Ständeversammlungen und Parlamente im Mittelalter

L

Leser

Gast
Ich habe einmal gelesen, dass schon im Hochmittelalter Bürger und Ritter in das Unterhaus des Parlamentes von England gewählt werden konnten.

Nun weiß ich, dass es soetwas wie Parlamente als Ständevertretung und Beratungsorgan von Königen schon länger gegeben hat. In England war es mit der Magna Carta Liberia rechtlich festgelegt, dass die Könige zur Erhebung von Steuern (und den Führen von Kriegen mit dem Heer) das Parlament einberufen musste - so weit, so gut. Wie war es aber z. B. mit dem Reichstag im Heiligen Römischen Reich (Deutscher Nation)? Auch dieser hatte Gesetzgebungskompetenz, insofern der Kaiser Gesetze aus dem Reichstag durch seine Unterschrift in Kraft treten lassen konnte. Gab es dort auch eine Vertretung des 3. Standes? Wenn ja, wie wurde eigentlich ermittelt, wer das Recht hatte, dort vertreten zu sein?

In Frankreich hat König Ludwig der XVI. bekanntlich auch eine Ständeversammlung einberufen lassen, um eine neue Steuergesetzgebung auf den Weg zu bringen (der Plan ging, wie wir alle wissen, nicht auf, da sich stattdessen eine Nationalversammlung aus hauptsächlich den Vertretern des 3. Standes bildete, was den Startschuss zur Französischen Revolution legte...). Hier frage ich mich: Wie passt dieses Eingeständnis, wohl vor allen Dingen an die Fürsten und geistlichen Würdenträger, zu den Souveränitätsanspruch eines absoluten Königs, wie ihn Ludwig der XIV. noch selbstbewusst artikulierte?
War Ludwig XVI. wirklich ein schwacher König (was meines Wissens heute historisch schon wieder "relativiert" wird), oder war der Absolutismus als Herrschaftsform zu seiner Zeit bereits im Niedergang begriffen?
Auch hier frage ich mich, neben der Frage nach den Kompetenzen dieser Standesversammlung, auf welche Weise die Vertreter, besonders des 3. Standes, bestimmt wurden. Gab es eine Art "Wahlrecht" oder auf welche informelle Regelung hat man sich damals geeinigt?

Ähnliches frage ich mich auch für die Holländischen (oder war es schon "Niederländische"?) Generalstaaten: Wie wurden die Vertreter bestimmt? Und: Gibt es eine Art Abriss über die Geschichte des Wahlrechts in England selbst (um zum Ausgangspunkt zurück zu kehren)?

mit freundlichen Grüßen und im Voraus dankend,
euer Leser.

P.S.: Ich hoffe es stört nicht, dass ich so relativ viele Threads in kürzester Zeit eröffene, aber ich habe so viele historischen Fragen und stelle sie deshalb hier herein. :)
 
Hallo Leser,
wenn du so viele Fragen hast, warum wirst du nicht Mitglied und stellst sie in den Foren? Es kostet nichts und bringt ne Menge.
 
Wie passt dieses Eingeständnis, wohl vor allen Dingen an die Fürsten und geistlichen Würdenträger, zu den Souveränitätsanspruch eines absoluten Königs, wie ihn Ludwig der XIV. noch selbstbewusst artikulierte?

Kurz gesagt: Gar nicht. Das Ludwig XVI die Stände nach Versailles rufen musste, um neue Steuern erheben zu können und so dem Staatsbankrott zu entgehen, war die wichtigste Voraussetzung für die folgende Revolution. Hätte Ludiwig XIV ähnlich nötig gehabt, sein L'État, c’est moi! wäre nur albern, da nicht gerechtfertigt gewesen.

Ich würde sagen: Ja, es zeigt die Schwäche des frz. Königtums zur Zeit Ludwig XVI, und es zeigt, dass der Absolutismus in Frankreich ein Auslaufmodell war.

P.S.: Was Mummius Picus sagt, Forenneumitglieder werden hier nur in Ausnahmefällen gebissen... ;)
 
Ich würde sagen: Ja, es zeigt die Schwäche des frz. Königtums zur Zeit Ludwig XVI, und es zeigt, dass der Absolutismus in Frankreich ein Auslaufmodell war.
Ich denke es ist andersrum. Nicht dass der Absolutismus ein Auslaufmodell an sich war, sondern dass er sich speziell von Louis XVI offenbar nicht durchsetzen ließ.
Die Frage wäre, was ihm fehlte, was seine Vorgänger seit dem "Beginn des Absolutismus" hatten?

@ Leser
Worum geht es Dir genau? Die Ständevertretungen sind ein weites Feld. Die Mitsprache des Adels explizit in Frankreich und die Herkunft desselben ließe sich schon eher umreißen, auch wenn selbst das sehr komplex ist. Denn es bezogen sich ja die angeblichen (oder wirklichen) Rechte des Adels zur Partizipierung an der Macht auf eine Tradition, die quasi in eine Zeit zurückreichte, an die man sich in der Zeit des Absolutismus kaum mehr erinnern konnte. (Der etwas komplizierte Satz tut mir jetzt schon leid.:red:)
 
Ich denke es ist andersrum. Nicht dass der Absolutismus ein Auslaufmodell an sich war, sondern dass er sich speziell von Louis XVI offenbar nicht durchsetzen ließ.
Die Frage wäre, was ihm fehlte, was seine Vorgänger seit dem "Beginn des Absolutismus" hatten?

Interessant; Du meinst, jemand anderer an seiner Stelle wäre erfolgreicher gewesen? Hätte praktisch den "Lauf der Geschichte" ändern können?

Würde ich nicht so sehen; die Restauration ab 1815 blieb weitgehend erfolglos und erledigte sich bis 1830 vollständig.

Napoleon und andere Potentaten, die Frankreich ab 1830 regierten, würde ich nicht unter "Absolutismus" einordnen.

Ich sehe keine realistische Möglichkeit, den Absolutismus in Frnakreich 1789 zu retten, lass mich aber gerne eines Besseren belehren. ;)
 
1.
Interessant; Du meinst, jemand anderer an seiner Stelle wäre erfolgreicher gewesen? Hätte praktisch den "Lauf der Geschichte" ändern können?

2.
Würde ich nicht so sehen; die Restauration ab 1815 blieb weitgehend erfolglos und erledigte sich bis 1830 vollständig.

3.
Napoleon und andere Potentaten, die Frankreich ab 1830 regierten, würde ich nicht unter "Absolutismus" einordnen.

4.
Ich sehe keine realistische Möglichkeit, den Absolutismus in Frnakreich 1789 zu retten, lass mich aber gerne eines Besseren belehren.
1.
Bernier (mit seiner Biographie zu Louis XV) zumindest meint, dass der frühe Tod von Louis XV mit Schuld war.
Daran schloss sich ja dann die Rücknahme der Revolution von 1771 und ich glaube darin sieht Bernier eine Hauptursache der Revolution, die eng mit dem Widererstarken des oppositionellen Adels verbunden war.

2.
Das hieße die Geschichte von hinten erklären. Die Entwicklung wurde aber doch durch die Große Französische Revolution angeworfen.
Ganz abgesehen davon, dass sich ja auch Herrscher selbst von der Aufklärung beeinflussen ließen. Doch das würde hier den Rahmen sprengen.

3.
Charles X vielleicht schon. Regierte er nicht absolutistisch, so wollte er wahrscheinlich. Aber darin widersprach er quasi seinem Handeln vor 1789 selbst.

4.
Das hat auch zusehr mit spekulativen Faktoren zu tun.:still:

Der Schlüssel zur Revolution bildet entsprechend auch den Schlüssel zum Gegenteil. Wäre es Louis XVI gelungen den Adel kalt zu stellen, hätte dieser nicht zum Redelsführer einer Rebellion werden können, die allerdings als Ironie der Geschichte dem Adel selbst letztlich den Hals brach (mal von der Wiederkehr späterhin abgesehen und von viel zu weit führenden Fragen, ob der Adel noch eine primäre Rolle unter Napoleon oder Louis XVIII ... spielte...).
Betrachtet auf den 3. Stand - als Träger der Revolution - kann man auch vergleichen. Wie gelang es den erfolgreicheren Herrschern, welche ebenfalls Gründe zur Missgunst im Volk lieferten, dass diese ihnen nicht zum Verhängnis wurden?
 
@ Leser
Worum geht es Dir genau? Die Ständevertretungen sind ein weites Feld. Die Mitsprache des Adels explizit in Frankreich und die Herkunft desselben ließe sich schon eher umreißen, auch wenn selbst das sehr komplex ist. Denn es bezogen sich ja die angeblichen (oder wirklichen) Rechte des Adels zur Partizipierung an der Macht auf eine Tradition, die quasi in eine Zeit zurückreichte, an die man sich in der Zeit des Absolutismus kaum mehr erinnern konnte. (Der etwas komplizierte Satz tut mir jetzt schon leid.:red:)

Also im Einzelnen wollte ich eigentlich darauf hinaus, wie man bestimmte, wer an den Versammlungen und den Parlamenten teilnahm. Es wird ja nicht so gewesen sein, dass da jeder Adlige aufkreuzen konnte. Ich habe hier extra auf Frankreich Bezug genommen, weil hier die Anzahl der Sitze in der Versammlung nach Stand fix war, oder es nach meinen Wissensstand zu sein schien. In England (oder gar den HRR) wird die Sache dann explosiv komplex, nehme ich an?
Gab es also auch unter den Adligen Wahlen, wie in einer modernen Demokratie oder wurde das "unter sich ausgeklügelt"? Vielleicht gab es auch nur 300 Adlige mit relevant großem Landbesitz? :D
Beim Klerus dürfte die Kirche das geregelt haben.

Aber insbesondere der sog. 3. Stand interessiert mich. Gab es dort wirklich einen Wahlkampf oder sowas, oder wie wurden die Vertreter ernannt?
Es geht auch nicht zentral um die Neuzeit und die Revolution, sondern um jene mittelalterliche (!) Parlamentstradition, die sich hier zeigt und hier in den modernen Parlamentarismus übergeht.

@Fran. Revolution: Ich denke, es lag auch an den wirtschaftlichen Bedingungen. Gab es nicht eine große (klimatisch bedingte) Hungersnot in Frankreich, der die Regierung in ihrer Finanznot absolut nichts entgegenzusetzen hatte? So geschah es dann: Staatsbankrott droht, Volk hungert, Legitimationsanspruch der Herrschaft steht schon seit längeren in Frage und all das Vermischt sich zu einer knalligen Situation. Der "Zünder" aber war wirklich die Hungersnot, IMHO. So monokausalistisch bin ich da, fürchte ich.
 
Auch hier frage ich mich, neben der Frage nach den Kompetenzen dieser Standesversammlung, auf welche Weise die Vertreter, besonders des 3. Standes, bestimmt wurden. Gab es eine Art "Wahlrecht" oder auf welche informelle Regelung hat man sich damals geeinigt?
Bei den Generalständen war es folgendermaßen:
Seit dem 15. Jahrhundert durfte jeder volljährige Mann des Dritten Standes, der direkte Steuern zahlen konnte, an der Wahl der Vertreters seines Standes teilhaben.
Die Generalstände tagten in der zweiten Hälfe des 15. Jahrhunderts und im 16. Jahrhundert noch siebenmal. Im 17. Jahrhundert tagten sie noch einmal 1614/15.
Daraufhin wurden sie bs 1789 nicht wieder einberufen und stattdessen spielten die Parlamente, deren Mitglieder ihre Ämter kauften oder erbten, die wesentliche Rolle an der Teilnahme an der Gestaltung der Politik neben dem König.

Zu den Parlamenten hatten wir hier im Forum auch schon einen Thread, daneben gibt der Artikel auch einiges her: Parlement – Wikipedia
 
Zurück
Oben