Heinrich Schmitt und der Entnazifikator

El Quijote

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1945 wurde Heinrich Schmitt in die, durch die Amerikaner eingesetzte bayrische Staatsregierung Wilhelm Hoegner (SPD), als Minister für politische Befreiung berufen. Als Minister für politische Befreiung war er auch für die Denazification bzw. Entnazifizierung zuständig. Er galt den Amerikanern wohl als glaubwürdig, weil er - als ehemaliger Reichstagsabgeordneter der KPD - von 1935 - 1945 als politischer Gefangener im Zuchthaus saß.

Von Max Radler ist 1946 im Simplizissimus die Karikatur Schwarz wird Weiß oder mechanische Entnazifizierung erschienen. Dazu ein Gedicht von J. Menter:
Springt immer rein! Was kann euch schon passieren,
Ihr schwarzen Böcke aus dem braunen Haus!
Man wird euch schmerzlos rehabilitieren.
Als weiße Lämmer kommt ihr unten raus.
Wir wissen schon: Ihr seid es nie gewesen!
(Die andern sind ja immer schuld daran – –)
Wie schnell zum Guten wandeln sich die Bösen,
Man schwarz auf weiß im Bild hier sehen kann.
Was mir Probleme bereitet, ist allerdings die Darstellung auf der Karikatur. Einerseits wird der Kommunist Heinrich Schmitt als Urheber des Entnazifikators gezeichnet, auf der anderen Seite ist die Karikatur voller christlicher Bezüge. Zunächst einmal ein Bibelzitat:
"Über einen reuigen Sünder ist mehr Freude als über zehn Gerechte." (L 15, 7). Aber nicht nur das. Die zunächst schwarz uniformierten schwarzen Schafe mit Ehrendolch springen in den Entnazifikator und kommen als weiße Schafe in einem weißen Talar, mit einem Kreuz um den Hals und einer Weißen Lilie/Madonnenlilie aus dem Entnazifikator heraus und defilieren an einer geistlichen Kommission vorbei. An einer Balustrade sieht man Wappen mit einem Anker und dem mit einem Schwert durchbohrten Herz Jesu. Der Anker ist im christlichen Kontext das Symbol der Hoffnung.

Also: Wieso zeigt ein Karikaturist den Entnazifikator eines Kommunisten und stellt praktisch nur christliche Bezüge her?

Die Zeichnung findet ihr hier: http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/images/S-W_30026905 copy1.jpg
 
Also: Wieso zeigt ein Karikaturist den Entnazifikator eines Kommunisten und stellt praktisch nur christliche Bezüge her?
Das ist hier beschrieben:
Die Karikatur setzt sich ironisch-kritisch mit den problematischen Ergebnissen der Entnazifizierung auseinander. Auf ihr ist zu sehen, wie durch den „Entnazifikator“ in Bayern (an den bayerischen Landesfarben links zu erkennen) unter der Aufsicht eines alliierten Besatzungsoffiziers (rechts oben, mit langer Liste in der Hand) „schwarze Böcke aus dem Braunen Haus“ (der NSDAP-Zentrale) zu weißen Unschuldslämmern, jetzt mit dem christlichen Kreuz um den Hals und Blumen in der Hand, gemacht werden. Die Inschrift auf der Maschine schreibt Heinrich Schmitt, dem bayerischen Sonderminister für politische Befreiung, der für die Umsetzung der Entnazifizierung verantwortlich war, das Patent des „Entnazifikators“ zu. Unter den Augen eines offenbar politisch unbelasteten Publikums ziehen die Unschuldslämmer an der bayerischen Regierung und einem Kirchenvertreter (Bildmitte, auf der Kanzel) vorbei.
GHDI - Image
 
Den Text kannte ich natürlich schon, er stellt mich aber nicht wirklich zufrieden. Er erklärt nämlich nicht die Beziehung, welche der Karikaturist zwischen dem Kommunisten H. Schmitt und der (Katholischen) Kirche sieht.
 
Ein Versuch.

Hermeneutisch würde ich das Bild wie folgt gliedern und erläutern:

1. Ca. 25% des Bildes nimmt eine Maschine ein ("Waschmaschine [?]). Das Bild der Maschine steht für einen kontinuierlichen technisch-technologischen Vorgang. In dem Zusammenhang "jedes schwarze Schaf, welches Schuld auf sich geladen hat, wird im Prozeß der Entnazifizierung, auch von seinen Sünden gereinigt". Der Name "Entnazifikator" ist hochironisch und verweist m.E. auf den als formell empfundenen Vorgang der Entnazifizierung in den Spruchkammerverfahren ("Entindividualisierung der Schuld").

2. Damit kommen wir auch schon zur christlichen Symbolik. Das Bild hat einen bayerischen Hintergrund, also einen katholischen. Ersetzt Du "Entnazifikator" mit "Absolutikator" kann man die in der Volksfrömmigkeit verbreitete Auffassung der Absolution heraus deuten. Also wenn Du Deine Sünden im Spruchkammerverfahren "beichtest" wirst Du auch wieder rein und dafür sorgt ein entsprechender "Mechanismus".

3. Die Person, Heinrich Schmitt, ist m.E. nicht wichtig und es gibt auch, da es keine kommunistische Symbolik gibt, keinen weiteren Bezug.

M.E. ist die Aussage:

Du bist voller Schuld, spring und Du wirst schuldfrei sein, dafür sorgt das Verfahren, anschließend bist Du wieder Mitglied der Gesellschaft (Entstigmatisierung) die Aussage des Bildes.

M.
 
Zuletzt bearbeitet:
Da ich selbst Karikaturist von Beruf bin, weiß ich, dass man möglichst einleuchtende Bilder braucht um etwas darzustellen. Dass Schmidt Kommunist war, spielt doch bei der Entnazifizierung überhaupt keine Rolle. Er hat aus ehemaligen Nazis keine Kommunisten gemacht sondern sie zu braven Bürgern umgemünzt, also Unschuldslämmer. In Bayern war der brave Bürger nun einmal bibelfromm und katholisch. Das ist die Aussage des Bildes.
 
Mir geht es wie ELQ.
Ich würde da doch noch einen evt. "bemerkenswerten" klerikal-kommunistischen Hintergrund suchen.
Die Fälle gab und gibt es ja durchaus.

Hat keiner Hintergrundinfos zur bayerischen Entnazifizierung?
 
Von wann genau 1946 ist denn die Karikatur? Schmitt wurde ja bereits 46 durch Pfeiffer ersetzt, der eben sehr restriktiv katholisch unterwegs war. Der "Entnazifikator - Patent: H. Schmitt" kann sich auch einfach nur auf den Entwurf des Entnazifizierungsgesetzes durch Schmitt beziehen.
 
@Repo

:grübel: Die Wortverbindung "klerikal-kommunistisch" ist genial, Franziskus grüßt! :winke:

Gefunden habe ich im net nur folgendes:

Die Mitläuferfabrik. Die Entnazifizierung am Beispiel Bayerns, Dietz Verlag J.H.W. Nachf; Auflage: 2. Aufl. (Dezember 1994), ISBN-10: 3801200825 von Lutz Niethammer.

M.
 
@Repo

:grübel: Die Wortverbindung "klerikal-kommunistisch" ist genial, Franziskus grüßt! :winke:

Gefunden habe ich im net nur folgendes:



M.

In diesen Jahren ist, zumindest regional, manche "Koalition" gelaufen, da zieht es dem Spätgeborenen immer mal wieder die Schuhe aus.
Ich vermute da ist schon in den verhängnisvollen 12 Jahren manches hin und her geregelt worden.

Die Mitläuferfabrik. Die Entnazifizierung am Beispiel Bayerns, Dietz Verlag J.H.W. Nachf; Auflage: 2. Aufl. (Dezember 1994), ISBN-10: 3801200825 von Lutz Niethammer.
Niethammer ist ja eine Empfehlung, mal sehen...
 
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