Ostpreußen und der "polnische Korridor"

Vitruv

Gesperrt
Unverkrampft und entwicklungsfähig...,

Zuvor kurz noch zur sonstigen Debatte.

Korridor und Verkehrsanbindung

Da muss ich jetzt aber nicht erst 6 Fundstellen suchen, sondern kann sehr komfortabel auf eigene Kompetenz zurückgreifen. Ich weiß auch nicht, ob sich einmal ein Wirtschaftshistoriker mit dem brisanten Stoff beschäftigt hat. Für räumliche und städtische Planung ist das Folgende Grundweisheit. Martin Korda erklärt diese Faktoren und ihre Bedeutung kurz und prägnant im Standardwerk ‚Der Städtebau- Technische Grundlagen’, Einführung zur Verkehrsplanung (Stuttgart 2005). Das galt im 19. im 20. Jahrhundert und das gilt bis heute.

Der ostpreußische Raum ist und war weitgehend agrarisch geprägt mit ganz wenigen städtischen Zentren. Bodenschätze für die Industrieproduktion oder Elektrizitätserzeugung sind so gut wie gar nicht vorhanden. Das bedeutet, dass alle hierfür benötigten Rohstoffe und alle Erzeugnisse der verschiedenen Industriezweige außerhalb gefördert und erzeugt werden müssen, dann müssen sie in einem Hafen aufs Schiff verladen, dann wieder entladen und verteilt werden. Das zeitraubende und kostentreibende ist meist der Be- und Entladevorgang, der vor Einführung des ISO-Containers noch viel beschwerlicher war.

Bestimmte Kraftwerktypen benötigen für die ökonomische Betreibung einen notwendigen Verfügungsradius von Rohstoffen, der erstaunlich gering ist. Jeder zusätzliche Transport ist enorm kostentreibend. Die Komponenten sind für die räumliche und industrielle Entwicklung ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Auch der Personentransport ist nur aufwändig und schiffsabhängig zu realisieren, dazu eine psychologische Barriere. Das Flugzeug ist hier noch zu vernachlässigen. Bahntransport war in der Zeit das wesentliche Verkehrsmittel, für einige Massengüter die Binnenschifffahrt. Die Autobahnverbindung ist die langfristige Investition.

Man muß nun nicht erst auf die Transitstrecken nach West-Berlin verweisen und die russische Forderung nach einem Landzugang für Kaliningrad. Ein prägnantes Beispiel für den Einfluß entwickelter verkehrlicher Infrastruktur ist aktuell die Entwicklung von Kopenhagen und Malmö, die durch die Meerenge des Öresund getrennt sind. Die Debatte und Entwicklung selbst habe ich durch Kontakte vor Ort seit den Neunzigern selbst jeweils nachvollziehen können. Man nahm bis Ende der Neunziger von Kopenhagen bequeme und schnelle Schiffe, um das ca. 5 km entfernte Malmö zu erreichen, eigentlich problemlos und im ersten Eindruck keine entscheidende Barriere.

Doch erst mit dem Bau einer Brücke mit Straßen- und Eisenbahnverbindung hat sich der Raum als Ganzes entwickelt, so dass Malmö einen enormen Entwicklungsschub erlebt hat. Gute, schnelle und billige Verkehrsanbindungen sind eben das infrastrukturelle Rückgrat der gesamten räumlichen und industriellen Entwicklung. Das ist ein einfacher Lehrsatz der räumlichen Entwicklungsplanung. Der ostpreußische Raum war sicher überlebensfähig, aber eben so nicht entwicklungsfähig.

Anders gedacht: Polen war ohne Gdingen sehr wohl überlebensfähig, aber eben im Bereich des Außenhandels nicht derart entwicklungsfähig. Es wird eben etwas nicht dadurch falsch, dass es NS-Größen es echoen. Es ging eben um die Frage nach einem Ausgleich der Interessen, der so blockiert wurde.

Grüße


Vitruv
 
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Ignorierst du bei deinem Beitrag nicht, dass Danzig, als Freie Stadt völkerrechtlich nicht Teil des Reiches war?
 
Ignorierst du bei deinem Beitrag nicht, dass Danzig, als Freie Stadt völkerrechtlich nicht Teil des Reiches war?

Bitte klären, wer angesprochen wurde...

Wenn mein Beitrag angesprochen wurde, verstehe ich den Bezug nicht so ganz. Danzig ist prinzipiell ein Sonderfall. Aus wirtschaftlicher Perspektive lief aller Handel über die polnischen Behörden, obwohl es offiziell dem Völkerbund unterstellt war. Formale und faktische Machtverhältnisse sind aber immer zwei verschiedene Faktorren und Perspektiven... Grundsätzlich ist das aber kein Wirderspruch zu den Überlegungen zur Regionalen Entwicklung als Replik zu S.


Grüße Vitruv.
 
Korridor und Verkehrsanbindung
Da muss ich jetzt aber nicht erst 6 Fundstellen suchen, sondern kann sehr komfortabel auf eigene Kompetenz zurückgreifen. Ich weiß auch nicht, ob sich einmal ein Wirtschaftshistoriker mit dem brisanten Stoff beschäftigt hat. Für räumliche und städtische Planung ist das Folgende Grundweisheit. Martin Korda erklärt diese Faktoren und ihre Bedeutung kurz und prägnant im Standardwerk ‚Der Städtebau- Technische Grundlagen’, Einführung zur Verkehrsplanung (Stuttgart 2005). Das galt im 19. im 20. Jahrhundert und das gilt bis heute.
Anders gedacht: Polen war ohne Gdingen sehr wohl überlebensfähig, aber eben im Bereich des Außenhandels nicht derart entwicklungsfähig. Es wird eben etwas nicht dadurch falsch, dass es NS-Größen es echoen. Es ging eben um die Frage nach einem Ausgleich der Interessen, der so blockiert wurd

Bzgl. Ostpreußen stehen diese "Analogien" leider konträr zu den Fakten.


Diese hatte ich ja schon zweinmal angesprochen, und um Hinweise gebeten. Immerhin wurden folgende Aussagen bislang ohne Faktenbezug wiedergegeben:

a) wirtschaftspolitische Schriften der Weimarer Zeit, die mit zweifelhaften ökonomischen "Analysen" Argumentationsbasis für Gebietsrevisionismus darstellten.
b) NS-Propaganda, an Schärfe natürlich noch eine Steigerung zu den übrigen Schriften

Grundsätzlich finde ich es interessant, quasi küchenökonomisch und mit Prämissen an das Problem heranzugehen. Dabei sollte man allerdings die richtigen Prämissen setzen und nicht durch freihändige Einschätzungen ersetzen, zB den Kostenvorteil der Mischtarife Schiff/Bahn gegenüber Bahn betr. Ostpreußen seit Beginn des Jahrhundert. Dann sollte man wenigstens einfügen, welche regionale Struktur und Mengenbilanzen die realisierten Transportströme aufwiesen, Kaufkraft- und Lohnvergleiche, usw. usw.

Das Ganze ist aber höchst ineffektiv, da bereits eine kursorische Durchsicht der Reichsstatistiken ausreichende Genauigkeit in die Aussagen bringen kann: die ostpreußische Entwicklung 1923-1939 weist weder gravierende Abweichungen vom Durchschnitt des Reiches auf, noch bzgl. einzelner vwl. Kennzahlen Besonderheiten zu Ländern wie Württemberg etc., noch besondere Volatilitäten im Kontext konjunktureller Schwankungen.

Anders gedacht: Polen war ohne Gdingen sehr wohl überlebensfähig, aber eben im Bereich des Außenhandels nicht derart entwicklungsfähig. Es wird eben etwas nicht dadurch falsch, dass es NS-Größen es echoen. Es ging eben um die Frage nach einem Ausgleich der Interessen, der so blockiert wurde.
Der Vergleich zu Polen ist, wie ich oben schon angedeutet habe, ökonomisch absurd, allein schon aufgrund der Bedeutung des Seeanschlusses.

Wieso bei Polen bzgl. Zugangsfrage nun auf "lebensfähig" und "nicht derart entwicklungsfähig" (übrigens rein spekulativ, da faktenfrei) abgestellt wird, bei Ostpreußen allerdings die Einschränkung der "Entwicklungsfähigkeit" (kontrafaktisch, wie oben bereits erwähnt) ausreichen soll, ist wohl mit etwas merkwürdiger Perspektive erklärbar.

Es gibt doch reichlich Literatur auch zur polnischen Wirtschaftsgeschichte zwischen den Weltkriegen. Vielleicht sollte man da erstmal hineinschauen, um das "Echo" zu analysieren.
 
Die Kraft des Faktischen...

