Traditionslinien der Bundeswehr

floxx78

Aktives Mitglied
Bezüge zur Geschichte werden vielfach genutzt, um durch Affirmation oder Abgrenzung einen Beitrag zur Identitätsbildung von Personen, Institutionen und Gemeinschaften zu leisten.

Hiervon ist auch die Bundeswehr nicht ausgenommen, um die es in diesem Thread gehen soll.

Welche Traditionslinien der (deutschen) Geschichte werden in der Bundeswehr aufgegriffen? Von welchen wird sich bewusst distanziert? Gibt es vielleicht eine Gleichzeitigkeit von Abgrenzung und Affirmation? Und was lässt sich daraus in Bezug auf den Umgang mit der Geschichte und ihrer Bedeutung in der Gegenwart lernen?

Diese und weitere Fragen sollen in diesem Thread diskutiert werden. Dass die Themen- und Fragenwahl wenig konkret scheinen mag, sei entschuldigt. Mir ist an einer möglichst facettenreichen Diskussion gelegen, die möglicherweise (auf einer Metaebene betrachtet) für sich schon aufschlussreich sein könnte.

Angeregt zur Erstellung des Threads wurde ich durch eine Rezension des Beitrags von Detlef Bald im neuen Heft des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg, in dem es um die Nutzung von Ausbildungsmaterial und Erfahrungsberichten der Wehrmacht in der aktuellen Bundeswehrausbildung geht: Bundeswehr-Lehrmaterial von der Wehrmacht: Von Stalingrad nach Afghanistan - taz.de

Eins noch: Ich bitte darum, bei allen Aktualitätsbezügen stets den historischen Blick zu bewahren und nicht in Diskussionen über die Tagespolitik abzudriften.
 
Ein ganz wichtiges, konstitutives Element der Bundeswehr ist die Berufung auf den militärischen Widerstand des 20.Juli 1944 um Stauffenberg.
 
Ein ganz wichtiges, konstitutives Element der Bundeswehr ist die Berufung auf den militärischen Widerstand des 20.Juli 1944 um Stauffenberg.

Die man um tastende Linien der militärischen Tradition bis hin zur Wehrmacht ergänzen könnte, zB Schiffs- und Geschwadernamen, Kasernenbezeichnungen, eine Auswahl:

Lettow-Vorbeck-Kaserne
Admiral-Brommy-Kaserne
Freiherr-von-Fritsch-Kaserne
Moltke-Kaserne
Steuben-Kaserne
Waldersee-Kaserne
Ritter-von-Leeb-Kaserne
Tannenberg-Kaserne
Henning-von-Tresckow-Kaserne
Rommel-Kaserne
General-Wever-Kaserne
Hammerstein-Kaserne
Generaloberst-Hoepner-Kaserne

Jagdgeschwader 74 (früher „Mölders“)
Jagdbombergeschwader 31 „Boelcke“
Jagdgeschwader 71 „Richthofen“
Jagdgeschwader 73 „Steinhoff“
Aufklärungsgeschwader 51 „Immelmann“
Jagdbombergeschwader 31 „Boelcke“

Zerstörer "Mölders", "Rommel", "Lütjens"
 
Die man um tastende Linien der militärischen Tradition bis hin zur Wehrmacht ergänzen könnte, zB Schiffs- und Geschwadernamen, Kasernenbezeichnungen, eine Auswahl:

Lettow-Vorbeck-Kaserne
Admiral-Brommy-Kaserne
Freiherr-von-Fritsch-Kaserne
Moltke-Kaserne
Steuben-Kaserne
Waldersee-Kaserne
Ritter-von-Leeb-Kaserne
Tannenberg-Kaserne
Henning-von-Tresckow-Kaserne
Rommel-Kaserne
General-Wever-Kaserne
Hammerstein-Kaserne
Generaloberst-Hoepner-Kaserne

Jagdgeschwader 74 (früher „Mölders“)
Jagdbombergeschwader 31 „Boelcke“
Jagdgeschwader 71 „Richthofen“
Jagdgeschwader 73 „Steinhoff“
Aufklärungsgeschwader 51 „Immelmann“
Jagdbombergeschwader 31 „Boelcke“

Zerstörer "Mölders", "Rommel", "Lütjens"

@ Silesia: die tastenden Linien zur Wehrmacht entsprangen dem Gefühl der maßgebenden Personen der Bundeswehr der späten 50er und der 60er-Jahre, die alle bei der Wehrmacht dabei gewesen sind und daher in der Regel wenig Grund sahen, sich von "ihren" Helden zu distanzieren, hatten sie doch den selben Rock getragen.

Heute würde niemand mehr ersthaft eine Einheit oder Liegenschaft nach Lütjens, Rommel etc. benennen, da sie alle ihren Beitrag zu den Machenschaften der Nationalsozialisten geleistet haben, was immer sie sich zu welchem Zeitpunkt auch dazu gedacht haben.

Auch bei bestehenden Kasernennamen tut man sich bisweilen sehr schwer. Viele Namen wurden nach langen und kontroversen Diskussionen geändert - z. B. die der Dietl-Kaserne in Füssen oder der Kübler-Kaserne in Mittenwald, Eduard Dietl ? Wikipedia.
Manch anderer Name würde allzugenauer Überprüfung der unbedingten Vorbildfunktion auch nicht standhalten. Eine Lettow-Vorbeck-Kaserne würde m. E. unter diese Rubrik fallen, da man heutzutage richtigerweise auch einen Soldaten nicht mehr ausschließlich nach seinen militärischen Leistungen beurteilt, sondern auch seine übrige Persönlichkeit in Betracht zieht, ehe man ihn zum Vorbild für Bundeswehrangehörige erklärt.


Die maßgebliche Grundlage für das Traditionsverständnis der Bundeswehr ist übrigens der sogenannte Traditionserlaß:
Traditionserlass ? Wikipedia

hier im Wortlaut:
Traditionserlass der Bundeswehr, 03.10.2005 (Friedensratschlag)

und so alt er ist, so gültig ist er noch. Im wesentlichen beruft sich das Traditionsverständnis der Bundeswehr auf drei Elemente:
1. Die preußischen Reformer um Scharnhorst und Gneisenau,
2. den militärischen Widerstand im Dritten Reich um Stauffenberg, Tresckow und Hoepner,
3. die Leistungen und Errungenschaften der Bundeswehr selbst.


Ich bin mal gespannt, ob Erlaßlage oder zumindest das "offizielle Traditionsverständnis der Truppe" durch die "kriegsähnlichen Umständen" unter denen man sich nun befindet, eine Veränderung erfahren werden...

Edit:
Zur Erläuterung, wie es Mölders, Rommel, Lütjens etc. auf die Namensliste von Schiffen der Bundesmarine gebracht haben, sei auf die sogenannte "Zenker-Rede" verwiesen, die 1956 schon für eine Skandal sorgte, aber recht gut die Auffassung eines großen Teils des höheren Offizierskorps wiedergegeben haben dürfte (Kurzzusammenfassung ziemlich in der Mitte des Wiki-Artikels):
http://de.wikipedia.org/wiki/Karl-Adolf_Zenker
 
Zuletzt bearbeitet:
Es ist bemerkenswert, dass heute die preußischen Reformer der Befreiungskriege (Scharnhorst, Gneisenau, Blücher) offenbar keine besondere Rolle in der bundesdeutschen Traditionslinie spielen, das war in der NVA anders. Nimmt man da etwa Rücksicht auf die Befindlichkeiten Bayerns und anderer ehemaliger Rheinbündler? :D
Dafür saßen die Gebirgsjäger in Füssen bis 1995 noch in der Generaloberst-Dietl-Kaserne (Stichwort: Narvik 1940).
 
Die maßgebliche Grundlage für das Traditionsverständnis der Bundeswehr ist übrigens der sogenannte Traditionserlaß: ...
und so alt er ist, so gültig ist er noch.
Und damals wie heute deckt er eben nur einen Teil dessen ab, was bei der militärischen Traditionspflege eine Rolle spielt. Und zwar den Teil, den die Zivilisten der Regierung wichtig finden. Die Soldaten und Offiziere haben darüber hinaus noch weitere Bedürfnisse an Tradition.

1. Die preußischen Reformer um Scharnhorst und Gneisenau,
Da sind sich Politiker und Militärs noch am einigsten, die preußischen Reformer waren in jeder Hinsicht Vorbild-geeignet.
Es irritiert mich wenn Balticbirdy meint, diese würden heute keine Rolle mehr spielen - das Gegenteil ist der Fall.
Der Knackpunkt bei Scharnhorst und Kollegen ist, daß sie nicht nur politisch vorbildlich eine Reform von Militär und Staat geplant und durchgeführt/unterstützt haben - sondern daß sie dann auch noch erfolgreich in den Befreiungskriegen die Früchte dieser Arbeit geerntet haben.
Und militärische Siege sind für eine militärische Traditionsbildung schon sehr wichtig.

2. den militärischen Widerstand im Dritten Reich um Stauffenberg, Tresckow und Hoepner,
Auch hier sind sich Politiker und Militärs recht einig in der positiven Beurteilung.
Das Problem ist nur: Da wir nun Gott sei Dank keine Diktatur mehr haben, ist die Vorbildfunktion der Widerständler für heutige Soldaten eher theoretisch. Und für den genuin militärischen Bereich geben sie nicht viel her.

3. die Leistungen und Errungenschaften der Bundeswehr selbst.
Netter Versuch, kann man da nur sagen. Denn die BW selber hat natürlich so gut wie keine militärischen Leistungen zu bieten - was an den weitgehend friedlichen Zeiten liegt und sehr zu begrüßen ist.
Aber für die Traditionspflege ist 50 Jahre erfolgreiches Kasernen-Bewachen wenig attraktiv.

Der Punkt ist halt: Soldaten wollen eben auch wirkliche militärische Vorbilder, d.h. "Helden", umsichtige Truppenführer die ihre Schlachten auch gewonnen haben.
Und deswegen dann die Versuche, den politischen Hintergrund diverser Militärs des zweiten Weltkriegs (oder bei Lettow-Vorbeck des ersten Weltkriegs) auszublenden und sich auf das rein soldatische zu konzentrieren. Was eben außerhalb der Kasernen nicht so recht auf Akzeptanz stößt.

Die Lösung wäre eigentlich, bei der Traditionspflege zeitlich auch etwas weiter zurück zu gehen. Prinz Eugen, der Herzog von Braunschweig oder Graf Wilhelm von Bückeburg sind ja nun auch Teil der deutschen Militärgeschichte.

Aber wahrscheinlich ist in den diversen Bundesregierung zu wenig historische Vorbildung vorhanden gewesen.
 
@R.A.: Es irritiert mich wenn Balticbirdy meint, diese würden heute keine Rolle mehr spielen - das Gegenteil ist der Fall.
Und mich hat irritiert, dass unter den von @silesia aufgeführten Kasernen- und Schiffsnamen kein preußischer Reformer von 1813 dabei ist. Aber das mag Zufall sein, da es doch wohl keine komplette Liste ist.
 
@Mercy:Woran war denn diese Traditionslinie der NVA zu erkennen?:confused:
Zum Beispiel daran:
Scharnhorst-Orden ? Wikipedia
Blücher-Orden ? Wikipedia

Aber auch bei den Namen einzelner Truppenteile und Kasernen waren einige 1813er vertreten. http://www.nva-forum.de/WikiNVA/mediawiki/index.php/Traditionsname
http://www.nva-forum.de/WikiNVA/mediawiki/index.php/TraditionsnameAuffälligAuffällig war das Fehlen bürgerlicher oder adliger Widerständler im 3. Reich, außer Schulze-Boysen.
Die Geschwister Scholl waren in der DDR (und sind es östlich der Elbe im Gegensatz zu den meisten Kommunisten im Widerstand auch heute noch) eher bei Straßen- und Schulnamen als Pate zu finden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Für diejenigen, die ihr Interesse zur Thematik gegenwärtig mit ausreichend zur Verfügung stehender Zeit verbinden können/dürfen/müssen:

Im Rahmen der jüngsten und hochundheißherdiskutiertenundangefeindeten Überarbeitung bzw. Neufassung des Traditionserlasses habe ich mir damals während einer langen Zugfahrt längs durch Deutschland die Zeit nehmen können, die Impulsvorträge einiger Wissenschaftler und einiger aktiver Soldaten aus dem Dritten Workshop dazu anzuhören. Und das mit großem Genuß und Gewinn.

Ich hoffe, die sind heute noch genauso hörenswert wie 2017. Zu meiner eigenen Überraschung fand ich die Vorträge der Herren im Erbsensuppenanzug damals sogar noch interessanter als die der durchwegs nicht ganz unbrillianten Zivilisten.

https://augengeradeaus.net/2017/10/...op-zum-traditionsverstaendnis-der-bundeswehr/
 
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