Wirtschaftliche Depression im ausgehenden Mittelalter?

Bluesky

Neues Mitglied
Gab es in Europa bereits eine Depression?
<?xml:namespace prefix = o ns = "urn:schemas-microsoft-com:eek:ffice:eek:ffice" /><o:p> </o:p>
Vor der Entdeckung Amerikas waren Silber und Gold in Europa chronisch knapp. Besonders schlimm war es im 15. Jahrhundert, als die ohnehin geringe Edelmetallproduktion fast zum Erliegen kam und kaum noch neues Geld geprägt werden konnte. In diesen politisch unruhigen Zeiten horteten die Menschen Münzen, womit sie der Wirtschaft Bargeld entzogen. Das permanente Handelsdefizit Europas mit dem Nahen Osten bewirkte einen Geldabfluss. Grosse Mengen von Gold und Silber schöpften auch Adel und Kirche für Architektur, Kunst und Dekorationsgegenstände ab. Alles in allem waren damals zwar reichlich Güter vorhanden, aber allzu oft kein Geld, um sie zu kaufen. So kippte Europa schliesslich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in eine lange Depression, die der von den Pestwellen ausgelöste Bevölkerungsrückgang noch verschärfte. (es)
 
Für mich fehlt da noch einiges. Du konzentrierst dich nur auf den Geldkreislauf, allein der stockende Geldkreislauf reicht aber nicht aus um eine Depression zu vermuten. Schließlich gibt es Depression und Deflation auch getrennt voneinander. Zudem vernachlässigst du beim Anschneiden der Güter- und Warenströme noch ein weiteres wesentliches Merkmal: den Naturalientausch. In den breiten Bevölkerungsschichten dürfte das seinerzeit noch Usus gewesen sein.
 
Naturalwirtschaft

Danke, das ist ein wertvoller Hinweis auf die Naturalwirtschaft. Habe den Text tatsächlich aus Büchern über die Geldgeschichte zusammengetragen.

  • Kann man den Umfang der Naturalwirtschaft schätzen? Oder wie sie in dieser Epoche konkunkturell verlief?
  • Wenn man die Naturalwirtschaft als Substitut der Geldwirtschaft auffasst, müsste sie eigentlich gleich verlaufen sein.
  • Wäre der Text zutreffender, wenn man ihn auf die Städte be grenzen würde?
Danke
 
Danke, das ist ein wertvoller Hinweis auf die Naturalwirtschaft. Habe den Text tatsächlich aus Büchern über die Geldgeschichte zusammengetragen.
Fällt kaum auf ;)

  • Kann man den Umfang der Naturalwirtschaft schätzen? Oder wie sie in dieser Epoche konkunkturell verlief?
Kann man, ich behaupte auch mal, dass das bereits der eine oder andere Wirtschaftshisoriker getan hat. Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass der Naturalientausch verbreiteter war, als der Geldhandel. Zum verifizieren/falsifizieren muss ich aber erst zuhause nachblättern, du müsstest dich also noch bis morgen Abend gedulden, sofern ich dazu wirklich was finden sollte.

  • Wenn man die Naturalwirtschaft als Substitut der Geldwirtschaft auffasst, müsste sie eigentlich gleich verlaufen sein.
Substitute haben es so an sich, dass die in Relation gesetzten Angebot-Nachfrage-Kurven der Substitute reziprok proportional verlaufen. Allerdings würde ich hier nicht den Begriff Substitut verwenden. Für Zahlungsmittel passt der für mich irgendwie nicht.

  • Wäre der Text zutreffender, wenn man ihn auf die Städte be grenzen würde?
Nein, weil du dann immer nur noch den Geldmarkt betrachtest und alle übrigen volkswirtschaflichen Märkte außer Acht lässt. Wenn du auf eine Depression raus willst, musst du dir alle relevanten Märkte anschauen, nicht nur einen. Wenn du dich nur mit dem Geldmakrt beschäftigen möchtest oder kannst, dann würde das Greshamsche Gesetz besser zu deinen Ausführungen passen als eine Depression.
 
Substitute haben es so an sich, dass die in Relation gesetzten Angebot-Nachfrage-Kurven der Substitute reziprok proportional verlaufen. Allerdings würde ich hier nicht den Begriff Substitut verwenden. Für Zahlungsmittel passt der für mich irgendwie nicht.

Das "Substitut" war ja auch auf Geldwirtschaft bezogen, das sinngemäße "Ausweichen" war schon klar.

Ist völlig OT, aber interessehalber eine Nachfrage:
Könntest Du das reziprok proportional bzgl. der Angebot-Nachfrage-Kurven bei substitutiven Güter erläutern, ist damit positive Kreuzpreiselastizität angesprochen?
 
Mal noch eine grundsätzliche Anmerkung zum Thema...

Gemeinhin wird gesagt, daß im 13. Jh. die Naturalwirtschaft endgültig durch die Geldwirtschaft verdrängt wurde bzw. daß ab dem 13. Jh. eine wachsende Bedeutung der Geldwirtschaft zu verzeichnen war. Vgl. dazu bspw. Kleines Lexikon des Mittelalters ... - Google Bcher

Daß dies vereinfacht - und bei genauer Betrachtung sogar unzulässig verallgemeinert - ist, kann man an anderen Stellen nachlesen:
ffentliches und privates ... - Google Bcher
JAHRESBERICHTE FÜR DEUTSCHE GESCHICHTE
 
Ja, wenn man mehr weiss über das Verhältnis von Real- und Geldwirtschaft: Es würde mich schon interessieren.
 
