Vorbehalte gegenüber Juden im Spätmittelalter

Die Gleichung Jesus=Gott war, so meine These, derart früh präsent, dass der "Mord an Jesus" auch sehr früh als "Mord am Gottessohn" gelesen - und verkündet! - werden konnte

Gegen Thesen, wonach man Stelle x oder y so oder so lesen könne oder gekonnt habe, habe ich nichts einzuwenden. Mein Protest zielt allein auf die Behauptung
Als Gottesmörder werden die Juden explizit in Apostelgeschichte 7, 52 genannt [...]
Und das ist halt nicht der Fall.
 
Johannes 8,44 stellt ergänzend klar, dass die Juden dabei als Werkzeuge des Teufels agierten ("Ihr seid von dem Vater, dem Teufel, und nach eures Vaters Lust wollt ihr tun.")

Diese Textstelle treibt mich schon einige Tage um. Zeitgenössische antisemitische Karrikaturen greifen die angebliche Nähe des Judentums zum Teufel immer wieder auf. (Soll ich die hier verlinken??).
In Zusammenhang mit den Vorwürfen des Ritualmordes und der Hostienschändung hätte ich eine Verbindung zu diesem Gedanken erwartet, aber nirgendwo nachlesen können.

Eine Verbindung zum Teufel wird dem Judentum wohl besonders in den Schriften Luthers unterstellt:

"Ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes, durchteufeltes Ding ist`s um diese Juden, so diese 1400 Jahre unser Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind. Summa, wir haben rechte Teufel an ihnen." (Von den Juden und ihren Lügen, Erstausgabe Wittenberg 1543, S. 95)

"Sondern auch der Jüden Bosheit, Lügen, Fluchen muss feind werden und greifen, dass ihr Glaube nicht allein falsch, sondern sie gewisslich mit (= von) allen Teufeln besessen sind." (Von den Jüden und ihren Lügen, von M. Luther, 1542, Volksausgabe, S. 49)

In die Nähe des Teufels gerückt werden Juden dann auch auf einigen "Judensau"-Darstellungen (laut Wikipedia aber erst seit dem 15. Jahrhundert).

Judensau ? Wikipedia
"die Juden sind unser Unglück ... - Google Bücher

Besonders bekannt war die Darstellung am Alten Brückenturm in der Frankfurter Judengasse von 1475. Das Wandgemälde galt bis 1901, als man den Turm abriss, als "touristische Attraktion". Das Motiv wurde in zahlreichen Varianten weiterverbreitet.
Auf einer solchen Darstellung von Johann Jacob Schudt (1664–1722) werden Juden als "Verwandte des Teufels" dargestellt und ein Zusammenhang zum Ritualmord hergestellt.

Jüdisches Museum Frankfurt: Judenfeindschaft
 
Diese Textstelle treibt mich schon einige Tage um. Zeitgenössische antisemitische Karrikaturen greifen die angebliche Nähe des Judentums zum Teufel immer wieder auf. (Soll ich die hier verlinken??).
In Zusammenhang mit den Vorwürfen des Ritualmordes und der Hostienschändung hätte ich eine Verbindung zu diesem Gedanken erwartet, aber nirgendwo nachlesen können.

Ich verstehe dich jetzt wohl nicht ganz richtig. Diese Verbindung wurde ja gemacht. Julius Streicher zeigt diese Verbindung zum Ritualmord ja deutlich in seiner Zeitung. Er griff diese Gedanken aus dem Mittelalter wieder auf.
 
Mit der Reformation änderte sich die antijudaistische Position der Kirche kaum. Der Humanismus und Reformation brachten keine Wende, denn zu ihrem Kampf gehörte eine geistige Generalabrechnung mit den Juden und dem Judentum. Jude und Judentum standen für die geistige Verwirrung dieser Zeit. Die Ambivalenz von Bekehrungswunsch und Hass auf die Juden, deren Verstockung den Weg zum endzeitlichen Reich blockierte, spiegelt sich in der Haltung Luthers. Mit der Schrift, "Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei" (1523) wies er noch die Blutbeschuldigungen und Zwangsbekehrungen zurück und machte die Papstkirche für die ausbleibenden Erfolge der Judenmission verantwortlich. Dann aber als diese Erfolge auch mit der Reformation nicht kamen publizierte er antijüdische Schriften, wie zum Beispiel "von den Juden und ihren Lügen (1543). Darin schlug er vor, man solle jüdische Häuser und Synagogen verbrennen und ihre Schriften konfiszieren. Es greift jedoch zu kurz, die Wurzeln des Antisemitismus in der Reformationszeit nur bei Luther zu suchen, denn auch die Humanisten waren noch von der alleinigen Wahrheit des Christentums überzeugt. Sie betrachteten das "Elend der Juden" als Strafe Gottes und fanden diese gerechtfertigt. Auch die Humanisten dämonisierten die Juden. Dass die Juden das Gemeinwohl bedrohten, war ein Konsens auch unter den weniger judenfeindlichen Reformatoren wie zum Beispiel Zwingli.
 
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Jude und Judentum standen für die geistige Verwirrung dieser Zeit [um 1500]...
Dass die Juden das Gemeinwohl bedrohten, war ... Konsens [um 1500]...

Mein Gefühl sagt mir, dass Du recht hast und ich mich der Diagnose anschließen kann.:winke:

Mein Verstand bittet Dich, diese Aussagen etwas zu operationalisieren: Worin bestand die geistige Verwirrung? Was verstand man damals unter dem Gemeinwohl?

Ich assoziiere - wie andere auch schon - das Theorem vom "Sündenbock", das ja in den Pestjahren Mitte des 14. Jh., zur Zeit der großen Verfolgungen, ein sehr virulentes war, und wenn man das weiterdenkt, kommt man zur Feststellung, dass es (a) im Zweifelsfall reicht, "anders" zu sein, um geschlagen, beraubt, vertrieben und ermordet zu werden, und das (b) das Verbrechen der Juden immer schon darin bestand, ihr Anderssein behaupten zu wollen.
 
Nun ja, es widerstrebt mir etwas,die gesamte Verfolgung mit religiösem Fanatismus zu erklären.der mag auch eine Rolle gespielt haben,aber man sollte zumindest beim relativ plötzlichen Wandel von Tolerierung zu den Progromen die politische komponente nicht unterschätzen.
Wie weiter oben dargelegt wurde,gab es insbesondere im Karolingerreich und auch unter Ottonen,Saliern und Staufern von kaiserlicher und landesherrlicher Seite eine relativ tolerante Politik gegenüber den Juden.
Dies änderte sich mit dem Erstarken des Papsttums und der Bettelorden, war aber auch schon früher dann zu beobachten,wenn es zu Umbruchsituationen kam-
So gab es erhebliche Einschränkungen und Zwangstaufen bereits unter den Westgoten in Spanien und Septimanien und zwar merkwürdigerweise erst ab dem Zeitpunkt,wo die Westgotenkönige, im Gegensatz zu ihren vorwiegend arianischen Untertanen zum Katholizismus konvertierten und sich als besonders gute Kaiholiken darstellen mußten.
Gleichzeitig war das Vorgehen gegen eine religiöse Minderheit ein Signal an die Arianer, um diese zum Konfessionswechsel zu drängen. Hier lag ein klarer politischer Hintergrund vor., insbesondere wenn man sieht,daß im benachbarten fränkischen Herrschaftsbereich,besonders in der Narbonnensis die Juden sogar gefördert wurden.
und einen ähnlichen multikausal-politischen Ansatz sehe ich auch bei den Initiatoren der Kreuzzugsprogrome., die nun mal meist aus den Mönchsorden kamen.Diese unheilige Tradition setzt sich im Prinzip bis zu Luther,der ja aus dieser Mönchsgesellschaft kam, fort.
 
@zaphodB:

Zumindest Luther handelte nach meiner Überzeugung nicht politisch motiviert. Er war kein politisch denkender Mensch.
 
Da bin ich durchaus anderer Meinung,das zeigt schon seine Parteinahme im Bauernkrieg- aber das ist hier OT
Luther kommt aber aus der mönchischen Tradition und hat damit auch die mönchischen Tradition der Judenverunglimpfung absorbiert.Dieser liegt allerdings im 15.Jahrhundert keine politische Absicht mehr zugrunde,sondern sie hat sich "verselbständigt"
Die politischen Wurzelns sehe ich wie oben skizziert im 11./12. Jahrhundert.
 
Da bin ich durchaus anderer Meinung,das zeigt schon seine Parteinahme im Bauernkrieg- aber das ist hier OT
Auch OT:
Luthers "Parteinahme im Bauernkrieg" ist ebenfalls rein theologisch motiviert: Freiheit ist bei Luther immer die Freiheit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, eben die Freiheit eines Christenmenschen, nicht politische Freiheit. Demnach verurteilt Luther in den Bauernkriegen das Töten gemäß dem Tötungsverbot.
(Zudem war er der Auffassung, ich meine, er habe es auch irgendwo so zitiert: "Gib Gott, was Gottes ist, und dem Kaiser, was des Kaisers ist." Deutlicher kann sein Heraushalten aus der Politik und die Anerkennung der Obrigkeit wohl nicht ausgedrückt werden.)

Bezüglich der Bauernkriege ist Luther oft miss-, weil politisch verstanden worden.
 
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Nun ja,ein Heraushalten aus der Politik sehe ich bei Luther ganz und garnicht. Was Du zitierst ist die vordergründige theologische Rechtfertigung seiner Position., aber als Theologe muß er natürlich theologisch argumentieren.Aber dahinter steht eine klare politische Aussage und Ausrichtung.Und "Wider die räuberischen Horden der Bauern" ist ein durch und durch politischer Text...aber das ist hier off topic.
 
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Antijudaismus im Mittelalter

Hallo,
ich interressiere mich sehr über den Antijudaismus im Mittelalter, doch die Informationen die im Internet zu finden sind sind weniger zufriedenstellend.
Wäre nett wenn Ihr mir Wissenswertes erzählen könntet oder interrassante Texte zu dem Thema habt.:confused:

MfG
elkeffo:friends:
 
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