Bauern-Landwirtschaft

BigA

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Guten Abend zsm,

ich möchte euch gerne ein paar Fragen in Bezug auf den Kontext des Industrialisierungsprozesses stellen. Meine Kenntnis momentan zur Industrialisierung in Deutschland.

Zu beginn steht eine demographische Revolution. Die Starken Hungerkrisen ,die die Menschen abhängig von den Ernterertägen machte, zwang sie zu einem besseren Hygienebewusstsein, Medizin und einer Agrarreform indem die Grenzen der Nahrungssversorgung dadurch überwunden wurden. Mit den Reformen der feudalistiche Ständegesellschaft verbunden trugen diese Pozesse einen Teil zur Industrialisierung bei.(Auf die Technischen Fortschritte möchte ich nicht eingehen.) Somit war eine Bedingung das Arbeitskräftepotential entwickelt. Die Bauern waren ihrem Grund/Gutsherren keiner Pflicht mehr ausgesetzt, keine Schollenbing und Heiratsbeschränkung mehr. Den Bauern wurde ihr bewirtschaftetes Land als Eigentum übertragen doch mussten sie eine Ablösesumme an den Grund/Gutsherren zahlen in Form von Geld oder als Abgabe ein Teil ihrer Landfläche. Die zur Verfügung stehende Fläche reichte kaum aus um Ertrag zu bringen. Es musste Arbeit gesucht werden viele wanderten dort wo sich Fabriken angesiedelt hatten(meistens in Wirtschaftsstädte). Die Folge davon das Angebot an Arbeitskräften überstieg die Nachfrage. Das widerrum wirkte sich auf die Löhne der mittlerweile Arbeiter gewordenen Bauern aus. Die Arbeit wurde mit so einem geringen Betrag entlohnt das Kind(er) und Frau auch arbeiten mussten. Das Elend in den Städten machte sich bemerkbar die Soziale Frage entstand.

Hier an dieser Stelle mache ich Schluss, da der darauffolgende Rest für mich verständlich ist.
Meine Frage würde lauten warum sind die Bauern in die Städte ausgewandert oder haben nach Arbeit in Fabriken gesucht? Waren meine Kenntnisse richtig, bitte korrigiert mich, ich bin euch in jeder Hinsicht dankbar.
 
Meine Frage würde lauten warum sind die Bauern in die Städte ausgewandert oder haben nach Arbeit in Fabriken gesucht? Waren meine Kenntnisse richtig, bitte korrigiert mich, ich bin euch in jeder Hinsicht dankbar.

Weil es auf dem Lande nicht genug Arbeit gab, und damit kein Auskommen für alle; das ist die Kehrseite der Abschaffung der paternalistischen Bindung an einen feudalen Gutsherren: Auch im sozialen Sinne wurde der Mensch frei gesetzt aus allen überkommen Abhängigkeiten, aber auch von allen überkommenen sozialen Absicherungen.

Das gleiche Phänomen kann man als Landflucht in den meisten Entwicklungsländern betrachten. Die Slums der Dritten Welt machen v.a. eines klar: Auf dem Lande scheint das Leben noch schlimmer zu sein, sonst würde man wohl kaum in einem Plastikkarton auf einer Müllkippe hausen. Das liegt natürlich v.a. an den verfügbaren Verdienstmöglichkeiten.
 
Ich denke eher, dass die Menschen auf dem Land keine realistische Vorstellung vom Leben in der Stadt haben, bevor sie dort ankommen. Oder aber es bleibt ihnen nichts anderes übrig, weil sie auf dem Land kein Auskommen mehr finden. Oder aber sie ziehen in die Städte, um irgendwelchen Konflikten auf dem Land zu entkommen.
 
Oder aber sie ziehen in die Städte, um irgendwelchen Konflikten auf dem Land zu entkommen.

So empfundene "Überbevölkerung", Nahrungsmangel kombiniert mit Geburtenüberschüssen.

Untersucht man gewisse Schübe der Landflucht vor der deutschen Industrialisierung, erkennt man Zusammenhänge mit Hungerkatastrophen (so zB 1816/17).
 
Durch die Agrarreform wurden weniger Arbeiter in der Landwirtschaft benötigt und da sie nicht mehr ihrem Gutsherren verbunden waren mussten die Bauern Eigeninitiative ergreifen also sich selbst helfen.

Der Pauperismus, die Massenarmut, wurde doch mit dem Beginn der Eisenbahnenindustrie und dem Bergbau beendet, so das durch den fortschritt mehr Arbeitsplätze zur Verfügung standen?
 
Durch die Agrarreform wurden weniger Arbeiter in der Landwirtschaft benötigt und da sie nicht mehr ihrem Gutsherren verbunden waren mussten die Bauern Eigeninitiative ergreifen also sich selbst helfen.
Das ist zu simpel ausgedrückt für meinen Geschmack. Zunächst mal ein Sinken der Sterberaten (wie im ersten Post von dir beschrieben durch bessere medizinische Versorgung, verbessere hygienische Bedingungen), allerdings auch bedingt durch bessere Bewirtschaftunsmethoden (siehe auch die Kartoffel!) und durch einen Wegfall der Heiratsbeschränkungen; das führt erstmal dazu, dass es mehr "Esser" gibt, d.h. mit der gleichen Fläche an urbarem Land müssen mehr Menschen ernährt werden. Das geht grundsätzlich solange gut, bis es zu Mißernten kommt (durch mehr Esser kann man weniger Vorräte anlegen), was wiederum zu Hungerkatastrophen führt. Nachdem knappe Güter teuer sind - in dem Falle eben Essen - muss Geld verdient werden. Sobald nun die Möglichkeiten zu Arbeiten in der Heimatregion erschöpft sind (weil es keinen Bauern mehr gibt, der den 10. Knecht oder die 20. Magd einstellen will), muss man sich eben bewegen und dorthin abwandern, wo noch Geld verdient werden kann, in dem Falle eben die Städte, da dort aufgrund der beginnenden Industrialisierung mehr Arbeiter benötigt werden.
Noch als Randnotiz: zunächst dürften sich weniger die Bauern selbst bewegt haben, sondern eher deren jüngere Geschwister, also diejenigen, die keinen Landbesitz hatten (zumindest in Gebieten ohne Realteilung) und auch auf dem Land maximal eine Aussicht auf die Anstellung als Dienstbote gehabt hätten.

Der Pauperismus, die Massenarmut, wurde doch mit dem Beginn der Eisenbahnenindustrie und dem Bergbau beendet, so das durch den fortschritt mehr Arbeitsplätze zur Verfügung standen?
Zunächst einmal wurde der Pauperismus mit Beginnen der Industrialisierung schlimmer, insbesondere weil sich auch die Zunftgrenzen aufgelöst haben und somit Handwerker ebenfalls auf den Arbeitermarkt drängten. Außerdem gehört hier auf jeden Fall noch der Themenkomplex rund um die Soziale Frage mit rein. Bei Wiki gibts dazu nen ganz guten Einstieg: Soziale Frage ? Wikipedia
 
Alles richtig, aber ich glaube, man kann das nicht nur auf die Entwicklung im Inland beschränken.

Zwischen 1820/1870 stieg die Bevölkerung auf dem späteren Reichsgebiet (nur) von 33 auf ca. 40 Millionen. Bei gleichfalls steigender landwirtschaftlicher Produktion erhöhten sich in dem Zeitraum die Weizenpreise auf das Doppelte - was für die zu versorgende Bevölkerung ein Problem darstellte. Zudem wurden Überschüsse erzielt, so dass in den meisten Jahren Getreide-Exportüberschüsse vorlagen. Abgesehen von den zitierten Hungerkatastrophen durch Ernteausfälle lag das Problem also auch in den Preisen, die Nahrungsmittelexporte zu Lasten der Inlandsversorgung vorteilhaft erscheinen ließen.