Das "Substitut" war ja auch auf Geldwirtschaft bezogen, das sinngemäße "Ausweichen" war schon klar.
Ähhh, hä?

Ist völlig OT, aber interessehalber eine Nachfrage:
Könntest Du das reziprok proportional bzgl. der Angebot-Nachfrage-Kurven bei substitutiven Güter erläutern, ist damit positive Kreuzpreiselastizität angesprochen?
Ja und nein (ich glaub wir meinen das gleiche ;) )
Die Kreuzpreiselastizität drückt ja aus, wie sich die Preisänderung eines Gutes auf die Absatzmenge eines anderen Gutes auswirkt. Die Proportionalität der Angebot-Nachfrage-Kurven beschreibt nur den Kurvenverlauf an sich, ohne dass Änderungen unterstellt werden müssen. Bezogen auf die Subtitute sagen also beide das gleiche aus, wobei man bei der proportionalität Graphen interpretiert und bei der Kreuzpreiselastizität gerechnet werden muss (vielleicht ist sie mir ja deshalb nicht als erstes eingefallen :still: )

@ timotheus: dankeschön! vor lauter Desperate Housewives und Lipstick Jungle hab ich gestern Abend tatsächlich vergessen noch nachzuschlagen :rotwerd: @ Bluesky: reicht dir das?

Ja, wenn man mehr weiss über das Verhältnis von Real- und Geldwirtschaft: Es würde mich schon interessieren.
Ich schau mal was ich finde... Schlussfolgere ich gerade richtig, dass du die Depression im 15. Jahrhundert neoklassizistisch begründen willst? (Und noch ne Sicherheitsfrage: ich habe jetzt die ganze Zeit unterstellt dass du WiWi bist, oder zumindest auf dem gebiet sehr viel Ahnung hast, stimmt das, oder sollte ich an der ein oder anderen Stelle weiter ausholen?)
 
Ja und nein (ich glaub wir meinen das gleiche ;) )
Ist jetzt klar, vielen Dank.



Ich schau mal was ich finde... Schlussfolgere ich gerade richtig, dass du die Depression im 15. Jahrhundert neoklassizistisch begründen willst?

Das habe ich auch befürchtet. Den Durchbruch kann man zwar früher ansetzen, aber die Revolution der Geldwirtschaft durch das Silber erst im 16. Jahrhundert.

Für die "Depression" im 15. JH begibt man sich mE auf Glatteis, wenn man nicht die übrigen Ereignisse einbezieht und nach Ländern etc. differenziert (hier läßt sich nicht Europa insgesamt betrachten). So wird zB für Frankreich die Wirtschaftsentwicklung des 15 JH auf den Hundertjährigen Krieg und seine 50-jährigen Nachwirkungen zu beziehen sein, aufgrund der Devastierung des Landes. Einen beobachtbaren Geldmangel, zB aufgrund von Hortungen etc., würde ich da als nachrangig ansehen.
 
Zuletzt bearbeitet:
@ timotheus: dankeschön! vor lauter Desperate Housewives und Lipstick Jungle hab ich gestern Abend tatsächlich vergessen noch nachzuschlagen :rotwerd:

Aber das war doch kein Problem und geradezu selbstverständlich; gern geschehen :friends:

Den Durchbruch kann man zwar früher ansetzen, aber die Revolution der Geldwirtschaft durch das Silber erst im 16. Jahrhundert.

Für die "Depression" im 15. JH begibt man sich mE auf Glatteis, wenn nicht die übrigen Ereignisse einbezieht und nach Ländern etc. differenziert (hier käßt sich nicht Europa insgesamt betrachten). So wird zB für Frankreich die Wirtschaftsentwicklung des 15 JH auf den Hundertjährigen Krieg und seine 50-jährigen Nachwirkungen zu beziehen sein, aufgrund der Devastierung des Landes. Einen beobachtbaren Geldmangel, zB aufgrund von Hortungen etc., würde ich da als nachrangig ansehen.

Um das zu unterstreichen, möchte ich hinzufügen, daß der Punkt, was die Verfügbarkeit gerade des Silbers betrifft, selbst für das HRR differenziert zu betrachten ist: hier setzte die Erzgebirgsregion nämlich die Maßstäbe, und das nicht nur für die Ländereien der Wettiner bzw. der lokalen und regionalen Herrschaften des Umlandes.
Betrachten wir die Blütezeiten und Depressionen genauer, so läßt sich dort eine erste Zäsur bereits Anfang des 14. Jh. ausmachen (erste Blütezeit vorüber, es folgt ein erster Rückgang), während nach der Mitte des 15. Jh. (nach 1470) eine neue (zweite) Blütezeit begann, welche ihren Höhepunkt zwar Mitte des 16. Jh. wieder überschritt und dann gegen 1600 auf das Problem immer höherer Aufwände für immer geringere Ausbeuten stieß, dennoch aber noch bis weit nach dem Dreißigjährigen Krieg fortgeführt wurde.
Davon also, daß "... im 15. Jahrhundert... die ohnehin geringe Edelmetallproduktion fast zum Erliegen kam...", kann nun wirklich so nicht die Rede sein...
Vgl. dazu Silberbergbau - im Erzgebirge
 
Betrachten wir die Blütezeiten und Depressionen genauer, so läßt sich dort eine erste Zäsur bereits Anfang des 14. Jh. ausmachen (erste Blütezeit vorüber, es folgt ein erster Rückgang), während nach der Mitte des 15. Jh. (nach 1470) eine neue (zweite) Blütezeit begann, welche ihren Höhepunkt zwar Mitte des 16. Jh. wieder überschritt und dann gegen 1600 auf das Problem immer höherer Aufwände für immer geringere Ausbeuten stieß, dennoch aber noch bis weit nach dem Dreißigjährigen Krieg fortgeführt wurde.
Davon also, daß "... im 15. Jahrhundert... die ohnehin geringe Edelmetallproduktion fast zum Erliegen kam...", kann nun wirklich so nicht die Rede sein...

