Die antiken Anfänge des Lateinersegels

Gegenkaiser

Gesperrt
So wie das Rahsegel das Segel der Antike war, beherrschte das Lateinersegel die mediterrane Schiffahrt im Mittelalter. Ohne seine Fähigkeit gegen den Wind zu kreuzen wären die weiten Entdeckungsfahrten der iberischen Karavellen in den Gewässern Afrikas, Amerikas und Asiens wohl kaum denkbar gewesen. Dabei wird gerne übersehen, daß das Lateinersegel zu diesem Zeitpunkt bereits auf eine sehr lange Tradition in der europäischen Seefahrt zurückblicken konnte.

Ältere Theorien vermuteten seinen Ursprung im Indischen Ozean und brachten seine Einführung in das Mittelmeer mit der arabischen Expansion im 7. Jahrhundert n. Chr. in Verbindung. Diese Annahme beruhte vor allem darauf, daß die frühesten damals bekannten Zeugnisse nur bis in das Frühmittelalter zurückreichten. Eine zusätzliche Rolle dürfte die bis heute ungebrochene Popularität dieser Segelart auf den arabischen Daus rund um den Indik gespielt haben.

Forschungen in den letzten Jahrzehnten haben jedoch zu einer dramatischen Umbewertung der Frühgeschichte des Lateinersegels geführt; mit Fug und Recht kann man von einer Kehrtwende um 180 Grad sprechen: Die wahren Ursprünge des Lateinersegels, wie des Schratsegels überhaupt, liegen in der griechisch-römischen Schiffahrt und es waren erst portugiesische Entdecker gewesen, die dieses bis dato unbekannte Segel in den Indik brachten. Doch der Reihe nach:

Unter dem Oberbegriff des Lateinersegels faßt man zwei einander ähnliche Untertypen zusammen: das traditionelle dreieckige Segel und die viereckige trapezförmige Form, die auch Setteesegel genannt wird (siehe Skizzen). Beide Typen sind bereits zu antiker Zeit in Gebrauch gewesen. Das erste Schratsegel überhaupt war allerdings das Sprietsegel, das bereits im zweiten vorchristlichen Jahrhundert auf kleinen griechischen Wasserfahrzeugen in der Ägäis eingesetzt wurde und die ganze Antike hindurch im Einsatz blieb.

Über die Anfänge des Lateinersegels herrscht noch keine Einigkeit unter den Fachleuten: Dem eminenten Schiffahrtshistoriker Lionel Casson zufolge finden sich drei- und viereckige Lateinersegel erstmals auf römerzeitlichen Grabsteinen und Mosaiken des 2.-4. Jh. n. Chr. wieder. Interessanterweise handelt es sich dabei ebenfalls um kleinere Schiffe, die vermutlich entlang der Küste verkehrten. Sein französischer Kollege Lucien Basch, der diese Beispiele verwirft, führt dagegen Wandmalereien hellenistischer Schiffe aus dem 1. Jh. v. Chr. als erste Bildbeweise an.

In der Spätantike verdichten sich jedenfalls die Hinweise und die Ikonographie wird klarer, so etwa bei einem oströmischen Graffito aus Kellia in Ägypten, das noch vor dem arabischen Vorstoß entstand und eindeutig ein Lateinersegel darstellt (siehe Zeichnung). Auch mehrere mittlerweile durch die Unterwasserarchäologie zutage geförderte Schiffwracks aus jener Epoche deuten auf die zunehmende Ablösung des Rahsegels durch das Lateinersegel hin. Bei den gefundenen Lateinerseglern handelt es sich um Schiffe von ca. 12-20 m Länge.

Abgerundet wird das Bild schließlich durch die Neuinterpretation antiker Textstellen. So nimmt man an, daß das Flaggschiff des oströmischen Feldherrn Belisarius beim Angriff auf das Vandalenreich 532 n. Chr. mit einem Lateinersegel ausgestattet war. In der Folgezeit wurde auf den Dromonen, den Kriegsgaleeren der Byzantiner, der Segeltyp Standard. Auch wenn in der Wissenschaft einzelne Interpretationen noch strittig diskutiert werden, ist heute der Gesamtkorpus an bildlichen, archäologischen und textlichen Hinweisen so sehr angewachsen, daß kein Forscher mehr an der Existenz von Lateinersegeln in der antiken Schiffahrt zweifelt.

Der Wendepunkt wird dabei in das 5.-6. Jahrhundert gelegt; danach verschwand das bis dahin dominierende Rahsegel fast völlig aus der mediterranen Schiffahrt. Erst am Ausgang des Mittelalters tauchte es wieder auf, wobei es nun an den Fockmast wanderte und den Hauptmast dem Lateinersegel überließ. Zum ersten Mal fuhren jetzt auch zwei- bis dreimastige Schiffe mit Lateinersegeln. Vor dem Hintergrund des florierenden spätmittelalterlichen Seehandels kam es zu einem umfangreichen Technologietransfer zwischen der mediterranen und nordeuropäischen Schiffbautradition: Das Lateinersegel und die Kraweelbeplankung wanderten an die Nord- und Ostseeküste, die ihrerseits das Heckruder an den Süden übermittelte.

Der Sprung des Lateinersegels in den Indik erfolgte zeitgleich mit der Umrundung Afrikas und Entdeckung der Indienroute. Darauf deutet zumindest die Ikonographie: während vor 1500 alle Schiffe auf diesem Weltmeer Rahsegel zeigen, finden sich nach 1500 fast nur noch Lateinersegel abgebildet. Der Zusammenhang mit dem Vorstoß der Portugiesen, die daneben auch weitere bis dato unbekannte Schiffbautechniken einführten, ist unverkennbar. Binnen weniger Jahre nach Vasco da Gamas Ankunft sichteten portugiesische Seefahrer erstmals Lateinersegel auf einheimischen Schiffen. Damit trat das römische Lateinersegel nach dem Mittelmeer und dem Atlantik nun auch im Indischen Ozean seinen Siegeszug an.

Lit.: Campbell, I.C. (1995): „The Lateen Sail in World History“, in: Journal of World History, Bd. 6, Nr. 1, S. 1–23, herunterladbar unter http://www.uhpress.hawaii.edu/journals/jwh/jwh061p001.pdf
 
Soweit ich das mal gelesen habe, war die indische Dungiyah das erste nachweisbare Schiff mit einer lateinerähnlichen Betakelung. Allerdings war das Segel bei ihr noch nicht dreieckig sondern trapezförmig.
Der Ursprung der Dungiyah geht auf das Dravidaschiff zurück. Dieses wurde seit dem 3. Jahrtausend am Indus gebaut und unterhielt die Verbindung nach Mesopotamien. Es war also eine jahrtausendlange Entwicklung.
Bei einer Darstellung einer byzantinischen Dromone aus dem 9. Jahrhundert wird diese mit Lateinerbetakelung gezeigt. Soweit ich es weiß, waren die Byzantiner, die im Mittelmeer, welches sie beherrschten, als erste seit dem 6. Jahrhundert das Lateinersegel benutzten.
 
@ Gegenkaiser

Ist Dir was in DeinemBeitrag aufgefallen? Es sind nur kleine Schiffstypen erwähnt, mit Ausnahme der Dromone und den folgenden Galeeren-Typen. Der große Vorteil bei der Lateinertakelung ist, das man mit relativ kleiner Mannschaft fahren kann und die Schiffe deutlich wendiger als mit Rahsegeln sind. Ab einer bestimmten Größe der Schiffe wurde die Takelage wohl zu unhandlich. Denn auch in der Zeit der Entdeckungsfahrten sind Schiffe mit Rahsegeln ausgerüstet worden. Der Vorteil der Rahsegler ist, das man die Segelflächen in relativ viele und kleine Flächen aufteilen kann. Sogar an einem Mast. Und das geht bei der Lateinertakelung nicht. Die last auf den Schoten wird Raumschoots ziemlich hoch gewesen sein. Ebenso werden die Verbände des Schiffes ziemlich ungleichmäßig auf Vorwindkursen belastet werden. Die Frage ist sogar wie weit die Schiffe vorm zum Rollen neigten, mehr oder weniger als Rahsegler und wie sich das auf die Sicherheit des Schiffes auswirkt.

Apvar
 
@Apvar, was die Größe der Segel angeht, so täuschst du Dich. Galeeren waren mit bis zu 55 Meter Länge größer als viele Segelschiffe. Auch ihre Lateinersegel waren riesig. Die Lateinerrute des Großmastes einer Galeere hatte fast die Länge des Schiffes. Auch die späteren Schebecken waren nicht klein und verfügten mit drei lateinbesegelten Masten über eine beachtliche Segelfläche.
Was die antike Herkunft von Lateinersegeln betrifft, so habe ich da große Zweifel. Ich habe mir im Laufe der Jahre eine ziemliche Sammlung von antiken Schiffsabbildungen zugelegt und da sieht man nur rechteckige Rahsegel.
Ich bin auch der Meinung dass die byzantinischen Dromonen und Selander die ersten lateinerbesegelten Schiffe waren. Die Araber bauten für ihre Kämpfe gegen die Byzantiner auch Dromonen und benutzten seitdem ebenfalls diese Segel. Die trapezförmigen Dausegel waren hauptsächlich im persischen Golf und im roten Meer üblich.
 
Es sind nur kleine Schiffstypen erwähnt, mit Ausnahme der Dromone und den folgenden Galeeren-Typen.
Die Dromonen und späteren Galeeren aus dem Mittelmeer waren waren größer. Und damit auch die Segelfläche des einzelnen Segels. Und je grösser das Fahrzeug, desto größer das Segel. Grob gesagt bei gleicher Leistung des Fahrzeuges muss bei verdoppelter Länge die 4-Fache Segelfläche angenommen werden. Und man muss die technischen Möglichkeiten und Erfahrungen der Zeit berücksichtigen.

Apvar
 
Ich habe mal eine Frage.
Bisher hatte ich in Erinnerung, daß der Ursprung aller Segelarten, aus dem Schratsegel hervorgeht. Oder täusche ich mich dabei?
 
Ich habe mal eine Frage.
Bisher hatte ich in Erinnerung, daß der Ursprung aller Segelarten, aus dem Schratsegel hervorgeht. Oder täusche ich mich dabei?
Ich würde sagen, dass Rahsegel älter waren. Bereits die Ägypter benutzten sie ,da nur quer zur Fahrtrichtung stehende Segel an einem V-förmigen Bockmast gesetzt werden konnten.
 
Habe mal in einem Buch Nachgeschlagen. Demnach soll ab etwa 6000 v. Chr. auf dem Nil gesegelt worden sein. Mit Rahsegeln an 2-Bein-Masten ab etwa 2500 v. Chr. sollen die Pfahlmasten aufgekommen sein. Die Segel waren an 2 Rahen angeschlagen.
Das Segeln soll wohl auch in China zu dieser Zeit erfunden worden sein, dazu habe ich aber kein Erkenntnisse.
Das Rahsegel ist wohl, jenes, welches einem als erstes einfällt. Vortrieb durch Wiederstand. Die ganzen Bedienelemente des Segels und des Schiffes müssen sich dann erst entwickeln.

Apvar

P.S. Unter Heinrich dem Seefahrer wurden die Karavellen entwickelt. Und sehr viele waren mit Lateinersegeln ausgerüstet. Der Vorteil, gerade bei Expeditionen in unbekannten Gewässern ist die relative Beweglichkeit. Die ersten Galeonen hatten am Besanmast zuerst Lateinersegel, welch sich im laufe der Zeit zu den Schratsegeln entwickelten.
 
Zuletzt bearbeitet:
[...]Die ersten Galeonen hatten am Besanmast zuerst Lateinersegel, welch sich im laufe der Zeit zu den Schratsegeln entwickelten.

Achtung, als Schratsegel bezeichnet man Segel, die in Längsachse zum Schiffsrumpf angeschlagen sind, ausgehend von der Ruhestellung.
Das bedeutet, daß das Lateiner eine Art von Schratsegel ist.
 
Zuletzt bearbeitet:
Achtung, als Schratsegel bezeichnet man Segel, die in Längsachse zum Schiffsrumpf angeschlagen sind, ausgehend von der Ruhestellung.
Das bedeutet, daß das Lateiner eine Art von Schratsegel ist.

Du hast recht. Kam nicht in dem Zusammenhang auf Gaffelsegel. Das ist so zu sagen die Weiterentwicklung des Lateinersegels auf den Windjammern. Und nun ein Link zu Tante Wiki mit der Geschichte der Segelschifffahrt, wegen der Entwicklung der Segel. Entwicklungsgeschichte des Segelschiffs ? Wikipedia Lateinersegel ? Wikipedia

Apvar
 
Um noch einmal obigen Beitrag auf zu greifen.
Bei den Galeonen und vorher bei den Karavellen wurden am Besan das Lateinersegel benutzt um das Schiff mehr oder minder zu steuern, bzw. den Ruderdruck zu kontrollieren. Bei den späteren Galleonen wurde das Lateinersegel nicht mehr ganz ausgeführt, sondern der vordere Teil weggelassen und das Segel mittels Mastrutscher am Mast befestigt. Die Rute wurde Anfangs in der Ursprünglichen Länge gelassen. Später wurde der vordere Teil weggelassen und eine Klaue an der Stenge befestigt, so das die Gaffel auf dem Mast rutschen kann. Gaffel ist Niederdeutsch und heißt Gabel. Eine Gaffel sieht fast wie eine 2-Zinkige Gabel aus.
Es gibt laut Tante Wiki noch 2 weitere Theorien wie das Gaffelsegel entstand. Dazu der Link der Vollständigkeit halber.
Gaffeltakelung ? Wikipedia

Apvar
 
Soweit ich das mal gelesen habe, war die indische Dungiyah das erste nachweisbare Schiff mit einer lateinerähnlichen Betakelung. Allerdings war das Segel bei ihr noch nicht dreieckig sondern trapezförmig.

Das wäre eine Setteesegel. Aber von dieser Theorie habe ich noch nie gehört.

Es ist wichtig zu wissen, daß die heute veraltete Indienursprungstheorie nicht auf empirischen Fakten, sondern auf mehreren, aufeinander abgestimmten Prämissen beruhte. Man weiß, daß im Mittelmeerraum das Lateinersegel von den Byzantinern benutzt wurde. Da man den traditionsbewußten Byzantiner aber eine Abkehr von dem klassischen Rahsegel nicht zutraute, rückten die arabischen Invasoren ins Blickfeld. Da die (Süd-)Araber über eine lange Schiffahrtstradition im Indik zurückblicken konnten, hat man den Ursprung des Lateinersegels gleich dorthin weiterverlegt.

Das alles klingt prima facie plausibel, hat aber einen kleinen Schönheitsfehler, auf den meines Erachtens der amerikanische Medievalist Lynn White als erster hinwies: es gibt nämlich überhaupt keine Indizien für die Verwendung des Lateinersegels im Indik vor 1500! Keine Bildnisse, keine Beschreibungen, keine archäologischen Hinweise.

White weist sogar daraufhin, daß in der binnenindischen Schiffahrt fernab der Küste, also dort, wo der Einfluß der indigenen Schiffahrtstradition sich am Unverfälschtesten erhalten haben sollte, das Lateinersegel bis ins 20. Jh. unbekannt war! Erst mit dem Eindringen der portugiesischen Karavellen tauchen dann plötzlich auf See die ersten Lateinerbesegelungen auf einheimischen Wasserfahrzeugen auf.

Demgegenüber existiert mittlerweile ein recht umfangreicher Korpus an Zeugnissen des Lateinersegels im griechisch-römischen Mittelmeerraum, die zwar im einzelnen noch strittig diskutiert werden, aber im ganzen von keinem Schiffahrtshistoriker, der sich ernsthaft mit der Frage auseinandergesetzt hat, abgelehnt werden. Die Indien-Hypothese findet sich deshalb heute nur noch in alten Werken oder solchen, die daraus zitieren und die grundlegende Veränderung des Forschungsstands in den letzten Jahrzehnten total ignoriert haben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben