Ich habe nur ein Buch gelesen (nämlich: Michael North, Von Aktien bis Zoll, ein historisches Lexikon des Geldes, Beck, München 1995), stand unter dem Eindruck der vielen, reichhaltigen Details - und habe dabei offenbar zu wenig über die Buchdeckel hinaus geschaut...
Na, deswegen diskutieren wir doch hier darüber; ich lerne da auch immer gern etwas Neues dazu :friends:
Hier ein Zitat aus North: "Als Edelmetallknappheit bezeichnet man die Verringerung der europäischen Edelmetallvorräte in der zweiten Hälte des 14. und im 15. Jh. Während des 14. Jh. war die mitteleuropäische Silberförderung fast zum Erliegen gekommen... Die europäischen Münzstätten reduzierten ihre Produktion, wenn sie sie nicht ganz einstellten... die Silberproduktion um 1331/40 und 1491/1500 um rund 80% verringerte... (ibid, p 98) An der gleichen Stelle wird auf die zyklische Förderung hingewiesen. Ebenso p. 361 ff.
Wie aus meinen vorigen Anmerkungen ersichtlich ist, gehe ich da auch voll mit ihm d'accord, was das 14. Jh. angeht. Für das ausgehende 15. Jh. bzw. die Wende 15./16. Jh. hatte ich - wie bereits angeführt - eigentlich einen anderen Kenntnisstand, denn gerade die Gründung neuer Bergstädte im Erzgebirgsraum - infolge des sogenannten
Großen Berggeschreys* - zwischen 1471 und 1521 spricht da eine eindeutige Sprache:
Sankt Joachimsthal, Annaberg, Buchholz, Schneeberg, Marienberg. Und im Übrigen liegt auch der Aufschwung des Silberbergbaus in Tirol, was den Standort
Schwaz betrifft, zwischen den Jahren 1420/26 (Entdeckung der Silbererzvorkommen und Beginn des spätmittelalterlichen Silberbergbaus ebenda) und 1523 (Förderung von 15,7 Tonnen Feinsilber in ebenjenem Jahr - laut
Schwazer Silberbergwerk - Geschichte - Der Aufstieg waren das 85% der damaligen Weltförderung).
* auch
Zweites Berggeschrey: es begann ab 1453; das
Erste Berggeschrey war jenes ab 1168 - es heißt, beide Ereignisse seien effektiv mit dem späteren
Goldrausch in
Nordamerika vergleichbar
Zwischen 65 bis 80 Prozent der europäischen Silberproduktion stammten aus dem Tirol, immer gemäss North. Um eine Vorstellung der Grössenordnung zu geben: Bis 1520 betrug die europäische Silberproduktion 35 bis 42 Tonnen pro Jahr.
Die Schwazer Seite geht offenbar von einer geringeren Silberproduktion weltweit aus, wenn 15,7 Tonnen 85% entsprechen sollen (womit dann ca. 18,5 Tonnen 100% wären), aber dies schreibe ich eher einem gewissen Lokalpatriotismus zu und würde ebenfalls eher die 35 bis 42 Tonnen pro Jahr zu Grunde legen und die 85% dementsprechend relativieren, d.h., nach unten korrigieren.
Auch wenn auf der sonst recht detaillierten und mE auch sehr sachkundigen Seite
Mineralienatlas Lexikon - Mineralienportrait / Silber / Europa die Aussage, daß
Schwaz um 1500 rund 85% der weltweiten Silberförderung lieferte, bin ich bei diesen prozentualen Angaben äußerst vorsichtig, da sie sich - wie Du schon selbst anmerkst - oftmals nicht mit den Abschätzungen zur Fördermenge weltweit und den Angaben zur Fördermenge der anderen Standorte vereinbaren lassen.
In einem Beitrag weist thimotheus auf die Silberproduktion im Erzgebirge hin (h
ttp://www.westerzgebirge.com/htm/erzgebirge-bergbau-silberbergbau.htmwird). Hier wird die Produktion einer einzige Mine in dieser Periode und Region auf 14 Tonnen beziffert, also ca. 1/3 oder mehr jener Europas. Auch wenn man die Zyklik, die in dem Bericht eindrücklich zum Ausdruck kommt, und dass es sich nur um Grössenordnungen handelt, berücksichtigt: Die Angaben lassen sich schwer mit North vereinbaren...
Falls dies jemanden genauer interessiert: Die 14 Tonnen - übrigens im Block (damit die größte zusammenhängende Silbererzmasse, die je in Europa gefunden wurde) - kamen im Jahre 1477 von der Grube
St. Georg in
Schneeberg.
Hier zwei Überblicke zum erzgebirgischen Silberbergbau:
Mineralienatlas Lexikon - Mineralienportrait / Silber / Erzgebirge
Die Historie des Bergbaus
Sankt Joachimsthal findet man unter
Mineralienatlas Lexikon - Mineralienportrait / Silber / Europa
Zusätzliche Information (falls es jemanden interessiert): Ohne die bereits vorhandenen Kenntnisse des Silberbergbaus im sächsischen und böhmischen Erzgebirge - von Bergarbeitern aus diesen Regionen ganz abgesehen - hätte
Schwaz seine Entwicklung in solcher Stärke wie oben beschrieben wohl nicht erreichen können. Die Technologien etc., welche im Tiroler Silberbergbau ab dem 15. Jh. und dann v.a. im 16. Jh. angewandt und umgesetzt wurden, waren im Erzgebirge bereits zuvor entwickelt und eingesetzt worden.
Vgl. hierzu bspw.
http://www.geologie.ac.at/filestore/download/BR0065_102_A.pdf (Hinweis: Agricolas
De re metallica libri XII erschien z.B. posthum; er war da bereits 1 Jahr tot!)
Es gab ja Dutzende von Minen. Neben dem Tirol war Ungarn für die europäische Versorgung bedeutsam...
... plus Erzgebirge (sowohl sächsische als auch bömische Seite), Harz, Schwarzwald, Slowakisches Erzgebirge...
Hier gibt es dazu eine Übersicht:
Mineralienatlas Lexikon - Mineralienportrait / Silber
Anm.: Die Bewertung historischer Kontexte auf dieser Seite sind zwar jenseits der Abhandlungen zur Geschichte des Bergbaus nicht der Weisheit letzter Schluß (um es vorsichtig auszudrücken), aber hier soll es ja vordergründig gerade um das Thema Bergbau gehen...
Gleichwohl bleibt die Frage: Reichte eine Silberproduktion von einigen wenigen Dutzend Tonnen aus, um unter Berücksichtung der im Eingangstext erwähnten, nicht bezifferten Silberabflüsse ein ausreichendes Wirtschaftswachstum in Europa zu ermöglichen?
Ich bin an der Stelle ganz ehrlich: Solche Fragen lassen sich recht schwer und mE auch kaum eindeutig beantworten, zumal für das 15. Jh. in Europa eben durchaus eine starke wirtschaftliche Entwicklung zu verzeichnen war (die Bezeichung
Frühkapitalismus kommt ja nicht von ungefähr). Ein nicht zu vernachlässigender Punkt ist dabei aber mit Sicherheit der immanente
human factor - sprich; der Mensch ist nur sehr selten mit dem zufrieden, was er hat, sondern strebt danach, lieber noch etwas mehr zu haben.
Ich schlage vor, die Diskussion auf die Zeit bis 1500 nach Chrsitus zu beschränken. Danach wurde nämlich langsam der Silberimport aus Amerika wirksam, der die Sache umdrehte.
Vorschlag angenommen; die Silberimporte aus der Neuen Welt werden - um genau zu sein - erst ab etwa 1550 relevant.
Sinnvoll wäre eventuell, die Entwicklung des Papiergeldes in Italien und den bargeldlosen, internationalen Zahlungsverkehr für den Grosshandel durch Wechsel einzubeziehen, neben der Naturalwirtschaft. Mindestnes das zeitliche Zusammentreffen dieser Phänomene mit der Silberknappheit ist schon auffallend...
Der bargeldlose Zahlungsverkehr - international bedeutet im Kontext der damaligen Zeit bereits bekanntlich Europa, den Mittelmeerraum und den Orient - hatte sich schon vor dem ersten Rückgang des Silberbergbaus (bekanntlich in der 1. Hälfte des 14. Jh. beginnend) entwickelt. Er beginnt nämlich genaugenommen mit den Wechseln und Kreditbriefen, welche bereits im Hochmittelalter zunächst von jüdischen Geldverleihern und dann bspw. ab der Zeit der Orientkreuzzüge (welche bekanntlich 1291 enden) von den Ritterorden (hier insbesondere von den Templern) ausgestellt wurden.