Das wiederum möchte ich unterstreichen ;)
Bereits ältere Untersuchungen gingen von steigenden Fördermengen im 15. JH aus, vorwiegend in der zweiten Hälfte. Allerdings deckte das wohl nicht die steigende Nachfrage. Das ist aber ein anderes Problem als eines des Abflusses und der Hortung. Der Bergbau war im übrigen die nachweisbare "kapitalintensive" Produktion in dieser Phase (so auch in Frankreich etc.), gewissermaßen der Anfang des Kapitalismus (daneben u.a. die Schifffahrt)
 
Und ich muß leider gleich noch einmal meckern...

In diesen politisch unruhigen Zeiten horteten die Menschen Münzen, womit sie der Wirtschaft Bargeld entzogen. Das permanente Handelsdefizit Europas mit dem Nahen Osten bewirkte einen Geldabfluss. Grosse Mengen von Gold und Silber schöpften auch Adel und Kirche für Architektur, Kunst und Dekorationsgegenstände ab...

Ich bitte vielmals um Entschuldigung ob meiner deutlichen Worte, aber daran paßt so ziemlich gar nichts...

1. Die hauptsächliche Ursache, daß während des Spätmittelalters im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte in immer stärkerem Maße und Umfang Gelder entzogen wurden, lag v.a. in der starken Entwicklung der Steuern (sog. "ordentliche" Einnahmen). Hier ist insbesondere der Punkt, daß wir bzgl. direkter und indirekter Steuern differenzieren müssen, besonders relevant: von direkten Steuern waren Adel, Klerus und Städte befreit, von indirekten Steuern waren jedoch letztlich alle Stände, Schichten etc. betroffen.
Vgl. dazu bspw. Das 15. Jahrhundert - Google Bcher

2. Adel und Klerus waren in der Geldwirtschaft im 15. Jh. schon längst nicht mehr Spitzenreiter; reiche (Stadt-)Bürger (hier z.B. insbes. Kaufleute und Verleger) hatten ihnen bereits den Rang abgelaufen - und konnten ihrerseits dann ab dem ausgehenden 15. Jh. mit ihren beträchtlichen Geldmitteln sogar Einfluß auf den Adel und die Politik nehmen; siehe dazu das Beispiel der Fugger: Die Fugger - Google Bcher
 
Hallo miteinander

Zunächst danke für die vielen sehr konkreten und spannenden Hinweise, denen ich gerne nachgehe.
Einige Beiträge enthalten Äusserungen wie: "Wenn du auf eine Depression raus willst...", oder "dass du die Depression im 15. Jahrhundert neoklassizistisch begründen willst..."
Ein quod erat demonstrandum war nicht meine Absicht. Ich habe nur ein Buch gelesen (nämlich: Michael North, Von Aktien bis Zoll, ein historisches Lexikon des Geldes, Beck, München 1995), stand unter dem Eindruck der vielen, reichhaltigen Details - und habe dabei offenbar zu wenig über die Buchdeckel hinaus geschaut.

Hier ein Zitat aus North: "Als Edelmetallknappheit bezeichnet man die Verringerung der europäischen Edelmetallvorräte in der zweiten Hälte des 14. und im 15. Jh. Während des 14. Jh. war die mitteleuropäische Silberförderung fast zum Erliegen gekommen... Die europäischen Münzstätten reduzierten ihre Produktion, wenn sie sie nicht ganz einstellten... die Silberproduktion um 1331/40 und 1491/1500 um rund 80% verringerte... (ibid, p 98) An der gleichen Stelle wird auf die zyklische Förderung hingewiesen. Ebenso p. 361 ff.

Zwischen 65 bis 80 Prozent der europäischen Silberproduktion stammten aus dem Tirol, immer gemäss North. Um eine Vorstellung der Grössenordnung zu geben: Bis 1520 betrug die europäische Silberproduktion 35 bis 42 Tonnen pro Jahr.

In einem Beitrag weist thimotheus auf die Silberproduktion im Erzgebirge hin (http://www.westerzgebirge.com/htm/erzgebirge-bergbau-silberbergbau.htmwird). Hier wird die Produktion einer einzige Mine in dieser Periode und Region auf 14 Tonnen beziffert, also ca. 1/3 oder mehr jener Europas. Auch wenn man die Zyklik, die in dem Bericht eindrücklich zum Ausdruck kommt, und dass es sich nur um Grössenordnungen handelt, berücksichtigt: Die Angaben lassen sich schwer mit North vereinbaren. Es gab ja Dutzende von Minen. Neben dem Tirol war Ungarn für die europäische Versorgung bedeutsam.

Gleichwohl bleibt die Frage: Reichte eine Silberproduktion von einigen wenigen Dutzend Tonnen aus, um unter Berücksichtung der im Eingangstext erwähnten, nicht bezifferten Silberabflüsse ein ausreichendes Wirtschaftswachstum in Europa zu ermöglichen?

Ich schlage vor, die Diskussion auf die Zeit bis 1500 nach Chrsitus zu beschränken. Danach wurde nämlich langsam der Silberimport aus Amerika wirksam, der die Sache umdrehte.

Sinnvoll wäre eventuell, die Entwicklung des Papiergeldes in Italien und den bargeldlosen, internationalen Zahlungsverkehr für den Grosshandel durch Wechsel einzubeziehen, neben der Naturalwirtschaft. Mindestnes das zeitliche Zusammentreffen dieser Phänomene mit der Silberknappheit ist schon auffallend. Mir scheinen auch die Hinweise auf die Besteuerung der Silberproduktion wertvoll. Vielleicht hat die vieles abgemurkst. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Silberproduktion viel Blei, Holz oder Kohle, und Kupfer, später Quecksilber (ab wann?), benötigte. Vielleicht kam es auch bei den Beistoffen und bei der Energie zu Engpässen.

Danke und viele Grüsse
Erich
(Bluesky steht nur als Name da, weil mit bei der Anmeldung ein Missgeschick passierte, aber ich kanns nicht mehr ändern, bin noch vom 20. Jahrhundert)
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich habe nur ein Buch gelesen (nämlich: Michael North, Von Aktien bis Zoll, ein historisches Lexikon des Geldes, Beck, München 1995), stand unter dem Eindruck der vielen, reichhaltigen Details - und habe dabei offenbar zu wenig über die Buchdeckel hinaus geschaut...

Na, deswegen diskutieren wir doch hier darüber; ich lerne da auch immer gern etwas Neues dazu :friends:

Hier ein Zitat aus North: "Als Edelmetallknappheit bezeichnet man die Verringerung der europäischen Edelmetallvorräte in der zweiten Hälte des 14. und im 15. Jh. Während des 14. Jh. war die mitteleuropäische Silberförderung fast zum Erliegen gekommen... Die europäischen Münzstätten reduzierten ihre Produktion, wenn sie sie nicht ganz einstellten... die Silberproduktion um 1331/40 und 1491/1500 um rund 80% verringerte... (ibid, p 98) An der gleichen Stelle wird auf die zyklische Förderung hingewiesen. Ebenso p. 361 ff.

Wie aus meinen vorigen Anmerkungen ersichtlich ist, gehe ich da auch voll mit ihm d'accord, was das 14. Jh. angeht. Für das ausgehende 15. Jh. bzw. die Wende 15./16. Jh. hatte ich - wie bereits angeführt - eigentlich einen anderen Kenntnisstand, denn gerade die Gründung neuer Bergstädte im Erzgebirgsraum - infolge des sogenannten Großen Berggeschreys* - zwischen 1471 und 1521 spricht da eine eindeutige Sprache: Sankt Joachimsthal, Annaberg, Buchholz, Schneeberg, Marienberg. Und im Übrigen liegt auch der Aufschwung des Silberbergbaus in Tirol, was den Standort Schwaz betrifft, zwischen den Jahren 1420/26 (Entdeckung der Silbererzvorkommen und Beginn des spätmittelalterlichen Silberbergbaus ebenda) und 1523 (Förderung von 15,7 Tonnen Feinsilber in ebenjenem Jahr - laut Schwazer Silberbergwerk - Geschichte - Der Aufstieg waren das 85% der damaligen Weltförderung).

* auch Zweites Berggeschrey: es begann ab 1453; das Erste Berggeschrey war jenes ab 1168 - es heißt, beide Ereignisse seien effektiv mit dem späteren Goldrausch in Nordamerika vergleichbar

Zwischen 65 bis 80 Prozent der europäischen Silberproduktion stammten aus dem Tirol, immer gemäss North. Um eine Vorstellung der Grössenordnung zu geben: Bis 1520 betrug die europäische Silberproduktion 35 bis 42 Tonnen pro Jahr.

Die Schwazer Seite geht offenbar von einer geringeren Silberproduktion weltweit aus, wenn 15,7 Tonnen 85% entsprechen sollen (womit dann ca. 18,5 Tonnen 100% wären), aber dies schreibe ich eher einem gewissen Lokalpatriotismus zu und würde ebenfalls eher die 35 bis 42 Tonnen pro Jahr zu Grunde legen und die 85% dementsprechend relativieren, d.h., nach unten korrigieren.

Auch wenn auf der sonst recht detaillierten und mE auch sehr sachkundigen Seite Mineralienatlas Lexikon - Mineralienportrait / Silber / Europa die Aussage, daß Schwaz um 1500 rund 85% der weltweiten Silberförderung lieferte, bin ich bei diesen prozentualen Angaben äußerst vorsichtig, da sie sich - wie Du schon selbst anmerkst - oftmals nicht mit den Abschätzungen zur Fördermenge weltweit und den Angaben zur Fördermenge der anderen Standorte vereinbaren lassen.

In einem Beitrag weist thimotheus auf die Silberproduktion im Erzgebirge hin (http://www.westerzgebirge.com/htm/erzgebirge-bergbau-silberbergbau.htmwird). Hier wird die Produktion einer einzige Mine in dieser Periode und Region auf 14 Tonnen beziffert, also ca. 1/3 oder mehr jener Europas. Auch wenn man die Zyklik, die in dem Bericht eindrücklich zum Ausdruck kommt, und dass es sich nur um Grössenordnungen handelt, berücksichtigt: Die Angaben lassen sich schwer mit North vereinbaren...