Bzgl. Ostpreußen stehen diese "Analogien" leider konträr zu den Fakten.


Diese hatte ich ja schon zweinmal angesprochen, und um Hinweise gebeten. Immerhin wurden folgende Aussagen bislang ohne Faktenbezug wiedergegeben:

a) wirtschaftspolitische Schriften der Weimarer Zeit, die mit zweifelhaften ökonomischen "Analysen" Argumentationsbasis für Gebietsrevisionismus darstellten.
b) NS-Propaganda, an Schärfe natürlich noch eine Steigerung zu den übrigen Schriften

Grundsätzlich finde ich es interessant, quasi küchenökonomisch und mit Prämissen an das Problem heranzugehen. Dabei sollte man allerdings die richtigen Prämissen setzen und nicht durch freihändige Einschätzungen ersetzen, zB den Kostenvorteil der Mischtarife Schiff/Bahn gegenüber Bahn betr. Ostpreußen seit Beginn des Jahrhundert. Dann sollte man wenigstens einfügen, welche regionale Struktur und Mengenbilanzen die realisierten

Ein Blick in die Statistik bringt hier auffällig wenig, da es um Entwicklungpotentiale für die Zukunft geht. Es mag ja sein, daß dies propagandistisch instrumentalisiert wurde, aber mit dem Hinweis kommt man nicht nicht an den Fakten vorbei. Ostpreußen gehörte zu den am wenigsten entwickelten Gebieten des gesamten Reiches.

Als Binsenweisheit: Das ganze Reichsgebiet war ja nach dem 1.WK ökonomisch in die Rezession geraten. Erst 1937 wurde die Stahlproduktion der Vorkriegszeit wieder erreicht, eine in der Zeit wesentliche Messlatte der gesamten Wirtschaftsentwicklung. Das mag einen hypotethischen ZUg haben, aber es entspricht allen Kern-Lehrsätzen der regionalen Entwicklung. Wie das nun an den Statikstiken des Staus Quo festgemacht werden soll, dem man dann den Staus des 'Faktischen' zuerkennen will, ist reichlich nebulös. Gerade der Absturz des Danziger Hafens ist ein Paradigma für die Entwicklung, die die Region auf Grund der poltischen Querelen in den Niedergang führte

Und wieso aber dann der Hinweis auf Gdingen im Vergleich 'absurd' ist, erschließt sich nicht. Es geht bei beiden Aspekten um den Abbau von Handels- und Verkehrsbarrieren, um Entwicklung unter optimierten Bedingungen möglich zu machen und auch um strategische Fragen.

Daneben war ja prinzipiell mit dem boomartigen Aufstieg von Gdingen die Rechtfertigung für den Sonderstatus von Danzig entfallen,
da der Status einer freien Stadt aus dem Grund eingerichtet wurde, damit die polnische Seite einen ungehinderten Zugang zu einem Ostsee-Hafen hatte.

Noch kurz zu Danzig, weil von @Quichote angesprochen:

Der gesamte Außen-Handel wurde über polnische Institutionen abgewickelt, dazu gehörte der Hafen und der Eisenbahnverkehr. Der Danziger Hafen verkam im Laufe der Dreißiger Jahre immer mehr zum reinen Umschlagplatz für Schüttgüter, der Verkehr lief aus Warschau gesteuert über den neugeschaffenen Hafen Gdingen.

Es gab in Danzig zeitweise knapp 50 polnische Einrichtungen, die zum Teil speziell für diesen Zweck aufgebaut wurden und für die die Warschauer Junta exterritoriale Rechte beanspruchte, was aber vom Völkerbund immer wieder zurückgewiesen wurde. Eine Eisenbahndirektion für die Verwaltung der polnischen Eisenbahn in Polen, die Warschau aus politischen Gründen in Danzig eingerichtet hatte, war lange Zeit ein Zankapfel.

Bekannt ist der skurrile Konflikt im Postverkehr. Die polnische Seite hatte die Briefs- und Telefonverkehrsrechte im Austausch mit Polen, versuchte dies jedoch aus politischen Gründen über das ganze Danziger Gebiet auszudehnen. Eigene Briefkästen und Postboten wurden eingeführt, so dass es gerade die Posteinrichtungen waren, mit denen Warschau seinen permanenten Anspruch auf das ganze Danziger Gebiet ausweiten wollte.

Und militärisch? In einer Erklärung vom August 1920 protestierte der polnische Vertreter Bisiedecki beim Hohen Kommissar Sir Tower gegen die Danziger Neutralitätserklärung im polnisch-sowjetischen Krieg, welche jedoch konform zum Versailler Vertrag stand. Dennoch wurde Polen als Reaktion zugestanden, auf der Westerplatte an der Mündung der Alten Weichsel ein Munitionsdepot anzulegen und zu dessen Schutz auch eine militärische Besatzung dort zu stationieren. In der Folgezeit wurde diese Anlage vertragswidrig militärisch befestigt, ausgebaut und im Laufe der Zeit weiter verstärkt. Die Westerplatte unterstand aber weiterhin den Danziger Behörden, war also nicht exterritorial.



 
Vitruv, wäre es nicht hilfreich beim Thema "Wirtschaftliche Entwicklung Ostpreußens 1919 - 1939 sowie deren weitere Chancen" zu bleiben als nun auf das Thema Danzig auszuweichen?

Was nun der Hinweis auf die Stahlproduktionsmenge in der Diskussion helfen soll, erschließt sich mir gar nicht. Weder Danzig noch Ostpreußen sind bedeutende Stahlerzeugungsgebiete.

Auch ist der Verweis auf Malmö/Kopenhagen zu unserer Zeit wenig hilfreich, weil natürlich der Austausch von Dienstleistungen durch die verbesserten Verkehrsverbindungen zwischen den beiden EU-Staaten gefördert wird (Dabei wäre auch die Frage zu klären, inwieweit sich hier unterschiedliche Umsatzsteuersätze in Dänemark und Schweden auswirken. Eine Frage, welche beim Verkehr innerhalb des deutschen Steuer- und Zollgebietes zwischen dem Reich und der ostpreußischen Exklave keine Rolle spielte). Zu der zur Diskussion stehenden Zeit 1919 - 1939 hat für Ostpreußen der Dienstleistungssektor keine wesentliche Bedeutung. Wie ja von Dir selbst festgestellt, war Ostpreußen ein klassisches Agrarland.

Welchen Einfluss auf die Agrarproduktion sowie den Verkauf dieser Agrarprodukte hätte eine Wiederherstellung der Landverbindung zum Reich gehabt? Getreide wird nun in der fraglichen Zeit mittels Binnen- oder Seeschiff transportiert. Der Ferntransport via Eisenbahn, LKW oder Pferdefuhrwerk dürfte dabei eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Wenn nun - was ich vermute - es bei der Ein- und Ausfuhr Verschiebungen ab 1919 zu Lasten von Danzig und Memel zu Gunsten von Pillau/Königsberg gegeben hat, war das doch für den Erzeuger uninteressant.

Das durch die politische Situation der Seehafen Danzig geschwächt worden ist, steht sicherlich außer Frage. Aber war dies für die wirtschaftliche Situation Ostpreußens von Relevanz?
 
Soweit ich sehe, betrifft nur dieser Abschnitt Ostpreußen, der Rest ist Themenwechsel, wie @flavius schon festgestellt hat:

Ein Blick in die Statistik bringt hier auffällig wenig, da es um Entwicklungpotentiale für die Zukunft geht. Es mag ja sein, daß dies propagandistisch instrumentalisiert wurde, aber mit dem Hinweis kommt man nicht nicht an den Fakten vorbei. Ostpreußen gehörte zu den am wenigsten entwickelten Gebieten des gesamten Reiches.

Bei fehlender Basis fällt die Prognose leicht. :respekt:

Nochmal die Nachfrage: Welche Fakten?

Der Hinweis auf die "Entwicklung" Ostpreußens ist neben der Sachfrage, da die rückständige Entwicklung - macht man sie an der Industrialisierung fest, was hier wohl gemeint ist - schon vor dem Ersten Weltkrieg feststellbar ist. In der Zwischenkriegszeit sind die wesentlichen ökonomischen Kennzahlen für Ostpreußen in gleicher Entwicklung wie im Reichsdurchschnitt bzw. sogar weit besser (was mit der Krisenempfindlichkeit des agrarisch geprägten Ostpreußen zu tun hat, die geringer war als die der industrialisierten Bereiche Deutschlands).


Off Topic:
Tonnagen Danzig/Gdingen und die Hafenentwicklung hatten wir hier:
http://www.geschichtsforum.de/416827-post14.html
 
Um mal der Diskussion betr. Ostpreußen etwas Substanz zu geben:

1. Die "Trennungsdiskussion" zum Korridor wird im Wesentlichen als "moralisch-psychologische" Belastung gesehen, nicht als wirtschaftliche. Dazu kommt eine Bedrohungspsychose der Bevölkerung, die zT aus polnischen Handlungen, zT aus politischer Agitation und Aufhetzung beruhte.

2. Die Agrarstruktur des Landes kann seit Reichsgründung als rückständig idS belegt werden, dass Industrialisierung, Kapitalbildung, Verstädterung, Bevölkerungswachstum, Siedlungsdichte, Lohnniveau, Produktivität sich als unterdurchschnittlich im Reichsvergleich bewegten. Das trifft selbst auf die Landwirtschaft zu, die klimatisch benachteiligt zu den übrigen Reichsgebieten war. Nimmt man die agrarisch genutzte Fläche und die Flächenerträge, wird bei allen Frucharten diese Benachteiligung deutlich.

3. Nach dem Krieg verlor Ostpreußen sein "Hinterland"; und zwar nicht das nach Westen, sondern das nach Osten! Zwischen Rußland schoben sich die Baltischen Staaten (als Konkurrenten), daneben trat Polen auf. Das Niedriglohnniveau und die Verschiebung der politischen Grenzen (plus Wegfallen des alten Abnehmers Rußland) führte dazu, dass Warenströme um Ostpreußen herumgelenkt wurden. Andererseits bestanden die alten Frachtkostennachteile für Strecken nach Westen fort.

4. Die Warenströme Ostpreußens haben zwei Hauptrichtungen: das Land importierte p.a: zwischen 2 und 3 Mio. Tonnen Steinkohle, Hauptlieferant vor und nach dem Weltkrieg war Oberschlesien. Daneben gab es traditionell als Steinkohle-Lieferanten mit ca. 1/5 - 1/4 Anteil am Gesamtbezug England. Die Kohle wurde über die Seewege geliefert. Der zweite Hauptstrom betrifft mit 3-5 Mio. to. p.a. den Export der landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Durch die Gebietsverluste wurde die Position Ostpreußens gestärkt, das nämlich einen erhöhten Beitrag der Reichs-Versorgung darstellte. Die Kostennachteile auf der Schienenstrecke wurden mit etwa 10 Mio. RM p.a. nach 1923 ausgeglichen, ein vernachlässigbarer Betrag als Reichslast. Aufgrund der günstigeren Schifffrachttrarife hatte der kombinierte Schiff-Bahn-Transport stets wichtige Funktion; Dadurch kam es auch nicht zu Engpässen, als durch den Korridor die Anzahl der wichtigsten Bahnlinien von rd. einem Dutzend auf 3 reduziert worden war. Die Verfrachtung der gesamten ostpreußischen Ernte wurde dadurch nicht wesentlich behindert.

5. Das Land war seit 1870 durch Kapitalarmut und Abwanderung in seiner Entwicklung beeinträchtigt. Das wurde durch den Korridor nicht beschleunigt, sondern war ein jahrzehntelanges Problem. Das Zinsniveau für Ostpreußen war traditionell 1-2% höher als im Reichsvergleich. Die Bonität war durch die agrarische Struktur und innerhalb dieser durch die Größenstruktur der Betriebe schwach.

6. Das Lohnniveau war traditionell schwächer als im Reichsvergleich. Auch hier ergibt sich keine auffällige Veränderung durch die "Insellage".

Zu den Randaspekten:
Schute, Ernst: Getrennt vom Reich - Die Instrumentalisierung des Sports in Ostpreußen, Bochumer historische Studien 6
Baier, Roland: Der deutsche Osten als soziale Frage, Dissertationen zur neueren Geschichte 8



Hier paßt noch der Hinweis auf die später, im August 1939 schriftlich vereinbarte Garantie hin:

1. Publizierter Text, aus dem Britischen Blue Book:
http://avalon.law.yale.edu/wwii/blbk19.asp
2. Interpretation nach Geheimen Zusatzprotokoll:
http://www.geschichtsforum.de/314445-post24.html
[Da es sich nur um einen link handelt, hier noch der Abgleich mit der Fassung in der wissenschaftlichen Literatur. Anita Prazmowska: Britain, Poland and the Eastern Front 1939, Appendix 4, 1987. Dort sind auch die "drafts" zwischen Polen und England abgedruckt.]
 
Zuletzt bearbeitet:
Um mal der Diskussion betr. Ostpreußen etwas Substanz zu geben:

1. Die "Trennungsdiskussion" zum Korridor wird im Wesentlichen als "moralisch-psychologische" Belastung gesehen, nicht als wirtschaftliche. Dazu kommt eine Bedrohungspsychose der Bevölkerung, die zT aus polnischen Handlungen, zT aus politischer Agitation und Aufhetzung beruhte.

2. Die Agrarstruktur des Landes kann seit Reichsgründung als rückständig idS belegt werden, dass Industrialisierung, Kapitalbildung, Verstädterung, Bevölkerungswachstum, Siedlungsdichte, Lohnniveau, Produktivität sich als unterdurchschnittlich im Reichsvergleich bewegten. Das trifft selbst auf die Landwirtschaft zu, die klimatisch benachteiligt zu den übrigen Reichsgebieten war. Nimmt man die agrarisch genutzte Fläche und die Flächenerträge, wird bei allen Frucharten diese Benachteiligung deutlich.

3. Nach dem Krieg verlor Ostpreußen sein "Hinterland"; und zwar nicht das nach Westen, sondern das nach Osten! Zwischen Rußland schoben sich die Baltischen Staaten (als Konkurrenten), daneben trat Polen auf. Das Niedriglohnniveau und die Verschiebung der politischen Grenzen (plus Wegfallen des alten Abnehmers Rußland) führte dazu, dass Warenströme um Ostpreußen herumgelenkt wurden. Andererseits bestanden die alten Frachtkostennachteile für Strecken nach Westen fort.

4. Die Warenströme Ostpreußens haben zwei Hauptrichtungen: das Land importierte p.a: zwischen 2 und 3 Mio. Tonnen Steinkohle, Hauptlieferant vor und nach dem Weltkrieg war Oberschlesien. Daneben gab es traditionell als Steinkohle-Lieferanten mit ca. 1/5 - 1/4 Anteil am Gesamtbezug England. Die Kohle wurde über die Seewege geliefert.

Da scheint dem Autor doch sein ideologisch aufgeladenes eifriges Bemühen durchgegangen sein, die Korridorfrage als in der Sache aufgebauscht und weitgehnd irrelevant darzustellen. Manches ist korrekt, wie das Problem der Arbeitskosten im Vergleich Litauen/ Ostpreußen. Wenn ich wieder Zeit finde gehe ich auf die Vorhaltung ein, aber es wird in den falschen Kontext gestellt. Wenn Sie den Autor aber so unkritisch vereinnahmen, wie kommt denn die Kohle von Oberschlesien nach Ostpreußen- der Autor behauptet Seeweg- wir schauen auf die Topographie bzw. Geografie, an welchem 'Hafen' wird geladen und an welchem angelandet? Auch die französische Dlegation hat in Versailles behauptet, daß die Warenströme ohnehin über das Meer liefen, das war wiederum als Zweckbehauptung aber damals genau so falsch, wie das hier dargestellt wird. Dazu irgendwann mehr.

Danzig habe nicht ich angesprochen, sondern @Quichote, den Hinweis bitte ich dann an ihn zu richten, obwohl Danzig mittelbar schon eine Rolle spielt. Eigentlich wollte auch ich das Thema einschränken, aber als Replik war das durchaus notwendig. Was Malmö betrifft kann man jetzt alle möglichen Faktoren anführen. Das sind dann aber meist Einfälle, aber kein Spiegel praktischer oder theoretischer Erfahrung in Fragen regionalen Entwicklung. Alles Mögliche hat hier mitgewirkt, wie der Zufall, daß die Hafenbereiche industriell aufegeben worden waren, und auch gegenläufige Faktoren, aber die Frage ist, welches Moment war hier wesentlich im Sinne von movere?

Generell gibt es durchaus Maßnahmen, die man vor Ort ergreifen kann, wenn die Region unter den Veränderungen leidet. Diese strukturpolitischen Eingriffe wurden auch vorgenommen. Vor allen Dingen in Königsberg wurden Maßnahmen ergriffen, den Standort aufzuwerten und den Umraum zu stärken. Laut Begründung der Initiatoren Lohmeyer und Goederler ging es zuvorderst darum, die erheblichen Nachteile der Insellage so gut wie möglich abzufedern. Na, die werden überrascht sein, daß die Korridorfrage keine Relevanz hatte :winke: Auf die Implantierungen im Einzelnen komme ich gerne zurück. Im Prinzip könnten Sie mir sogar vorhalten, daß es ab 1937 einen messbaren Aufschwung gegeben habe.

Eigentlich wollte ich mal wieder auf den viel spannenderen Aspekt der Warschauer Strategie zurückkommen und auf die Frage, welches Konzept hat Beck verfolgt, nachdem er den Coup in London landen konnte.

Fest wußte noch:

'Die heimlichen polnischen Großmachtträume standen im Hintergrund der unvermutet schroffen Weigerung, die Beck dem Ansinnen Hitlers schließlich entgegensetzte und die er herausfordernd mit der Mobilmachung einiger Divisionen im Grenzbereich verband. Streng der Sache nach mochte er die deutschen Forderungen nicht einmal für ungerechtfertigt halten, Danzig, so gab er zu, sei für Polen lediglich eine Art Symbol. Doch jede Konzession mußte geradezu wie eine Umkehrung der innersten Intentionen aller polnischen Politik wirken: ihres Strebens nach Gleichgewicht wie nach begrenzter Hegemonie.' Als Replik sind nun möglich: Veraltet oder Quellendiskreditierung?

Diese Überlegungen sind perspektivisch noch eine Betrachtung wert, gerade in Bezug auf die Frage nach dem Level von Real- oder Machtpolitik bis zur Frage eines irgendwie realistischen miltärischen Konzeptes, mit dem Beck das Land duch den Sturm der Ereignisse führen konnte.

Grüße

Vitruv
 
Da scheint dem Autor doch sein ideologisch aufgeladenes eifriges Bemühen durchgegangen sein, die Korridorfrage als in der Sache aufgebauscht und weitgehnd irrelevant darzustellen.
Der Autor bin ich :winke:
Die Basis für Nr. 2 ff. sind die Reichsstatistiken, für Nr. 1 ist das der Stand der Forschung.


Wenn Sie den Autor aber so unkritisch vereinnahmen, wie kommt denn die Kohle von Oberschlesien nach Ostpreußen- der Autor behauptet Seeweg- wir schauen auf die Topographie bzw. Geografie, an welchem 'Hafen' wird geladen und an welchem angelandet?
Das liegt doch auf der Hand:
a) Bahn
b) Verschiffung über die Oder nach Vorfracht (Breslau/Cosel)
c) Bahn/Ostseehäfen

Auf diese Art und Weise gelangten auch vor 1914 rd. rd. 2 Mio. to. Steinkohle und 0,25 Mio. to. Koks von Oberschlesien nach Ostpreußen, wobei statt Küstrin zusätzlich Posen/Bromberg zur Verfügung stand (von Kulmiz: Das Absatzgebiet der schlesischen Kohle, siehe dortige Tabellen). Da nach den dt.-poln. Wirtschaftsabkommen zollfreie Versendung in den 1930ern möglich war, verdiente Polen auch wieder an der Beförderung der alten Strecken.

Beförderungsleistung Tonnenkilometer Oder 1938: 2.779 Mio.
Güterverkehr mit Inlandsfrachten Deutsches Reich 1938
1. Ostpreußen Bahn (ohne 2.): Versand: 4,564 Mio. to. Empfang: 6,785 Mio. to.
2. Königsberg/Pillau/Elbing: Versand: 1,898 Mio. to., Empfang 2,650 Mio. to.

Seehäfen 1938:
Königsberg 883.000 to. Empfang (fast ausschließlich Steinkohle)/2.949.000 to. Versand (landwirtschaftliche Erzeugnisse)
übriges Ostpreußen: 911.000 to. Versand/Empfang.
Summe rd. 4,7 Mio. Tonnen.
[innerdeutsche Seetransporte Steinkohle (ohne Binnenschifffahrt, ohne Versand in das Ausland Ausland) 1938: 2,5 Mio. Tonnen]

Auch die französische Dlegation hat in Versailles behauptet, daß die Warenströme ohnehin über das Meer liefen, das war wiederum als Zweckbehauptung aber damals genau so falsch, wie das hier dargestellt wird. Dazu irgendwann mehr.

Bitte gern.
Schriften in der Machart von Fürst, Der Widersinn des polnischen Korridors, dort die falschen bzw. unvollständigen Tonnageaufstellungen zB S. 106, 108, 116 etc. wären aber reine Zeitverschwendung.

Die Warenströme liefen über Schiene und Bahn (Korridor und Restpolen). Bei der Kohle oben fehlt ein "auch". Bei 6,5 Mio. to. Versand und 9,4 Mio. to. Empfang liegt 1938 keinerlei Beeinträchtigung vor, da die Haupt-Massengüter aus Landwirtschaft und Kohle einfach addiert werden können.


Was hat Fest/Beck mit der Genese der britisch-französischen Polen-Garantie zu tun?
 
Soweit ich sehe, betrifft nur dieser Abschnitt Ostpreußen, der Rest ist Themenwechsel, wie @flavius schon festgestellt hat:

Bei fehlender Basis fällt die Prognose leicht. :respekt:

Nochmal die Nachfrage: Welche Fakten?

Der Hinweis auf die "Entwicklung" Ostpreußens ist neben der Sachfrage, da die rückständige Entwicklung - macht man sie an der Industrialisierung fest, was hier wohl gemeint ist - schon vor dem Ersten Weltkrieg feststellbar ist. In der Zwischenkriegszeit sind die wesentlichen ökonomischen Kennzahlen für Ostpreußen in gleicher Entwicklung wie im Reichsdurchschnitt bzw. sogar weit besser (was mit der Krisenempfindlichkeit des agrarisch geprägten Ostpreußen zu tun hat, die geringer war als die der industrialisierten Bereiche Deutschlands).

Hat hierzu rgendjemand Gegenteiliges behauptet, dann will ich mitspielen im Empörungsorchester. Aber Sie verstehen den zentralen Punkt nicht. Es geht um die Entwicklung der ökonomischen Potentiale und dieses können Sie nicht auf eine derartige verkehrliche Infrastruktur aufbauen, die vom Nachbarstaat immer wieder und gelegentlich durch Verzögerungen und Blockaden abgeschnürt wird.

Sie versuchen auf den Statstiken der Vergangenheit die Potenitale für die Zukunft hochzurechenen, das erscheint ein wenig absurd. Umstrukturierung und weitgehende Dezentralisierung über Betriebsneugründungen war notwendig. Und haben Sie schon einmal versucht, gute statistische Werte beim Bundesamt zu erhalten, die eine industrielle Entwicklung von 1871-1945 in engen Zeitintervallen einigermaßen plakativ nachvollziehbar macht? Das ist selbst für jetzige Bundesländer ein einigermaßen hoffnungsloses Unterfangen.

Auch Ihr Hinweis auf das Wegbrechen der Absatzmärkte im Osten könnte hier nach hinten losgehen, denn dann wäre schon aus diesem Initial aus marktpolitischer Perspektive eine Umorientierung umso dringlicher. Nur fokussieren Sie auf diesen Aspekt und starten dann den Versuch, darüber die Nichtextistenz der Problem mit der Westanbindung nachzuweisen. Oder Sie vereinnahmen unkritisch ein Zitat Ihrer zentralen Quelle.

Die Subventionen im Eisenbahnverkehr haben Sie erwähnt, nur sind die keine zu vernachlässigende Größe, sondern verursachten erhebliche Probleme und lagen zuweilen bei über 12 Mill. pro Jahr. Dazu gerne mehr. Nicht erwähnt haben Sie den Schiffsverkehr, der auch erheblich vom Reich subventionert wurde, um die Kostennachteile aufzufangen und den Personenverkehr nach Ostpreußen aus strukturpolitischen Gründen zu fördern.

Den psychologishen Aspekt haben Sie erwähnt. Gr. Dönhoff hat die Art des Korridorverkehrs und seine absurden und schikanösen Bedingungen in epischer Breite geschildert. Auch eine solche Wahrnehungsebene ist eben nicht als zweitrangig zu unterschätzen, wie es mir bei Ihnen scheint.

Grüße

Vitruv
 
Zuletzt bearbeitet:
Es geht um die Entwicklung der ökonomischen Potentiale und dieses können Sie nicht auf eine derartige verkehrliche Infrastruktur aufbauen, die vom Nachbarstaat immer wieder und gelegentlich durch Verzögerungen und Blockaden abgeschnürt wird.
Wie sie an der Reichsstatistik 1938 sehen, funktionierte die Abwicklung der Tonnagen, die Verfrachtung des Kohlebedarfes für Ostpreußen sowie diejenige der Nahrungsmittel-Überschüsse ins Reichsgebiet problemlos. Ich kann noch gerne die Frachtmengen 1923 bis 1937 bzw. 1939 nachtragen, falls die verbrachten 6,5 Mio. to. ins Reichsgebiet oder die in Ostpreußen angekommenen 9,5 Mio. to. bislang unzureichend erscheinen. Vorab die Versicherung: es gibt kein anderes Bild.

Bzgl. der "Entwicklung der ökonomischen Potentiale" erwarte ich immer noch Fakten zur angeblich gestörten Ausgangslage, auf die sich nebst Prämissen die Konklusion zur Prognose gründen soll. Hilfsweise würde ich nachgewiesene Störungen der wirtschaftlichen Entwicklung 1923 bis 1939 gegenüber dem Reichsdurchschnitt erwarten, um nicht über heiße Luft zu debatieren oder fortwährend Metadiskussionen über "Grundsätze ordnungsmäßiger Prognosebildung" zu führen.

Sie versuchen auf den Statstiken der Vergangenheit die Potenitale für die Zukunft hochzurechenen, das erscheint ein wenig absurd. Umstrukturierung und weitgehende Dezentralisierung über Betriebsneugründungen war notwendig. Und haben Sie schon einmal versucht, gute statistische Werte beim Bundesamt zu erhalten, die eine industrielle Entwicklung von 1871-1945 in engen Zeitintervallen einigermaßen plakativ nachvollziehbar macht? Das ist selbst für jetzige Bundesländer ein einigermaßen hoffnungsloses Unterfangen.
Da ist der Sinn der Darstellung nicht verstanden. Wir haben die Ausgangslage 1919/1923 und die Ist-Entwicklung in den Jahren bis 1939 als Daten. Bislang ist nichts vorgetragen, was eine Abweichung der Entwicklung Ostpreußens von der reichsdeutschen Normalität in diesen Jahren darlegt. Im Gegenteil.

Prognosen von 1940 bis zum Internet gehören in das Reich der Spekulation und der persönlichen Phantasie. Aber an der recht einfachen Logik ist nicht vorbeizukommen: Wenn die These von der Benachteiligung Ostpreußens stimmen würde, müßte sich dieses in einem 15-Jahres-Zeitraum bereits gezeigt haben. Hat es aber nicht.

Auch Ihr Hinweis auf das Wegbrechen der Absatzmärkte im Osten könnte hier nach hinten losgehen, denn dann wäre schon aus diesem Initial aus marktpolitischer Perspektive eine Umorientierung umso dringlicher. Nur fokussieren Sie auf diesen Aspekt und starten dann den Versuch, darüber die Nichtextistenz der Problem mit der Westanbindung nachzuweisen. Oder Sie vereinnahmen unkritisch ein Zitat Ihrer zentralen Quelle.
Auch hier sind die Ausführungen nicht verstanden. Soweit überhaupt Probleme in der Entwicklung Ostpreußens ab 1923 nachweisbar sind, beruhen diese auf der aufgezeichneten veränderten Lage nach Osten.


Die Subventionen im Eisenbahnverkehr haben Sie erwähnt, nur sind die keine zu vernachlässigende Größe, sondern verursachten erhebliche Probleme und lagen zuweilen bei über 12 Mill. pro Jahr. Dazu gerne mehr. Nicht erwähnt haben Sie den Schiffsverkehr, der auch erheblich vom Reich subventionert wurde, um die Kostennachteile aufzufangen und den Personenverkehr nach Ostpreußen aus strukturpolitischen Gründen zu fördern.
Aha. Da sind wir uns also bis auf die Kleinigkeit von 2 Mio. mal einig. Darauf kann man aufbauen:

Zuschußbedarf Ostpreußen (Land, Gemeinden und Gemeindeverbände) laut Reichshaushalt 1938: [Gesamtsumme 136.208.000 RM]
Wirtschaft und Verkehr: 40.901.000 RM.

Zum Vergleich: Zuschuß Wirtschaft und Verkehr 1938
Niederschlesien: 38.409.000 RM
Sachsen: 47.632.000 RM
Hessen-Nassau: 37.917.000 RM

Um die 10 - 12 Mio. mal ökonomisch zu bewerten: das sind <1 RM je Tonne Ein-/Ausfuhr. Zur Kenntnisnahme: die Vorfrachtkosten von Oberschlesien nach Breslau-Hafen betrugen bereits 4,17 Reichsmärker, egal, ob die Kohle nach Berlin oder nach Ostpreußen ging.
Um das noch anschaulicher zu gestalten: die Kosten der BISMARCK betragen damit etwa dem 4-Jahreszeitraum sämtlicher Schienen-Zuschüsse für Ostpreußen mit einer Wohnbevölkerung von 2.186.314, was auch ohne Vergleich mit Hessen-Nassau den Zuschuß in die Portokasse des Deutschen Reichs rutschen lässt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Da ist der Sinn der Darstellung nicht verstanden. Wir haben die Ausgangslage 1919/1923 und die Ist-Entwicklung in den Jahren bis 1939 als Daten. Bislang ist nichts vorgetragen, was eine Abweichung der Entwicklung Ostpreußens von der reichsdeutschen Normalität in diesen Jahren darlegt. Im Gegenteil.


Auch hier sind die Ausführungen nicht verstanden. Soweit überhaupt Probleme in der Entwicklung Ostpreußens ab 1923 nachweisbar sind, beruhen diese auf der aufgezeichneten veränderten Lage nach Osten.

Warenaustausch ist bekanntlich ein hochkomplexes Konstrukt, das sich nicht an ein paar fragmentierten Statistiken festmachen lässt. Außerdem müssen Sie die gesamten Hintergründe (von den politischen Bedingungen bis zum rechtlichen und fiskalischen Kontext) kennen, um die Zahlen einigermaßen interpretieren zu können. Diese Komplexität adäquat und professionell zu überblicken, das traue ich wenigen zu, beruflich kompetent bin ich in den anderen Fragen. Zu den gravierenden Verkehrsproblemen komme ich irgendwann noch. Mich interessieren auch sehr die infrastrukturellen Maßnahmen in Königsberg und Umfeld, die bis 1939 realisiert wurden.

Ihrer These von der ganz normalen Entwicklung Ostpreußens will ich ganz entschieden widersprechen. Denn da war rein gar nichts ‚normal’, gerade das Gegenteil ist richtig auf Grund der strukturellen Rahmenbedingungen.

Zunächst zur Struktur:

Knapp 56% der Beschäftigten arbeiteten in der Landwirtschaft, knapp 19% in Industrie und ca. 12 % in Handwerk und Verkehr (laut Kritzler). Das zeigt die hohe Abhängigkeit von der Landwirtschaft: Nur in Posen/ Westpreußen war dieser Anteil mit ca. 60% größer, Zahlen von 1925. Generell gilt, dass der gesamte deutsche Osten von der Landwirtschaft geprägt war und zentrale Bedeutung hatte für die Ernährung des Gesamtstaates. Krisen kann eine diversifizierte Wirtschaft viel besser ausbalancieren.

Der Blick auf die Situation Ostpreußens offenbart eine belastende Konstellation mit mehreren Faktoren. Die Agrarkrise der Zwanziger hatte zwar die gesamte deutsche Landwirtschaft erfasst, die ostdeutsche und dort insbesondere die ostpreußische am stärksten getroffen. Die Rahmenbedingungen waren prinzipiell nicht günstig in Bezug auf Vegetationsperioden, die mittelmäßige Bodenqualität und die Lage mit den Absatz- und Transportbedingungen. Konkret ausgedrückt: Selbst unter stabilen und guten Bedingungen fand die Produktion unter erschwerten Verhältnissen statt.

Auf die Struktur der Betriebe will ich nicht näher eingehen, aber aus den genanten Gründen hatten sich Großbetriebe etabliert, die günstiger produzieren konnten. Entscheidend erschwerend kamen hinzu: Die Kriegszerstörungen durch die Okkupation durch die Russische Armee und die Auswirkungen des Versailler Vertrages. Die russische Armee hatte 1914 einen großen Teil Ostpreußens besetzt und zahlreiche Ländereien und Infrastruktur zerstört, so dass die Region mit dem Wiederaufbau belastet war. Mit dieser Bürde waren andere Teile des Reiches nicht belastet.

Durch die Belastungen des Versailler Vertrages wurden die Negativfolgen für die Landwirtschaft noch erheblich potenziert. Entsprechend den §§ 83ff bestimmte die Übergabe der Provinzen Westpreußen und Posen an Polen, der Korridor und die Exklavensituation Ostpreußens entstand. Der Osten als Gesamtregion verlor auf dieser Art: 31% der Bevölkerung, 28% der Fläche und 23% der Agrarwirtschaft. Diesen Verlust konnte die Wirtschaft der Gesamtregion hinsichtlich des Waren-, Güteraustausches, des Verkehrssystems und der Produktionskraft nicht kompensieren, denn der östliche Gesamtraum hatte einen in sich geschlossenen Produktions- und Absatzraum gebildet. Durch seine Zerschlagung wurden die Verkehrbedingungen empfindlich gestört. Der traditionell in Ost-West-Richtung verlaufende Güterverkehrverkehr verringerte sich laut Jähnig um mehr als die Hälfte. Die Produktionskosten lagen aus diesen Belastungen heraus um ca. 10-12% höher als im übrigen Reichsgebiet. Man musste sich den Preisen anpassen und verminderte auf die Art die Erträge um ca. 25%.

Polnische und andere Erzeuger traten in Konkurrenz und minderten den Absatz zusätzlich. Die Verschuldung betrug ca. 900 Mill. RM im Jahre 1929 (Hertz-Eichenrode: Politik und Landwirtschaft in Ostpreußen 1919–1930) die Zwangsversteigerungen erreichten 1931 eine Rekordhöhe von 51.000 ha. (Chr. Krull: Die ostpreußische Landwirtschaft) Um diese katastrophalen Verhältnisse abzumildern hatte die Reichsregierung ab Mitte der Zwanziger Jahre die Ostpreußenhilfe und Osthilfe, später Hindenburghilfe eingeführt, die Jahr für Jahr erhöht werden musste. Trotzdem stiegen die Schulden und die Verpflichtungen aus Schuldzinsen jährlich weiter, auch da die Regierung zudem die Bauern aufgefordert hatte während der weltweiten Agrarkrise zusätzlich Kredite aufzunehmen.

Sie jonglieren mit ein paar Statistiken und irgendwie geht das Alles an Ihrer Analyse vorbei. Ich schätze einige Ihrer abwägenden Beiträge, aber hier geht Ihnen vielleicht der zeitgeistliche Eifer durch, mit allen Mitteln des kleinen Statistikverkehrs die Grundlagen der Reichspolitik und die Hintergründe zum Korridorkonflikt zu diskreditieren und die ‚Revanchisten’ zur Strecke zu bringen.

Grüße


Vitruv

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Zuletzt bearbeitet:
Warenaustausch ist bekanntlich ein hochkomplexes Konstrukt, ...
Das stimmt, kann ich aus täglicher Praxis bestätigen. Was hat die allgemeine Feststellung mit meiner obigen Beschreibung der Warenbilanzen Ostpreußens zu tun?

Ihrer These von der ganz normalen Entwicklung Ostpreußens will ich ganz entschieden widersprechen. Denn da war rein gar nichts ‚normal’, gerade das Gegenteil ist richtig auf Grund der strukturellen Rahmenbedingungen.
Da ist Ihnen wohl ein Fehler beim Verständnis meiner Aussagen unterlaufen.

Es ging bislang nicht "um eine ganz normale Entwicklung", sondern um Abweichungen der Entwicklung Ostpreußens
a) im Reichsvergleich
b) im Vergleich zur Vorkriegsentwicklung

Von daher sind die folgenden Ausführungen nichts Neues zur schon beklagten langjährigen Struktur Ostpreußens, die man an die Jahrhundertwende zurückverfolgen kann, ...

insbesondere keine Antworten zu den Fragen a) und b). Um das genauer aufzuzeigen:
Knapp 56% der Beschäftigten arbeiteten in der Landwirtschaft, knapp 19% in Industrie und ca. 12 % in Handwerk und Verkehr (laut Kritzler). Das zeigt die hohe Abhängigkeit von der Landwirtschaft: Nur in Posen/ Westpreußen war dieser Anteil mit ca. 60% größer, Zahlen von 1925. Generell gilt, dass der gesamte deutsche Osten von der Landwirtschaft geprägt war und zentrale Bedeutung hatte für die Ernährung des Gesamtstaates. Krisen kann eine diversifizierte Wirtschaft viel besser ausbalancieren. ...
Auf die Struktur der Betriebe will ich nicht näher eingehen, aber aus den genanten Gründen hatten sich Großbetriebe etabliert, die günstiger produzieren konnten....
Was hat das mit dem Korridor zu tun?

Sämtliche Probleme sind strukturell vor 1914 angelegt, und hatten bereits vor dem Ersten Weltkrieg ähnliche krisenhafte Entwicklungen gebracht. Übrigens: auch "diversifiziertere" Regionen waren 1929 nicht zum Ausbalancieren der Krisen fähig.

Weiter:
Durch die Belastungen des Versailler Vertrages wurden die Negativfolgen für die Landwirtschaft noch erheblich potenziert. ... Diesen Verlust konnte die Wirtschaft der Gesamtregion hinsichtlich des Waren-, Güteraustausches, des Verkehrssystems und der Produktionskraft nicht kompensieren, denn der östliche Gesamtraum hatte einen in sich geschlossenen Produktions- und Absatzraum gebildet. Durch seine Zerschlagung wurden die Verkehrbedingungen empfindlich gestört. ...
Polnische und andere Erzeuger traten in Konkurrenz und minderten den Absatz zusätzlich.
Kurzer Hinweis: es gibt vor 1914 keinen "geschlossenen Produktions- und Absatzraum" Ostpreußen, ebenso wenig aufgrund des landwirtschaftlichen Absatzes einen "geschlossenen Absatzraum" der östlichen "Gesamtregion". Die Warenströme sind oben bereits strukturell aufgezeigt worden, und verliefen ähnlich - im Volumen geringer - vor 1914.
Aber: was hat das mit dem Korridor zu tun?
a) Abweichungen zur Reichsentwicklung?
b) Abweichungen zur Vorkriegszeit?
Was haben die von mir bereits randseitig angesprochenen Probleme Ostpreußens gegenüber Baltikum und Wegfall Rußlands mit dem Korridor zu tun?
Was hat die sonstige polnische Konkurrenz bei landwirtschaftlichen Produkten (Preise, Produktion) mit dem Korridor zu tun?


Die Verschuldung betrug ca. 900 Mill. RM im Jahre 1929 (Hertz-Eichenrode: Politik und Landwirtschaft in Ostpreußen 1919–1930) die Zwangsversteigerungen erreichten 1931 eine Rekordhöhe von 51.000 ha. ...
... Trotzdem stiegen die Schulden und die Verpflichtungen aus Schuldzinsen jährlich weiter, auch da die Regierung zudem die Bauern aufgefordert hatte während der weltweiten Agrarkrise zusätzlich Kredite aufzunehmen.
Was haben die ostpreußischen Schulden, die auf der Binnenstruktur der dortigen Landwirtschaft basieren, mit dem Korridor zu tun? Was hat die Verschärfung der Agrarkrise durch die globale Krise 1929ff. mit dem Korridor zu tun?

Aber die Zahlen sind eine hervorragende Überleitung zur ostpreußischen Verschuldung, die bei der Gemeindeverschuldung mit rd. 129 RM/Kopf zB unter der Mark Brandenburg (141), Niederschlesien (150), aber ähnlich Hannover (122) lag.

Die gesamten Inlandsschulden Preußens inkl. Ostpreußen lagen bei rd. 924 Mio. RM, Ostpreußen davon ein unwesentlicher Bruchteil.

Die Kreditermächtigungen lagen etwa auf dem Niveau von Westfalen. Von "Korridorlasten" ist in den Haushalten der gemeindlichen Körperschaften und des Landes nichts zu sehen. [alle Werte: 1938]

Konkurse/Vergleichsverfahren 1938: Wo sind die Probleme des Korridors?
Ostpreußen 68 / Sachsen 596 / Mark Brandenburg 53 / Rheinprovinz 225 /Bayern rechtsrheinisch 151 / Baden 104 usw.

Die Zahl der Konkurse in Königsberg entspricht übrigens zB derjenigen von Nürnberg, Duisburg, Kiel, München. Aber vielleicht interessiert die Anzahl durchgeführter Zwangsversteigerungen in land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken:
Ostpreußen 54 / Schlesien 85 / Thüringen 44 / Baden 46
Die durchschnittliche Schulden-Belastung je Hektar war in Ostpreußen ähnlich, zT geringer derjenigen in den anderen Reichsteilen, und ca. 50% unter dem Reichsdurchschnitt. Die Statistik hierzu, weiter untergliedert nach Betriebsgrößen, finden sie in StJBDR 1939/40, S. 447. Die dortige Tabelle bei den gescheiterten Betriebe wird folglich überraschen. Die gelisteten Besitz- und damit Flächenwechsel bewegen sich im Reichsdurchschnitt.

Was hat das aber alles mit den Korridorlasten zu tun, wenn hier nicht einmal wesentliche Auffälligkeiten im Ländervergleich hervortreten?
Ganz abgesehen davon, dass es um Altlasten der Vorkriegsstrukturen geht?

Sie jonglieren mit ein paar Statistiken und irgendwie geht das Alles an Ihrer Analyse vorbei. Ich schätze einige Ihrer abwägenden Beiträge, aber hier geht Ihnen vielleicht der zeitgeistliche Eifer durch, mit allen Mitteln des kleinen Statistikverkehrs die Grundlagen der Reichspolitik und die Hintergründe zum Korridorkonflikt zu diskreditieren und die ‚Revanchisten’ zur Strecke zu bringen.
Die Besorgnisse um meinen Zustand sind rührend, allerdings auch überflüssig, da sie vom Thema ablenken. Bislang ist nichts an Fakten gekommen, weder zu der relativen Verschlechterung im Reichsvergleich noch zum Vergleich mit dem Zustand 1914.

Ich bin gern am weiteren Austausch interessiert, wenn er zur Abwechselung mal zum Thema erfolgt.
 
Zum Stand des Korridormythos der 1930er, zum "Bollwerk im Osten" und "Mustergau":

Nationalsozialistische Macht in ... - Google Bücher
Ostpreußen - die Konstruktion einer ... - Google Bücher
Ostpreussens Gauleiter: Erich Koch ... - Google Bücher
Vorposten des Reichs?: Ostpreussen ... - Google Bücher

und als Vergleichsstudie die umfassende Dissertation
Willoweit, Gerhard: Die Wirtschaftsgeschichte des Memelgebiets - 2 Bände.

EDIT: der Topos der "wirtschaftsgeographischen Harmonie" sämtlicher Ostgebiete ist übrigens zeitgenössisch in den gebiets-revisionistischen Argumentationsschriften entstanden. Die Institute in Königsberg und Breslau leisteten hier eine Serie von Arbeiten, da sowohl "völkisch", wie zunehmend ökonomisch argumentiert wurde. Eine Reihe von Schriften wurde im Ausland plaziert, ähnlich wie bei der "Kriegsschuldfrage" gab es dafür beachtliche staatliche Budgets.

einige Daten zu Ostpreußen (I):

34.065 qkm, mittl. Jahrestemp. 1851-1930: 7,0°, dabei ca. 670mm Niederschlag p.a.

Bevölkerung: gesamt, m, w
1939: 2,186 Mio, 1,095 Mio, 1,091 Mio = 64,2 EW pro qkm, rd. 522.000 Haushalte
1933: 2,056 Mio, 1,009 Mio, 1,047 Mio
83% ev., 16 % rk, Rest sonstige.
Eheschließungen pro 1000 in 1939: 10,2, iV 8,7 (Reich: 11,8, iV 9,7)
Geburtenüberschuß pro 1000 in 1939: 13,3, iV 12,8 (Reich: 7,8, iV 7,0)

Bevölkerung nach Wirtschaftsgebieten Mitte 1939, Kategorien:
800.100 Land- und Forstwirtschaft,
484.700 Industrie und Handwerk
268.200 Handel und Verkehr
248.200 Öffentl. Dienst, private Dienstleistung
41.600 Häusliche Dienste
277.000 Selbständige, Berufslose
Summe: 2.119.800 = EW mit ständigem Wohnort (von 2.186.000 gesamt).

Auswanderungen 1938: 277 Personen, rd. 11.960 ins Reichsgebiet
Binnenwanderungen 1937 der Regierungsbezirke über die Grenzen der Reg.bezirke (zgT Binnenwanderung Ostpreußen): ZU-AB
RB Königsberg: zu 35T, ab 34T
RB Gumbinnen: zu 13T, ab 21T
RB Allenstein: zu 12T, ab 23T
Verlust durch Abwanderung saldiert: 12.230 Personen.

Der Begriff Ostpreußenhilfe wird häufig nur in Zusammenhang mit dem Korridorproblem ab 1919 gesehen. Tatsächlich wurde die schwierige Lage sowohl von der in der Weimarer Republik wirkenden Lobby für die Erlangung von Reichshilfen, als auch politisch in Zusammenhang mit gebiets-revisionistischen Tendenzen benutzt.

In einem anderen Thema hier ist die schwierige Lage der ostpreußischen Bevölkerung schon zu Zeiten der vollen, nicht durch den Korridor erst unterbrochenen Anbindung an das Deutsche Reich angeklungen:
http://www.geschichtsforum.de/f82/lebensbedingungen-im-bergbau-35738/index5.html

Die Verhältnisse wurden im Kontext der Industrialisierung und durch die schwierige Lage der ostpreußischen Landwirtschaft schon im Kaiserreich geprägt. Von 1871 bis 1933 gab es insgeamt eine Abwanderung von 1.028.000 Menschen aus Ostpreußen, dabei stetig einen Geburtenüberschuss sowie Zuwanderungen vorwiegend deutschstämmiger Personen aus Mittel- und Osteuropa. Per Saldo ergibt sich daraus - entgegen der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse und trotz Abwanderungen - ein Bevölkerungswachstum, jedoch in Ostpreußen schon vor 1914 schwächer als im Übrigen Reichsgebiet trotz hier höherer Geburtenraten.

Die Abwanderungen aus den ländlichen Bereichen konnte außerdem nicht "vor Ort" durch die wachsende Verstädterung, die auch in Ostpreußen stattfand, aufgehalten werden.

Die staatlichen Hilfsaktionen, die während der Weimarer Republik und später in der NS-Zeit für Ostpreußen eingeleitet wurden, "sind gern mit dem Hinweis auf die Folgen des Ersten Weltkriegs begründet worden, aber tatsächlich hat sich die Provinz schon vorher in einem Zustand befunden, der von den Behörden mit Sorge betrachtet worden ist." [Hertz-Eichenrode, Politik und Landwirtschaft in Ostpreußen 1919-1930]

1891 kam es daher zu den ersten Hilfsprogrammen, zunächst sehr zögerlich. Der deutsch-russische Handelsvertrag von 1894 wurde mit Blickrichtung auch auf Hilfe für Ostpreußen abgeschlossen. Programme zu Bodenmeliorationen, neue Bahnlinienhilfen und Tarifsubventionen für Waren- und Personentransporte folgten. An der relativ zum Reich schlechten ostpreußischen Entwicklung konnten sie indes nichts verändern.

1914 folgte der russische Einmarsch mit erheblichen Schäden im Land, was nach der Vertreibung der russischen Armee zu Wiederaufbauprogrammen noch während des Krieges führte. Vielbändige "Denkschriften" zum Wiederaufbau der Provinz folgten 1916-18, diese Probleme fanden auch eine beachtliche Öffentlichkeit trotz der überlagernden übrigen Kriegsprobleme.

Vorabentschädigungen vor Ort gab es seit 1915, mit Festsetzungen von bis zu 5000 M vom Landrat, darüber vom Regierungspräsidenten. Tätig wurden auch 66 örtliche Kriegshilfeausschüsse. Sonderetats von 1,5 Milliarden Mark wurden durch Ausgabe von Schatzanweisungen ab 1915 geschaffen, um die Gebäudeschäden in Ostpreußen von rdd. 1 Mrd. M und die übrigen schäden von 0,4 Mrd. Mark abzudecken. Bis 1918 wurden Anträge auf Schadensausgleich von 975 Mio. Mark ausgezahlt. Der größte Teil der Kriegsschäden wurde damit als abgegolten angesehen.

Diese Hilfen setzten sich ab 1920, nunmehr unter der Vorgabe von Nachteilen durch den Korridor, fort. Die Aussicht auf solche Reichshilfen und fortwährenden Subventionen der Randlage dürfte auch ein Aspekt gewesen sein, der Separationstendenzen der Provinz 1919/20 schnell erledigen ließ.

Die Frage, wer mehr Subventionen für Ostpreußen herausholen würde, geriet auch schnell zur politischen Steitigkeit. Speziell die deutschnationale Opposition griff mit angeblich mangelnden Tarifermäßigungs- und Förderprogrammen die Reichsregierung sowie die Preußische Regierung an. Einigen Forderungen wurde nachgegeben, um politische Aktionen zu zeigen. Andererseits wurden schließlich auch Hilfsmaßnahmen abgelehnt, "weil sie die Begehrlichkeiten der Provinz nur noch weiter steigern würden". [s.o.] Umgekehrt sprach man in der politischen Auseinandersetzung schließlich von den "Ostpreußenmüdigkeit der Berliner Regierung".

Einige Schlußthesen aus der Denkschrift von 1922 zum 5-Milliarden-Programm zur Stärkung der Landwirtschaft in der Provinz sind dabei ganz aufschlußreich; dort wird wie folgt zugespitzt:

"1. Das Ostpreußenproblem hat für Deutschland größte Bedeutung
2. Die berufungslose Sonderbehandlung Ostpreußens wird als staatspolitischer Grundsatz anerkannt und durchgeführt
3. Die innerdeutschen Relationen der Produktionsbedingungen müssen nach dem Vorkriegsstande für Ostpreußen wieder hergestellt werden
..."

Der Einfluss des "Korridorproblems" als Teil der wirtschaftlichen Zwangslage wurde dabei nicht separat herausgestellt. Zahlreiche Problembereiche waren allerdings bloße Fortschreibungen der schwierigen Lage der landwirtschaftlich geprägten Provinz vor dem Weltkrieg und mit Wurzeln lange vor 1914. Sie trafen nunmehr mit der insgesamt schwierigen Lage des Deutschen Reiches und der finanziellen Kriegsfolgen, später in den 1920er mit den weltweiten Problemen der Landwirtschaft und schließlich mit der Weltwirtschaftskrise zusammen. Das "Korridorproblem" behielt dabei überragende Wahrnehmung, hinter der die strukturellen grundsätzlichen Probleme zurückfielen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Interessante Diskussion, die ich ganz gerne noch einmal aufgreifen würde, allerdings mehr im Hinblick auf die wirtschaftlichen Konsequenzen des Weltkriegs und der Friedensschlüsse, als im Hinblick auf nationale Phantomschmerzen.

3. Nach dem Krieg verlor Ostpreußen sein "Hinterland"; und zwar nicht das nach Westen, sondern das nach Osten! Zwischen Rußland schoben sich die Baltischen Staaten (als Konkurrenten), daneben trat Polen auf. Das Niedriglohnniveau und die Verschiebung der politischen Grenzen (plus Wegfallen des alten Abnehmers Rußland) führte dazu, dass Warenströme um Ostpreußen herumgelenkt wurden. Andererseits bestanden die alten Frachtkostennachteile für Strecken nach Westen fort.

Gibt es eigentlich Aufstellungen darüber, wie sich die Unabhängigkeit Polens und der Baltischen Staaten auf das lokale Lohnniveau und die Preise im Vergleich zum vorherigen Zustand auswirkten?
Ich könnte mir vorstellen, dass dass die Landwirtschaft der genannten Regionen durchaus davon profitiert haben mag, das die Schwarzerdegebiete der Ukraine durch die Veränderung der politischen Karte jeweils außerhalb des eigenen Landesverbund lagen und keinen Druck auf die Binnenpreise für Getreide mehr ausüben konnten.

Zeitgleich dauerte es ja auch einige Zeit, bis sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der beginnenden Sowjetunion und Westeuropa einigermaßen normalisierten, was der Etablierung polnischer und baltischer Produzenten am Markt sicherlich auch zu gute gekommen sein mag.

Wie sieht es aber mit der Lohnentwicklung aus? Sind da signifikante Unterschiede zum Zarenreich feststellbar?

. Die Warenströme Ostpreußens haben zwei Hauptrichtungen: das Land importierte p.a: zwischen 2 und 3 Mio. Tonnen Steinkohle, Hauptlieferant vor und nach dem Weltkrieg war Oberschlesien.

Finde ich im Übrigen interessant, ich hätte wegen der abgelegenen Lage Ostpreußens eher auf Großbritannien als traditionellen Hauptlieferanten für Kohle getippt, was ja durch für einen großen Teil des norddeutschen Raums lange galt.

Durch die Gebietsverluste wurde die Position Ostpreußens gestärkt, das nämlich einen erhöhten Beitrag der Reichs-Versorgung darstellte.

Kann man dabei tatsächlich von einer Stärkung reden?
Sicherlich stellte es für Ostpreußen einen Vorteil dar, dass es gegenüber den an Polen abgegebenen Ostprovinzen im Hinblick auf Absatzmöglichkeiten in Deutschland nicht mit einer Zollgrenze zu kämpfen hatte.

Ich würde mir aber die Frage stellen, ob das erhöhte Absatzpotential innerhalb Deutschlands und der erhöhte Anreiz seine Produkte hier abzusetzen langfristig tatsächlich von Vorteil war, vor allem mit Hinblick auf die Instabilität der Währung und die Problematik mit Mark, bzw. Reichsmark auch auf ausländischen Märkten einzukaufen.
Gerade unter diesen Gesichtspunkten wäre doch (rückwirkend betrachtet) eine stärkere Exportorientierung, gerade nach Westen hin, durchaus von Vorteil gewesen oder sehe ich das falsch?


Das durch die politische Situation der Seehafen Danzig geschwächt worden ist, steht sicherlich außer Frage. Aber war dies für die wirtschaftliche Situation Ostpreußens von Relevanz?

In dieser Hinsicht würde mich interessieren, wie weit die polnische Zollhoheit über Danzig eigentlich ging, das ist mir nämlich nicht so ganz klar.
Stellte Polen lediglich das Personal der Danziger Zollbehörde und hatte von Danzig selbst beschlossene Zollsätze zu überwachen oder verhielt es sich damit so, dass Polen das Recht hatte die Danziger Zollsätze festzulegen?

In letzterem Fall wäre das für Ostpreußen tatsächlich relevant gewesen, weil dann nämlich Warschau durch erhöhte Einfuhrzölle nach Danzig die Frachtkosten für Ostpreußen hätte hochschrauben und gleichzeitig auf diesem Weg Gdynia als eigenen Hafen hätte fördern können.

An dieser Stelle wäre ich denkbar, wenn mir jemand der da genauere Kenntnisse davon hat, das etwas näher auseinandersetzen könnte.


Insgesamt finde ich darüber hinaus auch die Situation der Häfen interessant:

- Danzig ist mir da wie gesagt etwas unklar, wie dieses Konstrukt genau funktionierte.
- Zu Königsberg hatte ich verschiedentlich gelesen, dass dieser Hafen durch das vorgelagerte Haff, dessen geringe Tiefe und die relativ schmale Durchfahrt durch die frische Nehrung als Hafen eher suboptimal gewesen sein soll, im Besonderen für Schiffe mit größerer Tonnage und das wird dann wohl auch einem Ausbau der Kapazitäten eher im Weg gestanden haben, so lange man nicht zu mutmaßlich eher langfristigen und teuren Maßnahmen wie der Vertiefung der Fahrrinne bereit war, als allerdings angesichts der Kapitalknappheit Ostpreußens selbst und der alles andere als rosigen Finanzlage des Reiches sicherlich auch nicht besonders einfach gewesen wäre.
Auch wird , jedenfalls im Vergleich zu Danzig und den kleineren Häfen direkt an der Ostsee das vorgelgerte Haff wohl wegen des schnelleren Zufrierens im Winter ein größeres Problem dargestellt haben.
- Der Verlust von Memel tat natürlich auch weh, weil damit die litauische Konkurrenz einen eigenen Exporthafen bekam, die Kapazitäten von Palanga waren ja eher zu vernachlässigen.
Spielte Memel eigentlich als Exporthafen für das nördliche Ostpreußen vor dem 1. Weltkrieg eine große Rolle oder war die auf Grund der Abgelegenheit im äußersten nördlichen Zipfel des Reiches eher zu vernachlässigen und stellte eher einen traditionellen Durchgangshafen für das südliche Litauen dar, an dem es näher dran lag, als am größeren aus zollpolitischen Gründen (innerhalb des Zarenreichs) wahrscheinlich sinnvolleren Hafen Riga?


Die Situation der Hafenkapazitäten finde ich da schon interessant, im Besonderen im Hinblick auf mögliche potentielle Entwicklungshindernisse und Einschränkungen, wobei diese Problematik natürlich durch die Anlage neuer Häfen oder den Ausbau Vorhandener an der samländischen Küste zu umgehen gewesen wäre.
Es wäre eben nur entsprechend zeitaufwändig und teuer geworden.


Was ich im Übrigen ziemlich überraschend im Hinblick auf die nationalen Phantomschmerzen finde, ist dass man um Danzig so einen Bohei veranstaltet hat, wohingegen Memel so weit mir bekannnt in der einschälgigen Publizistik eine deutlich geringere Rolle spielte.
Wirtschaftspolitisch würde ich meinen, wäre aber Memel eigentlich bedeutender gewesen, weil ganz Litauen ja letztendlich nur die Möglichkeit hatte seinen Warenverkehr über Memel oder Riga oder in Teilen allenfalls noch Libau zu exportieren, während eine Revision des Status von Danzig allein den Umstand des Korridors ja nicht aufgehoben hätte.
 
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