du machst es dir ja wirklich unglaublich einfach.
Wie ordnest du denn in dein "antikes Weltbild" folgende Geschehnisse in Rom ein. Man weiß heute sehr genau, dass ärmere römische Familien neugeborene Kinder, genauer gesagt Mädchen (da diese keinen "Wert" besaßen) einfach aussetzten ohne sich um deren weiteres Schicksal zu kümmern. Wenn diese armen Wesen "Glück" (oder Pech?) hatten, wurden sie von Huren aufgenommen und selbst zu Prostituierten, ansonsten starben sie einfach irgenwo am Straßenrand... Wie passt das denn in dein Bild von der heilen Familie, in der die Eltern ihre Kinder lieben und beschützen? Diese Kinder wurden ja nicht einmal aus "Frömmigkeit" geopfert.
 
Marbod schrieb:
Kiprian,

du machst es dir ja wirklich unglaublich einfach.
Wie ordnest du denn in dein "antikes Weltbild" folgende Geschehnisse in Rom ein. Man weiß heute sehr genau, dass ärmere römische Familien neugeborene Kinder, genauer gesagt Mädchen (da diese keinen "Wert" besaßen) einfach aussetzten ohne sich um deren weiteres Schicksal zu kümmern. Wenn diese armen Wesen "Glück" (oder Pech?) hatten, wurden sie von Huren aufgenommen und selbst zu Prostituierten, ansonsten starben sie einfach irgenwo am Straßenrand... Wie passt das denn in dein Bild von der heilen Familie, in der die Eltern ihre Kinder lieben und beschützen? Diese Kinder wurden ja nicht einmal aus "Frömmigkeit" geopfert.

Von den Spartanern ganz zu schweigen.
 
El Quijote schrieb:
Von den Spartanern ganz zu schweigen.

Damit wollte ich jetzt gar nicht erst anfangen. Kiprian steht ja irgendwie auf seine Theorie, dass die Römer die "Guten" und "Zivilisierten" und Karthager und Levantevölker die "Bösen" und perversen Kinderschlächter gewesen sind. Da wollen wir ihn mal nicht mit soviel Grauzonen überfordern...:pfeif: :cool:
 
Marbod schrieb:
Man weiß heute sehr genau, dass ärmere römische Familien neugeborene Kinder, genauer gesagt Mädchen (da diese keinen "Wert" besaßen) einfach aussetzten ohne sich um deren weiteres Schicksal zu kümmern.

Im Thread "Untergang des Römischen Reiches" fand ich die Andeutung
Ostrogotha schrieb:
Aber Neugeborene wurden damals von der "Wohlstandsgesellschaft" zunehmend einfach "entsorgt", obwohl es ein Gesetz dagegen gab.

Offenbar wurden Kinder generell als große Belastung empfunden.

Handelt es sich also möglicherweise nicht um Opferungen, sondern um eine Form der "Familienplanung" ?
 
Klaus schrieb:
Im Thread "Untergang des Römischen Reiches" fand ich die Andeutung

Offenbar wurden Kinder generell als große Belastung empfunden.

Handelt es sich also möglicherweise nicht um Opferungen, sondern um eine Form der "Familienplanung" ?

Ging es nicht eher darum, ob der Vater das Kind anerkennt oder nicht?
Soviel ich weiß, war die Kindersterblichkeit in alten Rom sehr hoch, und die Gefahr für die Frau bei der Geburt zu sterben ebenfalls.

Zitat Planet-Wissen:
Schon im alten Rom und im antiken Griechenland kannten Liebespaare Tricks und Mittel, die Empfängnis beim Liebesspiel zu verhindern.

Insofern halte ich 'Familienplanung' in diesen Zusammenhang nicht unbedingt für haltbar. Oder gibt es da noch schriftliche Zeugnisse drüber?

Gruß
Cassandra
 
Cassandra schrieb:
Schon im alten Rom und im antiken Griechenland kannten Liebespaare Tricks und Mittel, die Empfängnis beim Liebesspiel zu verhindern.

Insofern halte ich 'Familienplanung' in diesen Zusammenhang nicht unbedingt für haltbar.

Naja, Empfängnisverhütung klappt ja bis heute noch nicht einwandfrei...
 
Das kann man in dieser Absolutheit nicht sagen. Ich sah vor kurzem noch eine Doku über ein Volk, ich glaube in Südbrasilien, das nach wie vor jedes Kind nach dem zweiten direkt nach der Geburt tötet. Warum? Weil es in einer steinzeitlichen Umgebung lebt und jedes Elternteil in einer Gefahrensituation nur ein Kind tragen kann, ohne das eigene Leben zu gefähren. Das ist natürlich keine religiöse Opferzeremonie, aber es ist ein Opfer, dass die Eltern bringen, bevor sie emotional an das Kind gebunden sind.

Das Volk aus der Doku interessiert mich, gibt es dazu konkretere Angaben?
Auf den ersten Blick scheint es eine plausible Begründung zu sein? Andererseits gibt es in jeder Gruppe halbwüchsige ältere Geschwister, Kinderlose oder Großeltern, die bei Gefahr durchaus ein nichteigenes Kind tragen könnten?