Falls dies jemanden genauer interessiert: Die 14 Tonnen - übrigens im Block (damit die größte zusammenhängende Silbererzmasse, die je in Europa gefunden wurde) - kamen im Jahre 1477 von der Grube St. Georg in Schneeberg.
Hier zwei Überblicke zum erzgebirgischen Silberbergbau: Mineralienatlas Lexikon - Mineralienportrait / Silber / Erzgebirge
Die Historie des Bergbaus
Sankt Joachimsthal findet man unter Mineralienatlas Lexikon - Mineralienportrait / Silber / Europa

Zusätzliche Information (falls es jemanden interessiert): Ohne die bereits vorhandenen Kenntnisse des Silberbergbaus im sächsischen und böhmischen Erzgebirge - von Bergarbeitern aus diesen Regionen ganz abgesehen - hätte Schwaz seine Entwicklung in solcher Stärke wie oben beschrieben wohl nicht erreichen können. Die Technologien etc., welche im Tiroler Silberbergbau ab dem 15. Jh. und dann v.a. im 16. Jh. angewandt und umgesetzt wurden, waren im Erzgebirge bereits zuvor entwickelt und eingesetzt worden.
Vgl. hierzu bspw. http://www.geologie.ac.at/filestore/download/BR0065_102_A.pdf (Hinweis: Agricolas De re metallica libri XII erschien z.B. posthum; er war da bereits 1 Jahr tot!)

Es gab ja Dutzende von Minen. Neben dem Tirol war Ungarn für die europäische Versorgung bedeutsam...

... plus Erzgebirge (sowohl sächsische als auch bömische Seite), Harz, Schwarzwald, Slowakisches Erzgebirge...
Hier gibt es dazu eine Übersicht: Mineralienatlas Lexikon - Mineralienportrait / Silber
Anm.: Die Bewertung historischer Kontexte auf dieser Seite sind zwar jenseits der Abhandlungen zur Geschichte des Bergbaus nicht der Weisheit letzter Schluß (um es vorsichtig auszudrücken), aber hier soll es ja vordergründig gerade um das Thema Bergbau gehen...

Gleichwohl bleibt die Frage: Reichte eine Silberproduktion von einigen wenigen Dutzend Tonnen aus, um unter Berücksichtung der im Eingangstext erwähnten, nicht bezifferten Silberabflüsse ein ausreichendes Wirtschaftswachstum in Europa zu ermöglichen?

Ich bin an der Stelle ganz ehrlich: Solche Fragen lassen sich recht schwer und mE auch kaum eindeutig beantworten, zumal für das 15. Jh. in Europa eben durchaus eine starke wirtschaftliche Entwicklung zu verzeichnen war (die Bezeichung Frühkapitalismus kommt ja nicht von ungefähr). Ein nicht zu vernachlässigender Punkt ist dabei aber mit Sicherheit der immanente human factor - sprich; der Mensch ist nur sehr selten mit dem zufrieden, was er hat, sondern strebt danach, lieber noch etwas mehr zu haben.

Ich schlage vor, die Diskussion auf die Zeit bis 1500 nach Chrsitus zu beschränken. Danach wurde nämlich langsam der Silberimport aus Amerika wirksam, der die Sache umdrehte.

Vorschlag angenommen; die Silberimporte aus der Neuen Welt werden - um genau zu sein - erst ab etwa 1550 relevant.

Sinnvoll wäre eventuell, die Entwicklung des Papiergeldes in Italien und den bargeldlosen, internationalen Zahlungsverkehr für den Grosshandel durch Wechsel einzubeziehen, neben der Naturalwirtschaft. Mindestnes das zeitliche Zusammentreffen dieser Phänomene mit der Silberknappheit ist schon auffallend...

Der bargeldlose Zahlungsverkehr - international bedeutet im Kontext der damaligen Zeit bereits bekanntlich Europa, den Mittelmeerraum und den Orient - hatte sich schon vor dem ersten Rückgang des Silberbergbaus (bekanntlich in der 1. Hälfte des 14. Jh. beginnend) entwickelt. Er beginnt nämlich genaugenommen mit den Wechseln und Kreditbriefen, welche bereits im Hochmittelalter zunächst von jüdischen Geldverleihern und dann bspw. ab der Zeit der Orientkreuzzüge (welche bekanntlich 1291 enden) von den Ritterorden (hier insbesondere von den Templern) ausgestellt wurden.
 
Silberproblem gelöst

Ich habe mich überzeugen lassen, dass doch genügend Silber gab:
<TABLE class=wiki-atlas-table width="100%" align=center bgColor=#b2ffff border=1><TBODY><TR vAlign=top><TD align=left width="100%">Wie man Kupfer zu Silber machet!
Nimm Stücke des Kupfers und mache sie dünne. Erwärme diese Stücke im argen Feuer und gebe schärfsten Essig hiebei, zudem gebe noch den Harn eines unverdorbenen Knaben. Thue dies bis 9 Malen und öfter. Beim Erwärmen thue es gleichmäßig. Bestreue mit feinem gepülvertem Salze. Alsdann dies geschehen, ergreife Tartarus und Sary zarnik, rein und fein. Nehme einen Topfe und befülle mit dem Kupfer und bestreue solange dieses, bis der ganze Topfe bedecket ist. Verschließe ihn sodann artig und stelle ihn gute 17 Stunden in die Kohlen. Ist die Zeit verstrichen, nimm ab den Verschluß, zerreibe und siebe das Erhaltene und wirke mit Tartarus ein. Gieße 14 Male zu Stangen, so wirst du das Argentum erhalten
</TD></TR><TR></TR></TBODY></TABLE>
<SMALL>(Geheimes alchemistisches Rezept; aus: Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim; 1486-1535; De occulte philosophia, De praestigiis daemonum) ;</SMALL>
<SMALL>Zitert aus Mineralienatlas.</SMALL>
 
Hier ein Zitat aus North: "Als Edelmetallknappheit bezeichnet man die Verringerung der europäischen Edelmetallvorräte in der zweiten Hälte des 14. und im 15. Jh. Während des 14. Jh. war die mitteleuropäische Silberförderung fast zum Erliegen gekommen... Die europäischen Münzstätten reduzierten ihre Produktion, wenn sie sie nicht ganz einstellten... die Silberproduktion um 1331/40 und 1491/1500 um rund 80% verringerte... (ibid, p 98) An der gleichen Stelle wird auf die zyklische Förderung hingewiesen. Ebenso p. 361 ff.
Wow, North ist do eigentlich ein ernstzunehmender Witschaftshistoriker... aber gut, jeder kann mal Fehler machen.