1870 änderte sich das. Hier ist der fast völlige Wegfall der Exportmärkte Großbritannien und Frankreich für deutsche Lieferungen ausschlaggebend, u.a. wegen der stark steigenden USA-Lieferungen zu - aus deutscher Sicht - Dumpingpreisen. Das führte für die Landwirtschaft zu einem rasanten Preisverfall, der wiederum den dort Beschäftigten - die Masse der Bevölkerung - die Erwerbsgrundlage entzog. Die Erntesteigerungen konnten das nicht ausgleichen. Zugleich gab es weiter hohe Geburtenüberschüsse.
 
Alles richtig, aber ich glaube, man kann das nicht nur auf die Entwicklung im Inland beschränken.
Stimmt, hätte ich auch selbst draufkommen können... :autsch:

Zwischen 1820/1870 stieg die Bevölkerung auf dem späteren Reichsgebiet (nur) von 33 auf ca. 40 Millionen.
Ergänzend dazu: Ich habe gerade ein paar Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung in D ab 1750 ausfindig gemacht: Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und England im Vergleich
 
Zu Beginn steht eine demographische Revolution. Die Starken Hungerkrisen ,die die Menschen abhängig von den Ernterertägen machte, zwang sie zu einem besseren Hygienebewusstsein, Medizin und einer Agrarreform indem die Grenzen der Nahrungssversorgung dadurch überwunden wurden.
Die Kausalität dieses Satzes ist nicht stimmig :

Mit
A = demographische Revolution (wg. verminderter Sterberate)
B = Hunger
C = Verbesserung von Hygiene & Medizin
D = Ausweitung der Nahrungsmittelproduktion.

ergibt sich
Erst A, dadurch B, das zwingt zu C und D

Müsste es nicht heißen :
C (und evtl. D) führt zu A, das erzeugt B und zwingt zu D. Dadurch wird wiederum A verstärkt.
 
...führt zu A, das erzeugt B ... Dadurch wird wiederum A verstärkt.

Richtig, der Nahrungsmangel war bei Beginn des Bevölkerungsanstiegs bereits vorhanden, und wurde durch ihn (neben Ernteausfällen) weiter verschärft.

So sind aus der Zeit 1816/1830 aus Württemberg Regelungen bekannt, die die "Verehelichung" vom Nachweis des genügenden Nahrungsstandes vor der Obrigkeit abhängig machte. In Bayern wurden die Bedingungen der Ansässigmachung auf die Verehelichung übertragen, man mußte hier vor den Behörden ein Einkommen nachweisen, um die zu gründende Familie ernähren zu können.

Quelle: von Waltershausen, Deutsche Wirtschaftsgeschichte.
 
So sind aus der Zeit 1816/1830 aus Württemberg Regelungen bekannt, die die "Verehelichung" vom Nachweis des genügenden Nahrungsstandes vor der Obrigkeit abhängig machte. In Bayern wurden die Bedingungen der Ansässigmachung auf die Verehelichung übertragen, man mußte hier vor den Behörden ein Einkommen nachweisen, um die zu gründende Familie ernähren zu können.

Quelle: von Waltershausen, Deutsche Wirtschaftsgeschichte.


Solche Regelungen waren im 18. Jahrhundert in den meisten deutschen Ländern durchaus nicht ungewöhnlich und völlig üblich. Der Hintergedanke dabei war, dass arme Zeitgenossen keine Familie gründen sollten, da man zahlende Untertanen bevorzugte. In der Regel musste man ein Vermögen von mindestens 200 Fl nachweisen, um eine Heiratserlaubnis zu bekommen.

Das funktionierte in der Praxis natürlich nicht und führte nur zu einer wachsenden Zahl von unehelichen Kindern. Die repressiven Sittengesetze stigmatisierten uneheliche Kinder und deren Mütter gnadenlos, was wiederum die Ursache war für eine recht hohe Zahl von Abtreibungen und Kindstötungen.

Der Fall der Susanna Margaretha Brandt war typisch. Sie wurde als Dienstmädchen von einem durchreisenden Handwerker schwanger, und versuchte die Schwangerschaft zu verbergen, was ihr auch lange Zeit gelang. In der Waschküche ihrer Herrschaft trug sie das Kind aus und erstickte es mit einem Laken. Nach der Tat floh sie kopflos und wurde von der eigenen Schwester denunziert. Der Prozess des "Frankfurter Gretchens" erregte großes Aufsehen, doch die Tat und die Tatumstände waren durchaus nichts ungewöhnliches. Goethe war zu dieser Zeit gerade als Anwalt zugelassen, und er ließ sich durch den Prozess zu seiner Figur des Gretchens anregen.


Vielleicht ist das interessant:

Rebekka Habermas, Das Frankfurter Gretchen
 
Kurz zsmgefasst,
besseres Hygienebewusstsein, Medizin, Bewirtschaften von Landflächen und Reformen im feudalismus führten zu einem Bevölkerungsanstieg(Geburten>Sterberfälle), demographische Revolution. Allerdings liefen die Nahrungsvorräte immer dem Bevölkerungsanstieg hinterher. Es kam aufgrund von Nahrungsknappheit zu steigenden Lebensmittelpreisen. Die Bauern konnten keine Arbeitskräfte mehr einstellen, da die Landwirtschaft nicht mehr so viel Ertrag brachte. Für viele musste neue Arbeit gesucht werden, sie wanderten in die Städte aus wo die Industrialisierung Arbeitskräfte benötigte.

Die Städte waren nicht dafür ausgelegt den großen Zustrom von Menschen zu bewerstelligen. Das Angebot an Arbeitern überstieg die Nachfrage. (vlt. Größere) Armut verbreitete sich weiterhin unter Leuten.
War das grundsätzlich nicht die Ursache der Sozialen Frage?
Mit dem Überangebot an Arbeitern konnten Fabrikbesitzer die Leute zu sehr niedrigen Löhnen beschäftigen, sie verdienten kaum Geld um ihre Grundbedürfnisse zu decken.
 
Die Landflucht hat zum Teil auch eine erbrechtliche Ursache.
Viele landwirtschaftliche Betriebe wurden unter den Kindern oder zumindest unter den Söhnen zu gleichen Teilen aufgeteilt. In Folge geringerer Kindersterblichkeit und dem Ausbleiben größerer Seuchen wie der Pest entstanden aus vormals größeren Landwirtschaften nun Klein- und Kleinstbetriebe (1 Acker und drei Ziegen), die eine Familie nicht mehr ernähren konnten. Die Folge war Landflucht aus entlegeneren Gebieten bzw. die Zunahme von Nebenerwerbsbauern in Gebieten im näheren Umland von Industriezentren. Diese Nebenerwerbsbauern arbeiteten tagsüber in den Fabriken und betrieben mit der gesamten Familie in der "Freizeit" die Landwirtschaft. Teilweise, insbesondere wenn auf den Flächen Sonderkulturen betrieben wurden,wie dies beispielsweise rund um Mannheim/Ludwigshafen der Fall war , hielt sich diese Form der Nebenerwerbslandwirtschaft flächendeckend bis Ende der 60er Jahre des 20 Jahrhunderts.

Im übrigen waren die Arbeitsbedingungen in der Industrie trotz aller Härten für unselbständige Arbeiter meist entschieden besser als in der Landwirtschaft. Es gab geregelte Arbeitszeiten und die Entlohnung war ebenfall besser als als Knecht oder Tagelöhner auf dem Land.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Landflucht hat zum Teil auch eine erbrechtliche Ursache.
Das bäuerliche Erbrecht ist ein wichtiger Hinweis von zaphodB. In Deutschland lassen sich zwei grundsätzliche Erbschaftsformen unterscheiden: die von zaphodB. beschriebene Realteilung (alle Söhne bekommen einen gleich großen Teil - mit den ebenfalls von zaphodB. beschriebenen Folgen) sowie das so genannte Anerbenrecht. Hier bekommt ein Sohn den Hof und zahlt die anderen Geschwister mit einem vorher festgelegten Betrag aus. Im altbayerischen Raum beispielsweise herrschte das Anerbenrecht vor.
 
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