Von Bestattungen
Mehr als Vermutungen anzustellen, bleibt uns allen nicht übrig. Aber manche Vermutungen lassen sich ja nicht nur durch archäologische Funde sondern auch durch ein bisschen Lebenserfahrung untermauern. Versuchen wir das mal :fs:....
@Nachlässige Bestattungen:
Ich muss Flavius-Sterius mit seinem Einwand Recht geben, zu dem – hervorragend geschriebenen Vergleich der Mentalität von Soldaten bei unliebsamen Aufgaben heute, und seine Rückprojektion in die Antike. Es gibt trotz einiger Parallelen, gerade im religiösen Bereich gravierende Unterschiede!
Warum die von Germanicus mit der Bestattung der Varus-Legionäre beauftragten Soldaten wohl doch recht pietätvoll vorgegangen sein dürften, könnte man auf alten Volksglauben verweisen, der noch heute zumindest bekannt ist: Fast jede „Spukgeschichte“ berichtet von den Geistern unbestatteter und/oder rachsüchtiger Ahnen als Begründung für ihren „untoten“ Zustand. Es mag darauf hinweisen, wie tief derartiges Gedankengut auch nach Jahrtausenden noch im „Volksbewußsein“ verankert sei, aber letztlich ist dieser Hinweis kein Fakt und auch nicht Aussagekräftiger als die „Soldatengeschichte“. Dabei ist man im Kontext mit den Römern gar nicht auf derartige Spekulationen angewiesen!
Der Totenkult hatte in der römischen Gesellschaft einen starken Stellenwert. Die berüchtigten „Aufmärsche der Ahnen“ bei Bestattungen eines Mannes aus höchsten senatorischen Kreisen, wie ihn Livius schildert, geben darauf einen Hinweis. Denn immerhin entstanden aus diesem Ahnenkult nicht nur die später so beliebten Gladiatorenspiele, sondern in ihnen wurzelte auch der gesellschaftlich/politische Anspruch der nächsten Generation!
Doch auch die „kleinen“ Leute haben nachweislich schon zu Lebzeiten danach gestrebt, einmal eine würdige Bestattung zu erhalten! Es gab im ganzen Reich entsprechende Kultvereine, in welche die Mitglieder regelmäßige Einzahlungen leisten mussten. Auch wenn dies teils eine schwere Belastung des eigenen Lebensstandards für wenig Begüterte war, schulterten sehr viele Menschen diese Last! Je nach genauer Selbstdefinition boten diese Kultvereine ihren Mitgliedern eine Bestattungsfeier, Gedenktafel, Leichenschmaus bis hin zu Gedächtnisfeiern (letzteres summarisch…) auch lange nach dem Tode!
Unter Legionärskreisen sind zahlreiche Grabmonumente bekannt, welche von Kameraden errichtet wurden, darunter auch solche für Tote, deren Leichen nie gefunden wurden (darunter auch jene, betreffend eines in der Varusschlacht gefallenen Zenturionen)! Es wird teils angenommen, dass sich unter den Legionäre ebenfalls Kollegien bildeten, deren Aufgabe ein korrektes Begräbnis für ihre Mitglieder war und dafür Beiträge verlangte. Analog also zu den oben genanten, privatgesellschaftlichen Gemeinschaften.
Rüpke nennt in einem Dekret für die Stadt Puteoli verschiedene Punkte über das öffentliche Bestattungswesen. Darunter auch ein Strafgeld von 60 Sesterzen für die Bestattungsunternehmer, wenn sie Leichen beim Transport herunterwerfen… Es gab in den Städten eine öffentliche, religiöse Infrastruktur für Bestattungen, wofür auch die entsprechend eingerichteten Gräberfelder an den Zugangsstraßen zu einer Stadt Beleg geben. Diese religiös/öffentliche Praxis „…ist weit entfernt von den soteriologischen Kulten, die eine erfreuliche, postmortale Existenz versprachen, aber doch ihre Voraussetzung:
Ohne ordentliche Bestattung kein Leben der Toten – und keine Ordnung unter den Lebenden“
Vor diesem Hintergrund mögen die bekannten Grabreliefs und Grabstelen römischer Soldaten nachdenklich machen. Soldaten waren aufgrund ihres Berufes ständig mit dem Tod konfrontiert. Die
pietas verpflichtete die Überlebenden, ihre im Kampf gefallenen Kameraden zu bestatten und Kulthandlungen vorzunehmen. Grabstätten wurden durch Grabmonumente dominiert. Genau dies hat Germanicus für die Toten der Varusschlacht durchführen lassen. Denn es hatte keine Überlebenden gegeben, welche diese Ehrenpflicht hätten ausüben können! Wenn sie überlebt hatten, waren sie geflohen oder Gefangene geworden! Die über Kameradschaften organisierten und auch finanzierten Kollegien, die für eine würdige Bestattung hätten sorgen können, waren (wohl mitsamt ihres angesparten Kapitals!) wie die Männer ein Opfer der Kämpfe geworden! Indem Germanicus diese Ehrenpflicht auf sich nahm, gab er seinen Soldaten wohl auch ein Zeichen, dass er selbst Tote seiner Armee nicht vergessen würde, wenn „irgendwas danebenging“. Es sonst war Praxis innerhalb der Legion, das für Gefallene, die nicht hatten geborgen werden können, auch Scheingräber (Zenotaphe) errichtet wurden – was natürlich ebenfalls Sache von Kameraden/Kameradschaften war! Diese Praxis ist durch Jahrhunderte hinweg festzustellen. So wurden im 1. Jht. Stelen-, im nächsten Jahrhundert Altäre und im dritten Jahrhundert
cupulae (halbrunde Platten) für die Toten errichtet, ganz vergleichbar der zivilen Praxis. Gleichgültig, ob die Monumente für Gefallene, oder für „im Bett“ gestorbene Kameraden bestimmt waren.
Hält man sich diese Punkte vor Augen, ist die von mir gestellte Frage nach einer „Beschäftigungsmaßnahme“ des Germanicus für seine Truppen wohl eindeutig mit „Nein“ zu beantworten. Den an der Bergung der Toten beteiligten Gruppen könnte eher ein gewisser Eifer unterstellt werden, waren sie doch Anfangs gar nicht so begeistert in die „tiefen und gefährlichen Wälder“ vorzudringen, die erst wenige Jahre zuvor einem ganzen, ruhmreichen und großen Heer zum Verhängnis geworden war!
Bleibt die Frage nach den eher verstreut bei Kalkriese gefundenen Knochengruben? Könnten sie trotzdem eine Arbeit römischer Soldaten aus dem Heere des Germanicus gewesen sein? Nach dem Oben gesagten auf dem ersten Blick wohl weniger.
Vielleicht ist es möglich, dass weniger motivierte Auxilien Urheber dieser „Resteentsorgung“ gewesen sind? Denkbar- und auch wohl wahrscheinlicher ist aber die Überlegung, dass mit der Errichtung des zentralen Tumulus samt der dort durchgeführten religiösen Riten der
pietas bereits Genüge geleistet war. Für die „Knochenreste“ mag der Tumulus bereits als Zenotaphe gedient haben, bei dem die notwendigen Riten dafür bereits miterfüllt waren, vielleicht reichte es dann aus, die Gebeine von der Erdoberfläche zu entfernen, indem man sie in Gruben verscharrte?