Zwischen 65 bis 80 Prozent der europäischen Silberproduktion stammten aus dem Tirol, immer gemäss North. Um eine Vorstellung der Grössenordnung zu geben: Bis 1520 betrug die europäische Silberproduktion 35 bis 42 Tonnen pro Jahr.
Die Zahlen kommen glaub ich schon hin. Ich habe hier etliche Zahlen zum Silberabbau ab 1470 in Tirol entdeckt (auf Seite 34). Dort steht beispielsweise, dass 15.000 kg Silber pro Jahr als Rekordmenge in Tirol in den letzten beiden Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts abgebaut wurden und dass das ca 85 % des Silberabbaus in Mitteleuropa ausgemacht hat.

Worüber ich in gleichem Artikel gestolpert bin, erklärt evtl die doch extrem abweichenden Zahlen. Die Fördermengen wurden in Mark und Lot gemessen und je nach Umrechnungsschlüssel variieren damit auch die Fördermengen. Bei den oben geannten Zahlen wurde ein Umrechnungsschlüssel eines gewissen Ekkehard Westermann genutzt. Vielleicht wäre es zu Vergleichszwecken sinnvoll, die alten Maße zu verwenden?

Gleichwohl bleibt die Frage: Reichte eine Silberproduktion von einigen wenigen Dutzend Tonnen aus, um unter Berücksichtung der im Eingangstext erwähnten, nicht bezifferten Silberabflüsse ein ausreichendes Wirtschaftswachstum in Europa zu ermöglichen?
Für mich ist die Frage ein bisschen sehr Äpfel mit Birnen vergleichen. Worum geht es denn jetzt genau? Um das Münzwesen? Wenn ja: Münzen wurden nicht nur aus Silber geprägt. Geht es um die Wirtschaft allgemein? Dann darf nicht nur der Bergbau interessieren und auch nicht nur der Geldmarkt, da gehört eben noch mehr rein. Gehts um gesamt Europa oder doch "nur" um das HRRDN? Wir reden zwar von ganz Europa, schauen uns aber hier immer wieder nur den Silberabbau im HRRDN an. Wieso sollte der Silberabfluss so schwerwiegend gewesen sein? Dürften da nicht Devisen im Allgemeinen eher im Vordergrund stehen? Und wenn schon der Export, dann sollte auch der Import berücksichtigt werden.
 
Woher kamen 70 Prozent mehr Silber?

Tja, womit beschäftigen wir uns eigentlich?

Gehen wir mal von einem Wirtschaftswachstum im Spätmittelalter von 1 Prozent pro Jahr aus. Nehmen wir ferner an, dass Silber nicht das einzige, aber das für das Wirtschaftswachstum ausschlaggebende Zahlungsmittel war, und dass ein Gleichgewicht von Geldversorgung und Wirtschaftswachstum vorhanden sein sollte, um eine Störung zu verhindern.

Das alles bedeudet, dass in 100 Jahren die Silberproduktion um 70 Prozent steigen musste. Oder in den 5 Jahrhunderten von 1000 nChr bis 1500 um den Faktor 13. So als Grössenordnung.

Gibt es für so was Hinweise? Kann sich das jemand vorstellen? Wieviel Holz und Kupfer wären dazu nötig gewesen? Wieviele Mägde hätte zufällig silberhaltige Steine finden müssen? Wieviele Leute hätten die Förderer beschäftigen müssen?

Wenn ich Euro Quellen durchgehe, scheint es ausser in Ungarn keine systematische Exploration gegeben zu haben. Es gab nur immer wieder Zufallsfunde. Einzelne der vielen Werke blühten auf, waren aber auch bald wieder erschöpft. Das war ein Auf-und-Ab. Die Besitzer wurden reich, verarmten aber auch bald wieder. Wieviel Zufall hat da mitgespielt? War die Silberproduktion spekulativ oder nachhaltig?

In Südeuropa, wo vermutlich das stärkste Wirtschaftswachstum stattfand, gab es anscheinend keine Förderung. Die Mienen waren seit der Antike erschöfpt.

Ab dem 14. Jh ist ein neues Phänomen zu beobachten: Die Gruben wurden tiefer geführt, aber wegen dem zunehmenden Grundwasser mussten Zusatzstollen zur Entwässerung gebaut werden. Die Erbauer dieser Zusatzstollen verlangten 9 Prozent des geförderten Silbers.

Warum gab es mehr Grundwasser? Hat dies mit der klimatischen Abkühlung zu tun, die etwa Josef H. Reichholf in "Eine kruze Natrugeschichte des letzten Jahrtausends" beschreibt? Er erwähnt auch die weitgehende Abholzung der Wälder, zugusnten der Landwirtschaft wegen des Bevölkerungswachstums. Versiegte nicht einfach das Holz? Auf den Illustrationen in den Quellen sieht man selten Wälder in der Umgebung der Mienen.

Die Besitzer mussten 10 bis 20 Prozent des Silbers abgeben. Was machten Sie mit dem Rest. Das war ja kein Geld. Sie hatten wohl kaum das Recht, Münzen zu schlagen, sondern mussten diese gegen Silber eintauschen, wenn sie Geld wollten - und bekamen immer weniger Münz fürs gleiche Silber.

Wie wirkte sich in diesem Zusammenhang die Münzverschlechertung aus, die offenbar drastisch war? Mussten sich die Produzenten wegen des Greshamschen Gesetzes nicht sagen: "Lassen wir das Silber besser gleich im Boden?"

Es wurde auch auf die Kapitalintensität der Silberproduktion verwiesen. Wenn in einer Wirtschaft Silbergeld knapp war (eine Voraussetzung für eine profitable Förderung), dann hätten theoretisch die Zinsen steigen müssen. Gibt es dafür Anzeichen und wie vertragen sich hohe Zinsen mit mit Kapitalintensität? Beisst sich da der Hund nicht in den Schwanz?

Auf die Importe aus dem Orient und den Zusammenhang mit dem Silberabfluss habe ich hingewiesen, weil der Handel mit dem Orient möglicherweise bedeutend umfangreicher war als man annimmt. Siehe Robert Findlay u.a.: Power und Plenty, ein wundervolles Buch über den globalen Handel im 2. Jahrtausend. China war schon damals riesig, hatte keine eigene Silberförderung und zog für seine wachsende Wirtschaft Silber aus aller Welt, d.h. Japan und Europa, an.


Wenn ich mir das alles überlege, spricht schon einiges für die These, dass die Silberproduktion ein Problem war.

Viele Grüsse
 
Zuletzt bearbeitet:
Gehen wir mal von einem Wirtschaftswachstum im Spätmittelalter von 1 Prozent pro Jahr aus. Nehmen wir ferner an, dass Silber nicht das einzige, aber das für das Wirtschaftswachstum ausschlaggebende Zahlungsmittel war, und dass ein Gleichgewicht von Geldversorgung und Wirtschaftswachstum vorhanden sein sollte, um eine Störung zu verhindern.

Das alles bedeudet, dass in 100 Jahren die Silberproduktion um 70 Prozent steigen musste. Oder in den 5 Jahrhunderten von 1000 nChr bis 1500 um den Faktor 13. So als Grössenordnung.
Den Gedankensprung kann ich ehrlichgesagt nicht nachvollziehen. Kannst du das nochmal genauer erläutern?

Wenn ich Euro Quellen durchgehe, scheint es ausser in Ungarn keine systematische Exploration gegeben zu haben. Es gab nur immer wieder Zufallsfunde. Einzelne der vielen Werke blühten auf, waren aber auch bald wieder erschöpft. Das war ein Auf-und-Ab. Die Besitzer wurden reich, verarmten aber auch bald wieder. Wieviel Zufall hat da mitgespielt? War die Silberproduktion spekulativ oder nachhaltig?
Nachhaltig. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gab es etliche wichtige Innovationen im Bergbau bspw. Wasserkünste, eiserne Förderhaspeln, Saigertechnik oder Heinzenkunst. Das legt zum einen den Schluss nahe, dass man sich bewusst darum bemüht hat, Techniken zu finden, die den Silberabbau verbessern bzw. beschleunigen oder auch Silbervorkommen zugänglich machen, an die man ohne diese technischen Hilfsmittel nicht ran kam. Außerdem haben sich diese Innovationen ziemlich schnell im gesamten HRRDN verbreitet (innerhalb weniger Jahre), so dass man wohl auch davon ausgehen kann, dass die Innovationen bewusst verbreitet wurden. (Quelle: Bestmann: "Hochfinanz, Wirtschaftsräume, Innovationen")

In Südeuropa, wo vermutlich das stärkste Wirtschaftswachstum stattfand, gab es anscheinend keine Förderung. Die Mienen waren seit der Antike erschöfpt.
Wieso soll in Südeuropa ein stärkeres Wirtschaftswachstum gewesen sein? Was fasst du mit dem Begriff "Südeuropa" zusammen? Soweit ich mich entsinnen kann gab es auf Sardinien auch im MA noch reiche Silbervorkommen. Quelle muss ich erst nachschlagen.

Ab dem 14. Jh ist ein neues Phänomen zu beobachten: Die Gruben wurden tiefer geführt, aber wegen dem zunehmenden Grundwasser mussten Zusatzstollen zur Entwässerung gebaut werden.
Was ja zu dem von mir oben Beschriebenem passt.

Die Erbauer dieser Zusatzstollen verlangten 9 Prozent des geförderten Silbers.
Gibts dafür eine Quelle?

Warum gab es mehr Grundwasser? Hat dies mit der klimatischen Abkühlung zu tun, die etwa Josef H. Reichholf in "Eine kruze Natrugeschichte des letzten Jahrtausends" beschreibt?
Na weil die Stollen tiefer ins Erdreich getrieben wurden, darum.

Er erwähnt auch die weitgehende Abholzung der Wälder, zugusnten der Landwirtschaft wegen des Bevölkerungswachstums. Versiegte nicht einfach das Holz? Auf den Illustrationen in den Quellen sieht man selten Wälder in der Umgebung der Mienen.
Ich meine eher, dass die verstärkte Abholzung in den Bergbaugebieten auch primär mit dem Bergbau und den nachgelagerten Industrien (Verhüttung, Münzprägung) zusammenhängt.

Die Besitzer mussten 10 bis 20 Prozent des Silbers abgeben. Was machten Sie mit dem Rest. Das war ja kein Geld. Sie hatten wohl kaum das Recht, Münzen zu schlagen, sondern mussten diese gegen Silber eintauschen, wenn sie Geld wollten - und bekamen immer weniger Münz fürs gleiche Silber.
Woher hast du das mit den 10 bis 20 Prozent? Spontan aus dem Bauch raus, würde ich sagen Silber wurde in Barren gegossen und verkauft. Münzen selbst schlagen durften die Bergbauer natürlich nicht. Aber wieso sollten sie ihren Ertrag einfach nur abgeben?

Wie wirkte sich in diesem Zusammenhang die Münzverschlechertung aus, die offenbar drastisch war?
Meinst du mit Münzverschlechterung die manchenorts vorkommende Praxis, dass die Legierung verändert wurde, so dass die Metalle günster waren und damit der Reinerlös der Münze zumindest kurzfristig stieg (soll heißen niedrigerer Materialwert gleicher Nennwert).

Mussten sich die Produzenten wegen des Greshamschen Gesetzes nicht sagen: "Lassen wir das Silber besser gleich im Boden?"
Nö, das Silber ist ja immer noch das gleiche wert. Das Greshamsche Gesetz ist die geldwirtschaftliche Übersetzung zu "die guten ins Töpfchen die schlechten ins Kröpfchen". Soll heißen, gute Münzen (mit einem höheren Silberanteil) wurden gehortet, schlechte (mit einem niedrigerem Silberanteil) ausgegeben. Der Nennwert war aber immer noch der gleiche, ein Gulden war ein Gulden, wurscht wie die Legierung war. Kritisch wurde das erst, wenn man über die Grenze ging, dort war dann nämlich der Taler mit dem höheren Silberanteil mehr wert, als der mit dem niedrigeren Silberanteil.

Es wurde auch auf die Kapitalintensität der Silberproduktion verwiesen. Wenn in einer Wirtschaft Silbergeld knapp war (eine Voraussetzung für eine profitable Förderung), dann hätten theoretisch die Zinsen steigen müssen.
Es gab ja auch Goldmünzen, oder Kupfermünzen...

Gibt es dafür Anzeichen und wie vertragen sich hohe Zinsen mit mit Kapitalintensität? Beisst sich da der Hund nicht in den Schwanz?
Da beißt sich Tatsach' der Hund in den Schwanz, schließlich gab es im HRRDN noch keine EZB, die das Zinsniveau geregelt hätte ;) Grundsätzlich gibt es in der betrachteten Zeit das Problem des Zinsverbots, was eine einheitliche Betrachtung der Zinsentwicklung schon mal deutlich erschwert. Hinzu kommt, dass Geldgeschäfte - abgesehen von den, mit dem Warenaustausch in Verbindung stehenden Geschäften der italienischen Banken - Geldanlage- und Kreditvergabegeschäfte eher individualvertraglich abgelaufen sind und so eine Erhebung des durchschnittlichen Zinsniveaus auch ziemlich müßig wäre.

Wenn ich mir das alles überlege, spricht schon einiges für die These, dass die Silberproduktion ein Problem war.
Aber einiges halt auch dagegen...
 
Spätestens mit diesen Fragen wäre es sinnvoll, sich dann doch die Bergbaugeschichte beim Silber im Detail und möglicherweise auf Regionen fokussiert anzuschauen. Vorab: mit den Mengen- oder Wertgrößen (Wachstum, Zinsen, Geldmenge etc.) würde ich nur sehr vorsichtig für diese Zeiträume umgehen, ich halte sie eigentlich nicht für verwendbar, sondern Aussagen dazu können nur grobe Anhaltpunkte liefern.

Ausgangspunkt:
Nimmt man Darstellungen zur Geldgeschichte, wird unisono von einer kräftigen Steigerung der Silberproduktion ab der zweiten Hälfte des 15. JH ausgegangen (siehe oben sowie HdWW, Geldgeschichte, demnach wurde in Europa um 1500 ca. 65 Tonnen Silber p.a. produziert).


Nun könnte man dazu in die Bergbaugeschichte einsteigen: nehmen wir den gut erforschten Harz, für den im genannten Zeitraum der Silberabbau speziell, der Bergbau allgemein ein kräftiges Wachstum erfuhr. Kennzeichnend sind äußerlich die Abholzungen und die Entstehung der Wasserregale. Von Holzmangel konnte allerdings keine Rede sein.

Richtig ist der Hinweis auf die umfangreicheren Entwässerungssysteme (neben der Nutzung des Wassers als Kraftquelle). Im Harz wurden diese Techniken aus den klösterlichen Bewässerungssystemen kopiert, also nur in den Bergbau übertragen. Zentrum war das Kloster Walkenried, das sich mit Betrieben und "exportierter" Technik über den ganzen Harz ausbreitete, ein früher "Montankonzern" :D Bei der Entwässerung ging es (Silberproduktion im Gebirge) weniger um die steigende Tiefe, sondern um die Ausbreitung bzw. Länge der Stollensysteme im Berg. Mit der Ausbreitung steigt die abzuführende Wassermenge, mit Klimaveränderungen hat das nichts zu tun. Im Gegenteil, es gab Phasen von Niederschlagsmangel, was im Bergbau erhebliche Auswirkungen auf die Seen hatte und bei Austrockung zu Verarmung führte. In der Folge wurden zB die Stauhöhen ständig gesteigert.



Woher stammen Deine Angaben zu den Abgaben?
 
Zurück
Oben