Edit: ich habe das Ganze jetzt mal weiter gedacht (kann aber auch Unfug sein, das bleibt euch überlassen): wir Menschen neigen dazu, unseren Taten einen höheren Sinn zu geben. Wenn ich also sage, dass dieses in meiner Erinnerung südbrasilianische Indianervolk seine Kinder aus zunächst logisch nachvolllziehbaren Gründen opfert, so kann ich doch evtl. davon ausgehen, dass auch andere steinzeitliche Völker aus der gleichen Überlebensstrategie heraus ebenfalls ihre Kinder geopfert haben. Um dieser Kindstötung einen höheren Sinn zu geben (Kinder sind das wertvollste, was Eltern haben können, sieh' auch die Isaak-Geschichte), hat man mit der Zeit möglicherweise der Opferung einen rituellen oder zeremoniellen Charakter verpasst. Die Zeiten ändern sich, Technologien entwickeln sich, die Notwendigkeit zur Flucht und damit auch der Kindstötung aus Überlebensgründen geht verloren, aber die ursprüngliche Notwendigkeit ist inzwischen vielleicht in den Hintergrund des Bewusstseins gerückt und der kultische Charakter in den Vordergrund. Und was ist logischer, als den Göttern das wertvollste zu opfern, was man besitzt?

Die Entstehung von Ritualen und Traditionen und ihr Nachwirken bis in Zeiten, in denen die sachlichen Gründe nicht mehr bestehen und sogar vergessen wurden, ist ein Thema, dass mich immer wieder umtreibt.
 
Wir können nicht klar sagen, ob die Karthager wirklich Kinder geopfert haben. Vermutlich ja, aber nicht in der Art und dem Maße, wie es Römer und Griechen beschrieben. Die tiefe Religiösität der Karthager und deren Transzendentalismus von Tod und Geburt als Akten des Gebens und Nehmens der Götter war für Griechen und Römer unverständlich: diese "machten ihre Kinder selbst" und zogen nach dem Tod in die Unterwelt; jene sahen sich als "Geschenk Baals" (ein ziemlich populärer Name), das nach dem Tod von jenem auch gerne wieder zurückgenommen wurde. Wir können trotzdem nicht annehmen, dass alle im Tophet aufgefundenen Kinderleichen eines natürlichen Todes gestorben sind. Dass die Geschichten von Massenopfern und staatlichen Quoten jedoch Propaganda sind, steht auch ausser Zweifel: dafür war Religion bei den Karthagern zu sehr Privatsache, mit der der Staat nichts zu tun hatte.

Wieder so eine Doppelstrangdiskussion, allerdings ist es dem Molochthema zu verdanken, das die guten alten Beiträge wiederentdeckt werden.

Gibt es antike Quellen, wie der Status von Säuglingen und Kleinkindern in Bezug auf Menschenrechte war?

Unsere aktuelle Auffassung spricht vom Zeitpunkt der Zeugung oder im Strafrecht von der 13. Schwangerschaftswoche mit Ausnahmen bis zur Geburt.
Nachgeburtliche Rituale, wie Taufe, Aufnehmen mit Namensnennung, Zeigen des Kindes vor Zeugen/Gemeinde und ähnliche Bräuche könnten bedeuten, dass Neugeborene nicht sofort anerkannte Menschen mit allen Schutzrechten waren, die Elternliebe, Tabus und Religion einem Kind gewährten.
 
Ich glaube nicht, dass sich jemand freiwillig geopfert hat - oder doch?!:grübel:

Wenn man über dieses Thema spricht, muss man die Jenseitsvorstellungen der jeweiligen Kultur miteinbeziehen.

Bei den Kelten und den Germanen glaubte die Leute, dass sie im Jenseits weiterleben würden. Man denke dabei z.B. an Walhall der Germanen oder an Grabbeigaben wie Lebensmittel oder Tiere (Beispiel hier).

Wenn man an ein Weiterleben im Jenseits (vielleicht sogar in einer Heldenhalle wie Walhall) glaubt, dann fällt einem das Sterben nicht schwer (natürlich vorausgesetzt, man glaubt das wirklich).

Was die römischen Jenseitsvorstellungen anbelangt, hier ein Link, der einen diese erahnen lässt.

Ich möchte da in diesem Zusammenhang auf die Selbstmordattentäter im Nahen Osten hinweisen (ohne allerdings genauer darauf einzugehen):
- diese werden als von Gott auserwählt betrachtet und sind stolz darauf, ihr Volk zu verteidigen/rächen. Sogar Jugendliche und Frauen werfen sich in den Tod. Falls sie das nicht glauben würden, könnten sie ja zum Feind überlaufen.
Oder auch an die Attentäter von 9/11, denen gesagt wurde, dass für sie im Himmel 72 Jungfrauen warten würden.

Wenn der Mensch zutiefst an seine Religion glaubt, dann ist Religion eine Macht, die Menschen sogar dazu bringt, sich selbst zu opfern. Die unzähligen Religionskriege haben zwar schon in erster Linie das Ziel gehabt, den "bösen andersgläubigen Feind" auszurotten. Dass dabei das eigene Leben im Rahmen eines Krieges auf dem Spiel steht, kommt hinzu, war aber quasi irrelevant.

Bei den Kelten haben diverese Leute sogar spekuliert (vielleicht zu recht!), dass ein Menschenopfer dazu diente, den Göttern (welche in der Anderswelt wohnten), eine Botschaft zu übermitteln.

Wegen der Opferung von Kindern (ohne jetzt hier den Anspruch erheben zu wollen, dass diese eindeutig nachgewiesen sind):
- die Tatsache, dass ein unschuldiges Menschenlebewesen (was ja man von Kindern im allgemeinen glaubt, dass sie unschuldig sind) geopfert wird, könnte eine Art erhöhtes Opfer sein, nach dem Motto: "Siehst Du, wir sind Deinetwegen sogar bereit, Dir ein unschuldiges Opfer darzubringen". Unschuldig = von höherem (symbolischen) Wert.

Hier noch ein weiteres Beispiel bezüglich Menschenopfer in der Antike:
Kreta (Minoer)
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben