Die Gentry in der Frühen Neuzeit

Zugang schon - aber nicht automatisch und sofort.
Sozialer Aufstieg ist in diesen Zeiten ja ein Projekt für mehrere Generationen.
Der Besitz eines Landguts macht den Händler nicht zum Mitglied der Gentry. Aber es ist die Basis, damit der Sohn oder Enkel dort anerkannt wird.
Vorzugsweise dann, wenn er selber nicht mehr vom Handel leben muß, sondern eine standesgemäße Beschäftigung vorweisen kann - z. B. als Offizier oder Universitätsabsolvent.
Das ist eben alles mit dem Aufstieg in diese Schicht, ich will das mal so formulieren, in England viel subtiler als anderswo.

In Deutschland wurde man als Adeliger, wenn man sich niederließ, oftmals hauptsächlich von der dort ansässigen Adelskorporation anerkannt. Das bedeutete dann eine formale Anerkennung, die bisweilen nichtmal von der des Landesherren ersetzt werden konnte.

In England stieg man scheinbar in die Gentry auf, indem zusehends die Nachbarn und örtlichen bedeutensten Vertreter der Gentry eine gewisse Ehre erwiesen, indem sie die Neulinge besuchten und Dergleichen mehr.
 
Ja, er ist "attorney", wobei zumindest die juristische Laufbahn für Gentlemen nicht so anrüchig war.
Ein "attorney" ist recht wenig, der kann zwar etwas juristische Beratung leisten, darf aber nicht vor Gericht auftreten.
Wenn jemand nur attorney ist (also kein Landbesitz und keine vorzeigbaren Familienverbindungen), ist er bestimmt kein Mitglied der Gentry. Vielleicht wird er höflichkeitshalber mal als Gentleman angesprochen (käme auf die Epoche und den Kontext an), aber eigentlich steht ihm das nicht zu.

Wobei ich natürlich nicht weiß inwiefern man nun zwischen einem Attorney und einem Richteramt konkret differenzierte.
Wie schon gesagt, der attorney ist nur ein kleiner Berater, weniger als ein moderner Rechtsanwalt. Über ihm steht der solicitor (später verschmelzen die beiden Bezeichnungen), eine Art Fachanwalt für spezielle Rechtsbereiche.
Über beiden steht der barrister, nur er darf einen Mandanten vor Gericht vertreten. Er ist auf jeden Fall Universitätsabsolvent (damals nur Oxford/Cambridge) und gilt damit unabhängig von seinen Vermögensverhältnissen als adelig.

Richter sind auf jeden Fall adlig.
Entweder sie sind Magistrates, also als örtlicher Squire bzw. Friedensrichter sprechen sie als Laien in feudaler Tradition Recht in ihrem Bereich. Das sind ererbte Positionen, sie gehören damit zu den führenden Mitgliedern der landed Gentry.
Oder aber sie sind professionelle Richter mit Universitätsabschluß, dann gehören sie wie die barrister per Funktion zum Adel.
 
Das ist eben alles mit dem Aufstieg in diese Schicht, ich will das mal so formulieren, in England viel subtiler als anderswo.
Richtig.
Es gibt (der common law Tradition entsprechend) oft kein klar definiertes schwarz oder weiß, aber viele Grautöne.

Das sieht man ja sehr schön an der von Caro verlinkten Jane-Austen-Diskussion. Die wäre in dieser Form auf dem Kontinent gar nicht möglich, weil da im Zweifelsfall der Stand jedes Beteiligten klar definiert war.
 
War das so?
War dieser Onkel nicht eben einer mütterlicherseits, und genau dieser Familie spricht Catherine doch ab, "Gentlemen" zu sein.
Anscheinend hab ich mich ungenau, oder missverständlich ausgedrückt:

Charles Bingley gilt als Gentleman, weil er selbst von Zinsen lebt, ungeachtet dessen, wie sein Vater sich das Geld erarbeitet hat. Er und Darcy sind beste Freunde, vermutlich aus Studienzeiten, weshalb der Eine den Anderen häufiger begleitet und Darcy Bingley eigentlich beim Landerwerb unterstützen soll, Bingley aber nur "mietet". Die erste Neuigkeit ist, ein reicher, unverheirateter Gentleman hat XY Anwesen gemietet.

Lizzie's Großvater mütterlicherseits war Attorney und hat sein Büro an Philips weitergegeben, der eine Tante geheiratet hat. Der Onkel(Bruder der Mutter?) ist ein reicher Händler.

Wie kann Lady C. bei Lizzie etwas bemängeln, was für ihren Neffen Darcy bei seinem Freund kein Problem ist. Seine Probleme mit ihrer Familie liegen wohl weniger an fehlendem Status, als an Charakter und Benimm der Mutter und Schwestern.

Das Argument, dass er seinen Freund ja nicht heiraten will zählt nicht, weil sich Caroline (die Schwester) durchaus Chancen bei ihm ausrechnet. Zudem betrachtet er den faulen, trinksüchtigen und Kartenspielenden Mr. Hurst (Schwager von Charles und Caroline) ebenfalls als Gentleman, weil dieser zwar knapp aber anscheinend doch von seinen Zinsen leben kann (auch wenn er sich überall durchschnorrt).

Aber ich denke, das Problem und auch die Gesellschaftskritik ist hier, dass langsam ein Wandel eingesetzt hatte und das reiche Bürgertum nach "oben" strebte. Die einen empfanden das als selbstverständlich und normal (Darcy) und die anderen hingen an ihren alten Zöpfen (Sir Elliot, Lady C.) und wollten den gesellschaftlichen Wandel nicht akzeptieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
@ Caro1

Der Roman wurde aber um 1798 geschrieben, also quasi nach der FNZ oder im letzten Jahr derselben, je nachdem ob die FNZ 1789 oder 1799 endet.:winke:
 
@ Caro1

Der Roman wurde aber um 1798 geschrieben, also quasi nach der FNZ oder im letzten Jahr derselben, je nachdem ob die FNZ 1789 oder 1799 endet.:winke:
Wink verstanden ... :winke:
Laß mich nächste Woche mal sehen, ob ich mehr zu den Baronets von 1611 finde, also den Lords, die ihre Parlamentssitze verloren hatten, weil sie im Auftrag der Krone Irland besiedelten, wofür sie Baronetcies und eine kleine finanzielle Entschädigung erhielten ... :friends:
 
Anscheinend hab ich mich ungenau, oder missverständlich ausgedrückt
Oh nein - es ist nur so, daß es lange her ist, daß ich den Roman gelesen habe und auf dem Zitat nicht mehr die Zusammenhänge rekonstruieren konnte.

Charles Bingley gilt als Gentleman, weil er selbst von Zinsen lebt, ungeachtet dessen, wie sein Vater sich das Geld erarbeitet hat.
Das ist also schon mal ein Unterschied zum Vater, der für dieses Geld wirklich gearbeitet hat (Pfui aber auch ;-)
Bingley ist wohl noch kein echter Gentleman (würde also im Burke's nicht auftauchen), wird aber von Einigen schon so behandelt, das ist so die Grauzone. Mit einer ordentlichen Heirat könnte er sich klar aus dieser Grauzone herausbegeben und anerkanntes Mitglied der Gentry werden.

Er und Darcy sind beste Freunde, vermutlich aus Studienzeiten,
Hat er ein Studium abgeschlossen? Dann wäre er schon Esquire, unabhängig vom Vermögen!

Lizzie's Großvater mütterlicherseits war Attorney und hat sein Büro an Philips weitergegeben, der eine Tante geheiratet hat. Der Onkel(Bruder der Mutter?) ist ein reicher Händler.
Also keine Gentry, die ganze Mischpoke.

Wie kann Lady C. bei Lizzie etwas bemängeln, was für ihren Neffen Darcy bei seinem Freund kein Problem ist.
Weil Tanten so etwas oft viel enger sehen ;-)
Und in der Tat: Jemanden als Freund haben ist etwas völlig anderes als jemanden heiraten. Das erste geht über Standesgrenzen, das zweite eher nicht.

Seine Probleme mit ihrer Familie liegen wohl weniger an fehlendem Status, als an Charakter und Benimm der Mutter und Schwestern.
Möglich für Darcy - aber Lady Catherine geht es nur um den Status:
You are a gentleman's daughter. But who is your mother. Who are your aunts and uncles. Do not imagine me ignorant of their condition.

Zudem betrachtet er den faulen, trinksüchtigen und Kartenspielenden Mr. Hurst (Schwager von Charles und Caroline) ebenfalls als Gentleman ...
Es ist weder in England noch auf dem Kontinent ein Problem, wenn ein Adliger faul, versoffen und spielsüchtig ist - er kann sich das sogar eher erlauben als ein Bürgerlicher.

weil dieser zwar knapp aber anscheinend doch von seinen Zinsen leben kann (auch wenn er sich überall durchschnorrt).
Wohl nicht nur deswegen. Hurst kommt ja wohl (obwohl etwas heruntergekommen) aus einer unzweifelhaft der Gentry zugehörigen Familie.

Aber ich denke, das Problem und auch die Gesellschaftskritik ist hier, dass langsam ein Wandel eingesetzt hatte und das reiche Bürgertum nach "oben" strebte. Die einen empfanden das als selbstverständlich und normal (Darcy) und die anderen hingen an ihren alten Zöpfen (Sir Elliot, Lady C.) und wollten den gesellschaftlichen Wandel nicht akzeptieren.
Richtig. Wobei das nicht auf die konkrete Epoche bezogen ist. Auch lange vorher und danach bis heute läuft das in England so. Erfolgreiche Bürgerliche streben nach oben, werden zuerst nicht akzeptiert, und suchen sich dann durch immer bessere Erfüllung der Kriterien in der Gentry zu etablieren.
 
Es ist weder in England noch auf dem Kontinent ein Problem, wenn ein Adliger faul, versoffen und spielsüchtig ist - er kann sich das sogar eher erlauben als ein Bürgerlicher.

weil dieser zwar knapp aber anscheinend doch von seinen Zinsen leben kann (auch wenn er sich überall durchschnorrt).
Wohl nicht nur deswegen. Hurst kommt ja wohl (obwohl etwas heruntergekommen) aus einer unzweifelhaft der Gentry zugehörigen Familie.
Immerhin scheint das Haus von Mr. Hurst recht komfortabel zu sein.

So arg viel erfährt man auch im Roman nicht über ihn, nichtmal ob er spielsüchtig in dem Sinne ist.
Man erfährt oder kann herauslesen, dass Kartenspielen für ihn die angenehmste und wohl auch üblichste abendliche Betätigung ist. Aber das besagt m.E. garnichts. Das war beim Adel generell so. Bei Hofe gehörte das Kartenspiel auch zum Alltag und dem wurde quasi täglich um die gleiche Uhrzeit gefrönt.
Von daher entsprechen seine Vorlieben eher dem Bild eines Adeligen des 18.Jh., an dessen Ende die fiktive Figur ja leben soll.

Bliebe die Frage, wann sich die Gentry, an der Jane Austen gewiss auch ein bisschen spöttische Kritik nahm, wandelte?

PS: Tolle, interessante Beiträge R.A.. :yes::winke:
 
Bliebe die Frage, wann sich die Gentry, an der Jane Austen gewiss auch ein bisschen spöttische Kritik nahm, wandelte?
Spätestens seit den großen Kriegen, die Army und Navy Erfolge und Reichtum einbrachten (siehe auch Persuasion) und als verdiente Offiziere (ungeachtet der Herkunft) mit Titeln belohnt wurden. Wobei es auch hier ewig Gestrige gab, die das nicht akzeptieren konnten/wollten.

Zumindest war ich anfangs erstaunt zu hören, dass man sie wohl zur Gentry zählte (auch ohne Titel), was ihnen Zugang zu den höheren Schichten ermöglichte.

Aber zu den Baronets:
Ich bin doch sehr verunsichert, weil sich die Definitionen und Hintergründe zu den Baronets, je nach Sichtpunkt des Schreibers, unterscheiden.

Mal heisst es, Jacob I habe bestimmten Adligen den neuen, erblichen(!) Titel Baronet 1611 gegen eine Zahlung in die königliche Schatulle (1000 Pfund, der Sold fü 3 Jahre á 30 Soldaten) eingeführt, woanders heisst es, er wollte Irland und Schottland besiedeln, denn diese Titel beziehen sich überwiegend auf den irischen und schottischen Raum.

Mag ja sein, dass er hier das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden wollte, aber er hat 1610/1611 das Parlament (und seine Sitze) wohl mehrfach aufgelöst und Adlige bestraft (u.a. mit dem Entzug diverser Titel). Warum sollte also ein Adliger, zumal aus dem Hochadel, sich mit einem kleinen Titel, noch dazu einem selbst bezahlten, zufriedengeben? Außer man hat damit jüngeren Söhnen Land und Titel verschafft!

Jedenfalls ist die Schaffung dieser 200(!? Er hatte sie 200 Adligen angeboten ) Baronetcies, die nicht zum Hochadel zählen und keine Lords-Sitze mit sich bringen, eine Erklärung dafür, dass man begann von der adeligen Gentry zu sprechen.

Nachtrag: Unter anderem die Häuser Fitzwilliam, Wentworth (bzw. Wentworth-Woodhouse) und Darcy/D'Arcy hatten ursprünglich wohl zugegriffen ... :)
 
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Nachtrag:
Was mich auch sehr wundert, sind Einträge dahingehend, dass die Geschichte der Fitzwilliams in Irland mit Sir William Fitzwilliam begann, dessen Vorfahren sich als Händler und Aldermen einen Namen machten. Das verwundert mich, denn Händler waren in England nicht wirklich anerkannt. Hätte man einem Händler tatsächlich so eine Position anvertraut? :grübel: Ich kann es fast nicht glauben, noch weniger allerdings, dass sich ihr Stellenwert erst später negativ veränderte.
 
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